Die Taxifahrt zur Arbeit ist mit der Entfernungspauschale abgegolten
Hintergrund: Fahrten zwischen Wohnung und Arbeit mit dem Taxi
X ist seit 2007 krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, selbst ein Kfz sicher zu führen. Sein Grad der Behinderung (GdB) betrug in den Streitjahren (2016/2017) 60 ohne besondere Merkzeichen. Er legte daher die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte in der Regel mit einem Taxi zurück. Für die Taxifahrten entstanden ihm Kosten von 6.400 EUR (2016) bzw. 2.700 EUR (2017), die er als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend machte.
Das FA anerkannte lediglich Aufwendungen in Höhe der Entfernungspauschale (0,30 EUR/Entfernungs-km; § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG).
Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, ein Taxi sei ein öffentliches Verkehrsmittel i.S.v. § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG.
Entscheidung: Kein Ansatz der tatsächlichen Fahrtkosten mit dem Taxi
Ein Taxi ist kein öffentliches Verkehrsmittel. Die Aufwendungen des X für seine Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte sind daher nicht in tatsächlicher Höhe abziehbar, sondern nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG durch den Ansatz der Entfernungspauschale abgegolten.
Rechtslage
Nach § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG können Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel auch angesetzt werden, soweit sie den im Kalenderjahr insgesamt als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag übersteigen. Behinderte Menschen (GdB 70 oder 50 bis 70, aber eingeschränkte Bewegungsfähigkeit) können anstelle der Entfernungspauschalen die tatsächlichen Aufwendungen ansetzen.
Der Begriff des öffentlichen Verkehrsmittels ist umstritten
Der Begriff ist im EStG nicht definiert. Der Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG lässt sich sowohl dahin verstehen, dass es sich um ein Verkehrsmittel handelt, das - wie u.a. ein Taxi - allgemein der Öffentlichkeit zur Verfügung steht, als auch so auslegen, dass lediglich regelmäßig verkehrende öffentliche Verkehrsmittel (im Linienverkehr) erfasst sind. Der Umstand, dass die Beförderung von Personen mit Kfz im Gelegenheitsverkehr etwa mit einem Taxi nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 47 PBefG genehmigungspflichtig ist, zwingt nicht dazu, das Taxi auch als öffentliches Verkehrsmittel i.S. des § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG anzusehen (BFH v. 15.11.2016, VI R 4/15, BStBl II 2017, S. 228, Rz. 22).
Die Entfernungspauschale gilt auch bei Taxifahrten
Der BFH entscheidet die Streitfrage in dem Sinne, dass unter § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG lediglich öffentliche Verkehrsmittel im Linienverkehr und damit nicht Taxen fallen. Die Umstellung auf die verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale ab 2001 sollte die Ausgangslage für den öffentlichen Personennahverkehr verbessern. Soweit der Gesetzgeber von der Anwendung des Pauschsatzes bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel in § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG eine Ausnahme normiert hat, hatte er folglich den öffentlichen Personennahverkehr (Linienverkehr) vor Augen, Den Abzug von Aufwendungen für die Nutzung des eigenen PKW hat er demgegenüber (aus verkehrs- und umweltpolitischen Erwägungen) beschränkt. Dieser Lenkungszweck spricht für eine Beschränkung auch bei Nutzung eines Taxis. Die Fahrtkosten bei der Nutzung eines Taxis werden damit ebenso behandelt wie Fahrtkosten für die Nutzung eines sonstigen (privaten) PKW.
Ablehnung der Schrifttumsmeinung
Die von Teilen der Literatur vorgebrachten Erwägungen, nach denen die Nutzung eines Taxis zur Förderung von umwelt- und verkehrspolitischen Zielen im gleichen Maße geeignet sei wie die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln im Linienverkehr (z.B. durch Entlastung des ruhenden Verkehrs oder als Ergänzung im Anschluss an eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Linienverkehr) stehen der vom BFH vertretenen Auslegung nicht entgegen. Denn bei diesen umwelt- und verkehrspolitischen Erwägungen handelt es sich um Gesichtspunkte, die sich mit den gesetzgeberischen Erwägungen (Anreize zur Bildung von Fahrgemeinschaften bei der Nutzung eines PKW) nicht decken.
Hinweis: Überholte Rechtsprechung
Das Urteil v. 20.5.1980, VI R 241/77 (BStBl II 1980, S. 582), nach dem Taxikosten für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte in vollem Umfang abziehbar waren, soweit der Abzug nicht ausnahmsweise wegen Unangemessenheit zu versagen war, beruht auf einer anderen Rechtsgrundlage, die seit der Einführung der verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale überholt ist.
Keine behinderungsbedingte Benachteiligung
X hatte (lediglich) einen GdB von 60 ohne besondere Merkzeichen und ohne Einschränkung des Gehvermögens. Die Voraussetzungen der Ausnahme des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG waren damit nicht gegeben. Die Nichtberücksichtigung der Taxikosten führt nicht zu einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Der Gesetzgeber hat dem Schutzgebot von Menschen mit Behinderung durch § 9 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 EStG ausreichend Genüge getan. Denn er hat eine Ausnahmeregelung für Menschen mit Behinderung geschaffen, die durch die beschränkte Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte typischerweise in einem höheren Maße betroffen sind. Es liegt im gesetzgeberischen Regelungsermessen, in Anlehnung an die sozialrechtlichen Vorschriften nur bei Personen, die in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, die tatsächlichen Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte zum Abzug zuzulassen.
BFH Urteil vom 09.06.2022 - VI R 26/20 (veröffentlicht am 03.11.2022)
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