Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinnützigkeit eines Modellbauvereins
Leitsatz (NV)
1. Die Aufzählung in § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 ist nicht abschließend.
2. Als Förderung der Allgemeinheit darf jedoch nur die Förderung solcher Freizeitaktivitäten außerhalb des Bereichs des Sports anerkannt werden, die hinsichtlich der ihre steuerrechtliche Förderung rechtfertigenden Merkmale mit den im Katalog des § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 genannten Freizeitgestaltungen identisch sind. Es reicht nicht aus, daß die Freizeitgestaltung sinnvoll und einer der in § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 genannten ähnlich ist.
3. Die Förderung des Schiff- und Automodellbaus und des Schiffmodellsports ist in gleicher Weise und mindestens in gleichem Umfang wie die Förderung des Modellflugs geeignet, die Allgemeinheit auf materiellem und geistigem Gebiet zu fördern.
Normenkette
AO 1977 § 52 Abs. 1, § § 52 ff.; KStG 1984 § 5 Abs. 1 Nr. 9
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein Modellbau- und Modellsportverein. Sein satzungsmäßiger Zweck war im Jahr 1990 (Streitjahr) die Förderung der Freizeitgestaltung für Jugendliche und Erwachsene, die Förderung der Jugend- und Erwachsenenbildung, die Pflege sozialer und gesellschaftlicher Beziehungen sowie die Pflege und Förderung der Völkerverständigung im Rahmen von Städtepartnerschaften auf dem Gebiet des Schiff- und Automodellbaus und des Schiffmodellsports. Die Satzung bestimmte u. a., daß dieser Zweck ausschließlich und unmittelbar verfolgt wird und der Kläger selbstlos tätig ist und nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt.
Mit Schreiben vom 4. Februar 1990 beantragte der Kläger beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt -- FA --) den Erlaß eines Körperschaftsteuerfreistellungsbescheids wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke. Das FA lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Bau von Schiff- und Automodellen und der Schiffmodellsport seien in § 52 Abs. 2 Nr. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht als gemeinnützige Tätigkeit aufgeführt. Der Einspruch war erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 2. August 1991).
Das Finanzgericht (FG) vertrat dagegen die Ansicht, der Schiff- und Automodellbau und der Schiffmodellsport seien als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen. Es hob den ablehnenden Verwaltungsakt und die Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete das FA, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG zu bescheiden.
Mit der Revision macht das FA sinngemäß geltend, das Urteil des FG verletze § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977.
Es beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat zu Recht der Verpflichtungsklage des Klägers stattgegeben.
1. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetezes (KStG) 1984 sind Körperschaften, die nach der Satzung und der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zweken dienen (§§ 51 bis 68 AO 1977), von der Körperschaftsteuer befreit. Unter welchen Voraussetzungen eine Körperschaft gemeinnützigen Zwecken dient, regelt § 52 AO 1977.
Nach § 52 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 verfolgt (= synonym für "dient") eine Körperschaft gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Eine Förderung der Allgemeinheit setzt voraus, daß der Kreis der Personen, denen die Förderung zugute kommt, weder fest abgeschlossen ist noch dauernd nur klein sein kann; sie liegt allerdings nicht allein deswegen vor, weil die Körperschaft ihre Mittel einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuführt (§ 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AO 1977). Gemäß § 52 Ab. 2 AO 1977 in der für das Streitjahr geltenden Fassung sind unter den Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 AO 1977 als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen "insbesondere":
1. die Förderung von Wissenschaft und Forschung ... ,
2. die Förderung der Jugendhilfe ... und des Sports,
3. die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens ... ,
4. die Förderung der Tierzucht, der Pflanzenzucht, der Kleingärtnerei, des traditionellen Brauchtums einschließlich des Karnevals, der Fastnacht und des Faschings, der Soldaten- und Reservistenbetreuung, des Amateurfunkens, des Modellflugs und des Hundesports.
2. Umstritten ist, ob die Aufzählung in § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 abschließend oder beispielhaft ist. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist sie abschließend (s. Erlaß des Bundesministers der Finanzen -- BMF -- vom 7. Dezember 1990, BStBl I 1990, 818; gl. A. Jansen, Deutsches Steuerrecht -- DStR -- 1990, 61). Im Schrifttum wird dagegen weit überwiegend die Auffassung vertreten, es handele sich um eine beispielhafte Aufzählung (so z. B. Tipke/Kruse a. a. O., § 52 AO 1977 Tz. 29; Scholtz in Koch/Scholtz, Kommentar zur Abgabenordnung, 4. Aufl. 1993 § 52 Rz. 18; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, Kommentar, 4. Aufl. 1989, Nachtrag 1990: § 52 Anm. 1; Schleder, Steuerrecht der Vereine, 2. Aufl. 1993, Rdnr. 170, 171; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, Kommentar, § 52 Anm. 18 ff., 26, 28; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl. 1990, § 52 AO Anm. 3; Märkle/Alber, Betriebs-Berater -- BB -- 1990, Beilage 2; F. Lang, Finanz-Rundschau -- FR -- 1990, 353; Buchna, Steuer- Lexikon -- StLex -- 2, 51--68, 55; Scholz, Steuerberaterkongreß-Report 1990, 349, 354; Thiel/Eversberg, Der Betrieb -- DB -- 1990, 290, 295: § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 ist nur in ganz engem Rahmen analogie fähig).
3. Der erkennende Senat hält die Aufzählung in § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 nicht für abschließend.
a) Das im Eingangssatz des § 52 Abs. 2 AO 1977 enthaltende Wort "insbesondere" kennzeichnet die ihm nachfolgenden Aufzählungen als beispielhaft. Wortlaut und Syntax des § 52 Abs. 2 AO 1977 lassen nicht den Schluß zu, daß die Aufzählung in seiner Nr. 4 abschließend ist. Der Eingangssatz bezieht sich auf sämtliche ihm folgenden Aufzählungen, nicht nur auf die in den Nrn. 1 bis 3. Er endet mit einem Doppelpunkt und die diesem Satzzeichen folgenden nummerierten Aufzählungen sind jeweils mit einem Beistrich voneinander getrennt.
b) Aus der Entstehungsgeschichte des § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 ergibt sich nicht, daß der Gesetzgeber die Aufzählung in § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 als abschließend ansah und dies nur aufgrund eines Redaktionsversehens im Gesetz nicht zum Ausdruck kommt.
Der Wortlaut des § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 geht auf eine Beschlußempfehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung (Vereinsförderungsgesetz -- VereinsFG --) zurück (s. BTDrucks 11/5582 S. 7; s. a. BTDrucks 11/4176; VereinsFG vom 18. Dezember 1989, BGBl I 1989, 2212, BStBl I 1989, 499). Aus deren Begründung (BTDrucks 11/5582 S. 24/25) und aus den Reden der Berichterstatter des Finanzausschusses in der Plenardebatte über den Entwurf des VereinsFG am 9. November 1989 (s. Plenarprotokoll 11/174 S. 13202 [D], S. 13204 [D], S. 13205 [A] ) ergibt sich, daß die Aufzählung in § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 vom Finanzausschuß zwar möglicherweise zunächst als abschließend angesehen wurde, sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren aber schon im Finanzausschuß aufgrund einer Stellungnahme der Bundesregierung die Ansicht durchsetzte, eine zwar beispielhafte aber sehr detaillierte Aufzählung der als förderungswürdig angesehenen Freizeitaktivitäten außerhalb des Bereichs des Sports reiche aus, um eine unvertretbare Ausdehnung der Gemeinnützigkeit zu verhindern. Hätte der Gesetzgeber eine abschließende Aufzählung beabsichtigt, dann hätte es aufgrund der Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Formulierungsvorschlag des Finanzausschusses nahegelegen, im Eingangssatz des § 52 Abs. 2 AO 1977 das Wort "insbesondere" zu streichen oder auf andere Weise deutlich zu machen, daß die Aufzählung in § 52 Abs. 2 Nr. 4 im Gegensatz zu den Aufzählungen in den Nrn. 1 bis 3 abschließend ist.
4. Als Förderung der Allgemeinheit darf jedoch nur die Förderung solcher Freizeitaktivitäten außerhalb des Bereichs des Sports anerkannt werden, die hinsichtlich der ihre steuerrechtliche Förderung rechtfertigenden Merkmale mit den im Katalog des § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 genannten Freizeitgestaltungen identisch sind. Es reicht nicht aus, daß die Freizeitgestaltung sinnvoll und einer der in § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 genannten ähnlich ist. Der Senat folgt damit im wesentlichen der von Thiel/Eversberg (a. a. O.) vertretenen Auffassung.
a) Die Aufzählung in § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 umfaßt Freizeitaktivitäten aus mehreren Bereichen. Zum Teil sind die Bereiche weit gefaßt (z. B. Tierzucht und nicht Kleintierzucht). Andere Bereiche sind eingeschränkt, entweder durch einen einschränkenden Zusatz (z. B. traditionelles Brauchtum) oder dadurch, daß nur eine ganz konkrete Freizeitaktivität aus dem Bereich aufgeführt ist (z. B. aus dem Bereich des Bastelns nur der Modellflug, aus dem Bereich der Kommunikation mit Hilfe technischer Einrichtungen nur das Amateurfunken). Die Einschränkungen zeigen, daß nach dem Gesetz nicht jede Freizeitaktivität des betreffenden Bereichs steuerrechtlich förderungswürdig ist. Sie wären überflüssig, wenn die Förderung "ähnlicher" Freizeitaktivitäten stets als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen wäre. Die oben aufgeführten BTDrucks. bestätigen diese Auslegung.
b) Freizeitaktivitäten, die hinsichtlich der ihre steuerrechtliche Förderung rechtfertigenden Merkmale mit den im Katalog des § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 genannten Freizeitgestaltungen identisch sind, stehen jedoch diesen gleich. Das ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG), der nur eine auf sachgerechten Erwägungen beruhende Differenzierung gestattet (s. Urteil des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 10. Februar 1987 1 BvL 18/81 und 20/82, BVerfGE 74, 182, BStBl II 1987, 240), und aus der Tatsache, daß die Aufzählung in § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 nicht abschließend ist.
Welche Merkmale die steuerrechtliche Förderung einer Freizeitaktivität rechtfertigen können, ergibt sich abstrakt aus § 52 Abs. 1 Satz 1 AO 1977. Entscheidend ist daher, ob die Förderung der Freizeitaktivität in gleicher Weise und mindestens in gleichem Umfang wie die Förderung der in § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 aufgeführten Freizeitgestaltung des betreffenden Bereichs geeignet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet zu fördern.
5. Die Tätigkeit des Klägers ist nach § 52 Abs. 2 AO 1977 als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen. Die Förderung des Modellbaues und des Modellsports ist in gleicher Weise und in gleichem Umfang wie die Förderung des Modellflugs geeignet, die Allgemeinheit auf materiellem und geistigem Gebiet zu fördern.
a) Kennzeichnend für den Modellflug ist, daß verkleinerte Nachbildungen (Modelle) von Fluggeräten hergestellt und vorgeführt werden. Die Förderung des Modellflugs ist i. d. R. darauf gerichtete, detailgetreue und möglichst flugfähige Modelle von Fluggeräten herzustellen, die technisch oder historisch von Interesse sind. Der Bau derartiger Modelle setzt technische Kenntnisse, handwerkliches Können, Sorgfalt und Ausdauer voraus. Die Förderung des Modellflugs trägt somit dazu bei, Kenntnisse und Fähigkeiten zu erlangen und zu bewahren, die für die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland von erheblicher Bedeutung sind. Daß die Flugmodelle meist im Freien erprobt und vorgeführt werden, sieht der Senat nicht als entscheidendes Merkmal für die steuerrechtliche Förderungswürdigkeit des Modellflugs an. Die Kenntnisse und Fähigkeiten werden beim Bau der Modelle erworben und eingesetzt. Das Betreiben der Modelle im Freien ist -- jedenfalls bei den durch einen Verbrennungsmotor angetriebenen Modellen -- mit erheblichen Umweltbelastungen verbunden und daher eher ein Grund, der gegen eine steuerrechtliche Förderung des Modellflugs spricht.
b) Der Modellbau und Modellsport, den der Kläger fördert, trägt in gleicher Weise wie der Bau von Flugmodellen dazu bei, daß technische Kenntnisse und handwerk liche Fähigkeiten erlangt und ein ausdauerndes und sorgfältiges Arbeiten eingeübt werden. Der Umfang der vom Kläger geförderten technischen Kenntnisse und handwerklichen Fähigkeiten ist nicht geringer als bei einer Förderung des Modellflugs, da der Kläger den Bau von Schiff- und Automodellen fördert. Der Bau detailgetreuer Schiff- und Automodelle fördert technische Kenntnisse, handwerkliches Können, Sorgfalt und Ausdauer in gleicher Weise wie der Bau von Flugmodellen.
Fundstellen
Haufe-Index 420481 |
BFH/NV 1995, 1045 |