Leitsatz (amtlich)
1. Bei Verlegung des Wohnsitzes in die Schweiz endet die Steuerzahlungspflicht aufgrund der unbeschränkten Vermögensteuerpflicht mit dem Ende des Monats, in dem der Wohnsitz verlegt wurde.
2. Zur Auslegung eines Doppelbesteuerungsabkommens.
Normenkette
VStG §§ 14-15; Schlußprotokoll zum DBAS zu Art. 8 Abs. 3
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) verlegten am 31. Mai 1963 ihren Wohnsitz von der BRD in die Schweiz. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) setzte gegen die Kläger durch eine aufgrund einer Betriebsprüfung berichtigte Vermögensteuerveranlagung zum 1. Januar 1963 eine Jahresschuld in Höhe von 313 717,40 DM fest. Das Gesamtvermögen der Kläger bestand aus Grundvermögen, Kapitalforderungen, Zahlungsmitteln, festverzinslichen Wertpapieren und GmbH-Anteilen.
Auf den Einspruch ermäßigte das FA die Jahresschuld auf 300 457,40 DM mit der Begründung, daß der BRD aufgrund des DBAS vom 15. Juli 1931 (RGBl II 1934, 38) in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 (BGBl II 1959, 1252, BStBl I 1959, 1006) das Besteuerungsrecht für die Kapitalforderungen, die Zahlungsmittel und die Wertpapiere nur bis zum 31. Mai 1963, im übrigen aber bis zum Jahresende zustände.
Das FG hob die Einspruchsentscheidung auf und setzte unter Abänderung des Vermögensteuerbescheids 1963 die Jahresschuld auf 130 715,55 DM fest. Es vertrat die Auffassung, nach dem Schlußprotokoll zu Art. 8 Abs. 3 DBAS seien die Kläger nur verpflichtet, bis 31. Mai 1963 in der BRD Zahlungen aufgrund der unbeschränkten Vermögensteuerpflicht zu leisten.
Die Revision des FA rügt unrichtige Auslegung und Anwendung des Schlußprotokolls zu Art. 8 Abs. 3 DBAS. Der Zweck des Doppelbesteuerungsabkommens bestehe darin, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Dieser Zweck werde erreicht, wenn man das Schlußprotokoll zu Art. 8 Abs. 3 DBAS entsprechend seinem Wortlaut dahin verstehe, daß die nach innerstaatlichem Recht für das ganze Jahr bestehende Steuerzahlungspflicht durch das Doppelbesteuerungsabkommen nur insoweit eingeschränkt werde, als die einzelnen zum Gesamtvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter aufgrund des Wohnsitzwechsels ab 1. Juni 1963 dem Besteuerungsrecht des nunmehrigen Wohnsitzstaates Schweiz unterlägen.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Vermögensteuerjahresschuld auf 313 717,40 DM und den davon nicht zu erhebenden Betrag auf 13 260 DM festzusetzen.
Der dem Verfahren beigetretene BdF vertritt die Auffassung, daß die Steuerzahlungspflicht mit dem Ablauf des Monats, in dem der Wohnsitzwechsel stattfand, nur bezüglich der Vermögensgegenstände ende, die der neue Wohnsitzstaat aufgrund des Doppelbesteuerungsabkommens besteuern dürfe. Für alle anderen Vermögensgegenstände, also auch für die GmbH-Anteile, ende die Steuerzahlungspflicht aufgrund der am 1. Januar 1963 bestehenden unbeschränkten Steuerpflicht erst mit dem Ablauf des Kalenderjahres 1963.
Der BdF stellte keinen Antrag.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Die Vermögensteuerveranlagung beruht auf dem Stichtagsprinzip. Dies bedeutet, daß für die Festsetzung der Vermögensteuerjahresschuld die Verhältnisse eines bestimmten Zeitpunktes maßgebend sind; Veränderungen während des Veranlagungszeitraums können erst zum folgenden Stichtag berücksichtigt werden. Der für die Vermögensbesteuerung maßgebende Stichtag, den das Gesetz als Veranlagungszeitpunkt bezeichnet, ist der Beginn eines Kalenderjahres (vgl. §§ 5 a, 11 Abs. 3, 12 Abs. 2, 13 Abs. 2 und 14 Abs. 2 VStG).
Die Kläger waren nach den für die Festsetzung der Vermögensteuerjahresschuld 1963 maßgebenden Verhältnissen vom Beginn des Kalenderjahres 1963 im Inland unbeschränkt vermögensteuerpflichtig, denn sie hatten zu diesem Zeitpunkt ihren Wohnsitz im Sinn des § 13 StAnpG (vgl. BFH vom 13. Oktober 1965 I 410/61 U, BFHE 83, 655, BStBl III 1965, 738) im Geltungsbereich des GG - § 1 Abs. 1 Nr. 1 VStG -. Die unbeschränkte Steuerpflicht der Kläger endete mit der Aufgabe des Wohnsitzes in der BRD, d. h. mit dem 31. Mai 1963. Da die Kläger Eigentümer von Inlandsvermögen im Sinne des § 77 BewG in der vor dem BewG 1965 geltenden Fassung sind, waren sie ab 1. Juni 1963 im Inland beschränkt vermögensteuerpflichtig. Nach der Systematik des Vermögensteuergesetzes kann der Übergang von der unbeschränkten zur beschränkten Vermögensteuerpflicht jedoch erst mit Wirkung von dem auf die Änderung folgenden Veranlagungszeitpunkt, das ist für die Kläger der 1. Januar 1964, durch Nachveranlagung berücksichtigt werden (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 VStG). Dies hat zur Folge, daß nach innerstaatlichem Recht für das Jahr 1963 die aufgrund der unbeschränkten Vermögensteuerpflicht festgesetzte Jahressteuerschuld in voller Höhe zu entrichten ist. Ein Fall des § 15 VStG ist nicht gegeben, weil die Steuerpflicht durch den Wohnsitzwechsel nicht erloschen ist, sondern sich lediglich dem Umfange nach geändert hat.
2. Eine Änderung dieser Rechtslage ergibt sich jedoch durch das DBAS. Nach dem Schlußprotokoll zu Art. 8 Abs. 3 DBAS endet bei Wohnsitzverlegung die Steuerpflicht, soweit sie an den Wohnsitz anknüpft, mit dem Ende des Monats, in dem der Wohnsitz verlegt wurde. Wenn man den Klägern allerdings darin folgt, daß Begriffe eines Doppelbesteuerungsabkommens, die im Abkommen selbst nicht definiert sind, nach innerstaatlichem Recht auszulegen sind, so besagt das Schlußprotokoll zu Art. 8 Abs. 3 DBAS nichts anderes, als sich schon aus dem innerstaatlichen Recht ergibt. Denn "die Steuerpflicht, soweit sie an den Wohnsitz anknüpft" im Sinne des Schlußprotokolls zu Art. 8 Abs. 3 DBAS kann dann in Übereinstimmung mit der Auffassung der Kläger keinen anderen Sinn haben als die unbeschränkte Steuerpflicht des § 1 VStG. Für den Fall des Übergangs von der unbeschränkten Steuerpflicht zur beschränkten Steuerpflicht oder des Erlöschens der unbeschränkten Steuerpflicht zwischen zwei Veranlagungszeitpunkten ergäbe sich dann aus dem DBAS keine vom innerstaatlichen Recht abweichende Regelung, d. h. die aufgrund der unbeschränkten Steuerpflicht festgesetzte Jahresschuld wäre bis zum Ende des Jahres, also in voller Höhe, zu zahlen.
Der Senat hat jedoch schon in seinem Urteil vom 15. Januar 1971 III R 125/69 (BFHE 101, 536, BStBl II 1971, 379) die Auffassung vertreten und hält daran fest, bei der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen sei davon auszugehen, daß das innerstaatliche Recht einerseits und das Recht der Doppelbesteuerung andererseits zwei in sich geschlossene Rechtskreise sind, die ihre eigenen Abgrenzungen und Begriffsbestimmungen haben. Die Eigenständigkeit des Regelungsbereichs eines Doppelbesteuerungsabkommens gebiete es, Begriffe, für die eine Begriffsbestimmung im Abkommen selbst nicht enthalten ist, zunächst durch Auslegung aus dem Sinnzusammenhang des Abkommens in ihrem Inhalt zu bestimmen; die Heranziehung innerstaatlichen Rechts sei erst dann zulässig und geboten, wenn eine Auslegung aus dem Abkommen selbst nicht möglich sei.
Ziel der Auslegung ist es, den objektiven Willen einer Vorschrift zu erfassen. Diesem Auslegungsziel dienen die grammatische Auslegung, die systematische Auslegung, die teleologische Auslegung und die historische Auslegung. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluß vom 17. Mai 1960 2 BvL 11/59, 11/60, BVerfGE 11, 126 [130]) sind alle diese Auslegungsmethoden erlaubt; sie schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich. Die Auslegung des Schlußprotokolls zu Art. 8 Abs. 3 DBAS unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und des Sinnzusammenhangs innerhalb des Doppelbesteuerungsabkommens und der Zielsetzung des Abkommens ergibt, daß unter der "Steuerpflicht" nicht die Steuerpflicht im technischen Sinn der §§ 1 und 2 VStG, sondern die Steuerzahlungspflicht in Übereinstimmung mit der Steuerpflicht gemeint ist, d. h. die Steuerzahlungspflicht soweit die Steuerpflicht besteht.
Die Vorschrift des Schlußprotokolls zu Art. 8 Abs. 3 DBAS enthält keine spezifisch vermögensteuerrechtliche Regelung. Sie gilt ganz allgemein für alle Steuern, die an den Wohnsitz anknüpfen. Bei der Einkommensteuer wird beim Übergang von der unbeschränkten Steuerpflicht zur beschränkten Steuerpflicht während eines Veranlagungszeitraums für diesen Veranlagungszeitraum je eine getrennte Veranlagung des Einkommens für die Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht und der beschränkten Steuerpflicht durchgeführt (§ 25 Abs. 2 EStG; vgl. auch Abschn. 227 EStR). Bei der Einkommensteuer wird damit die Steuer aufgrund der unbeschränkten Steuerpflicht nur so lange erhoben, als die unbeschränkte Steuerpflicht besteht. Anders ist die Rechtslage - wie oben dargestellt - bei der Vermögensteuer. Die Kläger weisen jedoch zu Recht darauf hin, daß sich gleichartige Formulierungen wie im Schlußprotokoll zu Art. 8 Abs. 3 DBAS auch in anderen älteren Doppelbesteuerungsabkommen befinden (vgl. Schlußprotokoll Ziff. 14 zum DBA-Italien vom 31. Oktober 1925, RGBl II 1925, 1146 [1154] und Schlußprotokoll Ziff. 13 zum DBA-Schweden vom 25. April 1928, RGBl II 1928, 522 [528]). Deshalb ist für die Auslegung dieser Vorschriften die Rechtslage zu berücksichtigen, die zur Zeit des Abschlusses dieser Doppelbesteuerungsabkommen bestand.
Nach § 12 Abs. 2 VStG 1925 (RGBl I 1925, 233) in Verbindung mit den §§ 76 Abs. 2 Nr. 1 und 75 Abs. 2 RBewG 1925 (RGBl I 1925, 214) wurde im Fall des Wechsels von der unbeschränkten Vermögensteuerpflicht zur beschränkten Vermögensteuerpflicht mit dem Ende der unbeschränkten Vermögensteuerpflicht, ähnlich wie bei der Einkommensteuer, während des Jahres eine Nachveranlagung zur Steuerfestsetzung aufgrund der nunmehr eingetretenen beschränkten Steuerpflicht durchgeführt. In dem gleichartigen Fall, daß die unbeschränkte Steuerpflicht während des Veranlagungszeitraums endete und nicht eine beschränkte Steuerpflicht anschloß, wurde die Steuer aufgrund der unbeschränkten Steuerpflicht nur bis zum Ende des Kalendermonats erhoben, in dem die Steuerpflicht wegfiel (§ 13 VStG 1925). Das bedeutet, daß zu der Zeit, deren innerstaatliche Rechtslage für die Vereinbarung der Regelung maßgebend war, wie sie u. a. im Schlußprotokoll zu § 8 Abs. 3 DBAS enthalten ist, auch die unbeschränkte Vermögensteuerpflicht und die Steuerzahlungspflicht aufgrund der unbeschränkten Vermögensteuerpflicht sich zeitlich deckten. Hieraus folgt, daß das Schlußprotokoll zu Art. 8 Abs. 3 DBAS nur dahin verstanden werden kann, daß auch für die Vermögensbesteuerung im Fall des Übergangs von der unbeschränkten Steuerpflicht zur beschränkten Steuerpflicht durch Wohnsitzverlegung die Steuer aufgrund der unbeschränkten Steuerpflicht nur bis zum Ende des Kalendermonats erhoben werden kann, in dem der Wohnsitz verlegt wird. Der Senat stimmt den Klägern darin zu, daß eine spätere Änderung der innerstaatlichen Rechtslage auf dem Gebiet der Vermögensbesteuerung eine von den Vertragsparteien objektiv gewollte Regelung des Doppelbesteuerungsabkommens in ihrem Inhalt nicht verändern konnte. Der Senat sieht sich in dieser Auffassung auch dadurch bestätigt, daß nach Art. 4 Abs. 5 des revidierten DBAS vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1021, BStBl I 1972, 519) bei einem Wohnsitzwechsel zwischen den Vertragsstaaten die Steuer aufgrund der unbeschränkten Steuerpflicht eindeutig nur für die Zeit erhoben werden kann, in der die unbeschränkte Steuerpflicht bestand. Der BdF hat in seiner Stellungnahme aber eingeräumt, daß durch die Fassung dieser Vorschrift nach dem Willen der Vertragsparteien keine Änderung der bisher schon bestehenden Rechtslage herbeigeführt werden sollte.
Die vom FA vertretene und vom BdF unterstützte Rechtsauffassung beruht allein auf der grammatischen Auslegung des DBAS. Sie ist nur unter Mißachtung des Zusammenwirkens der verschiedenen Auslegungsmethoden und des besonderen Gewichts der historischen Auslegung bei mehrere Jahrzehnte unverändert bestehenden Vorschriften möglich. Der Senat verkennt nicht, daß bei der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsauffassung einzelne Vermögenswerte bis zu 11 Monaten von jeglicher Vermögensteuer freigestellt sein können. Dies beruht aber nicht auf einer unrichtigen Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens sondern ergibt sich daraus, daß in Deutschland für die Vermögensteuer die Rechtslage geändert wurde, die die Grundlage für die alle Personensteuern umfassende Regelung des Schlußprotokolls zu Art. 8 Abs. 3 DBAS war.
Fundstellen
Haufe-Index 70586 |
BStBl II 1973, 810 |
BFHE 1974, 187 |