Leitsatz (amtlich)
Abschlußzahlungen, die für den Steuerpflichtigen auf Grund der abgegebenen Steuererklärungen rechtzeitig erkennbar sind, können nur gestundet werden, wenn der Steuerpflichtige aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grunde zum Fälligkeitszeitpunkt über die erforderlichen Mittel nicht verfügt und auch nicht in der Lage ist, sich diese Mittel auf zumutbare Weise zu beschaffen.
Normenkette
AO § 127
Tatbestand
Streitig ist, ob die Ablehnung der von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) beantragten Stundung (Bewilligung von Ratenzahlungen) der Einkommensteuer- und Gewerbesteuerabschlußzahlung 1965 rechtmäßig war.
Die Klägerin betreibt in A eine Photo-Werkstatt für Werbung und Technik. Auf Grund der Einkommensteuer- und Gewerbesteuerbescheide für 1965 vom 26. Mai 1967, die im wesentlichen die von der Klägerin erklärten Besteuerungsgrundlagen enthalten, hatte die Klägerin bis zum 29. Juni 1967 Abschlußzahlungen für Einkommensteuer in Höhe von 11 197 DM, für Kirchensteuer in Höhe von 1 346,05 DM und für Gewerbesteuer in Höhe von 5 630 DM zu entrichten.
Mit Schreiben vom 12. Juni 1967 teilte sie mit, daß sie nur die Abschlußzahlung für Kirchensteuer zum Fälligkeitszeitpunkt entrichten könne und bat darum, die Einkommensteuer- und Gewerbesteuerabschlußzahlung in drei Raten (15. Juli 1967, 15. August 1967, 15. Oktober 1967) entrichten zu dürfen. Zur Begründung ihres Stundungsantrags führte sie aus, daß am 10. Juni und am 10. September 1967 ohnehin Steuervorauszahlungen fällig seien und daß sie daneben außergewöhnliche Aufwendungen für Investitionen zu leisten habe.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) lehnte den Antrag durch Bescheid vom 26. Juni 1967 ab, weil die Klägerin die ihr zur Verfügung stehenden Mittel verwendet habe, ohne sich im Rahmen des Vorhersehbaren auf die Steuerzahlung einzustellen.
Die Beschwerde der Klägerin gegen diese Entscheidung des FA blieb erfolglos. In der Beschwerdeentscheidung führte die OFD aus, die Abschlußzahlungen hätten die Klägerin nicht unvorbereitet getroffen, weil sie ihre Höhe bereits seit der Unterzeichnung der Steuererklärungen am 17. November 1966 gekannt habe. Außerdem könne der Klägerin zugemutet werden, beim Verkauf von Wertpapieren entstehende Kursverluste hinzunehmen, wenn sie damit die fristgerechte Bezahlung der Steuerschulden erreichen könne.
Zur Begründung ihrer Klage trug die Klägerin vor, sie habe 1966/1967 ein kostspieliges Reproduktionsgerät anschaffen müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Hinzu komme, daß die Außenstände sehr schleppend eingingen.
Während des Klageverfahrens teilte die Klägerin mit, daß sie die Abschlußzahlungen 1965 entsprechend ihrem Zahlungsvorschlag voll entrichtet habe.
Das FG hob den ablehnenden Bescheid des FA vom 26. Juni 1967 und die Beschwerdeentscheidung der OFD vom 25. August 1967 und die dazu ergangene Kostenentscheidung vom 17. Oktober 1967 auf. Es führte dazu im wesentlichen aus: Mit der Entscheidung, die Gewährung von Ratenzahlungen abzulehnen, habe sich das FA außerhalb der Grenzen seines Ermessens gehalten. Der Annahme des FA und der OFD, eine unbillige Härte im Sinne von § 127 AO liege nicht vor, weil die Klägerin ihr Unvermögen zur fristgerechten Zahlung selbst herbeigeführt habe, könne sich das Gericht nicht anschließen. Wenn der Klägerin auch seit der Abgabe der Steuererklärungen die Höhe der Abschlußzahlungen bekanntgewesen sei, so sei es doch wirklichkeitsfremd, von ihr zu verlangen, ein etwaiges Guthaben bis zum noch unbekannten Fälligkeitstermin der Steuerabschlußzahlung unangetastet zu lassen. Der Klägerin könne insbesondere nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie während dieser Zeit notwendige Investitionen getätigt habe. Die Bezahlung fälliger Schulden und notwendiger Investitionen sei zur Aufrechterhaltung der Existenz erforderlich. Eine verschuldete Illiquidität liege beider Klägerin also nicht vor. Wenn sie die Steuerschulden zum Fälligkeitstermin unter diesen Umständen nicht bezahlen könne, sei die Ablehnung des Stundungsantrages mit der Folge der Möglichkeit einer Zwangsvollstreckung eine erhebliche Härte und sogar eine Gefährdung der Existenz. Es sei Aufgabe der Finanzverwaltung, dem Steuerpflichtigen auch bei der Erhaltung der Existenzgrundlage behilflich zu sein. Der Klägerin könne auch nicht zugemutet werden, ihre Wertpapiere unter Kursverlust zu verkaufen, um die Abschlußzahlung fristgerecht leisten zu können. Auch könne von der Klägerin nicht verlangt werden, den mühsamen und kostspieligen Weg eines Bankkredits auf sich zu nehmen, wenn mit einer ganz kurzfristigen Stundung geholfen werden könne. Alle diese Forderungen seien wirklichkeitsiremd und daher abzulehnen.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 127 AO). Es trägt vor, das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Einziehung der Steuerabschlußzahlungen für 1965 für die Klägerin mit erheblichen Härten verbunden gewesen sei. Entgegen der Ansicht des FG hätte es der Klägerin durchaus zugemutet werden können, Mittel für die Steuerzahlung bereitzustellen bzw. einen kurzfristigen Kredit aufzunehmen oder einen Teil ihrer Aktien zu verkaufen. Wenn die Klägerin auch unabweisbare Investitionen habe vornehmen müssen, hätte sie doch die ihr bekannte Verpflichtung zur Leistung von Steuerabschlußzahlungen bei ihren finanziellen Dispositionen berücksichtigen müssen. Sie hätte sich nicht auf die Stundungsbereitschaft des FA verlassen dürfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Das FG ging zu Recht davon aus, daß sich durch die Entrichtung der geschuldeten Steuer während des Klageverfahrens der Rechtsstreit in der Hauptsache nicht erledigt habe. Übereinstimmende Erledigungserklärungen der Parteien, die den Rechtsstreit in jedem Falle in der Hauptsache erledigen würden (vgl. Beschluß des BFH vom 10. November 1971 I B 14/70, BFHE 104, 39, BStBl II 1972, 222), liegen nicht vor. Im übrigen könnte eine Erledigung in der Hauptsache nur in der Stattgabe des Antrags auf Stundung durch das FA während der Rechtshängigkeit der Streitsache gesehen werden (vgl. BFH-Urteil vom 13. September 1966 I 204/65, BFHE 86, 810, BStBl III 1966, 694). Einen derartigen Verwaltungsakt hat jedoch das FA nicht erlassen.
2. In der Sache selbst kann der Senat dem Urteil des FG nicht zustimmen.
Nach § 127 AO können Steuern gestundet werden, wenn ihre Einziehung für den Steuerpflichtigen mit erheblichen Härten verbunden ist und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird. Ob die Einziehung von Steuern eine erhebliche Härte darstellt, muß im Einzelfall durch eine Abwägung zwischen dem Interesse des Steuergläubigers an einer vollständigen und gleichmäßigen Steuererhebung und dem Interesse des Steuerpflichtigen an einem Aufschub der Fälligkeit der Steuerzahlung festgestellt werden. Dabei sind, da Steuerzahlungen allgemein mit Härten verbunden sein können, die besonderen Verhältnisse des konkreten Falles zu berücksichtigen.
Eine Stundung von Abschlußzahlungen, auf die sich der Steuerpflichtige regelmäßig rechtzeitig einrichten kann, kommt nur in Betracht, wenn der Steuerpflichtige zum Fälligkeitszeitpunkt weder aus einem von ihm zu vertretenden Grunde über die erforderlichen Mittel verfügt noch in der Lage ist, sich diese Mittel auf zumutbare Weise zu beschaffen.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Das FA und die OFD haben mit Recht darauf abgestellt, daß die Klägerin hinreichend Gelegenheit gehabt hat, sich auf die am 29. Juni 1967 fällige Einkommensteuer- und Gewerbesteuerabschlußzahlung für den Veranlagungszeitraum 1965 einzustellen. Wie sie selbst einräumt, war ihr seit der Unterzeichnung der Steuererklärungen am 17. November 1966 die Höhe der Abschlußzahlungen annähernd bekannt. Wenn sie sich unter diesen Umständen zur Vornahme erheblicher Investitionen entschließt und bereit ist, zu deren Finanzierung sämtliche flüssigen Mittel und die laufenden Einnahmen aufzuwenden, ohne die steuerlichen Verpflichtungen zu berücksichtigen, hat sie es selbst zu vertreten, wenn sie aus diesen Mitteln die Steuerschulden zum Fälligkeitszeitpunkt nicht entrichten kann. Dies gilt um so mehr, wenn die Klägerin über ein nicht unerhebliches, die Höhe der Steuerschulden weit übersteigendes Wertpapiervermögen verfügt und es, um Kursverluste zu vermeiden, weder zur Finanzierung der Investitionen noch zur Begleichung der Steuerschulden verwendet. Es kann nämlich nicht Aufgabe der Finanzverwaltung sein, der Klägerin, die ihren Wertpapierbestand erhalten will, den durch Investitionen hervorgerufenen Geldbedarf durch die Stundung vorhersehbarer Steuerschulden zu Lasten der Allgemeinheit finanzieren zu helfen.
Bei dieser Sachlage kann nicht angenommen werden, die Ablehnung des Stundungsgesuches mit der Folge möglicher Zwangsvollstreckung gefährde die Existenz der Klägerin. Davon könnte nur gesprochen werden, wenn das Vermögen der Klägerin unvermeidbar für ihren Betrieb gebunden und die Aufrechterhaltung dieses Betriebes zur Erhaltung ihrer wirtschaftlichen Existenz erforderlich wäre (vgl. Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 127 AO Anm. 3). Dies trifft jedoch nicht zu.
Wenn sich die Klägerin weder zur Finanzierung ihrer Investitionen noch zur fristgerechten Begleichung ihrer Steuerschulden zum Verkauf von Wertpapieren entschließen wollte, was ihrer freien Disposition unterliegt, hätte von ihr doch verlangt werden können, soweit Vorbereitungen zur Aufnahme eines Kredits zu treffen, daß ihr nach der Zustellung der Steuerbescheide die für die Bezahlung der Steuerschulden erforderlichen Mittel bis zum Fälligkeitstermin zur Verfügung gestellt werden. Dieser Weg mag für die Klägerin zwar mit Kosten verbunden sein. Trotzdem konnte ihn das FA im konkreten Falle der Klägerin zumuten, weil es bei der Gewährung von Stundungen auch auf die Steuerpflichtigen Rücksicht zu nehmen hat, die mit den gebotenen Anstrengungen und unter Einsatz aller Mittel ihren steuerlichen Verpflichtungen pünktlich nachkommen (vgl. BFH-Urteil vom 25. August 1960 IV 317/59, HFR 1961, 17, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 127, Rechtsspruch 8).
Fundstellen
BStBl II 1974, 307 |
BFHE 1974, 275 |
NJW 1974, 1528 |