Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Sonstiges Körperschaftsteuer
Leitsatz (amtlich)
Wird eine Kapitalgesellschaft durch Verschmelzung von einer anderen Kapitalgesellschaft aufgenommen und erhalten die Gesellschafter der aufgenommenen Gesellschaft Anteile der aufnehmenden Gesellschaft mit einem höheren Nennwert als dem der von ihnen hingegebenen Anteile, so liegt in dem höheren Nennwert für die Gesellschafter, bei denen die Anteile der aufgenommenen Gesellschaft nicht zu einem Betriebsvermögen gehören, in der Regel keine Einkunft aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 2 Ziff. 1 EStG.
Der erkennende Senat tritt dem Rechtssatz 3 des Gutachtens des I. Senats des Bundesfinanzhofs I D 1/57 S vom 16. Dezember 1958 (BStBl 1959 III S. 30) bei.
Zur Anwendbarkeit des § 17 EStG bei späterer Veräußerung der neuen Anteile.
Normenkette
EStG § 20 Abs. 2 Ziff. 1, § 17; EStDV § 37 Abs. 2; KStG § 15 Abs. 2
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) war Gesellschafter der Firma A. GmbH" (abgekürzt: GmbH) und der "B. AG" (abgekürzt: AG), beide in X. Das Stammkapital der GmbH betrug 1 500 000 DM. Daran war der Bf. zu 40 v. H. beteiligt; weitere 40 v. H. und 20 v. H. besaßen die Gesellschafter C. und D. Vom Grundkapital der AG von 2 200 000 DM hatten der Bf. und die beiden anderen Gesellschafter der GmbH knapp die Hälfte in Besitz; die übrigen Aktien waren überwiegend in der Hand von zwei Großaktionären; der Rest war im Streubesitz. Die drei Gesellschafter der GmbH waren gleichzeitig Mitglieder des Aufsichtsrats der AG. Die GmbH war nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 als Auffanggesellschaft gegründet worden, um zunächst in der britischen Besatzungszone einen Teil der Tätigkeit der AG fortzusetzen, die ihren Betrieb in der sowjetischen Besatzungszone gehabt hatte. Nach der Konsolidierung der Verhältnisse schien es, wie die Beteiligten vortragen, zweckmäßig, die Unternehmen wieder zusammenzufassen.
Durch Vertrag vom 5. Oktober 1951 wurden demgemäß die AG und die GmbH gemäß § 249 des Aktiengesetzes (AktG) mit Wirkung ab 1. Juli 1951 verschmolzen; die AG übernahm das Vermögen der GmbH als Ganzes mit allen Rechten und Verbindlichkeiten. Sie gewährte den Gesellschaftern der GmbH entsprechend ihrem Beteiligungsverhältnis an der GmbH Inhaberaktien ihrer Gesellschaft im Nennbetrag von 1.650.000 DM. Im § 3 Abs. 1 des Verschmelzungsvertrags ist bestimmt: "Bei der Bemessung der Entschädigung der Gesellschafter der GmbH ist lediglich das Vermögen der GmbH am Währungsstichtag zugrunde gelegt, wie es sich buchmäßig aus der DM-Eröffnungsbilanz ergibt, die ein Kapital von 1 500 000 DM und eine besondere Reserve von 150 000 DM = 1 650 000 DM ausweist". Die AG erhöhte gleichzeitig ihr Grundkapital von 2 200 000 DM um 1 650 000 DM auf 3 850 000 DM. Der Bf. erhielt für seinen GmbH-Anteil von 600 000 DM Aktien im Nennwert von 660 000 DM. Das Vermögen der GmbH war anscheinend zur Zeit der Verschmelzung wesentlich größer als am 21. Juni 1948. Warum die Beteiligten die Abfindung der GmbH-Gesellschafter nach dem geringeren Vermögen der GmbH vom 21. Juni 1948 bemessen haben, ist aus den Akten nicht festzustellen.
Das Finanzamt sah in dem Mehrnennbetrag der Aktien über den GmbH-Anteil in Höhe von 60 000 DM einen dem Bf. zugeflossenen Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 2 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und zog ihn damit zur Einkommensteuer heran.
Das Finanzgericht wies die Sprungberufung als unbegründet zurück. Es führte im wesentlichen aus: Freianteile (Gratisaktien), die Gesellschafter von ihren Kapitalgesellschaften erhielten, seien besondere Entgelte oder Vorteile im Sinne des § 20 Abs. 2 Ziff. 1 EStG. Zweifelhaft sei aber, ob das auch gelte, wenn die neuen Anteile aus Anlaß einer Verschmelzung (Fusion) an die Gesellschafter der aufgenommenen Gesellschaft ausgegeben worden seien. Im Urteil VI A 805/31 vom 3. Februar 1932 (Reichssteuerblatt - RStBl - 1932 S. 464) habe der Reichsfinanzhof die Steuerpflicht für die neuen Anteile, auch soweit deren Nennwert den der hingegebenen Anteile überstiegen habe, verneint, weil der Mehrwert wegen der stillen Reserven im Vermögen der aufgenommenen Gesellschaft gewährt worden sei. Im Streitfall liege es aber anders. Im Fall des Reichsfinanzhofs sei nämlich nicht erkennbar gewesen, daß die bei der Verschmelzung über den Betrag des Grundkapitals der aufgenommenen Gesellschaft hinaus vorgenommene Kapitalerhöhung durch Umwandlung von offenen Reserven der aufgenommenen Gesellschaft durchgeführt worden sei; die Erhöhung sei vielmehr offenbar aus Mitteln der aufnehmenden Gesellschaft vorgenommen worden, um hierdurch den Gesellschaftern der aufgenommenen Gesellschaft eine angemessene Gegenleistung für die stillen Reserven zu gewähren. Bei einer solchen Sachlage würden tatsächlich die zusätzlich ausgegebenen Anteile mit Recht nicht als steuerpflichtige Freianteile angesehen. Im Streitfall sei aber die zusätzliche Erhöhung des Grundkapitals der AG in Höhe von 150 000 DM aus offenen Reserven der GmbH erfolgt. Entsprechend habe der Bf. für seinen GmbH-Anteil im Nennwert von 600 000 DM Aktien im Nennwert von 660 000 DM erhalten. Dieser Fall sei nicht anders zu beurteilen, als wenn die GmbH vor der Verschmelzung ihre offenen Reserven in Stammkapital umgewandelt und ihren Gesellschaftern Freianteile zugewendet hätte, die diese dann bei der Verschmelzung gegen Aktien im gleichen Nennwert ausgetauscht hätten. Wirtschaftlich mache es keinen Unterschied, ob die Reserven der GmbH vor oder bei der Verschmelzung aufgelöst würden. In beiden Fällen erhielten die Gesellschafter der GmbH zusätzliche Beteiligungen. Da der Bezug von Freianteilen steuerpflichtig sei, müsse das auch gelten, wenn die Reserven erst bei der Verschmelzung umgewandelt und dann neue Aktien ausgegeben würden.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Das Finanzgericht befindet sich in übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wenn es die Steuerpflicht von Freianteilen bejaht (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs I 165/54 S vom 17. September 1957 - Bundessteuerblatt (BStBl) 1957 III S. 401, Slg. Bd. 65 S. 437 -, VI 13/57 U vom 1. August 1958 - BStBl 1958 III S. 390 -). Freianteile sind aber im Streitfall nicht ausgegeben worden. Unter Freianteilen versteht man Anteilsrechte an Kapitalgesellschaften, deren Gegenwert die ausgebende Kapitalgesellschaft zugunsten der Gesellschafter durch Umwandlung von Gewinnen oder offenen Reserven in Gesellschaftskapital leistet, so daß die Gesellschafter die neuen Anteilsrechte ohne unmittelbare Gegenleistung erhalten. Im Streitfall haben weder die GmbH noch die AG dem Bf. Freianteile in diesem Sinne gewährt. Er hat vielmehr dafür, daß er zugunsten der AG seine Anteile an der GmbH aufgab, Aktien der AG in vereinbarter Höhe bezogen.
Es ist rechtsirrig, wenn das Finanzgericht die Rechtsprechung über die Steuerpflicht von Freianteilen auf den Fall der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften übertragen will. Für echte Fusionen - im Gegensatz zu den Fällen sogenannter unechter Fusionen - ist bereits in dem vom Finanzgericht angezogenen Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 805/31 a. a. O. ausgesprochen worden, daß die Gesellschafter der aufgenommenen Gesellschaft durch den Bezug von Gesellschaftsanteilen der aufnehmenden Gesellschaft gegen Hingabe der Anteile der aufgenommenen Gesellschaft keinen Veräußerungsgewinn verwirklichten. In dieser Entscheidung wird der Gedanke eines Tausches, der wirtschaftlich nicht zu einer Gewinnverwirklichung führe, in den Vordergrund gestellt. Der I. Senat des Bundesfinanzhofs hat in dem Gutachten I D 1/57 S vom 16. Dezember 1958 (BStBl 1959 III S. 30) in Abschnitt B IV 4 ausdrücklich an der Rechtsauffassung des Urteils des Reichsfinanzhofs VI A 805/31 festgehalten und bestätigt, daß bei einer echten Verschmelzung, bei der die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) vorliegen, in der Regel die wirtschaftliche Nämlichkeit der gewährten und hingegebenen Anteile zu bejahen sei; die Gewinnrealisierung könne nicht erzwungen werden, es sei denn, daß eine Steuerumgehung erkennbar sei. Der erkennende Senat tritt der Rechtsauffassung des I. Senats bei. Nach § 15 Abs. 2. KStG braucht bei einer echten Verschmelzung die aufgenommene Gesellschaft ihre stillen Reserven nicht der Liquidations-Körperschaftsteuer (§§ 15 Abs. 1, 14 KStG) zu unterwerfen, wenn sichergestellt ist, daß die aufnehmende Gesellschaft später diese Reserven bei sich der Körperschaftsteuer unterwirft. Das wird insbesondere dadurch erreicht, daß die aufnehmende Gesellschaft die Buchwerte der aufgenommenen Gesellschaft fortführt oder unterschreitet. Der Verzicht auf die sofortige Besteuerung der stillen Reserven der aufgenommenen Gesellschaft ist eine steuerliche Vergünstigung, um wirtschaftlich sinnvolle echte Verschmelzungen nicht durch steuerliche Maßnahmen zu erschweren. Der I. Senat ist wohl davon ausgegangen, daß es mit dem in § 15 Abs. 2 KStG zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers, die echte Fusion zu begünstigen, kaum zu vereinbaren wäre, zwar auf die Liquidations-Körperschaftsteuer zu verzichten, dagegen aber bei den Gesellschaftern der aufgenommenen Gesellschaft alsbald die Einkommensteuer zu erheben. Denn eine solche Besteuerung könnte auch leicht dazu führen, wirtschaftlich sinnvolle echte Fusionen scheitern zu lassen, weil die Gesellschafter die zur Entrichtung der Einkommensteuer fälligen Beträge nicht verfügbar haben.
Das Finanzgericht ist der Auffassung, der Tatbestand im Streitfall sei anders gelagert als im Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 805/31. Die von ihm dafür gegebene Begründung läßt das indessen keineswegs erkennen. Das Finanzgericht nimmt an, der Bf. habe den Mehrnennwert der Aktien gegenüber dem GmbH-Anteil aus den offenen Reserven der GmbH erhalten. Tatsächlich hat aber der Bf. von der GmbH nichts erhalten; er hat vielmehr nur von der AG Aktien bekommen. Die AG konnte diese Aktien ausgeben, weil ihr das Vermögen der GmbH zufloß. Die erwähnte Bestimmung in § 3 Abs. 1 des Verschmelzungsvertrags bedeutet nicht, wie das Finanzgericht anzunehmen scheint, daß dem Bf. entsprechend seiner Beteiligung offene Reserven der GmbH (40 v. H. von 150 000 DM) zugeflossen seien. In dieser Bestimmung haben die Beteiligten nur festgestellt, wie die Entschädigung an die Gesellschafter der aufzunehmenden GmbH zu bemessen ist. Wie der Bf. bisher unwidersprochen behauptet, ist um die Bemessung der Entschädigung an die Gesellschafter der GmbH hart gerungen worden. Das liegt auch nahe, weil an der AG auch andere Gesellschafter mit anderen Interessen wesentlich beteiligt waren. Man hat, wie bereits gesagt, für die Bemessung der Entschädigung der Gesellschafter der GmbH nicht das offenbar höhere Vermögen der GmbH im Zeitpunkt der Verschmelzung zugrunde gelegt, sondern ist vielmehr vom niedrigeren Vermögen der DM-Eröffnungsbilanz der GmbH ausgegangen.
Das Finanzgericht meint, Umgehungen sei Tür und Tor geöffnet, wenn man in Fällen der vorliegenden Art den Mehrnennwert der empfangenen Anteile nicht wie Freianteile besteuern würde; die Besteuerung von Freianteilen könnte durch den Abschluß von Verschmelzungsverträgen umgangen werden. Dieser Betrachtung vermag der Senat nicht zu folgen. Eine Verschmelzung ist ein Rechtsvorgang eigener Art. Nach der ständigen Rechtsprechung der Einkommensteuersenate des Bundesfinanzhofs sind von den Beteiligten geschaffene ernsthafte bürgerlich-rechtliche Gestaltungen auch für die steuerrechtliche Beurteilung maßgebend (vgl. z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs IV 329/51 S vom 6. März 1952, BStBl 1952 III S. 114, Slg. Bd. 56 S. 286, I 178/55 U vom 20. März 1956, BStBl 1956 III S. 179, Slg. Bd. 62 S. 482). Im übrigen haben Verschmelzungen so schwerwiegende Rechtsfolgen und verursachen gewöhnlich auch so erhebliche Kosten, daß die Gefahr des Mißbrauchs der Verschmelzung zur Umgehung der Besteuerung von Freianteilen nicht ohne weiteres wahrscheinlich ist, zumal wenn, wie im Streitfall, Gesellschafter mit widerstreitenden Interessen beteiligt sind. Sollte im Einzelfall eine mißbräuchliche Steuerumgehung vorliegen, so können, wie auch das erwähnte Gutachten des I. Senats annimmt, die Finanzbehörden auf Grund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise den Fall nach seinem wirklichen wirtschaftlichen Gehalt beurteilen. Die Umgehung ist dann aber mit den für den betreffenden Steuerfall getroffenen Feststellungen zu begründen. Der vorliegende Fall bietet bisher für eine mißbräuchliche Gestaltung zur Steuerumgehung keinen Anhalt.
Das Finanzamt meint, Wertsteigerungen der Beteiligung eines wesentlich beteiligten Gesellschafters, bei dem die Beteiligung nicht zu einem Betriebsvermögen gehört, könnten entgegen § 17 EStG der Besteuerung überhaupt entgehen, wenn die Erhöhung des Nennwerts der Beteiligung nicht alsbald als Einkunft aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Ziff. 1 EStG erfaßt werde. In der Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 805/31 a. a. O. ist bereits darauf hingewiesen worden, daß der Tauschgedanke, der einerseits gegenwärtig zur Steuerfreiheit des Mehrnennwerts führt, andererseits logisch dazu führen muß, bei späterer Veräußerung der neuen Anteile oder bei Liquidation der aufnehmenden Gesellschaft den Fall steuerlich so zu beurteilen, als ob die ursprüngliche, bei der Verschmelzung eingetauschte Beteiligung veräußert worden wäre. Insbesondere sind also, wenn die neuen Anteile veräußert werden oder die aufnehmende Gesellschaft aufgelöst wird, die Veräußerungsgewinne nach § 17 Abs. 2 EStG, § 37 Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EstDV) 1950 zu berechnen, wenn die hingegebene Beteiligung wesentlich im Sinne dieser Bestimmungen war, und zwar auch dann, wenn die im Tauschwege bezogene neue Beteiligung für sich allein nicht wesentlich im Sinne des § 17 EStG ist. Bei dieser Beurteilung wird - wiederum parallel zu § 15 Abs. 2 KStG - erreicht, daß Vermögenssteigerungen, die unter § 17 EStG fallen, keineswegs endgültig der Besteuerung entgehen; die Besteuerung wird vielmehr nur hinausgeschoben.
Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, wird wegen unrichtiger Anwendung von § 20 Abs. 2 Ziff. 1 EStG aufgehoben. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzgericht zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen. Es ist bisher nicht festgestellt, ob die übernahme der GmbH ein Fall einer echten Fusion im Sinne des § 15 Abs. 2 KStG ist. Ferner sind die Vorgänge bei der Verschmelzung noch nicht darauf geprüft worden, ob bestimmte Tatsachen im Streitfall auf eine Umgehung schließen lassen. Wenn auch die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß ein einwandfreier Fall einer echten Fusion vorliegt und die Verschmelzung eine ernsthaft gewollte und durchgeführte Maßnahme zu dem erstrebten wirtschaftlichen Ziel war, so scheint es doch dem Senat angebracht, dem Finanzgericht Gelegenheit zu geben, zu diesen Gesichtspunkten Stellung zu nehmen. Werden keine neuen wesentlichen Tatsachen festgestellt, so ist der streitige Betrag von 60 000 DM nicht der Einkommensteuer 1951 zu unterwerfen.
Fundstellen
Haufe-Index 409284 |
BStBl III 1959, 97 |
BFHE 1959, 245 |
BFHE 68, 245 |
BB 1959, 295 |
DB 1959, 276 |