Leitsatz (amtlich)
Veräußert ein Grundeigentümer sein Grundstück zur Vermeidung eines Umlegungsverfahrens an eine Gemeinde und wird er mit Geld abgefunden, mit dem er ein Ersatzgrundstück erwirbt, so vollzieht sich der letztgenannte Erwerb nicht mehr innerhalb des Umlegungsverfahrens. Der Erwerb ist daher nicht nach § 1 Nr. 4 der Verordnung über Grunderwerbsteuerbefreiungen beim Aufbau in den Gemeinden (Dritte Durchführungsverordnung zum Aufbaugesetz vom 9. Mai 1949) vom 25. September 1950 (Nds. GVBl 1950, 60) steuerfrei.
Normenkette
Dritte Durchführungsverordnung zum Aufbaugesetz vom 25. September 1950 (Niedersachsen) § 1 Nr. 4
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und dessen Bruder verkauiten im März 1956 zwei ihnen gemeinsam gehörende Trümmergrundstücke an die Stadt H. § 8 Abs. 3 des Kaufangebots lautete: "Die Verkäufer bitten, bei dem Erwerb der Neugrundstücke N-Straße und H-Straße das der Käuferin nach § 4 NAG zustehende Vorkaufsrecht nicht auszuüben."
Die Brüder erwarben am 4. April 1956 das in § 8 Abs. 3 des oben erwähnten Vertrages genannte zusammenhängende Trümmergelände, wovon der Kläger das Grundstück N-Straße, den später in H-Straße umbenannten rd. 510 qm großen Teil als Alleineigentümer und der Bruder den Rest - ebenfalls als Alleineigentümer - erhalten sollte.
Die Geschwister beantragten Freistellung von der Grunderwerbsteuer; sie versicherten, innerhalb von fünf Jahren auf dem Grundbesitz Wohngebäude i. S. des sozialen Wohnungsbaues zu errichten.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) nahm den Grundstückserwerb des Klägers antragsgemäß vorläufig von der Grunderwerbsteuer aus.
Der Kläger errichtete ein Gebäude, das nicht den Bedingungen des sozialen Wohnungsbaues entsprach.
Daraufhin setzte das FA die Grunderwerbsteuer fest.
Der Einspruch, in dessen Verlauf der Kläger eine Bescheinigung der Stadt H vorlegte, daß der Grundstückserwerb des Klägers kausal für die Veräußerung von Grundstücken an die Stadt gewesen sei, blieb ohne Erfolg.
Das FG hob den Grunderwerbsteuerbescheid auf, weil der Grundstückserwerb des Klägers nach § 1 Nr. 4 der Verordnung über Grunderwerbsteuerbefreiungen beim Aufbau in den Gemeinden (Dritte Durchführungsverordnung zum Aufbaugesetz vom 9. Mai 1949) vom 25. September 1950 (Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1950 S. 60 - Nds. GVBl 1950, 60 -) steuerfrei sei. Lege die Umlegungsbehörde einem Abfindungsberechtigten nahe, sich anstelle der Abfindung mit einem Ersatzgrundstück mit einer Geldabfindung zu begnügen, weise sie ihm zugleich die Gelegenheit für den Kauf eines Ersatzgrundstücks außerhalb des Umlegungsgebietes nach und komme es sodann zu dem Verkauf des von der Umlegung betroffenen Grundstücks, sowie im engen zeitlichen Zusammenhang damit zu dem Kauf des bezeichneten Ersatzgrundstücks, so diene auch der letztgenannte Kauf der Vermeidung des Umlegungsverfahrens und entspreche dem offengelegten Durchführungsplan.
Mit der Revision rügt das FA, ein Umlegungsverfahren sei nur durch den Verkauf der Grundstücke L. durch den Kläger, nicht aber durch dessen späteren Kauf des außerhalb der Umlegung belegenen Grundstücks vermieden worden. Der Kläger habe das Grundstück nicht öffentlich-rechtlich zugewiesen erhalten. Der freihändige Erwerb eines Ersatzgrundstücks sei als Maßnahme des Umlegungsverfahrens nicht vorgesehen und Ersatzerwerb und Umlegung hätten nicht unmittelbar miteinander zusammengehangen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.
Nach § 1 Nr. 4 der Verordnung über Grunderwerbsteuerbefreiungen beim Aufbau in den Gemeinden (Dritte Durchführungsverordnung zum Aufbaugesetz vom 9. Mai 1949) vom 25. September 1950 (Nds. GVBl 1950, 60) sind von der Grunderwerbsteuer u. a. ausgenommen, "Rechtsgeschäfte, die zur Vermeidung des Umlegungsverfahrens ... freiwillig abgeschlossen werden, wenn die zuständige Gemeindebehörde bestätigt, daß diese Rechtsgeschäfte dem offengelegten Durchführungsplan ... entsprechen." Unter Rechtsvorgängen zur Vermeidung einer Umlegung können nur solche Grundstücksgeschäfte verstanden werden, mit denen die beteiligten Grundstückseigentümer ihre Eigentumsverhältnisse freiwillig, aber nach Umlegungsgrundsätzen neu ordnen, und zwar im wesentlichen durch Austauschvorgänge. Die Vorgänge müssen Gegenstand eines förmlichen Umlegungsverfahrens sein und durch Umlegung erzwungen werden können, deren Vermeidung sie dienen müssen. Nach § 24 des Gesetzes zur Durchführung der Ortsplanung und des Aufbaues in den Gemeinden (Aufbaugesetz) vom 9. Mai 1949 (Nds. GVBl 1949, 107) i. d. F. vom 17. Mai 1955 (Nds. GVBl 1955, 195) sind die zur Umlegung bestimmten Grundstücke in einer Masse zu vereinigen (Umlegungsmasse). Der Wert der in das Verfahren einbezogenen Grundstücke ist einzeln festzulegen. Nach § 25 des Aufbaugesetzes wird die nach § 24 zur Verteilung verbleibende Umlegungsmasse unter die Eigentümer der einbezogenen Grundstücke verteilt, und zwar möglichst nach dem Verhältnis, in welchem die Eigentümer an der Umlegungsmasse beteiligt sind. An der Umlegung beteiligte Grundeigentümer können für einbezogene Grundstücke mit einem Ersatzgrundstück außerhalb des Umlegungsgebietes oder in Geld abgefunden werden, wenn sie bei der Neuverteilung der Grundstücke im Umlegungsgebiet nicht berücksichtigt werden oder wenn diese Art der Abfindung zur Erreichung des Zieles des Durchführungsplanes erforderlich ist. Ein beteiligter Grundeigentümer soll auf Wunsch in Geld abgefunden werden, wenn dadurch nicht der Zweck der Umlegung gefährdet wird (§ 25 Abs. 2 des Aufbaugesetzes). Grundsätzlich ist somit der Eigentümer des in die Umlegung einbezogenen Grundstücks aus der Umlegungsmasse abzufinden. Statt der Abfindung aus der Umlegungsmasse kann es erforderlich werden, den Eigentümer mit einem Ersatzgrundstück außerhalb des Umlegungsgebietes abzufinden. § 49 Abs. 3 des Aufbaugesetzes erlegt den Gemeinden die Aufgabe auf, für Austausch- und Ersatzland Vorsorge zu treffen. Ist kein Land dieser Art zur Verfügung und kann es freihändig zu angemessenem Preise nicht beschafft werden, so kann die Enteignungsbehörde Grundeigentum im Gemeindegebiet entziehen. Das gilt auch für die Beschaffung von Ersatzland gemäß § 25 Abs. 2 des Gesetzes (vgl. § 49 Abs. 3 Satz 3 des Aufbaugesetzes). In diesen Fällen geht das Gesetz davon aus, daß Grundstücke zwischen den in Anspruch genommenen Eigentümern und der Gemeinde ausgetauscht werden. Ein beteiligter Grundeigentümer soll auf Wunsch in Geld abgefunden werden, wenn dadurch nicht der Zweck der Umlegung gefährdet wird (§ 25 Abs. 2 letzter Satz des Aufbaugesetzes). Geschieht dies und erwirbt der Abfindungsberechtigte mit diesem Geld ein Ersatzgrundstück, vollzieht sich der letztgenannte Erwerb nicht mehr innerhalb des Umlegungsverfahrens. Der Kläger hat sich nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt auf die zuletzt erwähnte Art der Abfindung eingelassen. Die Möglichkeit, ein Ersatzgrundstück außerhalb des Umlegungsgebietes erwerben zu können, mag Motiv für den Kläger gewesen sein, der Stadt freiwillig die in die Umlegung einbezogenen Grundstücke überlassen und sich auf eine Abfindung in Geld eingelassen zu haben. Der vom Kläger beabsichtigte Kauf konnte aber nicht Gegenstand des förmlichen Umlegungsverfahrens werden. Denn durch das Umlegungsverfahren kann ein an diesem Verfahren nicht Beteiligter nicht dazu verpflichtet werden, einem aus dem Umlegungsverfahren Abfindungsberechtigten ein Grundstück zu überlassen. Auch die in § 8 Abs. 3 des Kaufvertragsangebots vom 3. März 1956 ausgesprochene Erwartung, die Stadt möge das ihr zustehende Vorkaufsrecht in Ansehung des vom Kläger in Aussicht genommenen Ersatzgrundstücks nicht ausüben, hat nicht zur Folge, daß der spätere Kaufvertrag vom 4. April 1956 hätte Gegenstand des Umlegungsverfahrens werden können.
Das FG-Urteil, in dem von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen wurde, war aufzuheben. Da der Befreiungstatbestand des § 1 Nr. 4 der Verordnung über Grunderwerbsteuerbefreiungen beim Aufbau in den Gemeinden (Dritte Durchführungsverordnung zum Aufbaugesetz vom 9. Mai 1949) vom 25. September 1950 (Nds. GVBl 1950, 60) nicht erfüllt ist und das Grundstück nicht mit einem Gebäude bebaut wurde, das eine Grunderwerbsteuerbefreiung auf Grund der Vorschrift nach dem sozialen Wohnungsbau zur Folge hätte, bestand die Grunderwerbsteuerfestsetzung des FA zu Recht.
Fundstellen
Haufe-Index 71136 |
BStBl II 1975, 19 |
BFHE 1975, 389 |