Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurechnung eines negativen Einheitswerts des Betriebsvermögens bei negativen Kapitalkonten einzelner Gesellschafter -- notwendiger Umfang tatrichterlicher Tatsachenfeststellungen
Leitsatz (NV)
1. Der für das Betriebsvermögen der Personengesellschaft festgestellte Einheitswert ist auf die einzelnen Gesellschafter grundsätzlich nach dem Wertverhältnis der Mitgliedschaftsrechte der Beteiligten unter Berücksichtigung von deren Substanz- und Ertragswert aufzuteilen. Für die Ermittlung der Beteiligungsverhältnisse ist von den Kapitalkonten der Gesellschafter in der Handelsbilanz auszugehen. Die Kapitalkonten sind ggf. um das Mehrvermögen, das sich bei Aufdeckung evtl. vorhandener stiller Reserven ergibt, bzw. um einen evtl. vorhandenen (originären) Firmenwert zu berichtigen (zu erhöhen) -- ständige Rechtsprechung z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. November 1993 II R 96/91, BFHE 172, 523, 525, BStBl II 1994, 88 m. w. N. --.
2. Haben Entnahmen der Gesellschafter zu negativen Werten der Kapitalkonten geführt, liegt -- zumindest im wirtschaftlichen Ergebnis -- eine Rückzahlung bzw. Herabminderung der Kommanditeinlagen i. S. von § 172 Abs. 4 HGB vor, die zu einer entsprechenden Haftung gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft nach § 171 Abs. 1 HGB führt und eine bei der Aufteilung des Einheitswerts zu berücksichtigende wirtschaftliche Belastung darstellt.
3. Der Grundsatz der Entscheidung des Tatrichters nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) entbindet das Gericht nicht von der Notwendigkeit, die für diese Überzeugung maßgeblichen Tatsachen und Umstände festzustellen und in der Entscheidung die wesentlichen, daraus abgeleiteten Folgerungen nachvollziehbar darzustellen. Hierzu bedarf es einer logischen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachen- bzw. Beweiswürdigung, deren nachvollziehbare Folgerungen den Denkgesetzen entsprechen und von den festgestellten Tatsachen getragen sein müssen. Fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Folgerungen in der tatrichterlichen Entscheidung, liegt ein Fehler in der Rechtsanwendung vor, der ohne besondere Rüge vom Revisionsgericht beanstandet werden kann.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 118 Abs. 2; HGB § 171 Abs. 1, § 172 Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Persönlich haftende Gesellschafterin der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer KG, war im streitigen Feststellungszeitpunkt (1. Januar 1981) die Beigeladene zu 1, eine GmbH. Kommanditisten waren die Beigeladenen zu 2 und 3. Die Kommanditeinlagen sollten jeweils 20 000 DM betragen und auf festen Kapitalkonten verbucht werden. Nach dem Gesellschaftsvertrag sollten neben den Kapitalkonten sog. Privatkonten geführt werden, auf denen Gewinne, Verluste, Einlagen und Entnahmen verbucht werden sollten. Die Bei geladene zu 1 sollte für ihre Geschäftsführertätigkeit sowie die Übernahme der persönlichen Haftung 2 v. H. des Gewinns, mindestens 3 000 DM p. a. erhalten. Der Beigeladene zu 2 sollte seine gesamte Arbeitskraft der Klägerin zur Verfügung stellen und hierfür eine Tätigkeitsvergütung sowie Ersatz seiner Reisekosten und Spesen erhalten. Er war insoweit berechtigt, die ihm zustehenden Vergütungen in monatlich gleichen Beträgen jeweils am Ende eines Monats zu entnehmen. Weitere Entnahmen sollten nur aufgrund eines einstimmigen Beschlusses der Gesellschafter zulässig sein (vgl. § 6 letzter Satz des Gesellschaftsvertrages). An dem nach Abzug der Tätigkeitsvergütungen verbleibenden Gewinn bzw. Verlust sollten die Beigeladenen zu 2 und 3 mit jeweils 50 v. H. beteiligt sein.
In den Jahren 1978 bis 1980 tätigte der Beigeladene zu 2 Entnahmen in Höhe von 372 108,83 DM, der Beigeladene zu 3 in Höhe von 582 623,30 DM. Nach Abzug der auf den Privatkonten der Kommanditisten gutgeschriebenen Gewinne wiesen die für die Beteiligten zu 1 bis 3 geführten Konten zum 31. Dezember 1980 folgende Werte aus:
GmbH:
Beigeladener zu 2:
Beigeladener zu 3:
Festkapital:
5 000,00 DM
./. 20 000,00 DM
./. 20 000,00 DM
Privatkonto:
6 478,00 DM
./. 154 456,08 DM
./. 362 154,54 DM
Summe:
11 478,00 DM
./. 134 456,08 DM
./. 342 154,54 DM
Im Betriebsvermögen der Klägerin waren am 1. Januar 1981 keine nennenswerten stillen Reserven oder ein Firmenwert vorhanden. An Sonderbetriebsvermögen waren in der Bilanz zum 31. Dezember 1980 lediglich die GmbH-Anteile aktiviert.
Im Anschluß an eine Außenprüfung stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) in einem nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten endgültigen Einheitswertbescheid vom 19. August 1986 den Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1981 auf ./. 456 000 DM fest. Diesen Betrag rechnete das FA in voller Höhe der Beigeladenen zu 1 zu.
Auf die -- nach erfolglos gebliebenem Einspruch erhobene -- Klage teilte das Finanzgericht (FG) den festgestellten Einheitswert dergestalt auf, daß auf die Beigeladene zu 1 11 253 DM, den Beigeladenen zu 2 ./. 131 816 DM sowie auf den Beigeladenen zu 3 ./. 335 437 DM entfallen. Denn -- so das FG -- entgegen der Auffassung des FA sei im Streitfall das negative "Kapitalkonto" der Klägerin entsprechend den Mitgliedschaftsrechten der Gesellschafter neben der Komplementärin auch auf die beiden Kommanditisten (Beigeladene zu 2 und 3) aufzuteilen. Soweit durch die Entnahmen der Beigeladenen zu 2 und 3 deren Kapitalanteile (Kommanditeinlagen) herabgemindert bzw. zurückbezahlt worden seien, hafteten sie den Gläubigern der Klägerin unmittelbar (vgl. § 171 Abs. 1, § 172 Abs. 4 des Handelsgesetzbuches -- HGB --). Soweit die Entnahmen der Beigeladenen zu 2 und 3 weder durch Einlagen noch durch Gewinne aus früheren Jahren gedeckt gewesen seien, seien die Beigeladenen zu 2 und 3 verpflichtet gewesen, diese Beträge an die Klägerin zurückzuzahlen. Denn nach § 6 des Gesellschaftsvertrages hätten diese Entnahmen eines einstimmigen Beschlusses aller Gesellschafter bedurft. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin sei ein solcher Beschluß aber weder tatsächlich noch konkludent gefaßt worden. Die Verpflichtung zur Rückzahlung dieser Entnahmen stelle eine wirtschaftliche Belastung für die Beigeladenen zu 2 und 3 zum Zeitpunkt der maßgeblichen Feststellung für die Bewertung des Betriebsvermögens dar. Diese müßten jederzeit mit einer Inanspruchnahme sowohl durch die Gläubiger der Klägerin (bis in Höhe der Hafteinlage) als auch durch die Klägerin selbst rechnen. Bei dieser Konstellation sei gewährleistet, daß jeder Gesellschafter im Ergebnis nur Vermögen zu versteuern habe, das nach bewertungsrechtlichen Grundsätzen am Stichtag vorhanden sei.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung von § 3 Satz 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) i. V. m. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977. Entgegen der Auffassung des FG seien die Beigeladenen zu 2 und 3 nur insoweit zur Rückzahlung ihrer Entnahmen verpflichtet, wie durch die Entnahmen ihr jeweiliger Kapitalanteil berührt werde. Darüber hinaus bestehe keine Haftung gegenüber Gläubigern der Klägerin, noch bestünden genügend konkretisierbare Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber der Klägerin selbst.
Die Klägerin ist der Auffassung, daß durch die Entnahmen entsprechend hohe Ausgleichsforderungen der Klägerin gegen die Beigeladenen zu 2 und 3 entstanden seien.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Das FG ist zutreffend zunächst davon ausgegangen, daß der für das Betriebsvermögen der Personengesellschaft festgestellte Einheitswert auf die einzelnen Gesellschafter grundsätzlich nach dem Wertverhältnis der Mitgliedschaftsrechte der Beteiligten unter Berücksichtigung von deren Substanz- und Ertragswert aufzuteilen und für die Ermittlung der Beteiligungsverhältnisse von den Kapitalkonten der Gesellschafter in der Handelsbilanz auszugehen ist. Die Kapitalkonten sind ggf. um das Mehrvermögen, das sich bei Aufdeckung evtl. vorhandener stiller Reserven ergibt, bzw. um einen evtl. vorhandenen (originären) Firmenwert zu berichtigen (zu erhöhen) -- ständige Rechtsprechung z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. November 1993 II R 96/91, BFHE 172, 523, 525, BStBl II 1994, 88 m. w. N. --.
Das FG ist im Streitfall auch zutreffend von negativen Kapitalkonten der Beigeladenen zu 2 und 3 ausgegangen, indem es eine Saldierung der Festkapitalkonten mit den sog. Privatkonten vorgenommen hat. Damit hat das FG zutreffend -- ohne dies ausdrücklich zu erwähnen -- die für die Beigeladenen geführten sog. Privatkonten als Kapitalkonten angesehen. Denn für den Eigenkapitalcharakter der sog. Privatkonten spricht im Streitfall entscheidend die gesellschaftsvertragliche Regelung, wonach auf diesen Konten auch Verlustanteile der Gesellschafter verbucht werden sollten (vgl. BFH in BFHE 172, 523, 525, BStBl II 1994, 88 m. w. N.).
Das FG hat ferner zu Recht angenommen, daß der negative Wert der Kapitalkonten der Beigeladenen zu 2 und 3 in Höhe von jeweils ./. 20 000 DM bei der Aufteilung des Einheitswertes den Beigeladenen zu 2 und 3 zuzurechnen ist. Denn in den zu negativen Werten der Kapitalkonten führenden Entnahmen liegt -- zumindest im wirtschaftlichen Ergebnis -- eine Rückzahlung bzw. Herabminderung der Kommanditeinlagen der Beigeladenen zu 2 und 3 i. S. von § 172 Abs. 4 HGB. Dies führt dazu, daß die von den Beigeladenen zu 2 und 3 zuvor geleisteten Einlagen als nicht geleistet gelten, und die Haftung gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft nach § 171 Abs. 1 HGB in Höhe der (Haft-)Einlage wieder auflebt. Diese Haftung der Beigeladenen zu 2 und 3 gegenüber den Gläubigern der Klägerin in Höhe der Einlage von jeweils 20 000 DM stellt eine bei der Aufteilung des Einheitswerts zu berücksichtigende wirtschaftliche Belastung dar. Dieser Punkt wird vom FA mit der Revision auch nicht mehr angegriffen.
2. Soweit das FG jedoch davon ausgegangen ist, daß die negativen Kapitalkonten der Beigeladenen zu 2 und 3 auch im übrigen eine wirtschaftliche Last darstellten, weil die Beigeladenen zu 2 und 3 der Klägerin gegenüber zur Rückzahlung des unberechtigt Entnommenen verpflichtet gewesen seien, wird diese Schlußfolgerung des FG durch seine tatsächlichen Feststellungen nicht gedeckt. Das FG hat zwar zutreffend angenommen, daß die von den Beigeladenen zu 2 und 3 getätigten Entnahmen nach den gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen (vgl. § 6 letzter Satz des Gesellschaftsvertrages vom 24. April 1978) von den Gesellschaftern einstimmig zu beschließen waren. Das FG ist aber, ohne hierzu die notwendigen tatsächlichen Feststellungen zu treffen, davon ausgegangen, daß derartige Beschlüsse von den Gesellschaftern der Klägerin nicht gefaßt wurden.
Das FG-Urteil enthält zwar in den Entscheidungsgründen den Hinweis, daß "nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin" ein solcher Beschluß weder tatsächlich noch konkludent gefaßt worden sei. Diese Ausführungen enthalten hingegen keine den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO bindende tatsächliche Feststellungen, soweit das FG unter Hinweis auf den "unbestrittenen Vortrag der Klägerin" eine entsprechende Beschlußfassung der Gesellschafter ausgeschlossen hat. Denn ob die Beigeladenen zu 2 und 3 -- zugleich auch für die GmbH (Beigeladene zu 1) -- sich gegenseitig die Entnahmen z. B. auch durch konkludentes Verhalten genehmigt und damit dem im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Erfordernis der einstimmigen Beschlußfassung genügt haben, kann sich nicht aus dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin, sondern nur aus den Umständen des Einzelfalls, die vom FG festzustellen gewesen wären, ergeben. Im übrigen entbindet der Grundsatz der Entscheidung des Tatrichters nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht von der Notwendigkeit, die für diese Überzeugung maßgeblichen Tatsachen und Umstände festzustellen und in der Entscheidung die wesentlichen, daraus abgeleiteten Folgerungen nachvollziehbar darzustellen. Hierzu bedarf es einer logischen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachen- bzw. Beweiswürdigung, deren nachvollziehbare Folgerungen den Denkgesetzen entsprechen und von den festgestellten Tatsachen getragen sein müssen. Fehlt es -- wie im Streitfall -- an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Folgerungen in der tatrichterlichen Entscheidung, liegt ein Fehler in der Rechtsanwendung vor, der ohne besondere Rüge vom Revisionsgericht beanstandet werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 25. Mai 1988 I R 225/82, BFHE 154, 7, BStBl II 1988, 944; vom 13. Januar 1987 VII R 10/84, BFH/NV 1987, 728). Das FG-Urteil ist deshalb aufzuheben.
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Es kann nicht abschließend geprüft werden, ob die Klägerin wegen der Entnahmen der Beigeladenen zu 2 und 3 im streitigen Feststellungszeitpunkt einen Anspruch auf Rückzahlung der Geldbeträge hatte.
Das FG wird deshalb im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, ob die Beigeladenen zu 2 und 3 (zugleich handelnd für die Beigeladene zu 1) -- möglicherweise auch nur konkludente -- Absprachen hinsichtlich der Entnahmen getroffen haben. Das Vorliegen solcher Absprachen kann sich z. B. auch aus der jahrelangen gegenseitigen Duldung der durch Gewinnbezugsrechte nicht gedeckten Entnahmen ggf. auch aus der Genehmigung der Jahresabschlüsse ergeben. Das FG wird ferner den Inhalt einer evtl. Absprache, insbesondere den Rechtsgrund für die Gewährung der Entnahmen festzustellen haben, aus dem sich möglicherweise ein Rückforderungsanspruch der Klägerin gegen die Beigeladenen zu 2 und 3 ergeben könnte (z. B. Darlehen). Hierbei hat das FG aber zu beachten, daß möglicherweise gegen das Vorliegen einer dahingehenden Vereinbarung schon der Umstand sprechen könnte, daß die Beteiligten die überhöhten Entnahmen nicht auf einem separaten Konto (z. B. Darlehenskonto) verbucht haben, sondern dem sog. Privatkonto, einem Kapitalkonto, belasteten. Hierdurch könnten die Gesellschafter dokumentiert haben, daß die Beigeladenen zu 2 und 3 den auf dem Privatkonto entstandenen Debet-Saldo während des Bestehens der Gesellschaft gar nicht sollten ausgleichen müssen, diese vielmehr gehalten sein sollten, den Soll-Saldo mit künftigen Gewinnanteilen zu verrechnen (vgl. hierzu BFH in BFHE 172, 523, 529, BStBl II 1994, 88).
Fundstellen
Haufe-Index 420577 |
BFH/NV 1996, 18 |