Entscheidungsstichwort (Thema)
(Grunderwerbsteuerbegünstigung von Grundstücksrückübertragungen nach dem VermG)
Leitsatz (amtlich)
Grundstücksrückübertragungen auf den Berechtigten i.S. des VermG, die aufgrund einer während eines anhängigen Verfahrens nach dem VermG erzielten gütlichen Einigung erfolgen, sind auch dann grundsätzlich grunderwerbsteuerrechtlich nach § 34 Abs. 3 VermG begünstigungsfähig, wenn die Übertragung rechtsgeschäftlich erfolgt.
Normenkette
VermG § 34 Abs. 3
Verfahrensgang
FG des Landes Sachsen-Anhalt (Entscheidung vom 16.12.1993; Aktenzeichen 2 K 28/93) |
Tatbestand
I. Der berufstätige Kläger und Revisionsbeklagte zu 1 (Kläger zu 1) und dessen Ehefrau, Klägerin und Revisionsbeklagte zu 2 (Klägerin zu 2) erhielten am 6. November 1989 anläßlich einer Vorsprache beim Rat des Stadtbezirks der Stadt X (Rat) die Mitteilung, daß ihr erneut gestellter Antrag auf ständige Ausreise aus der DDR dann genehmigt werde, wenn sie ihr Einfamilienhaus und das anliegende Grundstück an die A verkaufen und den Kaufvertrag spätestens am 9. November 1989 dem Rat vorlegen würden. Damit war der Rat nicht dem wiederholt geäußerten Begehren der Kläger gefolgt, ihre Grundstücke frei veräußern zu dürfen. Der den Grundstückskaufvertrag später beurkundende Notar war von Regierungsstellen beauftragt worden. Beim Beurkundungstermin, der vom Notar auf den 9. November 1989 festgelegt worden war, äußerte der Notar u.a., entweder die Kläger unterschrieben oder sie blieben hier. Die beiden Grundstücke wurden sodann zum Preis von 161 673 Mark der ehemaligen DDR an die A veräußert. Im Anschluß daran erhielten die Kläger dann einen "Laufzettel", der ihnen die noch zu erledigenden Behördengänge vorgab. Eine schriftliche Ausreisegenehmigung erhielten die Kläger nicht. Die Ausreise erfolgte Ende November 1989.
Im Juni und Oktober 1990 stellten die Kläger beim zuständigen Amt zur Regelung offener Vermögensfragen einen Antrag auf Rückübertragung dieser Grundstücke, der noch nicht beschieden ist. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 16. Juni 1992 erwarben die Kläger die Grundstücke von der A zurück. Der Kaufpreis betrug 130 836,50 DM. In der Präambel des Vertrags erklärten die Beteiligten, daß sie sich darüber geeinigt hätten, daß der Kaufvertrag vom 9. November 1989 rückgängig gemacht werden solle. Diesem Zweck diene der vorliegende Vertrag.
Durch Bescheide vom 4. September 1992 setzte das beklagte Finanzamt (FA) gegen die Eheleute Grunderwerbsteuer in Höhe von jeweils 1 308 DM fest. Mit der dagegen gerichteten Klage machten die Eheleute geltend, daß die Grunderwerbsteuerbescheide und die diese bestätigenden Einspruchsentscheidungen aufzuheben seien. Sie seien durch Nötigung gezwungen worden, die Grundstücke an die A zu veräußern. Der Verkauf sämtlichen Grundbesitzes sei regelmäßig Bedingung für die Erteilung der Ausreiseerlaubnis gewesen, was sich auch aus der Anweisung des Rates vom 2. Mai 1986 ergebe. Diese Verwaltungspraxis habe auch noch im Zeitpunkt des Verkaufs bestanden. Wäre die Rückübertragung des Eigentums nach § 34 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz --VermG--) erfolgt, so wäre dieser Vorgang von der Grunderwerbsteuer befreit worden. Nichts anderes könne in ihrem Fall gelten.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und die Grunderwerbsteuerbescheide und die diese bestätigenden Einspruchsentscheidungen aufgehoben. Das Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 633 veröffentlicht.
Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 VermG seien erfüllt. Die Kläger seien Berechtigte i.S. des § 2 Abs. 1 VermG. Sie seien durch Machtmißbrauch i.S. § 1 Abs. 3 VermG gezwungen worden, die Grundstücke an die A zu veräußern. Die Erteilung der Ausreiseerlaubnis habe im Ermessen der staatlichen Behörden gestanden. Nach dem Recht der früheren DDR habe jedoch --hinsichtlich des Grundstückskaufvertrags-- Abschlußfreiheit und die Freiheit der inhaltlichen Gestaltung des Vertrags bestanden. Es habe keine dem entgegenstehende gesetzliche Vorschrift bestanden, insbesondere sei die Erteilung der Ausreiseerlaubnis nicht notwendigerweise mit der vorherigen Veräußerung von Grundbesitz verknüpft gewesen. Darin sei ein Machtmißbrauch zu sehen. Der Rechtsauffassung des Beklagten, die Steuerbefreiung greife nur dann ein, wenn die Rückübertragung von Eigentumsrechten auf einer behördlichen Entscheidung beruhe, könne nicht gefolgt werden. Zum einen lasse sich eine solche Einschränkung nicht aus dem Gesetzeswortlaut ableiten, zum anderen wäre eine solche Differenzierung auch sachlich nicht gerechtfertigt, denn in beiden Fällen werde dem früheren Eigentümer nur seine Rechtsposition wieder eingeräumt.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Sinngemäß wird die Verletzung materiellen Rechts geltend gemacht. Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Für die Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 34 Abs. 3 VermG sei eine unanfechtbare Entscheidung des Amts zur Regelung offener Vermögensfragen Voraussetzung.
Die Kläger haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Beklagten ist unbegründet.
Zu Recht hat das FG die Grunderwerbsteuerbescheide und die diese bestätigenden Einspruchsentscheidungen aufgehoben, da diese rechtswidrig sind.
Die Grundstückserwerbe der Kläger unterlagen zwar nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 der Grunderwerbsteuer, sie sind jedoch nach § 34 Abs. 3 VermG a.F. von der Steuer befreit.
Nach § 34 Abs. 3 VermG in der zum Zeitpunkt des Erwerbs der Kläger geltenden Fassung ist der Berechtigte von der Entrichtung der Grunderwerbsteuer befreit. Die Kläger sind Berechtigte im Sinne des VermG, denn die betreffenden Grundstücke sind von Maßnahmen gemäß § 1 VermG betroffen (§ 2 Abs. 1 VermG). Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden ist, hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, daß die fraglichen Vermögenswerte der Kläger aufgrund unlauterer Machenschaften i.S. von § 1 Abs. 3 VermG erworben wurden. Die Abhängigmachung der Ausreisegenehmigung von einer vorherigen Veräußerung von Vermögenswerten an von staatlichen Stellen bestimmte Dritte und zu von staatlichen Stellen festgesetzten Bedingungen ist auch dann als Machtmißbrauch anzusehen, wenn die Veräußerung entgeltlich erfolgt. Davon gehen bereits die Erläuterungen der Bundesregierung zum Gesetz zur Regelung über offene Vermögensfragen in der Fassung des Einigungsvertrags aus (BTDrucks 11/7831). Danach sind mit einem Rechtserwerb durch unlautere Machenschaften sogar in erster Linie die Fälle gemeint, in denen die Erteilung einer Ausreisegenehmigung davon abhängig gemacht wurde, daß der Ausreisewillige zuvor Vermögenswerte (entgeltlich oder unentgeltlich) veräußerte (vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 3. April 1992 V ZR 83/91, BGHZ 118, 34).
Die Kläger als Berechtigte i.S. von § 2 Abs. 1 VermG haben von Maßnahmen i.S. von § 1 Abs. 3 VermG betroffene Grundstücke zurückerworben. Insoweit sind die sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 34 Abs. 3 VermG a.F. ergebenden Befreiungsvoraussetzungen erfüllt. Aus dem Zusammenhang, in dem die Vorschrift steht --insbesondere aus den unmittelbar vorangestellten Absätzen 1 und 2-- ist jedoch zu schließen, daß nur nach dem VermG erfolgende Grundstückserwerbe begünstigt sein sollen, wie dies § 34 Abs. 3 in der jetzt geltenden Fassung (Art. 15 § 2 Nr. 8 Buchst. b des Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung registerrechtlicher und anderer Verfahren vom 20. Dezember 1993, BGBl I 1993, 2182) nunmehr ausdrücklich anordnet. Solche begünstigungsfähige Grundstückserwerbe sind zweifelsfrei diejenigen, in denen das Eigentum am Grundstück unmittelbar aufgrund eines Verwaltungsakts außerhalb des Grundbuchs übergeht (§ 34 Abs. 1 VermG). Ein nach dem VermG erfolgender Grundstückserwerb liegt darüberhinaus auch dann vor, wenn ein entsprechender Verwaltungsakt nach einer gütlichen Einigung ergeht, wie dies § 31 Abs. 5 Satz 3 VermG vorsieht. Hierunter fällt auch eine während eines anhängigen Verfahrens nach dem VermG aufgrund gütlicher Einigung zwischen den Beteiligten erfolgte rechtsgeschäftliche Grundstücksrückübertragung.
Nach § 31 Abs. 5 Satz 1 VermG hat die Behörde in jedem Stadium des Verfahrens auf eine gütliche Einigung hinzuwirken. Vergleiche sind zulässig (§ 31 Abs. 1 a VermG). Das Verfahren nach dem VermG ist daher --über die jedem streitentscheidenden Verwaltungsverfahren innewohnende Tendenz hinaus-- in besonderem Maß auf die Erzielung von gütlichen Einigungen und Vergleichen angelegt. Dieser eindeutigen Zielsetzung des Gesetzes widerspricht es, wenn dem Berechtigten daraus ein grunderwerbsteuerrechtlicher Nachteil entstünde, wenn ein erzielter Vergleich (zivilrechtlich) vertraglich abgewickelt wird. Diese Auslegung des § 34 Abs. 3 VermG wird bestätigt durch einen Vergleich mit § 16 GrEStG 1983. Auch die Grunderwerbsteuervergünstigung nach § 16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG 1983 ist dann nicht ausgeschlossen, wenn die Beteiligten die Rückübertragung einvernehmlich durch Vertrag vornehmen (vgl. Senatsurteil vom 10. Juni 1969 II 41/65, BFHE 96, 76, BStBl II 1969, 559). Eine Berufung auf § 16 Abs. 2 Satz 2 GrEStG 1983 ist den Klägern jedoch deswegen versagt, weil das VermG eine zivilrechtliche Anfechtung in derartigen Fällen bereits grundsätzlich ausschließt (BGH in BGHZ 118, 34). Grundstücksrückübertragungen auf den Berechtigten, die aufgrund einer während eines anhängigen Verfahrens nach dem VermG erzielten gütlichen Einigung erfolgen, sind daher auch dann grundsätzlich begünstigungsfähig nach § 34 Abs. 3 VermG, wenn die Übertragung rechtsgeschäftlich erfolgt.
Im Streitfall waren die Kläger nach § 2 Abs. 1 VermG Berechtigte. Damit hatten sie grundsätzlich einen Anspruch auf Rückübertragung nach § 3 Abs. 1 VermG. Dieser war jedoch möglicherweise nach § 4 VermG wegen redlichen Erwerbs ausgeschlossen. Ob dieser Ausschluß bestand, hätte im Verwaltungsverfahren, ggf. mit anschließendem Rechtsmittelverfahren geklärt werden müssen. Eine verbindliche Klärung dieser Frage hat sich dadurch erledigt, daß die Erwerber aufgrund einer gütlichen Einigung die Grundstücke rechtsgeschäftlich auf die Kläger gegen Entgelt zurückübertrugen. Die Rückübertragung ist als die Befreiungsvoraussetzungen erfüllender nach dem VermG erfolgender Grundstückserwerb anzusehen.
Fundstellen
Haufe-Index 65332 |
BFH/NV 1995, 27 |
BStBl II 1995, 205 |
BFHE 176, 59 |
BFHE 1995, 59 |
BB 1995, 445 |
BB 1995, 445-446 (LT) |
DB 1995, 611 (L) |
DStR 1995, 325-326 (KT) |
HFR 1995, 264-265 (LT) |
StE 1995, 163 (K) |
WPg 1995, 344 (L) |
StRK, R.2 (LT) |
Information StW 1995, 254 (KT) |
KFR, 2/95, 169 (6/1995) (LT) |
UVR 1995, 118 (L) |
DWW 1995, 90 (LT) |
D-spezial 1995, Nr 12, 5-6 (KT) |
DNotI-Report 1995, 55 (L) |
Grundeigentum 1995, 439 (LT) |
VIZ 1995, 355-356 (LT) |
ZAP-Ost, EN-Nr 167/95 (L) |
ArztuR 1995, Nr 3, 7 (KT) |
NJ 1995, 278-279 (LT) |
RGV D I, 35 (L) |
RGV G 63, (LT) |
AusR 1995, 7 |