Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlußfrist für das Einreichen der Vollmacht; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (NV)
Ob auf der Grundlage des Art. 3 § 1 Satz 1 VGFGEntlG (jetzt § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO) über die Vorlage der Vollmacht hinaus auch der Nachweis der Vertretungsmacht des Vollmachtgebers gefordert werden kann, bedarf keiner Entscheidung, wenn der Kläger nach den Umständen des Streitfalles davon ausgehen durfte, daß das FG den innerhalb der Ausschlußfrist eingereichten Nachweis der Vertretungsbefugnis der Aussteller der gleichzeitig vorgelegten Vollmacht als ausreichend ansehen werde, und wenn auch die übrigen Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art. 3 § 1 Satz 2 VGFGEntlG (jetzt § 62 Abs. 3 Satz 4 FGO) i. V. m. § 56 FGO erfüllt sind.
Normenkette
VGFGEntlG Art. 3 § 1 Sätze 1-2; FGO §§ 56, 62 Abs. 3 Sätze 3-4
Tatbestand
Am 17. Juli 1990 erhob die Steuerberatungsgesellschaft T (T) -- ohne eine Prozeßvollmacht vorzulegen -- "namens und im Auftrag" der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer aus fünf Personen bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), Klage gegen die Umsatzsteuerbescheide 1981 bis 1983. In den Bescheiden hatte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) die Zwischenvermietung einer Tennis- und Squash-Halle umsatzsteuerrechtlich nicht anerkannt und u. a. den von der Klägerin geltend gemachten Vorsteuerabzug aus Rechnungen über die Herstellung der Halle verweigert.
Nach vergeblicher Aufforderung, die Vollmacht bis zum 10. September 1990 vorzu legen, setzte der Berichterstatter des Finanzgerichts (FG) T mit Verfügung vom 17. September 1990 (zugestellt am 18. September 1990) gemäß Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) zur Vollmachtsvorlage eine Ausschlußfrist bis zum 1. Oktober 1990. Zusätzlich gab er ihr auf, binnen dieser Frist "unter Vorlage entsprechender Beweismittel darzulegen, daß die Vollmacht von zur Vertretung der Klägerin als alleiniger oder Gesamtvertreter befugten Personen unterzeichnet ist". Verbunden war diese Aufforderung mit dem Hinweis, daß ein erst nach Fristablauf eingereichter Nachweis nur noch unter den Voraussetzungen des § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) berücksichtigt werden könne.
Am 27. September 1990 legte T dem FG per Telefax eine auf sie lautende, von den Gesellschaftern A und B unterzeichnete Prozeßvollmacht der Klägerin vom 25. September 1990 vor. Beigefügt war ein Beschluß der Gesellschafter der Klägerin vom 8. Juni 1983, wonach die Unterzeichner der Vollmacht seit dem 1. Juni 1983 für die Klägerin gemeinsam zeichnungsberechtigt waren. Ferner heißt es in dem Beschluß u. a.: "Diese Regelung gilt ab 1. 6. 1983 und ist zunächst befristet auf die Dauer von einem Jahr, d. h. bis zum Ablauf des 31. 5. 1984".
Unter dem 4. Oktober 1990 wies der Berichterstatter, dem diese Unterlagen am 28. September 1990 vorgelegt worden waren, T darauf hin, es bestünden Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage, weil die vorgelegte Vertretungsregelung bis zum 31. Mai 1984 befristet und die aufgrund der prinzipiell bestehenden Gesamtvertretungsbefugnis erforderliche Vollmacht aller Gesellschafter der Klägerin nicht binnen der am 1. Oktober 1990 abgelaufenen Ausschlußfrist eingereicht worden sei.
Daraufhin legte T dem FG am 19. Oktober 1990 eine undatierte Erklärung der Gesellschafter der Klägerin vor, wonach unter ihnen Einverständnis darüber bestehe, daß die getroffene Vertretungsregelung "unbefristet über den 31. 5. 1984 fortdauert". T vertrat die Auffassung, für den Nachweis der Geschäftsführungsbefugnis könne eine Ausschlußfrist gemäß Art. 3 § 1 VGFGEntlG nicht gesetzt werden; jedenfalls sei die Frist mit 13 Tagen vom Berichterstatter zu kurz bemessen worden. Hilfsweise beantragte sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil aufgrund der kurzen Frist übersehen worden sei, daß der Beschluß vom 8. Juni 1983 eine vorläufige Befristung enthalten habe.
Nachdem der Berichterstatter die Streitsache im Januar 1991 mit den Beteiligten in materieller Hinsicht erörtert sowie im Oktober 1992 schriftlich zur Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzungen Stellung genommen und in diesem Zusammenhang -- vergeblich -- eine Verständigung der Beteiligten angeregt hatte, wies das FG die Klage durch Gerichtsbescheid vom 5. Oktober 1993 als unzulässig ab. Es führte zur Begründung aus, T habe nicht binnen der ihr bis zum 1. Oktober 1990 -- wirksam -- gesetzten Ausschlußfrist, sondern erst am 19. Oktober 1990 nachgewiesen, daß sie zur Klageerhebung befugt gewesen sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Ausschlußfrist könne nicht gewährt werden, weil T bei sorgfältiger Prüfung hätte erkennen müssen, daß der vorgelegte Beschluß keinen hinreichenen Nachweis der Vertretungsbefugnis der Aussteller der eingereichten Prozeßvollmacht erbracht habe.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom FG zugelassenen Revision. Sie rügt Verletzung von § 62 Abs. 3 FGO a. F. i. V. m. Art. 3 § 1 VGFGEntlG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Das FG durfte die Klage nicht als unzulässig abweisen.
a) Gemäß Art. 3 § 1 Satz 1 VGFGEntlG kann der Vorsitzende oder der von ihm gemäß § 79 FGO bestimmte Richter für das Einreichen der Vollmacht (§ 62 Abs. 3 FGO) eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen. Die Vorschrift ist erst nach der im Streitfall erfolgten Fristsetzung (mit Wirkung vom 1. Januar 1993) aufgehoben und eine entsprechende Regelung ist in die FGO (§ 62 Abs. 3 Satz 3, 2. Halbsatz) übernommen worden (vgl. Art. 6, 9, 1 Nr. 9 des Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze -- FGO-Änderungsgesetz -- vom 21. Dezember 1992, BGBl I 1992, 2109).
b) Die Fristsetzung nach Art. 3 § 1 Satz 1 VGFGEntlG ist eine Ermessensentscheidung ("kann"), die den Zweck der Vorschrift zu berücksichtigen hat, dem Gericht innerhalb angemessener Frist Gewißheit über die Bevollmächtigung und damit die Wirksamkeit der Prozeßhandlungen des (angeblich) Bevollmächtigten zu verschaffen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 13. November 1991 I R 58/89, unter II. 1. b, c, BFHE 166, 518, BStBl II 1992, 496; Spindler in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 62 FGO Rz. 18). Wird innerhalb der Frist dem Gericht keine Vollmacht vorgelegt und ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Art. 3 § 1 Satz 2 VGFGEntlG i. V. m. § 56 FGO) wegen der Fristversäumnis nicht zu gewähren, muß die von dem (angeblich) Bevollmächtigten eingereichte Klage durch Prozeßurteil als unzulässig abgewiesen werden (vgl. BFH-Urteile vom 21. Februar 1980 V R 71-73/79, unter 1., BFHE 130, 240, BStBl II 1980, 457; in BFHE 166, 518, BStBl II 1992, 496, unter II. 1. b, und vom 23. April 1992 IV R 42/90 unter 1., BFHE 168, 203, BStBl II 1992, 914).
c) Der erkennende Senat hat bereits entschieden, daß der Vorsitzende oder der Berichterstatter gemäß Art. 3 § 1 VGFGEntlG von einer Gesellschaft die Vorlage einer von allen Gesellschaftern unterschriebenen Vollmacht (§ 62 Abs. 3 FGO) für den (angeblichen) Prozeßbevollmächtigten fordern kann, weil die Gesellschaft als steuerrechtsfähiger Unternehmer (§ 2 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes -- UStG -- 1980) von ihren Gesellschaftern gemeinsam vertreten (§ 709 Abs. 1, § 714 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --) wird (vgl. Beschluß vom 29. Juni 1989 V R 112/88, V B 72/89, unter II. 1., BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850). Dagegen ist die Rechtsfrage, ob -- wie im Streitfall -- auf der Grundlage des Art. 3 § 1 VGFGEntlG auch der Nachweis der Vertretungsvollmacht des Vollmachtgebers gefordert werden kann, umstritten (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 62 Rz. 59; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 62 FGO Rz. 12).
Der Senat kann diese Frage offenlassen (ebenso das BFH-Urteil vom 30. November 1988 I R 168/84, unter II. 1., BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514; vgl. auch BFH- Urteile vom 16. Februar 1990 III R 81/87, unter 1. c, BFHE 160, 387, BStBl II 1990, 746, und vom 11. November 1993 V R 4/91, unter II., 1. b, nicht veröffentlicht -- NV --). Keiner Entscheidung bedarf ferner, ob -- wofür viel spricht -- die Dauer der im Streitfall gesetzten Frist vom Berichterstatter des FG mit 13 Tagen ermessensfehlerhaft zu kurz bemessen war (vgl. BFH-Urteile in BFHE 130, 240, BStBl II 1980, 457, unter 2. b, und vom 23. Mai 1989 X R 7/85, BFH/NV 1990, 315; BFH-Beschluß vom 17. Juni 1993 VI S 3/93, unter 1. a, BFH/NV 1993, 618; Gräber/Koch, a.a.O., § 62 Rz. 53, 57; Tipke/Kruse, a.a.O., § 62 FGO Rz. 12; zu § 296 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --: Urteil des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 11. November 1993 VII ZR 54/93, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1994, 736). Unentschieden bleiben kann auch, ob der innerhalb der Ausschlußfrist von T vorgelegte Nachweis der Vertretungsmacht der Unterzeichner der Vollmacht nach dem maßgebenden objektiven Erklärungswert (vgl. zur Auslegung der Prozeßvollmacht: BFH-Urteil vom 20. September 1991 III R 118/89, unter 2., BFH/NV 1992, 521) ausreichend war. Denn eine etwaige Versäumung der Ausschlußfrist -- unterstellt, die Frist wäre rechtswirksam gesetzt worden -- würde rechtlich unbeachtlich sein, weil das FG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Art. 3 § 1 Satz 2 VGFGEntlG i. V. m. § 56 FGO; jetzt § 62 Abs. 3 Satz 4 FGO) hätte gewähren müssen.
aa) Entgegen der Ansicht des FG war die Klägerin i. S. des § 56 Abs. 1 FGO ohne Verschulden verhindert, die ihr vom Berichterstatter gesetzte Frist einzuhalten.
Das FG hat angenommen, T -- deren Verschulden sich die Klägerin nach § 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse -- hätte bei sorgfältiger Prüfung des ihr zur Weiterleitung an das FG vorgelegten Beschlusses vom 8. Juni 1983 erkennen müssen, daß dieser keinen hinreichenden Nachweis der Vertretungsbefugnis der Aussteller der dem FG vorgelegten Vollmacht erbringe. Dieser Auffassung vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Nach den Umständen des Streitfalles durfte T davon ausgehen, daß das FG den Nachweis als ausreichend ansehen werde. Ausweislich des vorgelegten Gesellschafter beschlusses vom 8. Juni 1983 waren die Unterzeichner der Vollmacht vom 25. September 1990 seit dem 1. Juni 1983 für die Klägerin zeichnungsberechtigt. Diese Regelung war zwar befristet bis zum 31. Mai 1984; die Befristung galt aber nur "zunächst". Da die Einhaltung bestimmter Förmlichkeiten bei der Beschlußfassung im Recht der GbR nicht vorgeschrieben ist (vgl. Ulmer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., § 709 Rz. 65 m. w. N.), konnten die Gesellschafter der Klägerin diese vorläufige Befristung nicht nur ausdrücklich, sondern auch sinngemäß, unter Umständen sogar stillschweigend aufgehoben haben. Unter diesen Umständen durfte T in Betracht ziehen, das FG werde die zum Nachweis der Vertretungbefugnis eingereichte Vorlage des Gesellschafterbeschlusses dahin verstehen, daß die dort getroffene Vertretungs regelung fortgelte.
Daß der von T geführte Nachweis nicht offenkundig ungeeignet war, wird durch das weitere Verfahren des Berichterstatters bestätigt. Der Durchführung eines Erörterungstermins und einer schriftlichen Stellungnahme (jeweils) zu den materiellen Fragen des Streitfalles hätte es nicht bedurft, wenn der Berichterstatter nicht ebenfalls in Betracht gezogen hätte, der innerhalb der Ausschlußfrist vorgelegte Nachweis sei ausreichend. Es kann nicht verlangt werden, daß T weitergehende Rechtskenntnisse als der Berichterstatter hatte.
bb) Auch die übrigen Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung nach Art. 3 § 1 Satz 2 VGFGEntlG i. V. m. § 56 FGO sind erfüllt. Insbesondere wurde der Wiedereinsetzungsantrag am 19. Oktober 1990 rechtzeitig gestellt, nämlich binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses -- Zugang des Hinweises des Berichterstatters vom 4. Oktober 1990 --.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat noch nicht über den materiellen Steueranspruch entschieden. Dies wird es in einer neuen Verhandlung und Entscheidung nachzuholen haben.
Fundstellen