Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Entscheidung, ob Unternehmereinheit oder Organschaft vorliegt, hängt, wenn die Merkmale beider Institutionen zutage treten, davon ab, ob die Gesellschaften zueinander in einem Nebenordnungsverhältnis (Unternehmereinheit) oder in einem über- und Unterordnungsverhältnis (Organschaft) stehen. Anwendungsfall der im Urteil des Senats V 300/60 U vom 24. Oktober 1963 (BFH 78, 587, BStBl III 1964, 222) erarbeiteten Grundsätze.
Normenkette
UStG § 2 Abs. 1 S. 2, § 2/2/2
Tatbestand
Streitig ist, ob in den Veranlagungszeiträumen II/1948 bis 1951 (Streitjahre) zwischen der Klägerin (Steuerpflichtigen - Stpfl. -) und der X-GmbH ein Organschaftsverhältnis oder eine Unternehmereinheit bestanden hat.
Die Stpfl. stellt technische Apparate und chemische Erzeugnisse her und betreibt Großhandel mit solchen Gegenständen. Gesellschafter der Stpfl. waren in den Streitjahren die Kaufleute A und B. Im Jahre 1934 hatte die Stpfl. die Anteile der damals zahlungsunfähigen GmbH erworben und über den GmbH-Mantel hinaus Betriebseinrichtungsgegenstände und Warenbestände, aber keine Passiven übernommen. Die GmbH stellte in den Streitjahren in Räumen der Stpfl. mit ausschließlich von der Stpfl. gemieteten Geräten Lacke her und betrieb den Großhandel mit Waren dieser Art. Alleiniger Geschäftsführer der GmbH war zunächst der Gesellschafter A; Ende Februar 1951 wurde auch der Gesellschafter B zum Geschäftsführer der GmbH bestellt. Für die Herstellung der Lacke und den Versand der Großhandelswaren beschäftigte die GmbH zwei Arbeitnehmer. Ihre Geschäftsbücher wurden vom Personal der Stpfl. mitgeführt. Beide Firmen besaßen verschiedene Bankkonten, aber nur einen Fernsprechanschluß. Die anteiligen Kosten für Miete, Gehälter, Porti, Strom, Gas, Wasser und Feuerversicherung wurden der GmbH von der Stpfl. in Rechnung gestellt.
Die Stpfl. hat in den Streitjahren fast alle Rohstoffe und Waren, die die GmbH für ihren Betrieb benötigte, in deren Auftrag, aber im eigenen Namen eingekauft. Sie hat diese Einkäufe in den Büchern der GmbH gebucht, die diese Gegenstände auch bezahlt hat. Bei der Stpfl. gingen gelegentlich Kundenaufträge ein, die Erzeugnisse der GmbH betrafen. Die Stpfl. leitete diese Aufträge zur Erledigung an die GmbH weiter. Die GmbH erklärte den Auftraggebern gegenüber die Annahme der Aufträge mit dem Vermerk, daß sie ihr über ihr "Stammhaus" zugegangen seien.
Der Beklagte (Finanzamt - FA -) hielt für die Streitjahre - ebenso wie in den Vorjahren - ein Organschaftsverhältnis zwischen der Stpfl. als Muttergesellschaft und der GmbH als Tochtergesellschaft für gegeben und zog wegen der Aufhebung der Organschaft auf dem Gebiet der Umsatzsteuer durch Art. II des Kontrollratgesetzes (KRG) Nr. 15 die Stpfl. mit ihren Umsätzen an die GmbH zur Umsatzsteuer heran. Der Einspruch der Stpfl. blieb erfolglos. Auch das Finanzgericht (FG) kam zu dem Ergebnis, daß zwischen der Stpfl. und der GmbH ein Organschaftsverhältnis bestehe, weil die GmbH finanziell, organisatorisch und wirtschaftlich in die Stpfl. eingegliedert sei. Mit der Rb. macht die Stpfl. - wie schon in den Veranlagungszeiträumen - geltend, daß zwischen ihr und der GmbH eine Unternehmereinheit bestehe und es sich bei ihren Lieferungen und sonstigen Leistungen an die GmbH daher um nichtsteuerbare sogenannte Innenumsätze handelte.
Entscheidungsgründe
Die Rb., die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist (§ 184 Abs. 2, §§ 115 ff. FGO), ist unbegründet.
Die von den Vorinstanzen zur Umsatzsteuer herangezogenen Vorgänge (Rohstoff- und Warenbeschaffung im eigenen Namen der OHG, für Rechnung der GmbH; Maschinenverpachtung usw.) unterliegen der Umsatzsteuer, wenn zwischen der Stpfl. und der GmbH ein Organschaftsverhältnis besteht. Denn infolge der Außerkraftsetzung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft durch Art. II KRG Nr. 15 sind in den Streitjahren die Lieferungen und Leistungen der Stpfl. an die GmbH als steuerbare Außenumsätze der Stpfl. zu behandeln. Die streitigen Vorgänge würden als nichtsteuerbare sogenannte Innenumsätze nur dann aus der Umsatzbesteuerung ausscheiden, wenn zwischen der Stpfl. und der GmbH eine Unternehmereinheit (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG) bestünde.
Die Prüfung des Sachverhalts ergibt, daß die ersten drei Voraussetzungen der Unternehmereinheit (gleiche Gesellschafter, gleiche anteilsmäßige Beteiligung dieser Gesellschafter an jeder Gesellschaft, einheitliche Willensbildung für alle Gesellschaften) vorliegen. Es zeigt sich aber, daß weitgehend auch die Voraussetzungen einer Organschaft gegeben sind. Die GmbH ist finanziell in die Stpfl. eingegliedert; sie besaß in den Streitjahren alle Anteile der GmbH. Auch die organisatorische Eingliederung der GmbH in die Stpfl. tritt klar zutage. Denn oberstes Willensbildungsorgan der GmbH ist die Gesellschaftergemeinschaft der Stpfl. In den Streitjahren war zunächst der Gesellschafter A alleiniger Geschäftsführer der GmbH; später wurde auch der Gesellschafter B zum Geschäftsführer der GmbH bestellt. Die Bücher beider Firmen wurden in denselben Räumen von denselben Angestellten geführt. Beide Firmen hatten den gleichen Fernsprechanschluß. Die Vertreter der Stpfl. vermittelten teilweise auch Aufträge an die GmbH. Schließlich ist auch eine wirtschaftliche Verknüpfung beider Firmen feststellbar. Sie offenbart sich in ihrer Entstehungsgeschichte. Die Stpfl. hatte im Jahre 1934 die Anteile der GmbH übernommen, um ihren eigenen Kundenkreis zu erweitern. Auch haben beide Firmen viele Jahre lang teilweise gleiche Erzeugnisse hergestellt und gleiche Waren vertrieben. Insoweit bestand in den Streitjahren zwar eine klare Trennung. Die angebotenen Sortimente ergänzten sich aber bis zu einem gewissen Grade und wandten sich zum Teil an dieselben oder verwandten Kundenkreise.
In einem Falle, in dem - wie im vorliegenden - die Merkmale sowohl der Unternehmereinheit als auch der Organschaft zutage treten, hängt die Entscheidung davon ab, ob die Gesellschaften zueinander in einem Nebenordnungsverhältnis (= Unternehmereinheit) oder in einem über- und Unterordnungsverhältnis (= Organschaft) stehen. Dies zeigt sich am deutlichsten, wenn man den Weg der in den Gesellschaften hergestellten oder von ihnen gehandelten Waren verfolgt. Laufen die Waren (in der Regel unterschiedlicher Art) parallel zueinander auf verschiedenen Wegen und betätigt sich jede der beiden Gesellschaften ausschließlich auf einem dieser Wege, so wird regelmäßig ein Nebenordnungsverhältnis bestehen; laufen die Waren auf nur einem Wege, auf dessen einzelnen Abschnitten die beiden Gesellschaften nacheinander tätig werden, so wird in der Regel eine der beiden Gesellschaften der anderen untergeordnet sein (Urteil des Senats V 300/60 U vom 24. Oktober 1963, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 78 S. 587 - BFH 78, 587 -, BStBl III 1964, 222).
Für die Zeit nach dem Erwerb der Rohstoffe bzw. Fertigerzeugnisse bis zur Weiterleitung bewegen sich im Streitfall die Waren der beiden Firmen parallel zueinander auf getrennten Wegen. Die hergestellten und gehandelten Waren sind - wie bereits erwähnt - verschiedener Art. Sie werden gesondert produziert und gelagert und unabhängig voneinander buchhaltungs-, rechnungs- und zahlungsmäßig behandelt. Auch bei ihrem Vertrieb ist eine deutliche Trennung festzustellen (getrennte Werbung durch eigene Prospekte, getrennte Verpackung durch eigene Arbeitskräfte, getrennter Versand, getrennte Inrechnungstellung, getrennte Rabattgewährung). Das gelegentliche Tätigwerden der Vertreter der Stpfl. für die GmbH geschah im Namen und für Rechnung der GmbH und konnte für sich allein ein Unterordnungsverhältnis nicht herbeiführen.
Dagegen laufen die Rohstoffe und Waren beim Einkauf für beide Firmen auf einem Wege. Denn nach den von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen, an die der Senat gebunden ist, hat die Stpfl. die Bestellungen für fast sämtliche Waren, auch soweit sie die GmbH betrafen, bei den Vorlieferern im eigenen Namen aufgegeben. Umfangreiche Warenlieferungen der einen Gesellschaft an die andere brauchen zwar eine wirtschaftliche Abhängigkeit noch nicht zu begründen. Anders aber ist die Rechtslage, wenn es sich um Waren handelt, die die bestellende Firma selbst in ihrem Produktions- und Verkaufsprogramm nicht führt, und die Warenlieferungen an die andere Firma fast deren gesamten Wareneinkauf ausmachen. Solchenfalls übernimmt die erste Firma eine maßgebliche Funktion im Betrieb der zweiten Firma. Dieser Fall liegt hier vor. Die Stpfl. hat durch den im eigenen Namen getätigten Rohstoff- und Wareneinkauf für Rechnung der GmbH in einer wichtigen Unternehmensphase, nämlich vor Beginn der Produktion bzw. des Vertriebes, ihren Willen anstelle des Willens der GmbH zur Geltung gebracht. Infolge dieses unmittelbaren Eingreifens in den Geschäftsablauf der GmbH kann von einem Nebenordnungsverhältnis der beiden Firmen nicht die Rede sein. Auf die weiteren Merkmale, die in der Vorentscheidung für das Bestehen eines über- bzw. Unterordnungsverhältnisses angeführt werden, kommt es nicht mehr an. Die Revision kann keinen Erfolg haben.
Fundstellen
Haufe-Index 412403 |
BStBl III 1967, 191 |
BFHE 1967, 462 |
BFHE 87, 462 |