Leitsatz (amtlich)
Wird die Einmalprämie für eine Lebensversicherung durch eine Vorauszahlung der Versicherungsgesellschaft (Policedarlehen) aufgebracht, so sind die dafür entrichteten "Vorauszahlungsbeiträge" als Schuldzinsen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG abzugsfähig. Soweit im Urteil vom 1. Februar 1957 VI 78/55 U (BFHE 64, 268, BStBl III 1957, 103) eine andere Auffassung vertreten wurde, hält der Senat daran nicht mehr fest.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Nrn. 1-2; StAnpG § 6
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat am 28. Dezember 1967 bei einer Versicherungs-AG einen Lebensversicherungsvertrag als Versicherter und Versicherungsnehmer über eine Kapitallebensversicherung mit Rentenwahlrecht in Höhe von 1 000 000 DM abgeschlossen. Als Vertragsbeginn wurde der 1. Dezember 1967 festgelegt. Die Versicherung endet am 1. Dezember 1979. Als Versicherungsprämie war am 28. Dezember 1967 ein einmaliger Betrag von 754 900 DM zu leisten. Hiervon bezahlte der Kläger aus eigenen Mitteln 44 900 DM. In Höhe von 710 000 DM gewährte ihm die AG eine Vorauszahlung auf ihre Leistungen aus der Lebensversicherung. Für diese Vorauszahlung war am 1. Januar eines jeden Jahres im voraus ein Vorauszahlungsbeitrag von 6,5 v. H. der Vorauszahlung zu leisten. Die Vorauszahlung konnte jederzeit getilgt werden. Die AG konnte die Vorauszahlung nur zurückverlangen, wenn die Versicherung ganz oder zum Teil erlosch. Der Kläger hat die Vorauszahlung am 1. November 1968 durch einen von einer Bank zur Verfügung gestellten Kredit in Höhe von 710 000 DM abgelöst.
Der Kläger entrichtete am 29. Dezember 1967 Vorauszahlungsbeiträge für 1967 in Höhe von 3 847,10 DM und für 1968 in Höhe von 46 150 DM. In seiner Einkommensteuererklärung für 1967 begehrte er den Abzug der Beiträge als Schuldzinsen (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Der Beklagte und Revisionskläger (FA) berücksichtigte die Beiträge jedoch als Versicherungsbeiträge im Rahmen der Höchstbeträge.
Die Sprungklage hatte hinsichtlich des für 1967 entrichteten Vorauszahlungsbeitrags Erfolg. Das FG führte hierzu in seiner in den EFG 1971, 30 veröffentlichten Entscheidung im wesentlichen aus: Bei dem Vorauszahlungsbeitrag handele es sich um Schuldzinsen. Der Kläger habe den Beitrag als Entgelt dafür geleistet, daß ihm die Versicherungs-AG eine Vorauszahlung in Höhe von 710 000 DM zur Verfügung gestellt habe. Diesen Kapitalbetrag nutze der Kläger wirtschaftlich; denn er sei durch die Vorauszahlung so gestellt, als habe er die fällige Einmalprämie für die Lebensversicherung voll eingezahlt. Es handle sich bei den Vorauszahlungsbeiträgen nicht um Versicherungsbeiträge, die hinsichtlich ihrer Abzugsfähigkeit den Beschränkungen des § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG unterlägen.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 und 2b EStG. Es trägt vor: Der BFH habe im Urteil vom 1. Februar 1957 VI 78/55 U (BFHE 64, 268, BStBl III 1957, 103), das den dem Streitfall gleichgelagerten Fall eines Policedarlehens bei Einmalprämie zum Gegenstand habe, ausgeführt, daß neben den Tilgungsraten des Darlehens auch die Zinsen als Versicherungsbeiträge zu behandeln seien, weil in der Darlehnsgewährung nur eine Stundung der nach dem Versicherungsvertrag geschuldeten Prämie gesehen werden könne. Das BFH-Urteil vom 29. April 1966 VI 252/64 (BFHE 86, 244, BStBl III 1966, 421) hingegen befasse sich mit dem nicht vergleichbaren Fall eines Versicherungsvertrags gegen laufende Beitragsleistungen und der Finanzierung der ersten Jahresprämie durch die Versicherungsgesellschaft.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sprungklage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Vorauszahlungsbeiträge Schuldzinsen i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind. Schuldzinsen sind Leistungen in Geld oder Geldeswert, die ein Schuldner für die Überlassung (Nutzung) von Kapital an den Gläubiger zu erbringen hat. Sie setzen die darlehnsweise Überlassung von Kapital voraus. Wie der erkennende Senat im Urteil Vl 252/64 ausgeführt hat, handelt es sich bei der Vorauszahlung des Versicherers auf die Versicherungssumme um ein Darlehen, weil die Tilgung durch tatsächliche Zahlung des Versicherungsnehmers oder durch Aufrechnung des Versicherers mit einer Leistung aus der Versicherung vorgesehen ist. Gegenstand der Entscheidung VI 252/64 war allerdings, ob Beiträge für Vorauszahlungen, die eine Versicherungsgesellschaft zur Bezahlung der laufenden Versicherungsprämien gewährt, als Schuldzinsen abzugsfähig sind. Der Senat hat diese Frage damals im Hinblick auf den Darlehnscharakter der Vorauszahlung bejaht. Hierfür ist es aber ohne Bedeutung, ob die Vorauszahlung für eine laufende oder eine einmalige Versicherungsprämie gewährt wird.
Der Senat hält an der im Urteil VI 78/55 U vertretenen Auffassung nicht mehr fest; denn die Anerkennung der Vorauszahlungsbeiträge als Schuldzinsen kann nicht mit der Begründung versagt werden, sie seien bei wirtschaftlicher Betrachtung Versicherungsbeiträge. Selbst wenn man im Hinblick auf den engen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen dem Versicherungsvertrag und dem Darlehnsvertrag die Darlehnsgewährung einer Stundung der nach dem Versicherungsvertrag zu erbringenden Prämie gleichsetzt, so kann es sich bei den Vorauszahlungsbeiträgen doch nur um Zinsen in Form von Stundungszinsen, nicht aber um Versicherungsbeiträge handeln; denn sie mindern die gestundete Prämie nicht. Die Anerkennung der Vorauszahlungsbeiträge als Schuldzinsen entspricht im übrigen ihrer bewertungsrechtlichen Behandlung. Für die Bewertung noch nicht fälliger Ansprüche aus Lebensversicherungen bei Inanspruchnahme einer Vorauszahlung ist in § 73 Abs. 2 BewDV bestimmt, daß die Vorauszahlungsbeiträge nicht als Prämien gelten, also bei der Berechnung des Werts der Versicherung außer Ansatz bleiben.
Das Verhalten des Klägers stellt - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - auch keine Steuerumgehung (§ 6 StAnpG) dar. Es ist nicht als Mißbrauch einer bürgerlich-rechtlich möglichen Gestaltung anzusehen, daß der Kläger für die Bezahlung der Einmalprämie ein Darlehen bei der Versicherungsgesellschaft aufgenommen hat. Der gewählte Weg steht zu dem erstrebten wirtschaftlichen Ziel in einem angemessenen Verhältnis.
Die Revision war danach als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1974, 237 |
BFHE 1974, 305 |