Leitsatz (amtlich)
1. Der Begriff des Wirtschaftsguts ist für Zwecke der Selbstverbrauchbesteuerung nach einkommensteuerlichen Grundsätzen zu bestimmen. Erweiterungs- und Verbesserungsinvestitionen sind kein Selbstverbrauch.
2. Das Rohrnetz innerhalb der Wasserversorgungsanlage einer Dorfgemeinde ist als ein Wirtschaftsgut anzusehen. Werden in einem solchen Fall das Hauptnetz erweitert und neue Hausanschlüsse gelegt, tritt keine Selbstverbrauchsteuerpflicht ein.
Normenkette
UStG 1967 § 30 Abs. 2
Tatbestand
Die Steuerpflichtige (Klägerin, Revisionsbeklagte), eine Dorfgemeinde, unterhält einen Wasserversorgungsbetrieb. Sie erweiterte 1968/1969 ihr Hauptleitungsnetz und legte neue Hausanschlüsse. Der Aufwand betrug 1968 ... DM und 1969 ... DM. Das FA (Beklagter, Revisionskläger) setzte hierauf nach einer Umsatzsteuersonderprüfung in berichtigten Umsatzsteuervorauszahlungsbescheiden Selbstverbrauchsteuer fest.
Die Beschwerde zur OFD blieb erfolglos. Das FG gab der Klage statt. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Ein Wirtschaftsgut im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 müsse für sich nutzungs- und bewertungsfähig sein. Daran fehle es hier. Die Netzerweiterungen seien unselbständige Teile der Wasserversorgungsanlage. Dementsprechend habe der BFH Hausanschlüssen die Eigenschaft als geringwertige Wirtschaftsgüter abgesprochen (Urteil I 91/56 U vom 13. August 1957, BFH 65, 533, BStBl III 1957, 440). Allenfalls hier nicht gegebene Leitungserweiterungen in neuen Siedlungsgebieten könnten als selbständige Wirtschaftsgüter angesehen werden.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der es geltend macht: Das FG habe verkannt, daß die selbständige Nutzungsfähigkeit nur beim geringwertigen Wirtschaftsgut (§ 6 Abs. 2 EStG), nicht jedoch beim Wirtschaftsgut schlechthin erforderlich sei. Teile einer Gesamtanlage seien selbständig bewertbar, wenn sie bestimmte Einzelfunktionen zu erfüllen hätten. Bei einer Wasserversorgungsanlage sei maßgebend, wie einkommensteuerlich bei der Berechnung der AfA verfahren werde (Erlaß des BdF vom 23. März 1970, BStBl I 1970, 257, Umsatzsteuer-Kartei S 7471, Karte 6). Die Steuerpflichtige behandele Alt- und Neuzugänge für Zwecke der AfA getrennt. Es widerspreche auch der Verkehrsauffassung, die räumlich weit ausgedehnte Wasserversorgungsanlage als ein Wirtschaftsgut anzusehen.
Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Steuerpflichtige beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie erwidert: Der BdF und ihm folgend das FA hätten nicht deutlich genug zwischen der Herstellung eines neuen Wirtschaftsguts und nachträglichem Herstellungsaufwand unterschieden. Die Netzerweiterungen hätten keine selbständige Teilfunktion zu erfüllen. Sie seien überdies relativ geringfügig. Die Abschreibungsmethode sei kein Indiz für ein neues Wirtschaftsgut.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
Nach § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 liegt Selbstverbrauch vor, wenn ein Unternehmer körperliche Wirtschaftsgüter, die der Abnutzung unterliegen und deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach den einkommensteuerlichen Vorschriften im Jahr der Anschaffung oder Herstellung nicht in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden können, im Inland der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zuführt. Im vorliegenden Fall ist lediglich darüber zu befinden, ob die angeführten Netzerweiterungen selbständige Wirtschaftgüter sind. Falls sie es sind, tritt Selbstverbrauchsteuerpflicht ein. Andernfalls ist ein Selbstverbrauch zu verneinen; denn Erweiterungen und Verbesserungen eines bereits vorhandenen Wirtschaftsguts sind selbst dann kein Selbstverbrauch, wenn aktivierungspflichtiger Anschaffungs- oder Herstellungsaufwand anfällt. § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 erfaßt nur die Neuinvestitionen (ebenso BdF-Erlaß vom 23. Oktober 1968, Steuererlasse in Karteiform, UStG 1967, § 30 Nr. 37).
Der Begriff des Wirtschaftsguts in § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 ist nach einkommensteuerlichen Grundsätzen zu bestimmen (so schon BFH-Urteil V R 49/70 vom 1. Oktober 1970, BFH 100, 272, BStBl II 1971, 34; vgl. auch Hartmann-Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz [Mehrwertsteuer], Kommentar, 6. Aufl., § 30 Tz. 8; BdF-Erlaß vom 30. Januar 1968, BStBl I 1968, 310, USt-Kartei S 7471, Karte 1 unter B 2 Abs. 1). Die Auffassung, daß eine gegenüber der Einkommensteuer erweiterte Auslegung des Begriffs dem Willen des Gesetzgebers besser entsprochen hätte (vgl. Bundestagsdrucksache VI/738 S. 3), kommt weder im Gesetzeswortlaut noch in den Materialien zum Ausdruck. Im Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags vom 30. März 1967 heißt es vielmehr, daß der Tatbestand des Selbstverbrauchs "in Anlehnung an das Einkommensteuerrecht definiert" worden sei (zu Bundestagsdrucksache V/1581, Im einzelnen, zu § 30). Wenn die Absicht bestanden haben sollte, auch die Erweiterungs- und Verbesserungsinvestitionen in die Selbstverbrauchbesteuerung einzubeziehen, hätte § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 ausdrücklich auf diese Investitionsarten erstreckt werden müssen.
Einkommensteuerlich werden als Wirtschaftsgüter alle Güter angesehen, die nach der Verkehrsanschauung und den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung selbständig bewertungs- und bilanzierungsfähig sind und dem Betrieb in irgendeiner Form dienen oder zu dienen bestimmt sind (BFH-Urteile IV 255/53 U vom 28. Januar 1954, BFH 58, 516, BStBl III 1954, 109; IV 403/62 U vom 29. April 1965, BFH 82, 461, BStBl III 1965, 414; BFH-Beschluß Gr. S. 1/69 vom 2. März 1970, BFH 98, 360, BStBl II 1970, 382). Entgegen der Auffassung des FG ist die selbständige Nutzungsfähigkeit kein Merkmal des Wirtschaftsguts schlechthin, sondern lediglich zusätzliches Erfordernis für die Annahme eines geringwertigen Wirtschaftsguts nach § 6 Abs. 2 EStG (BFH-Urteil IV 289/65 vom 21. Juli 1966, BFH 87, 180, BStBl III 1967, 59). Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der Ertragsteuersenate an.
Die Beteiligten sind zutreffend davon ausgegangen, daß die Wasserversorgungsanlage der Steuerpflichtigen einkommensteuerlich nicht Teil des Grund und Bodens ist, auf und in dem sich die Anlage befindet. Unbeschadet ihrer Eigenschaft als wesentlicher Bestandteil des Grund und Bodens (§ 94 Abs. 1 BGB) ist die Anlage einkommensteuerlich und damit auch für Zwecke der Selbstverbrauchbesteuerung als unabhängig anzusehen, wobei vorerst dahingestellt bleiben kann, ob die Anlage ein Wirtschaftsgut ist oder sich aus mehreren Wirtschaftsgütern zusammensetzt. Sie dient in ihrer Gesamtheit dem Betrieb gewerblicher Art "Wasserversorgung" und ist sonach Betriebsvorrichtung (vgl. dazu Gemeinsame Erlasse der Finanzminister der Länder vom 31. März 1967 betreffend Abgrenzung des Grundvermögens von den Betriebsvorrichtungen unter Nr. 17, BStBl II 1967, 120 ff.). Betriebsvorrichtungen sind einkommensteuerlich gesonderte Wirtschaftsgüter (Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 9. Aufl. § 6 Anm. 209). Dieses Ergebnis ist auch damit zu rechtfertigen, daß Grund und Boden einerseits und Anlage andererseits einkommensteuerlich zu den verschiedenen Bewertungsgruppen der nicht abnutzbaren und der abnutzbaren Wirtschaftsgüter gehören (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG) und daher getrennt zu behandeln sind (BFH-Beschluß Gr. S. 7/67 vom 16. Juli 1968, BFH 94, 124, BStBl II 1969, 108).
Die Wasserversorgungsanlage der Steuerpflichtigen ist, wie sich aus den vom FG in Bezug genommenen Bilanzunterlagen ergibt, für die Bedürfnisse einer kleinen Gemeinde ausgerichtet und bestand in den streitigen Zeiträumen aus einem Pumpwerk, einem Hochbehälter, einigen Quellen und Brunnen, dem Hauptleitungsnetz und den Hausanschlüssen. Dem FA ist einzuräumen, daß die Anlage mehrere Wirtschaftsgüter enthält. Ihm kann jedoch nicht darin gefolgt werden, daß das Leitungsnetz nochmals in mehrere Wirtschaftsgüter aufzugliedern ist. Vielmehr ist das Leitungsnetz einschließlich der Hausanschlüsse ein Wirtschaftsgut.
Eine Wasserversorgungsanlage ist eine sogenannte geschlossene Anlage; ihre Teile sind miteinander durch ein Rohrsystem verbunden. Für geschlossene Fertigungsanlagen - z. B. für vollautomatisch arbeitende Maschinen, die durch Transferstraßen verbunden sind - wird die Auffassung vertreten, daß sie in der Regel nur ein Wirtschaftgut bilden (Gail, DB 1968, 702; May, Das Wirtschaftgut 1970 S. 39 ff.). Es ist zweifelhaft, ob diese Auffassung zutreffend ist. Jedenfalls kann sie nicht ohne weiteres auf geschlossene Anlagen übertragen werden, die anders als eine Fließbandfertigungsanlage nicht in einem Zuge installiert und aufgegeben werden. Die Teile einer Wasserversorgungsanlage sind weitgehend auswechselbar und durch neue technische Entwicklungen nicht insgesamt in Frage gestellt. Sonach ist innerhalb einer Wasserversorgungsanlage zwischen verschiedenen Wirtschaftsgütern zu unterscheiden, im vorliegenden Fall in Übereinstimmung mit der bilanzmäßigen Behandlung der Steuerpflichtigen zwischen Pumpwerk, Hochbehälter, Quellen- und Brunnenanlagen und dem Rohrnetz einschließlich der Hausanschlüsse. Das Netz hingegen ist regelmäßig - so auch hier - eine nicht mehr teilbare Einheit (BFH-Urteil I 91/56 U vom 13. August 1957, a. a. O.; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 14. Aufl., § 4 EStG Anm. 16 p). Ob ein Versorgungsnetz unter städtischen Bedingungen stadtteil- oder bezirksweise aufzugliedern ist, braucht hier nicht entschieden zu werden.
In dem BFH-Urteil I 91/56 U vom 13. August 1957 (a. a. O.) war allerdings nur darüber zu befinden, ob Hausanschlüsse geringwertige Wirtschaftsgüter sind; aus der Verneinung eines geringwertigen Wirtschaftsguts folgt noch nicht die Verneinung eines Wirtschaftsguts schlechthin. Der BFH hat jedoch in dem oben angeführten Urteil auch allgemeine Ausführungen dazu gemacht, daß eine Gesamtleitung als Einheit aufzufassen ist.
Der BdF hatte zunächst die Auffassung vertreten, Hausanschlüsse seien stets selbständige Wirtschaftsgüter (BdF-Erlaß vom 3. April 1969, USt-Kartei S. 7471, Karte 3). Diese Auffassung hat er später - ausgedehnt auf Netzerweiterungen und -verstärkungen - dahin geändert, daß von der "im Einzelfall vorgenommenen einkommensteuerlichen Behandlung auszugehen" sei (BdF-Erlaß vom 23. März 1970, a. a. O.). Auch diese Auffassung teilt der Senat nicht. Die Frage, ob ein selbständiges Wirtschaftsgut vorliegt, ist nach objektiven Maßstäben zu entscheiden. Eine unrichtige einkommensteuerliche oder körperschaftsteuerliche Bilanzbehandlung ist für die Selbstverbrauchbesteuerung nicht maßgebend. Die Bilanzierung kann allenfalls in Zweifelsfällen ein Indiz sein. Hier liegt kein Zweifelsfall vor. Im übrigen spricht die von der Steuerpflichtigen gewählte Bilanzierung nicht für die Selbständigkeit der einzelnen Netzerweiterungen. In der Bilanz sind die Erweiterungen eines Jahres zusammengefaßt worden, ohne daß zwischen den einzelnen Erweiterungsmaßnahmen unterschieden worden wäre.
Das FG hat sonach zu Recht die Vorauszahlungsbescheide als fehlerhaft behandelt. Nie Netzerweiterungen 1968/1969 waren keine selbstverbrauchsfähigen Neuinvestitionen.
Fundstellen
Haufe-Index 412980 |
BStBl II 1972, 75 |
BFHE 1972, 282 |