Leitsatz (amtlich)
1. Die Auflösung eines Dienstverhältnisses ist dann i. S. des § 3 Nr. 9 EStG 1975 vom Arbeitgeber "veranlaßt", wenn dieser die entscheidenden Ursachen für die Auflösung gesetzt hat und dem Arbeitnehmer im Hinblick auf dieses Verhalten eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden kann.
2. Abfindungen i. S. des § 3 Nr. 9 EStG 1975 sind grundsätzlich solche Zuwendungen, die ein Arbeitnehmer anläßlich der Auflösung des Arbeitsverhältnisses, insbesondere zum Ausgleich von Nachteilen wegen Verlustes des Arbeitsplatzes erhält.
2. Keine Abfindung, sondern nichtbegünstigte Gehaltszahlungen sind in der Regel anzunehmen, wenn ein Arbeitnehmer den Betrag erhält, der seinem laufenden Gehalt und seinen sonstigen Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses entspricht.
Normenkette
EStG 1975 § 3 Nr. 9
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hatte den Journalisten A für die Zeit vom 1. Januar 1969 bis zum 31. Dezember 1973 angestellt. Durch einen Zusatzvertrag wurde das Dienstverhältnis für die Zeit vom 1. Januar 1974 bis 31. Dezember 1975 verlängert. Aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen der Klägerin und A wurde am 12. Februar 1975 vereinbart, daß das Arbeitsverhältnis zum 28. Februar 1975 aufgelöst und A ab sofort von seiner Arbeitspflicht befreit wird. Die Klägerin zahlte an ihn eine Abfindung von brutto 52 000 DM. A erhielt bis zu diesem Zeitpunkt ein Monatsgehalt von 6 000 DM; er hatte Anspruch auf ein dreizehntes Monatsgehalt, zahlbar Ende November eines jeden Jahres.
Da die Klägerin von der Abfindung von 52 000 DM keine Lohnsteuer einbehalten hatte, erließ der Beklagte und Revisionskläger (FA) gegen sie einen Lohnsteuerhaftungsbescheid in Höhe von 24 842 DM.
Die Klage, mit der die Klägerin eine Herabsetzung des Lohnsteuerhaftungsbescheids auf 13 036 DM begehrte, hatte Erfolg. Das FG führte in dem in EFG 1976, 539 veröffentlichten Urteil aus, der Haftungsbetrag belaufe sich auf nur 13 036 DM, da ein Teilbetrag von 24 000 DM der an A gezahlten Abfindung nach § 3 Nr. 9 EStG 1975 steuerfrei sei. Nach dieser Vorschrift seien Abfindungen bei einvernehmlicher, jedoch durch den Arbeitgeber veranlaßter vorzeitiger Beendigung eines Arbeitsverhältnisses steuerlich begünstigt, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer über den vereinbarten außerordentlichen Beendigungszeitpunkt hinaus aus Gründen, die im wesentlichen im Verhalten des Arbeitgebers lägen, nicht mehr zumutbar oder die Beendigung aus zwingenden, im Bereich des Arbeitgebers liegenden wirtschaftlichen Gründen geboten sei. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei insbesondere dann vom Arbeitgeber veranlaßt, wenn er die Auflösung betrieben habe. Seien diese Voraussetzungen gegeben, so sei nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine Zahlung als Abfindung anzusehen, die sich in den Grenzen des § 10 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) halte und Nachteile ausgleiche, die für den Arbeitnehmer mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbunden seien.
Im Streitfall seien die Beziehungen der Klägerin zu A schon seit längerem gespannt, ohne gegenseitige Vertrauensbasis und beiderseitig wenig erfolgreich gewesen. Unterredungen zwischen A und dem stellvertretenden Chefredakteur am 29. Januar 1975 seien ergebnislos verlaufen. Bei einer weiteren Besprechung mit dem Chefredakteur am 7. Februar 1975 sei A vom Justitiar der Klägerin, Dr. H, mitgeteilt worden, daß man Überlegungen anstelle, ihm aus wichtigem Grund zu kündigen. Die Klägerin habe zu diesem Zeitpunkt die Absicht gehabt, das Arbeitsverhältnis mit A auf keinen Fall bis zum Ablauf der Vertragszeit fortzuführen. Dieses Vorgehen der Klägerin sei Anlaß für die Verhandlungen zwischen Dr. H und dem von A beauftragten Rechtsanwalt B gewesen, die zu der Vereinbarung vom 12. Februar 1975 geführt hätten. Bei den Verhandlungen über die Höhe der Abfindung seien die Verhandlungsführer, wie sie übereinstimmend bekundet hätten, nicht von dem für die Zeit bis zur ordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch zu zahlenden Gehalt ausgegangen, sondern von den Rechtsprechungsgrundsätzen der Arbeitsgerichte zur Bemessung der Abfindung in den Fällen des § 13 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. §§ 9 Abs. 1, 10 KSchG. Sie hätten in ihren Verhandlungen über die Höhe des zu zahlenden Betrages die Zeitdauer, die A im Dienste der Klägerin gestanden habe, zugrunde gelegt und als Anhaltspunkt den Grundsatz herangezogen, daß für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit 1/12 des Jahresgehalts als angemessene Abfindung anzusehen sei.
Dieser Sachverhalt zeige eindeutig, daß die Auflösung des Arbeitsverhältnisses von der Klägerin veranlaßt worden sei. Sie habe die Absicht gehabt, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen und sie habe sich nicht in geeigneter Weise darum bemüht, die Spannungen mit A beizulegen.
A habe durch sein Verhalten der Klägerin kein Recht zur fristlosen Kündigung gegeben. Es sei insbesondere nicht festzustellen gewesen, daß A ihm erteilten Weisungen im Einzelfall nicht nachgekommen sei. Es sei ihm nicht zuzumuten gewesen, das Arbeitsverhältnis unter diesen Umständen fortzusetzen: Die Abfindung habe die Nachteile gemindert, die darauf beruhten, daß A im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses schon älter als 50 Jahre gewesen sei, über sechs Jahre für die Klägerin ohne entscheidende Beanstandungen gearbeitet und deshalb die Erwartung gehabt habe, daß sich das Arbeitsverhältnis über den 1975 auslaufenden Vertrag hinaus fortsetzen werde. In seinem Alter sei es mit Schwierigkeiten verbunden, eine in etwa gleichdotierte Tätigkeit als Journalist wiederzufinden.
Das FA rügt mit der Revision Verletzung des § 3 Nr. 9 EStG 1975. Es führt aus, gem. der zutreffenden Auslegung dieser Vorschrift in Abschn. 4 Abs. 2 LStR 1975 lägen keine Abtindungen vor, wenn Zahlungen zur Abgeltung vertraglicher Ansprüche geleistet werden, die der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis bereits erlangt habe oder die er bis zur vertragsgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, z. B. durch Kündigung oder Zeitablauf, erlangt hätte, auch wenn solche Zahlungen als Abfindung bezeichnet würden oder in einer Pauschalabfindung enthalten seien. Das FG habe im Streitfall die Zahlung von 52 000 DM zu Unrecht als Abfindung angesehen. Da der Betrag annähernd den Zeitraum bis zur ordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Zeitablauf abdecke, sei er als Arbeitslohn anzusehen. Nach den Feststellungen des FG habe die Klägerin keine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen. Der vom FG gezogene Schluß, daß die Auflösung des Arbeitsverhältnisses von der Klägerin veranlaßt worden sei, sei somit auf jeden Fall insoweit unrichtig, als damit die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemeint sei. Der Zeuge A habe der Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur unter der Bedingung zugestimmt, daß er eine Zahlung erhalte, die im Ergebnis annähernd dem Betrag entspreche, den er als Arbeitslohn zu beanspruchen gehabt hätte, wenn das Arbeitsverhältnis ordnungsmäßig durch Zeitablauf beendet worden wäre. Solche Gelder, die als Ergebnis einer freien Vereinbarung gezahlt würden, seien entsprechend den vom BFH aufgestellten Grundsätzen (vgl. Urteil vom 14. April 1967 VI R 304/66, BFHE 88, 459, BStBl III 1967, 431) nicht als Abfindung, sondern als Zahlung des laufenden Gehalts bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu werten.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Nach § 3 Nr. 9 EStG 1975 sind Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlaßten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Arbeitsverhältnisses allgemein bis zu 24 000 DM und unter besonderen Voraussetzungen bis zu 36 000 DM steuerfrei. Durch diese durch das Einkommensteuerreformgesetz 1975 eingeführte Vorschrift wurde die bisherige Steuerfreiheit von Entlassungsentschädigungen nach § 3 Nr. 9 EStG a. F. erweitert. Während die alte Fassung der Vorschrift - abgesehen von den Fällen der §§ 72 und 73 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) - eine sozial ungerechtfertigte Kündigung des Arbeitgebers voraussetzte (vgl. das Urteil des Senats vom 1. April 1977 VI R 132/75, BFHE 121, 482, BStBl II 1977, 418), fallen unter die neue Vorschrift alle Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlaßten Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
Die Beantwortung der Frage, ob der Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses veranlaßt hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Dabei wird man grundsätzlich davon auszugehen haben, daß die Auflösung des Arbeitsverhältnisses dann vom Arbeitgeber veranlaßt worden ist, wenn er die entscheidenden Ursachen für die Auflösung gesetzt hat und dem Arbeitnehmer im Hinblick auf dieses Verhalten eine weitere Zusammenarbeit nicht zugemutet werden kann. In diesem Falle kommt es nicht darauf an, wie das Arbeitsverhältnis formal aufgelöst wurde, etwa durch Kündigung eines der an dem Arbeitsverhältnis Beteiligten oder durch eine Vereinbarung, um z. B. dem Arbeitnehmer das Finden eines neuen Arbeitsplatzes zu erleichtern. Hieraus folgt, daß andererseits die Auflösung auch bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber nicht durch diesen veranlaßt ist, wenn sich der Arbeitnehmer z. B. vertragswidrig verhalten hat; denn hier sind die entscheidenden Ursachen nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Arbeitnehmer gesetzt worden.
Im vorliegenden Fall konnte das FG mit Recht davon ausgehen, daß die Klägerin die Auflösung des Dienstverhältnisses mit A veranlaßt hat. Entsprechend den Aussagen der Zeugen B, Dr. H und A konnte das FG ohne Rechtsverstoß zu der Feststellung gelangen, daß die Beziehungen der Klägerin zu A seit längerem gespannt waren, keine gegenseitige Vertrauensbasis mehr vorhanden war, die Unterredungen vom 29. Januar und 7. Februar 1975 mit dem Vorgesetzten ohne Ergebnis geblieben und A in einer Besprechung vom Justitiar der Klägerin Dr. H mitgeteilt worden war, daß ihm aus wichtigem Grund gekündigt werden sollte. Diese Situation war der Grund für den Abschluß des Vertrags vom 12. Februar 1975 über die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 28. Februar 1975. Das FG hat ohne Rechtsverstoß festgestellt, daß A unter diesen Umständen einerseits der Klägerin kein Recht zur fristlosen Kündigung gegeben hatte und ihm andererseits die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zumutbar war.
Die an A gezahlten 52 000 DM sind auch eine "Abfindung" i. S. des § 3 Nr. 9 EStG 1975.
Als Abfindungen wird man grundsätzlich solche Zuwendungen ansehen können, die ein Arbeitnehmer anläßlich der Auflösung des Arbeitsverhältnisses, insbesondere zum Ausgleich von Nachteilen wegen Verlustes des Arbeitsplatzes erhält. Von einer Abfindung könnte allerdings nicht gesprochen werden, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Weiterzahlung des Lohnes für einen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegenden Zeitraum besonders vereinbaren. Nach dem vom FA erwähnten Urteil des Senats VI R 304/66, das zu § 3 Nr. 9 EStG a. F. erging, aber auch hier mit heranzuziehen ist, sind darüber hinaus nicht nach § 3 Nr. 9 EStG 1975 begünstigte Gehaltszahlungen in der Regel anzunehmen, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund eines mit seinem Arbeitgeber geschlossenen Vertrages den Betrag erhält, der seinem laufenden Gehalt und seinen sonstigen Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis bis zur Beendigung desselben entspricht, auch wenn dieser Betrag als "Abfindung" bezeichnet wird, da in Fällen dieser Art der wirkliche Parteiwille auf Zahlung des dem Arbeitnehmer zustehenden Arbeitslohnes gerichtet ist.
Entsprechend diesen Grundsätzen hat das FG die Zahlung der 52 000 DM im Ergebnis zu Recht als "Abfindung" i. S. des § 3 Nr. 9 EStG 1975 gewürdigt. A hatte für die Zeit ab 1. März 1975 keine Gehaltsansprüche mehr, da das Dienstverhältnis zum 28. Februar 1975 rechtswirksam beendet war. Das FG kam aufgrund nicht zu beanstandender Würdigung der Aussagen der Zeugen B, Dr. H und A zu dem Ergebnis, daß die Klägerin A eine Entschädigung für die Aufgabe des Arbeitsplatzes zahlen wollte und gezahlt hat. Es hat daher zu Recht einen Teilbetrag von 24 000 DM steuerfrei behandelt.
Fundstellen
Haufe-Index 72436 |
BStBl II 1977, 735 |
BFHE 1978, 478 |