Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung für Einfuhrumsatzsteuer trotz Abziehbarkeit als Vorsteuer
Leitsatz (NV)
1. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug entrichteter Einfuhrumsatzsteuer die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners von vornherein ermessensfehlerhaft macht.
2. Ein Haftungsbescheid darf nicht nur nach Festsetzung der Steuer ergehen.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69, 191 Abs. 5, § 361 Abs. 2; FGO § 69 Abs. 2; UStG § 15
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Geschäftsführer der KG, die aufgrund von Mineralöleinfuhren Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von . . . DM schuldet. Für diese Steuer nahm der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA -) den Kläger als Haftenden in Anspruch. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das HZA ab. Nach erfolgloser Beschwerde erhob der Kläger dagegen Klage, die das Finanzgericht (FG) als unzulässig abwies. Die Revision führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (Urteil des erkennenden Senats vom 12. Oktober 1982 VII R 84/82, BFHE 136, 523, BStBl II 1983, 49) mit der Folge, daß das FG die Verwaltungsentscheidungen über die Aussetzung der Vollziehung aufhob und das HZA verpflichtete, die Vollziehung des Haftungsbescheids bis einen Monat nach Zustellung der Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zur Bestandskraft des Haftungsbescheids auszusetzen.
Das FG begründet seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt: Bei summarischer Prüfung bestünden zwar keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme des Klägers nach den §§ 69, 34 der Abgabenordnung (AO 1977) als solcher. Das FG schließe sich aber der Entscheidung des FG Hamburg vom 16. Februar 1982 IV 66/80 H (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1982, 640) an, nach der eine Inanspruchnahme des Haftenden für Einfuhrumsatzsteuer in der Regel ermessensfehlerhaft sei, wenn die Steuer vom Steuerschuldner als Vorsteuer abgezogen werden könne. Es sei nicht Sinn und Zweck der Haftungsbestimmungen der AO 1977, unter überflüssigem Verwaltungsaufwand Haftungsansprüche geltend zu machen, die das Steueraufkommen insgesamt nicht erhöhten. Es sei davon auszugehen, daß die Umsatzsteuer für das eingeführte Mineralöl auf dem Wege bis zum Verbraucher gezahlt worden sei. Zahle der Kläger, erlange die KG demnach einen Erstattungsanspruch gegen den Fiskus.
Das HZA begründet seine Revision wie folgt: Das FG habe verkannt, daß die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer ebenso wie die Erhebung der Umsatzsteuer auf jeder Unternehmensstufe den tatsächlichen Eingang der Steuern und ein gleichmäßiges Steueraufkommen sichere. Die Vorstufen übernähmen im Ergebnis die Funktion der Steuerabführung für einen Teil der auf der letzten Stufe anfallenden Steuer und minderten damit das Risiko des Fiskus für Zahlungsausfälle auf der Endstufe. Wenn aber die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer auf allen Handelsstufen sinnvoll sei, könne auch die Haftung für die Einfuhrumsatzsteuer einen Sinn haben und die Inanspruchnahme des Haftenden für die Einfuhrumsatzsteuer gerechtfertigt sein.
Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er führt im wesentlichen folgendes aus: Ein Steuerhaftungsbescheid setze die Steuerfestsetzung gegen den Steuerschuldner voraus (§ 191 Abs. 5 Nr. 1 AO 1977). Das sei offenbar bisher nicht geschehen. Es sei nicht zweckmäßig, wenn der Staat einen hohen Steuerbetrag eintreibe, den er sogleich wieder zu erstatten habe. Es verstoße gegen Recht und Billigkeit sowie gegen die Grundsätze von Treu und Glauben und sei willkürlich, wenn ein gesetzlicher Vertreter für eine solche Steuer als Haftender in Anspruch genommen werde.
Der dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen (BMF) hat sich den Ausführungen des HZA angeschlossen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Ernstliche Zweifel, die nach § 361 Abs. 2 AO 1977 oder nach § 69 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids rechtfertigen, können nicht - seit der Entscheidung des Senats vom 5. Juni 1985 VII R 57/82 (BFHE 144, 290, BStBl II 1985, 688) zumindest nicht mehr - damit begründet werden, die Inanspruchnahme des Haftenden sei in der Regel ermessensfehlerhaft, wenn die Steuer vom Steuerschuldner als Vorsteuer abgezogen werden könne. Der Senat hat in der genannten Entscheidung unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7. Juli 1983 V R 197/81 (BFHE 139, 310, BStBl II 1984, 70) ausgeführt, der regelmäßige Ausgleich zwischen Steuer und Vorsteuer innerhalb der Unternehmerkette (Nullsituation) berühre weder die Steuerpflicht des leistenden Unternehmens noch den vom Steueranspruch nicht trennbaren Haftungsanspruch. Was für eine bei anderen Inlandsumsätzen eintretende Nullsituation gelte, müsse auch für den Fall gelten, daß entrichtete Einfuhrumsatzsteuer durch den berechtigten Unternehmer als Vorsteuer abgezogen werden könne. Sei aber die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer und ihre Geltendmachung gegen den Steuerschuldner durch die Möglichkeit eines Steuerabzugs nicht in Frage gestellt, könne die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners für nicht getilgte Einfuhrumsatzsteuer nicht von vornherein im Hinblick auf eine solche Möglichkeit ermessensfehlerhaft sein.
Es ist davon auszugehen, daß der Senat auch künftig an dieser Auffassung festhält, zumal er die genannte Entscheidung inzwischen wiederholt zur Grundlage weiterer Entscheidungen gemacht hat (vgl. Beschlüsse vom 27. Mai 1986 VII S 5/86, BFH/NV 1987, 10, und vom 2. September 1986 VII B 52/86, BFH/NV 1987, 172). Das bedeutet, daß die Rechtmäßigkeit von Haftungsbescheiden aus den vom FG dargelegten Gründen nicht als zweifelhaft angesehen werden kann.
Da nach den Ausführungen des FG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme des Klägers als Haftendem nach § 69 AO 1977 aus anderen Gründen nicht bestehen, hat der Senat keine Veranlassung anzunehmen, daß derartige Gründe in Betracht kommen könnten. Er sieht sich deshalb nicht daran gehindert, unter Aufhebung der Vorentscheidung durchzuerkennen und die Klage abzuweisen.
Bedenken ergeben sich insoweit nicht aus der Auffassung des Klägers, der Haftungsbescheid habe nicht erlassen werden dürfen, weil die Steuerschuld nicht festgesetzt worden sei. Dieser Einwand ist nicht geeignet, Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids zu begründen. Entgegen der Auffassung des Klägers kann aus § 191 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 nicht entnommen werden, daß ein Haftungsbescheid nur nach Festsetzung der Steuer ergehen dürfe, insoweit also subsidiär sei (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 191 AO 1977 Tz. 3). Die genannte Vorschrift untersagt vielmehr den Erlaß eines Haftungsbescheids nur unter der Voraussetzung, daß die Steuer - etwa wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist - nicht mehr festgesetzt werden darf. Sie beruht auf der Akzessorietät der Haftung gegenüber dem Steueranspruch (vgl. Kühn/ Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 191 AO 1977 Erläuterungen 3 c). Auch der Kläger hat nicht dargelegt, daß der Steueranspruch - bei Erlaß des Haftungsbescheids - nicht mehr hätte festgesetzt werden dürfen und daß das FG insoweit von einem unzutreffenden Sachverhalt oder von einer unrichtigen Rechtsauffassung ausgegangen sei.
Fundstellen
Haufe-Index 415687 |
BFH/NV 1989, 81 |