Leitsatz (amtlich)
Übertragen die Minderheitsgesellschafter einer Organgesellschaft ihren Gewinnanspruch (Ausgleichsanspruch) im Wege der Nießbrauchsbestellung an ihren Geschäftsanteilen gegen Entgelt auf den beherrschenden Gesellschafter (Organträger), ist das von diesem den Minderheitsgesellschaftern gezahlte Entgelt für die Nießbrauchsbestellung bei der Organgesellschaft als eigenes Einkommen zu behandeln.
Normenkette
KStG 1961 § 6 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte - eine GmbH - ist Organgesellschaft der D-GmbH. Der zwischen der Klägerin und der D-GmbH geschlossene Ergebnisabführungsvertrag (EAV) vom 29. April/6. Mai 1960 ist vom Beklagten und Revisionskläger (dem FA) als steuerrechtlich wirksam anerkannt worden. Den Minderheitsgesellschaftern hatte der Organträger mit Schreiben vom 29. Juni 1960 - zunächst auf die Dauer von drei Jahren befristet - eine Dividendengarantie gegeben.
Mit notariellem Vertrag vom 16. Dezember 1961 räumten die Minderheitsgesellschafter der D-GmbH gegen Entgelt den Nießbrauch an ihren Geschäftsanteilen an der Klägerin ein. Das Gewinnbezugsrecht sollte vom 1. Januar 1961 ab der D-GmbH zustehen, während die Mitverwaltungsrechte (einschließlich des Stimmrechts) ihnen verbleiben sollten. Die Dividendengarantie wurde aufgehoben.
Bei Durchführung der Veranlagung der Klägerin für das Streitjahr (1961) behandelte das FA die von der D-GmbH an die Minderheitsgesellschafter gezahlten Entgelte für die Nießbrauchsbestellung steuerrechtlich wie eine Dividendengarantie und setzte sie demgemäß dem Gewinn der Klägerin als eigenes Einkommen der Organgesellschaft hinzu. Die hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG führte aus:
Auch die dem Gesellschafter garantierte Dividende sei Ausfluß seines Gesellschaftsrechts. Sie fließe - unbeschadet der Frage, ob den Minderheitsgesellschaftern ein eigener Rechtsanspruch gegen den Organträger zustehe - den Gesellschaftern wirtschaftlich über die Organgesellschaft zu und erhöhe deshalb deren Gewinn (Gutachten des BFH vom 27. November 1956 I D 1/56 S, BFHE 64, 368, BStBl III 1957, 139). Demgegenüber beruhten die streitigen Vergütungen für die Nießbrauchsbestellung nicht auf gesellschaftsrechtlicher, sondern auf schuldrechtlicher Grundlage (Hinweise auf das BFH-Urteil vom 12. Dezember 1969 VI R 301/67, BFHE 97, 546, BStBl II 1970, 212, mit dem über den parallel geführten Rechtsstreit eines Minderheitsgesellschafters der Klägerin zur Frage der Einordnung seiner Einkünfte als solcher aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung entschieden worden sei). Auch wenn die Gesellschafter in dem vereinbarten Entgelt wirtschaftlich gesehen den Ertrag ihres ihnen nach wie vor verbliebenen Kapitalanteils zu sehen hätten, so fließe er ihnen doch nicht über die Klägerin (als Organgesellschaft) und nicht auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage zu. Hätte der BFH im Urteilsfalle VI R 301/67 die Auffassung der Klägerin geteilt, würde er dem klagenden Gesellschafter nicht die Berlin-Präferenz nach § 2 Nr. 5 Buchst. a des Gesetzes über Steuererleichterungen und Arbeitnehmervergünstigungen in Berlin (West) in der Fassung vom 26. Juli 1962 - StErlG 1962 - (BStBl I 1962, 1007) versagt haben.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des FA mit dem Antrag, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Zur Begründung führt es aus:
Schuldner der Entgelte sei in der Tat allein die D-GmbH, die ihren Sitz im Bundesgebiet, nicht in Berlin (West) habe. Deshalb habe der BFH im Urteil VI R 301/67 dem Empfänger der Entgelte die Steuervergünstigung versagen müssen. Er habe indes zugleich dargelegt, daß die Minderheitsgesellschafter der Klägerin ihre Gewinnbezugsrechte nur auf beschränkte Zeit abgetreten hätten. Daß sie der D-GmbH auch ein dingliches Recht eingeräumt hätten, habe zwar für diese eine zusätzliche rechtliche Sicherung bedeutet, habe indes am wirtschaftlichen Gehalt des Vertrages nichts ändern können. Die Minderheitsgesellschafter der Klägerin hätten somit wirtschaftlich das Entgelt als Ertrag ihrer ihnen nach wie vor verbliebenen Kapitalanteile bezogen. - Die Nießbrauchsbestellung sei somit eine Folge des Organverhältnisses zwischen der Klägerin und der D-GmbH. Bestünde dieses Organverhältnis nicht, hätten die Gesellschafter der Klägerin keinen Anlaß gehabt, der D-GmbH einen Nießbrauch an ihren Kapitalanteilen zu bestellen und so deren Stellung als Organträger noch mehr zu stärken. Keinesfalls aber könne das Bestehen des Organverhältnisses bei der Beurteilung der durch die Nießbrauchsbestellung geschaffenen Rechtslage außer Betracht bleiben. Nach Grieger (BB 1957, 393) dürfe die Organlehre nicht dazu benutzt werden, den Beteiligten ungerechtfertigte Steuervorteile zu verschaffen; so könnten die Beteiligten "durch keine der möglichen Gestaltungen die steuerliche Folge ausräumen, daß Zahlungen, die das beherrschende Unternehmen dem Minderheitsgesellschafter für die Überlassung seiner Gewinnrechte leistet, das eigene steuerliche Einkommen des Organs erhöhen. Auch auf die Bezeichnung der Zahlungen kommt es nicht an".
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es treffe nicht zu, daß der BFH mit dem Gutachten I D 1/56 S und dem Urteil VI R 301/67 allen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, die zu einem der garantierten Dividende annähernd gleichen Ergebnis führten, die Grundlage habe entziehen wollen. Angesichts der bereits dem FG dargelegten essentiellen Unterschiede zwischen Dividendengarantie und Nießbrauchsbestellung sei eine Gleichsetzung von Nießbrauchsvergütung und garantierter Dividende nicht möglich. Es treffe auch nicht zu, daß die Nießbrauchsbestellung an den Kapitalanteilen der Minderheitsgesellschafter eine Folge des bestehenden Organverhältnisses gewesen sei. Nicht ohne Grund habe der BFH deshalb im Urteil VI R 301/67 ausgeführt, daß die Nießbrauchsbesteller von der Nießbrauchsberechtigten "ein völlig anders geartetes Entgelt - also keine Gewinnbeteiligung - erhalten" hätten.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
1. Wie der erkennende Senat unter Bezug auf das Gutachten des BFH I D 1/56 S mit Urteil vom 25. Juli 1961 I 104/60 S (BFHE 73, 597, BStBl III 1961, 483) entschieden hat, unterliegen Beträge, die das beherrschende Unternehmen (der Organträger) an den oder die Minderheitsgesellschafter des abhängigen Unternehmens (der Organgesellschaft) aufgrund einer im Rahmen eines EAV gegebenen Dividendengarantie zahlt, bei diesem als eigenes Einkommen der Erfolgsbesteuerung. Sie sind - jedenfalls seit dem Inkrafttreten der Vorschrift des § 7a Abs. 3 KStG als berücksichtigungsfähige Ausschüttungen zu behandeln. Im Streitfall fehlt es für den Veranlagungszeitraum 1961 an einer solchen Dividendengarantie, nachdem diese mit Wirkung vom 1. Januar 1961 ab aufgehoben wurde. Vielmehr haben die Minderheitsgesellschafter dem Organträger mit Wirkung vom gleichen Tage ab - zunächst bis zum 31. Dezember 1969 zeitlich begrenzt - im Wege der Nießbrauchsbestellung ein Gewinnbezugsrecht an ihren Kapitalanteilen gegen Entgelt eingeräumt.
a) Der Nießbrauch ist ein dingliches Recht; der Nießbraucher ist nicht auf schuldrechtliche Ansprüche gegen den Besteller des Nießbrauchs beschränkt. Gegenstand eines Nießbrauchs kann auch ein Recht sein; die Bestellung des Nießbrauchs an einem Recht erfolgt nach den für die Übertragung dieses Rechts geltenden Vorschriften (§§ 1068, 1069 BGB). Der Ausschluß einzelner Nutzungen ist zulässig (§§ 1068 Abs. 2, 1030 Abs. 2 BGB). Bedenken gegen die Nießbrauchsbestellung vom 16. Dezember 1961 bestehen weder in formeller noch in materieller Hinsicht. Das FG hat sie danach zu Recht als rechtsgültig angesehen.
b) Dennoch kann die von der D-GmbH und den Gesellschaftern der Klägerin gewählte Rechtsform bei wirtschaftlicher Betrachtung ihres inneren Gehalts gemäß § 1 Abs. 2 und 3 StAnpG zu keiner anderen steuerrechtlichen Behandlung der Klägerin führen, als die Leistung einer Ausgleichszahlung ("Dividendengarantie") für den Verlust des Dividendenanspruchs ihrer Minderheitsgesellschafter seitens der D-GmbH sie auslöst. Die D-GmbH hat aufgrund des EAV Anspruch auf Auskehrung des vollen Gewinns der Klägerin. Die von ihr aufgrund der Nießbrauchsbestellung geleisteten Entgelte hatten deshalb nicht den Zweck, ihr weitertgehende Rechte zu verschaffen als sie ihr bereits ohnehin zustanden. Sie konnten deshalb nur als die Gegenleistung für den Verzicht der Minderheitsgesellschafter auf ihren Anspruch auf die Ausgleichszahlung verstanden werden, auf die nunmehr aufgrund des Nießbrauchs die D-GmbH an deren Stelle Anspruch hatte. Der Klägerin mußten deshalb auch in diesem Falle die Mittel als eigenes Einkommen verbleiben, die sie zur Ausgleichszahlung an den Nießbraucher (Gewinnbezugsberechtigten) ihrer Minderheitsgesellschafter benötigte, d. h. zumindest Mittel in der Höhe, wie die D-GmbH sie zur Erlangung der Verzichtserklärung und Überleitung der Gewinnbezugsrechte der Minderheitsgesellschafter auf sich selbst aufgewendet hatte.
Fundstellen
Haufe-Index 70576 |
BStBl II 1973, 791 |
BFHE 1974, 184 |