Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen für sog. bürgerliche Kleidung können auch dann nicht als Werbungskosten abgezogen werden, wenn feststeht, daß die Kleidung ausschließlich bei der Berufsausübung benutzt wird.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1, § 12 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1971 als Dekorateur in einem Warenhaus angestellt. Er hatte als zweiter Mann nach dem Chefdekorateur die übrigen Dekorateure zu beaufsichtigen, daneben auch selbst in erheblichem Umfang bei der Schaufensterdekoration mitzuarbeiten. Streitig ist noch, ob Aufwendungen des Klägers für Bekleidung, nämlich für drei Hosen (188,50 DM), drei Hemden (97,50 DM), zwei Pullover (99 DM), zwei Paar Schuhe (118 DM), für Schuhreparaturen (52 DM) sowie für Wäscherei (110 DM) und Reinigung (30, 15 DM), insgesamt somit ein Betrag von 695,15 DM, als Werbungskosten beim Lohnsteuer-Jahresausgleich 1971 zu berücksichtigen sind. Der Kläger hatte geltend gemacht, die Bekleidungsaufwendungen seien ausschließlich beruflich veranlaßt gewesen, weil er die genannten Kleidungsstücke nur im Betrieb getragen habe. Er habe sie dort in seinem Spind aufbewahrt und jeweils zu Dienstbeginn an- und bei Dienstende wieder ausgezogen. Daß er sich morgens und abends umgezogen habe, werde durch die starke Transpiration infolge der bei seiner Arbeit zum Teil erforderlichen extremen Körperhaltung und infolge der in den Schaufenstern, insbesondere im Sommer, auftretenden hohen Temperaturen verständlich.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ die streitigen Bekleidungsaufwendungen nicht zum Abzug zu.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging von dem unbestrittenen Sachvortrag des Klägers aus. Es räumte ein, daß es sich bei den streitigen Kleidungsstücken nicht um Berufskleidung i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehandelt habe, d. h. um Kleidung, bei welcher eine nennenswerte private Nutzung objektiv so gut wie ausgeschlossen sei. Gleichwohl komme ein Abzug als Werbungskosten in Betracht. Denn § 9 Abs. 1 Nr. 6 EStG beinhalte nur eine Typisierung bestimmter Werbungskosten, schränke aber den allgemeinen Werbungskostenbegriff nicht ein. Seien Aufwendungen für typische Berufskleidung deshalb Werbungskosten, weil deren private Nutzung schon objektiv, wegen der Beschaffenheit dieser Kleidung, so gut wie ausgeschlossen, eine Abgrenzung gegenüber einer privaten Nutzung also möglich sei (Hinweis auf den Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17), so müsse das auch dann gelten, wenn die ausschließliche berufliche Benutzung der Kleidung zwar nicht aufgrund ihrer besonderen Beschaffenheit, wohl aber im Hinblick auf andere objektive Umstände - wie im Streitfall - sichergestellt sei. Stehe somit der Werbungskostencharakter des streitigen Bekleidungsaufwandes fest, so könne nicht mit Erfolg eingewendet werden, daß der Kläger die Kosten (durch die Verwendung abgetragener oder billigerer Kleidung) hätte niedriger halten können, sofern, wie hier, der Gesichtspunkt der Unangemessenheit (§ 4 Abs. 5 Satz 2 EStG 1971) nicht in Betracht komme. Ein Abzug des Bekleidungsmehraufwandes entfalle auch nicht deshalb, weil Ausgaben für die Bekleidung immer die private Sphäre berührten; denn auch die typische Berufskleidung trete an die Stelle sonstiger Kleidung.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des materiellen Rechts durch unrichtige Anwendung der §§ 9, 12 EStG sowie mangelnde Sachaufklärung. Es macht geltend, Aufwendungen für die Anschaffung und Instandhaltung bürgerlicher Kleidung gehörten auch dann zu den privaten Lebensführungskosten i. S. von § 12 Nr. 1 EStG, wenn die Kleidung im Beruf getragen und verschlissen werde (Hinweis auf das Urteil des Senats vom 26. Juni 1969 VI R 125/68, BFHE 97, 103, BStBl II 1970, 7). Die Vorentscheidung, die einzig auf den beruflichen Nutzungsteil abgestellt habe und zu dessen Nachweis lediglich dem Sachvortrag des Klägers gefolgt sei, sei nach den vom Großen Senat des BFH in der Entscheidung GrS 2/70 aufgestellten Grundsätzen nicht haltbar. Das Aufteilungsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG könne nicht allein dadurch außer Kraft gesetzt werden, daß lediglich der Darstellung des Klägers gefolgt werde. Es müsse die Möglichkeit bestehen, den Vortrag unschwer überprüfen zu können, wobei ein strenger Maßstab anzulegen sei. Dies habe das FG nicht beachtet. Die Darstellung des Klägers entziehe sich jeder Nachprüfung und habe daher vom FA weder bestritten zu werden brauchen noch bestritten werden können.
Das FA beantragt, die Klage hinsichtlich des noch streitigen Bekleidungsaufwandes abzuweisen, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Festsetzung des im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren an den Kläger zu erstattenden Betrages in der vom FA im Revisionsverfahren beantragten Höhe.
a) Eine Berücksichtigung der streitigen Aufwendungen kommt nur in Betracht unter dem Gesichtspunkt des Werbungskostenabzugs. Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Bei verständiger Auslegung und bei erforderlicher Zusammenschau mit dem Betriebsausgabenbegriff des § 4 Abs. 4 EStG sind darüber hinaus nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) alle Aufwendungen, die durch den Beruf veranlaßt sind (BFH-Beschluß vom 28. November 1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105). Eine solche Veranlassung liegt vor, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und wenn subjektiv die Aufwendungen zur Förderung des Berufs getätigt werden. Ein Werbungskostenabzug kommt jedoch grundsätzlich dann nicht in Betracht, wenn die Aufwendungen zwar den Beruf fördern, daneben aber auch der Lebensführung dienen, es sei denn, daß der den Beruf fördernde Teil der Aufwendungen sich nach objektiven Maßstäben zutreffend und in leicht nachprüfbarer Weise abgrenzen läßt und nicht nur von untergeordneter Bedeutung ist. An diesem von der Rechtsprechung des Großen Senats des BFH entwickelten (vgl. insbesondere GrS 2/70) und von ihm im Beschluß vom 27. November 1978 GrS 8/77 (BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213) erneut bestätigten sog. Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG hält der Senat fest. Hierbei kommt es für die Frage, ob und inwieweit Aufwendungen (auch) der Lebensführung dienen, auf den tatsächlichen Verwendungszweck an. Der objektive Charakter der Aufwendungen oder des angeschafften Wirtschaftsgutes spielt (erst) bei der Feststellung des Verwendungszwecks eine - dann allerdings bedeutende - Rolle.
b) Neben den Aufwendungen z. B. für Wohnung und Verpflegung sind insbesondere auch die Aufwendungen für Bekleidung in der Regel typische unter § 12 Nr. 1 EStG zu subsumierende Lebensführungskosten. Das gilt, wie der erkennende Senat unter Hinweis auf den Beschluß GrS 2/70 im Urteil vom 9. März 1979 VI R 171/77 (BFHE 127, 522, BStBl II 1979, 519) erneut hervorgehoben hat, auch dann, wenn die Kleidung z. T. oder nahezu ausschließlich im Beruf getragen wird. Allerdings enthält hier § 9 Abs. 1 Nr. 6 EStG eine Ausnahmeregelung, indem dort die sog. typische Berufskleidung als Arbeitsmittel beurteilt und damit zum Abzug als Werbungskosten zugelassen wird. Daß es sich im Streitfall um keine typische, d. h. ihrer Beschaffenheit nach objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Verwendung bestimmte Berufskleidung gehandelt hat, ist unbestritten. Fehl geht der vom FG gezogene Schluß, daß dieser typischen Berufskleidung jede andere Kleidung dann gleichzustellen sei, wenn etwa aufgrund des jeweiligen Wechsels der Kleidung bei Beginn und Ende der Dienstzeit feststehe, daß die Kleidung nur beruflich benutzt werde. Wie betont, enthält § 9 Abs. 1 Nr. 6 EStG eine Ausnahmeregelung, insoweit dort "auch" - wie die Einleitung des § 9 Abs. 1 Satz 3 EStG erkennen läßt - zu den Werbungskosten Aufwendungen gerechnet werden, bei denen, etwa - wie z. B. in den Fällen der Nrn. 5 und 6 dieser Vorschrift - wegen des unaufteilbaren Zusammenhangs mit Lebensführungskosten, der Werbungskostenabzug ausgeschlossen sein könnte (vgl. hierzu Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 9 EStG Anm. 15; Offerhaus, BB 1979, 617 [622]). Den Gründen, die unter dem Gesichtspunkt des § 12 Nr. 1 EStG der Berücksichtigung von Kleidung als Werbungskosten ganz allgemein entgegenstehen, kann deshalb nicht mit dem Hinweis darauf begegnet werden, daß diese Gründe - jedenfalls z. T. - auch der Berücksichtigung von typischer Berufskleidung entgegenstehen müßten. Der Einwand, daß Aufwendungen für Kleidung stets die private Sphäre berühren, ist deshalb, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, nicht ausgeschlossen; er ist vielmehr, soweit es sich um sog. bürgerliche Kleidung, also nicht um typische Berufskleidung i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 6 EStG handelt, begründet.
Daß der zivilisierte Mensch in der Öffentlichkeit und bei der Ausübung seines Berufes bekleidet zu sein pflegt, ist in erster Linie Ausfluß der Lebensführung; denn es wird damit ein allgemeines menschliches Bedürfnis befriedigt (vgl. Tipke, Steuer und Wirtschaft 1979 Sp. 193 [202]). Auch wenn die Kleidung nur bei der Berufsausübung getragen wird, ist Veranlassung hierfür nicht nur der Beruf. Bürgerliche Kleidung würde auch getragen werden, wenn der jeweilige Beruf nicht ausgeübt würde, während z. B. - und hier zeigt sich der Unterschied zur typischen Berufskleidung - der Arzt den weißen Mantel, der Soldat die Uniform, der Kellner den Frack ohne den entsprechenden Beruf nicht tragen und sich nicht anschaffen würde. Während bei den letztgenannten Personen also der Beruf die Veranlassung gibt für die entsprechenden Anschaffungskosten, ist dies bei denjenigen, die lediglich bürgerliche Kleidung tragen, nicht der Fall. Dabei kann es keine Rolle spielen, ob sie infolge ihres Berufs gerade diese, ohne den Beruf aber andere bürgerliche Kleidung tragen würden. Gerade hier wird die Funktion des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG im Dienst der steuerlichen Gerechtigkeit (vgl. Beschluß GrS 2/70 unter II. 3) besonders deutlich. Denn es soll nach den vom Großen Senat gefundenen Auslegungsgrundsätzen ausgeschlossen sein, je nach Art des im Einzelfall ausgeübten Berufs mit Erfolg geltend machen zu können, ohne den Beruf würde man die tatsächlich verwendete (aufwendige) Kleidung nicht benötigen und nicht anschaffen, der überwiegende, etwa über die Anschaffungskosten von Jeans und Pullover hinausgehende Bekleidungsaufwand sei also beruflich veranlaßt.
c) Die vorstehend angegebenen Gründe, aus denen sich das Aufteilungs- und Abzugsverbot bei Aufwendungen für bürgerliche Kleidung generell ergibt, gelten gleichermaßen auch für die hier vorliegende Fallgestaltung, daß nämlich bestimmte bürgerliche Kleidungsstücke ausschließlich bei Ausübung des Berufs getragen werden. Die in dieser Hinsicht vom FA erhobene Sachaufklärungsrüge ist unbegründet. Das FA hat nach dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem FG ausdrücklich auf Befragen erklärt, es bestreite den Vortrag des Klägers nicht, daß dieser die streitige Kleidung nur zu beruflichen Zwecken getragen habe. Bei dieser Sachlage war das FG auch unter Berücksichtigung des Untersuchungsgrundsatzes nicht mehr zu weiterer diesbezüglicher Sachaufklärung i. S. von § 76 Abs. 1 FGO verpflichtet. Der vom FG beurteilte Sachverhalt ist hinsichtlich der ausschließlich beruflichen Benutzung der streitigen Kleidung für den erkennenden Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend festgestellt. Auch bei diesem Sachverhalt kommt aber, wie bereits ausgeführt, ein Werbungskostenabzug für die streitigen Bekleidungskosten nicht in Betracht. Denn normale (bürgerliche) Kleidung betrifft stets die Privatsphäre und wird nicht dadurch zu einer die Lebensführung nicht mehr berührenden Berufskleidung, daß sie ausschließlich während der Arbeitszeit getragen wird (vgl. auch Herrmann/Heuer, a. a. O., § 9 EStG Anm. 33 b, Stichwort "Berufskleidung").
d) Dem Kläger ist zuzugeben, daß die von ihm angeführte, amtlich nicht veröffentlichte Entscheidung des IV. Senats des BFH vom 11. November 1976 IV R 3/73 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 12 Ziff. 1, Rechtsspruch 402, BB 1978, 1293, Finanz-Rundschau 1979 S. 233, Der Betrieb 1979 S. 711) etwas in die Richtung zu gehen scheint, auch "normale" Bekleidung zum Abzug zuzulassen. Aus dem Urteil ergibt sich aber, daß der IV. Senat ausdrücklich an den Grundsätzen GrS 2/70 festhält und daß er allenfalls unter dem auch für den Großen Senat maßgebenden Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit einen Abzug nur dann in Betracht zieht, wenn dessen Versagung zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen würde. Diese Überlegung kann jedoch im Streitfall keine Rolle spielen. Es würde vielmehr umgekehrt zu einer ungerechten und unzutreffenden Besteuerung führen, wollte man dem Kläger nur wegen der von ihm gewählten Sachverhaltsgestaltung (Kleiderwechsel am Arbeitsplatz) im Gegensatz zur weitaus größten Zahl aller anderen, auch aller vergleichbaren Arbeitnehmer den Bekleidungsaufwand zum Abzug zulassen.
e) Der Senat hat schon in dem vor der Entscheidung GrS 2/70 ergangenen Urteil VI R 125/68 unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des BFH ausgesprochen, daß Aufwendungen für bürgerliche Kleidung Kosten der privaten Lebensführung sind, auch wenn diese Kleidung im Beruf getragen und verschlissen wird. Er hat allerdings weiter ausgeführt, (nur) dann, wenn im Einzelfall bei Anlegung eines strengen Maßstabes feststehe, daß die Ausübung des Berufs einen besonders hohen Verschleiß an bürgerlicher Kleidung erfordere, könne der ausschließlich beruflich bedingte Anteil mit einem angemessenen Betrag angesetzt und als Werbungskosten anerkannt werden.
Es kann hier dahingestellt bleiben, ob diese Auffassung in Anbetracht der Entscheidung GrS 2/70 aufrechterhalten werden kann. Denn im Streitfall hat das FG keinen ausschließlich beruflich bedingten besonders hohen Verschleiß an bürgerlicher Kleidung festgestellt.
Fundstellen
BStBl II 1980, 75 |
BFHE 1980, 149 |
NJW 1980, 904 |