Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Wird ein Steuerpflichtiger, der Geschäftsführer einer GmbH gewesen ist und es als solcher pflichtwidrig unterlassen hat, für die Abführung der von den Löhnen einbehaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu sorgen, als Haftender in Anspruch genommen, so sind die auf den Haftungsanspruch geleisteten Zahlungen nachträglich angefallene Werbungskosten.
Normenkette
EStG § 9/1
Tatbestand
Streitig ist, ob der Bf. beanspruchen kann, daß die von ihm an die Allgemeine Ortskrankenkasse in dem Jahre 1956 auf Grund eines Schuldanerkenntnisses gezahlten Beträge bei seiner Veranlagung als Sonderausgaben oder als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden. Dem Schuldanerkenntnis liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Bf., der heute als selbständiger Architekt tätig ist, ist früher Geschäftsführer einer GmbH gewesen. In dieser Eigenschaft ist er für die Einbehaltung und Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung verantwortlich gewesen. Er ist, weil er es schuldhaft versäumt hat, einbehaltene Beträge in Höhe von 35.930,56 DM an die Allgemeine Ortskrankenkasse abzuführen, zu einer Strafe von vier Monaten Gefängnis verurteilt worden. In einem Schuldanerkenntnis hat er sich der Allgemeinen Ortskrankenkasse gegenüber zur Zahlung von 35.975,78 DM verpflichtet.
Das Finanzamt führte die Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1956 durch, ohne die Ratenzahlungen des Bf. auf das Schuldanerkenntnis zu berücksichtigen. Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Nach dem Urteil des Finanzgerichts können die Zahlungen weder als Werbungskosten noch als Betriebsausgaben noch als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden. Werbungskosten lägen nicht vor, weil die Zahlungen nichts mit der Erwerbung, Erhaltung oder Sicherung der früheren Bezüge des Bf. als Geschäftsführer zu tun hätten und seine Pflichtversäumnis auch weniger in seiner Arbeitnehmerstellung als vielmehr in seiner Stellung als gesetzlicher Vertreter der GmbH begründet gewesen sei. Betriebsausgaben lägen nicht vor, weil die Zahlungen nicht durch den von ihm jetzt geführten Betrieb veranlaßt worden seien. Eine außergewöhnliche Belastung komme nicht in Betracht, weil Zahlungen, die man als Ersatz für einen Schaden zu leisten habe, für den man einstehen müsse, nicht als außergewöhnlich angesehen werden könnten.
Mit seiner Rb. wehrt sich der Bf. gegen die Nichtberücksichtigung der Zahlungen. Nach seiner Auffassung hätte das Finanzgericht sie als Sonderausgaben oder als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigen müssen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. muß, wenn auch aus anderen Gründen als den von dem Bf. geltend gemachten, zur Aufhebung der Vorentscheidungen führen.
Das Finanzgericht, das mit Recht davon ausgeht, daß Werbungskosten auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses anfallen können, irrt, wenn es in den Zahlungen des Bf. keine Werbungskosten sieht. Es ist zwar richtig, daß Werbungskosten nach § 9 EStG nur solche Aufwendungen sind, die der "Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen" dienen. Nur wenn eine Beziehung dieser Art zwischen den Zahlungen des Bf. und dessen Einnahmen aus der ehemaligen Tätigkeit als Geschäftsführer vorliegt, können also, wie das Finanzgericht auch nicht verkannt hat, im Streitfall Werbungskosten als gegeben angesehen werden. Wenn aber das Finanzgericht diese Beziehung verneint hat, weil eine auf einer strafbaren groben Pflichtverletzung beruhende Schadensersatzleistung niemals der "Erzielung von Einnahmen" dienen könne, so vermag der Senat dem nicht beizutreten. Da das Finanzgericht wie gesagt selbst mit Recht davon ausgeht, daß Werbungskosten auch nachträglich anfallen können, soll die Verneinung der Bestimmung offenbar nicht schon allein darin begründet sein, daß zur Zeit der Zahlungen keine Einnahmen mehr erzielt werden. Nimmt man hiervon ausgehend zur Verdeutlichung der Problemstellung an, daß der Bf. die Zahlungen, um die es im Streitfalle geht, noch während seines Arbeitsverhältnisses hätte leisten müssen, dann wird klar, daß auch hier eine solche Beziehung zwischen Aufwendungen und Einnahmen besteht, wie sie nach § 9 EStG für den Begriff der Werbungskosten gefordert wird. Ein Arbeitnehmer, der für den von ihm seinem Arbeitgeber verursachten Schaden nicht einsteht, muß mit seiner Kündigung rechnen. Insofern kann man also, leistet er Schadensersatz, sagen, daß seine Zahlungen der "Erzielung von Einnahmen" dienten. Dies setzt jedoch, weil nicht schlechthin jede Beziehung zu den Einnahmen genügt, voraus, daß die Schadensersatzpflicht in einer Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis selbst ergebenden Pflichten begründet ist - wie z. B. dann, wenn der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber durch nicht gehörige Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben versehentlich einen Schaden zufügt - oder daß die Schadensersatzpflicht, wenn sie sich aus einer unerlaubten Handlung ergibt - wie z. B. dann, wenn der Arbeitnehmer einen Dritten verletzt -, doch wenigstens mit der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Tätigkeit in einem durch die Art dieser Tätigkeit bedingten Zusammenhang steht. Ein Fall dieser Art würde z. B. vorliegen, wenn ein angestellter Taxichauffeur auf einer "Dienstfahrt" versehentlich einen Fußgänger anfährt (vgl. hierzu auch das Urteil des Reichsfinanzhofs VI 739/38 vom 14. Dezember 1938, RStBl 1939 S. 212, das allerdings die Schadensersatzleistung aus Anlaß eines Unfalls betrifft, der durch eine betriebliche Kraftwagenfahrt verursacht wurde). Daß nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Geldstrafen nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten geltend gemacht werden können, steht der Anerkennung von Schadensersatzleistungen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten nicht entgegen. Ob und inwieweit Schadensersatzleistungen auch im Fall einer vorsätzlichen Schadenszufügung als Betriebsausgaben oder Werbungskosten anerkannt werden können, braucht für den vorliegenden Fall nicht allgemein beantwortet zu werden.
In diesem Fall liegt zwar ein vorsätzliches Vergehen vor. Der Bf. ist wegen eines fortgesetzten Vergehens nach §§ 553, 1492 der Reichsversicherungsordnung, § 205 des Angestelltenversicherungsgesetzes und § 270 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung bestraft worden, weil er die Arbeitnehmeranteile zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, die auf die Löhne der bei der von ihm seinerzeit vertretenen GmbH beschäftigten Bf. einbehalten worden sind, seiner Pflicht zuwider nicht an die Allgemeine Ortskrankenkasse abgeführt hat. Der Bf. hat die Beträge aber nicht für sich verwendet, sondern, wie strafmildernd berücksichtigt worden ist, mit Rücksicht auf die "schwierige finanzielle Lage seiner Firma" nicht abgeführt. Würde die Firma die Beträge abführen, so wären diese als Betriebsausgaben zu berücksichtigen, ohne daß es darauf ankäme, ob die Nichtabführung auf einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Handeln des gesetzlichen Vertreters beruht (wie auch die Geltendmachung betrieblicher Steuern als Betriebsausgaben nicht dadurch in Frage gestellt wird, daß es sich um hinterzogene Beträge handelt). Dann aber kann es, wenn der gesetzliche Vertreter selbst in Anspruch genommen wird, ebenfalls in der Regel nicht auf die Vorsätzlichkeit oder Fahrlässigkeit seines
Handelns ankommen, sofern nur der für die Berücksichtigung erforderliche Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis gegeben ist. Dieser Zusammenhang ist im Streitfall gegeben. Auch wenn die Schadensersatzpflicht des Bf., wie die Allgemeine Ortskrankenkasse meint, auf § 823 Abs. 2 BGB und die von dem Bf. verletzte Pflicht, wie das Finanzgericht ausführt, vor allem in seiner (damaligen) Stellung als gesetzlicher Vertreter der GmbH begründet sein sollte, kann dies, weil der Bf. die Beträge nicht für sich unterschlagen, sondern im Interesse der GmbH nicht abgeführt hat, entgegen der Auffassung des Finanzgerichts doch nicht dazu führen, den engen Zusammenhang der Pflichtverletzung und Schadensersatzpflicht mit dem Arbeitsverhältnis und der sich hieraus ergebenden Geschäftsführertätigkeit zu verneinen. Wenn der Bf. die Beträge nicht abgeführt hat, weil er, wie er unwiderlegt behauptet, in dieser Weise der damaligen Geschäftslage der von ihm vertretenen Gesellschaft am besten gerecht zu werden glaubte und im übrigen damit rechnete, daß sich die Geschäftslage bessern und ihm die nachträgliche Abführung der Beträge erlauben werde, so handelt es sich hierbei um Erwägungen, die mit seiner Stellung und den ihm übertragenen Aufgaben aufs engste verbunden waren. Daß Erwägungen dieser Art fehlschlagen, ist ein Risiko, das in der Stellung und im Aufgabenkreis eines Geschäftsführers begründet ist. Dieses Berufsrisiko kann steuerlich nicht anders gewertet werden als vergleichbare Risiken bei freien Berufen und Gewerbetreibenden. Aus der Anerkennung der Zahlungen als Werbungskosten folgt allerdings, worauf zur Klarstellung des Fragenkomplexes hingewiesen sei, daß erhielte, nachträgliche Einnahmen vorlägen.
Das angefochtene Urteil war demnach aufzuheben. Es erschien dem Senat zweckmäßig, die Sache unter Aufhebung auch der Einspruchsentscheidung zur Steuerberechnung an das Finanzamt zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 409837 |
BStBl III 1961, 20 |
BFHE 1961, 50 |
BFHE 72, 50 |