Leitsatz (amtlich)
1. Ein Arzneimittelhersteller hat die am Bilanzstichtag vorhandenen Bestände der als unverkäuflich gekennzeichneten Ärztemuster zu aktivieren.
2. Eine Rückstellung oder ein Schuldposten darf nicht deshalb angesetzt werden, weil der Arzneimittelhersteller in Werbeprospekten versprochen hat, dem Interessenten auf Verlangen ein Ärztemuster abzugeben.
Normenkette
EStG §§ 5, 6 Abs. 1 Nrn. 2-3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Herstellerin pharmazeutischer Präparate. Im Rahmen ihrer Arzneimittelproduktion fertigt sie Ärztemuster an, die gemäß den arzneirechtlichen Vorschriften auf Anforderung unentgeltlich an Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte abgegeben werden.
Bei einer auch das Streitjahr 1967 umfassenden Betriebsprüfung wurde festgestellt, daß die Klägerin ihre am Bilanzstichtag vorhandenen Bestände an Ärztemustern nur bis einschließlich 1966 als Fertigwaren aktiviert, ab 1967 eine Aktivierung aber unterlassen hatte. Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) übernahm die Auffassung des Prüfers, daß die Ärztemuster zu aktivieren und mit den Herstellungskosten zu bewerten seien. Die am 31. Dezember 1967 vorhandenen ... Packungen Ärztemuster bewertete das FA mit 0,50 DM je Stück, so daß sich eine erfolgswirksame Nachaktivierung von ...DM ergab.
Gegen den aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen endgültigen Körperschaftsteuerbescheid 1967 wandte sich die Klägerin mit der Sprungklage, in der sie die Auffassung vertrat, die Ärztemuster seien nach Handels- und Steuerrecht nicht aktivierungsfähig. Falls eine Aktivierung in Betracht gezogen werde, sei der Teilwert der Ärztemuster mit 0 DM anzusetzen.
Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, die Ärztemuster dienten der Werbung. Sie seien nach den Grundsätzen zu behandeln, die der BFH in dem Urteil vom 25. Oktober 1963 IV 433/62 S (BFHE 78, 355, BStBl III 1964, 138) für Warenhauskataloge entwickelt habe; die Aktivierung der am Bilanzstichtag vorhandenen Bestände dieser Werbemittel sei verneint worden. Diese Auffassung werde auch von Herrmann-Heuer (Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 17. Aufl., § 5 EStG, Anm. 57, Stichwort: "Ärztemuster") und von Schindele (Die steuerliche Betriebsprüfung 1967 S. 161) vertreten.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des FA mit dem sinngemäßen Antrag, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Bestände der am Bilanzstichtag vorhandenen Ärztemuster sind zu aktivieren.
Nach Auffassung des Senats sind die Ärztemuster nicht so zu behandeln wie Warenhauskataloge. Prospekte und Warenhauskataloge sind typische Werbemittel, mit denen auf den Markt kommende Waren angepriesen werden. Die in Betracht kommenden Interessenten sollen über die Vorzüge einer Ware, über deren Aussehen, Eigenschaften, Maße und Preise näher unterrichtet werden. Der Wert solcher Prospekte und Kataloge ist mehr ideeller Natur und läßt sich nicht allein nach den für deren Herstellung aufgewendeten Kosten beurteilen.
Warenproben oder Warenmuster, zu denen die hier in Rede stehenden Ärztemuster gehören, unterscheiden sich ihrem Wesen nach von bloßen Werbeträgern wie Prospekten oder Warenhauskatalogen. Die Warenprobe oder das Warenmuster repräsentiert die auf dem Markt angebotene Ware selbst. Es ist in der Regel eine kleine Menge dieser Ware. Der Interessent soll die angebotene Ware befühlen, betrachten, erproben können. Im Falle des Ärztemusters soll der Arzt instandgesetzt werden, das Medikament in seiner Praxis anzuwenden. Die reine Werbefunktion derartiger Muster oder Warenproben wird überlagert durch ihre Gebrauchsfunktion. Diese Proben werden entweder für Zwecke der Werbung besonders hergestellt oder - was bei den Ärztemustern der Fall ist - der laufenden Produktion des Herstellers entnommen. Sie sind demzufolge Wirtschaftsgüter, die einen wirtschaftlichen Wert haben und selbständig bewertungsfähig sind. Auch in der sogenannten Katalogentscheidung IV 433/62 S, auf die sich das FG bezogen hat, hat der BFH keinen Zweifel daran gelassen, daß von den nicht aktivierungsfähigen Werbeaufwendungen die Aufwendungen für solche Wirtschaftsgüter zu unterscheiden seien, die für Werbezwecke eigens hergestellt werden. In der Entscheidung vom 30. September 1958 I 98/57 (StRK, Einkommensteuergesetz, § 6 Abs. 2, Rechtsspruch 15) ist der BFH von der selbständigen Bewertungs- und Nutzungsfähigkeit von Muster- oder Ausstellungsstücken - in dem Musterzimmer eines Lampenherstellers ausgestellte Lampen - ausgegangen; das gleiche wird in dem Urteil vom 25. November 1965 IV 299/63 U (BFHE 84, 232 BStBl III 1966, 86) hinsichtlich der Musterbücher eines Tapetengeschäfts gesagt.
Die Ärztemuster gehören nicht zu den immateriellen Wirtschaftsgütern, deren Aktivierung nur in Betracht kommt, wenn sie entgeltlich erworben worden sind. Sie sind zu den körperlichen Wirtschaftsgütern zu rechnen. Entgegen der Auffassung der Klägerin lassen sich die Ärztemuster mit einem Spielfilm oder Verlagsarchiv, bei denen das körperliche Substrat lediglich der Träger der wirtschaftlich im Vordergrund stehenden Urheberrechte, Schutzrechte oder eines Informations- oder Dokumentationswerts ist, nicht vergleichen.
Die Ärztemuster sind als Wirtschaftsgüter des Vorratsvermögens nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG grundsätzlich mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu aktivieren. Nur wenn der Teilwert am Bilanzstichtag niedriger ist, kann dieser angesetzt werden. Entgegen der Auffassung des FG und der Klägerin kommt eine Bewertung des Bestandes an Ärztemustern mit 0 DM oder eine Nichtaktivierung nicht schon deshalb in Betracht, weil die Muster unentgeltlich an Ärzte weitergegeben werden und sie durch Aufdruck als unverkäufliche Ware gekennzeichnet sind.
Die mitunter gegen eine Aktivierung sprechenden Gründe der Buchführungsvereinfachung greifen im vorliegenden Fall nicht durch. Wie aus dem vom FG angeführten Betriebsprüfungsbericht hervorgeht, schwanken die Bestände an Ärztemustern beträchtlich.
Der Senat folgt auch nicht der Hilfserwägung des FG, daß bei Aktivierung der Ärztemuster auf der Passivseite der Bilanz ein Schuldposten hinsichtlich der noch nicht erledigten Anforderungen der Ärzte, ihnen ein Muster zu übersenden, zu bilden sei. Von einer Schuld i. S. eines schuldrechtlichen Anspruchs eines Gläubigers kann bei Werbemaßnahmen der vorliegenden Art, in denen ein Arzneimittelhersteller in einem Werbeprospekt verspricht, dem Interessenten auf Verlangen ein unverkäufliches Muster zu übersenden, nicht gesprochen werden. Bei der Bearbeitung und Erledigung dieser Anforderungen handelt es sich um Aufwand, der jeweils das Wirtschaftsjahr belastet, in dem er tatsächlich anfällt. Schuldposten oder Rückstellungen für derartige Aufwendungen, auch wenn diese als sichtlich bevorstehend anzusehen sind, sind nicht zulässig.
Da das FG rechtsfehlerhaft davon ausgegangen ist, daß der am 31. Dezember 1967 vorhandene Bestand an Ärztemustern nicht zu aktivieren sei, ist die Vorentscheidung aufzuheben.
Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat, da es die Aktivierung des Bestandes an Ärztemustern schon dem Grunde nach verneint hat, keine Feststellungen in der Hinsicht getroffen, ob der vom FA angesetzte Wert für den am Bilanzstichtag vorhandenen Bestand der Höhe nach zutreffend ist. Die Sache ist daher an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 72228 |
BStBl II 1977, 278 |
BFHE 1977, 177 |