Leitsatz (amtlich)
Auch bei unverheirateten Seeleuten sind die Aufwendungen für Fahrten zwischen der Wohnung an Land und dem Liegehafen des Schiffes Werbungskosten nach Maßgabe des § 9 Nr. 4 EStG 1963.2. Hat das Schiff, auf dem der Seemann beschäftigt ist, wechselnde deutsche Liegehäfen, so können die bezeichneten Aufwendungen auch insoweit Werbungskosten sein, als sie durch Fahrten über eine Entfernung von 40 km hinaus verursacht werden.
Normenkette
EStG 1963 § 9 Nr. 4; LStDV 1962 § 20 Abs. 2 Nr. 2
Tatbestand
Der - damals ledige - Kläger und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) war im Jahr 1964 Kapitän. Sein Bruttoarbeitslohn betrug 21 325 DM. In G. unterhielt er eine eigene Wohnung mit eigenem Hausstand. Während der Liegezeiten seiner Schiffe in deutschen Häfen suchte er seine Wohnung auf; dort führte er dann mit seiner beinamputierten Mutter, die sich bei Abwesenheit des Steuerpflichtigen in einem Pflegeheim befand, einen gemeinsamen Haushalt.
Der Steuerpflichtige machte für das Jahr 1964 Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit einem PKW geltend, und zwar an 24 Tagen für Fahrten zwischen G. und B. und an 47 Tagen zwischen G. und H. H. bzw. B. waren an diesen Tagen die Liegehäfen der vom Steuerpflichtigen geführten Schiffe. Der Steuerpflichtige legte einen km-Satz von 0,25 DM zugrunde.
Das FA lehnte den Antrag ab. Der Einspruch blieb erfolglos.
Die Klage hatte Erfolg. Das FG führte aus: Der BFH habe zwar in dem Urteil VI 103/65 vom 23. Februar 1966 (BFH 85, 512, BStBl III 1966, 470) derartige Werbungskosten nur bei verheirateten Seeleuten anerkannt, während er bei unverheirateten Seeleuten nur die notwendigen Fahrtauslagen zur Beaufsichtigung der eigenen Wohnung als Werbungskosten als absetzbar angesehen habe. Der BFH sei jedoch hierbei von der Voraussetzung ausgegangen, daß unverheiratete Seeleute keine eigene Familienwohnung und folglich ihre "Wohnung" an Bord des Schiffes hätten. Nach Auffassung des FG könne das nicht gelten, wenn ein lediger Seemann tatsächlich über eine eigene Familienwohnung verfüge. Denn eine Wohnung, in der die Familie eines Steuerpflichtigen lebe und von der aus er zur Arbeitsstätte fahre und wieder zurückkehre, sei nicht nur dann vorhanden, wenn Frau und Kinder die Familie bildeten. Eine Familienwohnung in diesem Sinne könne auch ein Lediger haben, wenn er nämlich - wie hier - die Wohnung mit nahen Angehörigen teile. Der Umstand, daß der Kläger an 71 Tagen im Streitjahr in seine Wohnung gefahren sei, um - wie er unwidersprochen vorgetragen habe - mit seiner Mutter ein Familienleben zu führen, und daß er also nicht in der Kapitänskajüte geblieben sei, spreche weiter für das Vorhandensein einer Familienwohnung. Daran ändere es nichts, daß die Mutter des Klägers sonst - sei es wegen Alters oder Pflegebedürftigkeit - in einem Pflegeheim untergebracht gewesen sei. Während der Liegezeiten der Schiffe jedenfalls habe der Kläger mit seiner Mutter einen Haushalt geführt. Daß die Arbeitsstätte des Klägers in H. bzw. B. mehr als 40 km von seiner Wohnung entfernt gewesen sei, sei unbeachtlich. Es seien in jedem Fall keine Umstände dafür erkennbar, daß der Wohnort G. aus rein persönlichen Gründen gewählt worden sei. Immerhin liege dieser Ort zu den deutschen Nord- und Ostseehäfen verhältnismäßig zentral; ein dauerndes Umziehen in die Nähe der Schiffsliegeplätze sei dem Kläger bei diesen nur geringen möglichen Verbesserungen im Hinblick auf die Entfernung nicht zumutbar. Es lägen mithin zwingende persönliche Gründe dafür vor, daß der Kläger in G. seine Wohnung behalten habe (BFH-Urteile VI 33/58 U vom 16. Mai 1958, BFH 67, 81, BStBl III 1958, 303; VI 75/61 U vom 23. Februar 1962, BFH 74, 510, BStBl III 1962, 191, und VI 40/64 U vom 8. Oktober 1965, BFH 83, 651, BStBl III 1965, 736). Die Höhe der insoweit geltend gemachten Werbungskosten halte das FG unter Würdigung der Gesamtumstände sowie unter Berücksichtigung der übrigen Werbungskosten für glaubwürdig (§ 96 FGO).
Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 9 Nr. 4 EStG 1963. Ein unverheirateter Seemann habe, wie der BFH im Urteil IV 103/65 (a. a. O.) ausgeführt habe, keine täglich erreichbare Wohnung. Seine Wohnung sei vielmehr an Bord des Schiffes. Ausnahmen von diesem Grundsatz könnten entgegen der Ansicht des FG nicht gemacht werden. Doch auch dann, wenn man unverheirateten Seeleuten eine "Familienwohnung" zuerkenne, ließen die besonderen Verhältnisse des Streitfalls den Schluß auf das Vorhandensein einer solchen nicht zu. Der Steuerpflichtige lebe nämlich mit seiner beinamputierten Mutter nur an etwa 71 Tagen des Jahres, und das nur in unregelmäßigen Zeitabständen in seiner Wohnung zusammen. Die übrige Zeit des Jahres verbringe die versorgungsbedürftige Frau in einem Pflegeheim. Die Wohnung des Klägers sei daher nicht dauernder gemeinsamer Mittelpunkt der Lebensverhältnisse gewesen. Nach alledem könnten bei dem Steuerpflichtigen nur die Kosten für eine Fahrt monatlich zur Beaufsichtigung seiner Wohnung in G. als Werbungskosten anerkannt werden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Zu den Werbungskosten gehören nach § 9 Nr. 4 EStG 1963 Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Hat der Arbeitnehmer aus nicht zwingenden persönlichen Gründen seinen Wohnsitz an einem Ort, der mehr als 40 km von der Arbeitsstätte entfernt liegt, so sind nach § 26 EStDV 1963 (§ 20 Abs. 2 Nr. 2 LStDV 1962) die Aufwendungen nur insoweit Werbungskosten, als sie durch Fahrten bis zur Entfernung von 40 km verursacht werden. Diese Entfernungsbegrenzung ist vom BFH im Urteil VI 33/58 U vom 16. Mai 1958 (a. a. O.) als sinngemäße und rechtlich einwandfreie Auslegung des § 9 Nr. 4 EStG 1955 in Verbindung mit § 12 Nr. 1 EStG anerkannt worden.
Die "Wohnung" im Sinn dieser Regelung ist im allgemeinen an dem Ort, von dem aus sich der Arbeitnehmer regelmäßig zu seiner Arbeitsstätte begibt (Urteile des Senats VI 200/61 U vom 10. August 1962, BFH 75, 512, BStBl III 1962, 453, und VI 103/65, a. a. O.). Hat ein Arbeitnehmer mehrere Wohnungen, so ist für die Anwendung des § 9 Nr. 4 EStG 1963 diejenige Wohnung maßgebend, für die diese Voraussetzung zutrifft, von der er sich also regelmäßig zu seiner Arbeitsstätte begibt.
Der Streitfall weist die Besonderheit auf, daß bei dem Steuerpflichtigen Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur zu bestimmten Zeiten, nämlich dann angefallen sind, wenn sein Schiff in einem deutschen Hafen lag und der Steuerpflichtige von seiner in G. gelegenen Wohnung zu dem Schiff fuhr. Das Schiff war seine Arbeitsstätte; denn hier hatte er sowohl auf hoher See als auch während der Liegezeiten in einem Hafen seinen Dienst zu versehen. Während das Schiff auf See und in fremden Häfen war, hatte er seine Wohnung auf dem Schiff, während der Liegezeiten in H. oder B. dagegen in G. Diese beiden Zeiträume weisen unterschiedliche Verhältnisse auf und sind deshalb auch für die Anwendung des § 9 Nr. 4 EStG 1963 verschieden zu beurteilen. Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte fielen nur während der Liegezeiten des Schiffes in H. und B. an. Während dieser Zeiten fuhr der Steuerpflichtige aber regelmäßig von seiner Wohnung in G. zu dem Schiff als seiner Arbeitsstätte. Während dieser Zeiten war also in G. seine "Wohnung" im Sinn des § 9 Nr. 4 EStG 1963.
Im Urteil VI 103/65 (a. a. O.) hat der Senat entschieden, daß verheiratete Seeleute, die während längerer Schiffsliegezeiten mit dem PKW von der Familienwohnung zum Dienst fahren, die Fahrtkosten als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte behandeln können. Er hat in den Gründen, ohne das es für die Entscheidung hierauf angekommen wäre, zugleich ausgeführt, anders sei es bei Seeleuten, die unverheiratet sind oder die von den Schiffsliegeplätzen nicht regelmäßig zu ihrer weit entfernten Familienwohnung fahren könnten. Da diese Seeleute keine und keine täglich erreichbare Familienwohnung hätten, könnten sie ihre "Wohnung" im Sinn des § 9 Nr. 4 EStG nur an Bord des Schiffes haben. Sie könnten, wenn sie verheiratet sind, die Fahrtkosten für Familienheimfahrten als Werbungskosten geltend machen. Unverheiratete Seeleute könnten nur die notwendigen Fahrtausgaben zur Beaufsichtigung der eigenen Wohnung als Werbungskosten absetzen (Urteil des Senats VI 143/60 U vom 11. August 1961, BFH 73, 669, BStBl III 1961, 509). An dieser Unterscheidung hält der Senat nach nochmaliger Überprüfung nicht mehr fest. Unter "Wohnung" im Sinn des § 9 Nr. 4 EStG 1963 ist nicht nur eine Familienwohnung zu verstehen. Auch ein unverheirateter Seemann kann eine "Wohnung" in diesem Sinn haben, gleichgültig ob er sie allein bewohnt oder ob er sie mit Angehörigen teilt. Die in dem damaligen Urteil vertretene Auffassung, unverheiratete Seeleute könnten nur die notwendigen Fahrtausgaben zur Beaufsichtigung der eigenen Wohnung als Werbungskosten abziehen, wird den bei Seeleuten gegebenen Verhältnissen nicht gerecht. Die Frage der Berücksichtigung von Kosten eines unverheirateten Steuerpflichtigen für die Beaufsichtigung einer Wohnung hat nur für Fälle Bedeutung, in denen ein solcher Steuerpflichtiger mehrere Wohnungen hat, von denen er eine nicht oder doch nicht regelmäßig benutzt, weil er an einem anderen Ort beschäftigt ist. Ein Seemann, der an Land am Liegehafen oder in dessen Nähe eine Wohnung unterhält, tut dies aber gerade, um sie während der Liegezeiten seines Schiffes, und zwar während dieser Zeiträume regelmäßig, zu benutzen.
Im Streitfall kommt als weitere Besonderheit hinzu, daß Liegehafen des vom Kläger geführten Schiffes teils H., teils B. war. Der Streitfall ist also einem Fall vergleichbar, in dem ein Arbeitnehmer mehrere wechselnde Arbeitsstätten hat. Für einen solchen Fall hat der Senat in dem Urteil VI R 207/68 vom 5. November 1971 (BFH 103, 472, BStBl II 1972, 137) entschieden, daß die Fahrtkosten unabhängig von der 40-km-Grenze des § 20 Abs. 2 Nr. 2 LStDV 1962 als Werbungskosten berücksichtigt werden können, weil ein solcher Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, sich bei der Wahl seiner Wohnung nach seiner Arbeitsstätte zu richten. Im Streitfall stehen nach den Feststellungen des FG die Liegehäfen der vom Kläger geführten Schiffe zwar fest. Mit Rücksicht auf die Entfernung dieser Liegehäfen voneinander ist es aber nicht möglich, eine Wohnung an einem Ort zu nehmen, der von keinem der Liegehäfen nicht mehr als 40 km entfernt ist. Nach den Feststellungen des FG sind keine Umstände dafür erkennbar, daß der Kläger den Wohnort G. aus rein persönlichen Gründen gewählt hätte; dieser Ort liegt nach der Feststellung des FG zu den deutschen Nord- und Ostseehäfen verhältnismäßig zentral. Bei dieser Sachlage ist die 40-km-Grenze für die Berücksichtigung der Fahrtkosten als Werbungskosten ohne Bedeutung.
Etwas anderes gilt, wenn der Seemann auf einem Schiff beschäftigt ist, das immer den gleichen Liegehafen hat. In einem solchen Fall kann ihm zugemutet werden, sich bei der Wahl seiner Wohnung hierauf einzustellen. Fahrtkosten für eine Entfernung von mehr als 40 km können dann gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 2 LStDV 1962 nur beim Vorliegen zwingender persönlicher Gründe für die Wahl des Wohnorts berücksichtigt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 413096 |
BStBl II 1972, 245 |
BFHE 1972, 212 |