Leitsatz (amtlich)
1. Werden in einem Kaufvertrag zur Abwendung eines Enteignungsverfahrens nach dem Landbeschaffungsgesetz Zinsen zwischen den Vertragsparteien nicht vereinbart, so können Zinsen für die Zeit vor Abschluß des notariellen Kaufvertrages nur dann anfallen, wenn der Enteignungsberechtigte bereits vor diesem Zeitpunkt wirtschaftliches Eigentum erlangt hat.
2. Ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums vor Abschluß des Kaufvertrages liegt regelmäßig dann vor, wenn der Enteignungsberechtigte vorzeitig uneingeschränkt in den Besitz des Grundstücks eingewiesen worden ist.
2. Wurde das Grundstück bereits vor dem 5. Mai 1955 durch die Besatzungsmächte in Anspruch genommen (sog. Altrequisition), so ist für die Berechnung des Zinsanteils der 5. Mai 1955 als der gesetzlich fingierte Besitzeinweisungszeitpunkt maßgeblich.
Normenkette
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 4, § 24 Nr. 3; LBeschG § 17 Abs. 3-4, § 64
Tatbestand
Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung des Klägers (Kläger), ob in dem Kaufpreis, den der Kläger für den Verkauf von Nutz- und Miteigentumsanteilen an einem Grundstück in Verbindung mit dem Landbeschaffungsgesetz (LBeschG) erhielt, Zinsen enthalten sind, die als Einnahmen aus Kapitalvermögen der Einkommensbesteuerung unterliegen.
Der Kläger war Mitglied der Ganerbschaft A, die bis in das 16. Jahrhundert zurückreicht. In dieser Eigenschaft standen ihm frei veräußerliche Nutzanteile an dem Distrikt A und Miteigentumsanteile (Bruchteilseigentum) am Distrikt B zu. Der Grundbesitz der Ganerbschaft wurde seit dem Jahre 1953, mit Ausnahme eines Teiles des Distrikts B, von der ...-Besatzungsmacht als Truppenübungsplatz beansprucht.
Der Kläger schloß am 5. Januar 1965 mit der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) einen Kaufvertrag in Verbindung mit dem Landbeschaffungsgesetz vom 23. Februar 1957 (BGBl I 1957, 134), wonach er an diese die Nutzanteile und die Miteigentumsanteile für insgesamt 26 725,94 DM veräußerte. Daneben erhielt er eine anteilige Vergütung für Belegungsschäden und eine anteilige Entschädigung für andere, der Ganerbschaft entstandene Kosten.
Der Kaufpreis wurde ihm im gleichen Jahre ausbezahlt.
Aufgrund einer ihm zugegangenen Mitteilung der Bundesvermögensstelle, in der diese darauf hinwies, daß der vereinbarte Kaufpreis in einen "reinen" Kaufpreis und einen Zinsanteil aufzuteilen sei, änderte der Beklagte und Revisionskläger (FA) im Jahre 1971 den rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid 1965 und erhöhte die Einkünfte aus Kapitalvermögen um einen Zinsanteil von 9 308 DM. Zur Begründung führte das FA aus, daß der Ankauf, auch wenn er freihändig vereinbart worden sei, auf den Tag der vorzeitigen Besitzeinweisung (nach § 64 Abs. 1 LBeschG: der 5. Mai 1955) zurückwirke. Von diesem Zeitpunkt an sei der Kaufpreis mit dem auf dem Kapitalmarkt üblichen Normalzinsfuß zu verzinsen und der entsprechend im Streitjahr insgesamt zugeflossene Zinsbetrag - mit dem ermäßigten Steuersatz im Rahmen des § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG - zu versteuern.
Der vom Kläger mit Zustimmung des FA erhobenen Sprungklage gab das FG statt. Es führte im wesentlichen aus: Die Zahlung sei in vollem Umfang Kaufpreiszahlung. Das Steuerrecht dürfe die Vertragsgestaltung der Parteien nur in Ausnahmefällen unbeachtet lassen. Im Streitfall seien weder Zinsen noch Nutzungsentschädigungen vereinbart. Der Kläger habe eine solche Vereinbarung sogar ausdrücklich abgelehnt. Insbesondere könne die Vorschrift des § 17 Abs. 4 LBeschG, die im Enteignungsfall eine Verzinsung vorsehe, zur Bestimmung dessen, was Kaufpreis sei, nicht herangezogen werden. Darauf, wie die Bundesrepublik als Vertragspartner den Preis intern berechnet habe, komme es nicht an.
Mit der Revision beantragt das FA, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Es rügt Verletzung materiellen Rechts (§ 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG, § 1 Abs. 3 StAnpG, §§ 64 Abs. 1 und Abs. 3 sowie 17 Abs. 3 und 4 LBeschG). Der Kläger macht mit seiner Gegenrüge geltend, daß während der gesamten Zeit zwischen der Inanspruchnahme des Geländes durch die ...-Besatzungsmacht bis zum Abschluß des Kaufvertrages allein die Ganerbschaft den Grund- und Forstbesitz nutzte, verwaltete und die anfallenden Lasten trug. Als Truppenübungsplatz seien höchstens 10 v. H. beansprucht worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Aus dem vom FG festgestellten Sachverhalt ergibt sich nicht, ob das dem Kläger zugeflossene Entgelt als Gesamtkaufpreis in eine Gegenleistung für die Veräußerung des Grundstücks und einen Zinsanteil zu zerlegen ist. Bei der Beurteilung dieser Frage ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:
1. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 25. Juni 1974 VIII R 163/71 (BFHE 114, 463, BStBl II 1975, 431) die rückwirkende Aufteilung eines Kaufpreises in einen Kapital- und Zinsanteil im Anschluß an die ständige Rechtsprechung des BFH (vgl. zuletzt Beschluß vom 24. August 1973 VI B 38/73, BFHE 110, 275, StRK, Einkommensteuergesetz, § 10 Abs. 1 Ziff. 1, Rechtsspruch 121, mit weiteren Nachweisen) als grundsätzlich unzulässig abgelehnt. Er ging dabei davon aus, daß eine vertragliche Gestaltung, die an einen wirtschaftlich nicht verwirklichten und deshalb fingierten Sachverhalt anknüpft, steuerrechtlich nicht anerkannt werden kann. Ob in einer Zahlung Zinsanteile enthalten sind, sei vielmehr allein danach zu beurteilen, ob und inwieweit diese Zahlungen bei wirtschaftlicher Betrachtung (§ 1 Abs. 3 StAnpG) eine Vergütung für den Gebrauch eines dem Käufer überlassenen Geldkapitals darstellten. Das ist beim Erwerb eines Grundstücks - unabhängig davon, ob die Vertragsparteien Zinsen für die Vergangenheit vereinbarten - dann anzunehmen, wenn Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten und damit das wirtschaftliche Eigentum am Kaufgegenstand bereits vor Abschluß des notariellen Kaufvertrags und in Erwartung der Übertragung bürgerlich-rechtlichen Eigentums auf den Käufer übergehen.
Diesem Fall ist nach Ansicht des Senats die - uneingeschränkte - Besitzeinweisung oder eine ihr vergleichbare behördliche Maßnahme im Rahmen eines Enteignungsverfahrens oder eines freihändigen Ankaufs zur Abwendung eines solchen Verfahrens gleichzustellen (zur Gleichstellung von Enteignung und Vertrag zur Abwendung der Enteignung vgl. z. B. BFH-Urteil vom 21. April 1966 VI 366/65, BFHE 85, 448, BStBl III 1966, 460).
2. Diese Grundsätze gelten auch für die in den §§ 64 ff. LBeschG geregelten sogenannten Altrequisitionen.
a) Nach § 64 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 LBeschG gilt die Inanspruchnahme von Grundstücken für Truppenübungsplätze durch die Besatzungsmächte als vorzeitige Besitzeinweisung i. S. des § 38 LBeschG zum 5. Mai 1955 12.00 Uhr. Diese Fiktion der Besitzeinweisung hat zwar in erster Linie die Bedeutung, daß die betroffenen Grundstückseigentümer von diesem Stichtag an nicht mehr Nutzungsentschädigungen nach Art einer Miete oder Pacht erhalten, sondern eine Besitzeinweisungsentschädigung nach § 38 Abs. 4 LBeschG (vgl. dazu Danckelmann, Landbeschaffungsgesetz, Kommentar, 1959, § 64 Anm. 5) und daß die erste "Rate" dieser Besitzeinweisungsentschädigung - die als Nutzungsvergütung i. S. des § 24 Nr. 3 EStG anzusehen ist (BFH-Urteil vom 14. Juni 1963 VI 216/61 U, BFHE 77, 169, BStBl III 1963, 380, zur Rechtslage vor dem Steueränderungsgesetz 1965) - am 5. Mai 1955 fällig wurde (§ 40 Abs. 2 LBeschG).
Aus dieser Fiktion folgt aber auch, daß eine wegen nachfolgender Enteignung zu zahlende Enteignungsentschädigung am 5. Mai 1955 fällig wurde. Denn nach § 17 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 LBeschG sind Geldentschädigungen mit Wirksamwerden der vorzeitigen Besitzeinweisung zu "verzinsen". Diese Verzinsung ist nach Ansicht des Senats keine andere Form der Nutzungsvergütung neben (so z. B. von Schalburg, Landbeschaffungsgesetz, Kommentar, 1957, § 17 Anm. 10 und § 38 Anm. 7) oder anstelle (Urteil des BGH vom 14. November 1963 III ZR 141/62, Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, Art. 14 [Ea] GG Nr. 36; Danckelmann, a. a. O., § 17 Anm. 6 und § 38 Anm. 5) der Besitzeinweisungsentschädigung, sondern Entgelt für die Nutzung der mit diesem Zeitpunkt - durch die nachfolgende Enteignung bedingt - entstandenen Enteignungsentschädigung (im Ergebnis ebenso BGH-Urteil vom 4. Juni 1962 III ZR 163/61, BGHZ 37, 269, und im Anschluß hieran BFH-Urteil vom 3. September 1964 IV 97/63 U, BFHE 80, 467, BStBl III 1964, 643).
Dies ergibt sich - vom Wortlaut der §§ 17 Abs. 4 LBeschG und 24 Nr. 3 EStG abgesehen - aus der rechtlichen und wirtschaftlichen Wirkung der vorzeitigen Besitzeinweisung. Liegen die Voraussetzungen einer Enteignung nach dem Landbeschaffungsgesetz vor, so ist der Entzug von Besitz und Nutzungsmöglichkeit auf Dauer nur von der Entscheidung der Enteignungsbehörde abhängig. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, daß auch der Substanzwert des Grundstücks und damit das wirtschaftliche Eigentum bereits im Zeitpunkt der Besitzeinweisung auf den Begünstigten übergegangen ist (vgl. BFH-Urteil vom 26. Januar 1970 IV R 144/66, BFHE 97, 466, BStBl II 1970, 264, betreffend Kaufoption, und BFH-Urteil vom 18. November 1970 I 133/64, BFHE 100, 516, BStBl II 1971, 133, betreffend Mietkaufvertrag). Der Zeitpunkt der Besitzeinweisung ist deshalb auch als der enteignungsrechtlich maßgebliche Zeitpunkt des Eingriffs für die Berücksichtigung der den Zustand des Grundstücks prägenden wertbildenden Faktoren anzusehen (§ 17 Abs. 3 LBeschG).
b) Für die Fälle der Altrequisitionen gilt entgegen der Ansicht des Klägers nichts anderes. Hier hat der Gesetzgeber zwar den Besitzeinweisungszeitpunkt fingiert. Aber erst mit diesem Zeitpunkt ist - soweit die Beschlagnahme vor dem Besitzeinweisungszeitpunkt liegt - der Entschädigungsanspruch der Höhe nach ausreichend konkretisiert. Für die Zeit vor dem 5. Mai 1955 sieht das Gesetz eine Enteignungsentschädigung und deren Verzinsung nicht vor. Werden deshalb von den Vertragsparteien Zinsen für die Zeit ab Besitzeinweisung vereinbart, so entspricht dies den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen vor Abschluß des notariellen Kaufvertrages. Die Zinsen unterliegen der Einkommensteuer (BFH-Urteil vom 21. April 1966 VI 366/65). Dasselbe gilt, wenn die Parteien Zinsen vereinbart haben, ohne daß dies in der Vertragsurkunde zum Ausdruck kommt, also insbesondere auch in den Fällen der Vereinbarung eines Gesamtpreises zur Entschädigung für das Grundstück und zur Abgeltung des gesetzlichen Zinsanspruchs (§ 17 Abs. 4 LBeschG). Auf die Bezeichnung des Entgelts kommt es insoweit nicht an. Haben die Parteien Zinsen nicht vereinbart, so ist davon auszugehen, daß eine Enteignungsentschädigung nur dann angemessen ist, wenn im Zeitpunkt der Entziehung des Substanzwertes der dafür zu gewährende Geldgegenwert dem Enteigneten sofort zur Nutzung anstelle des entzogenen Substanzwerts zur Verfügung steht oder ihm - bei einstweiliger Vorenthaltung des Geldgegenwerts - die dadurch entgangene Nutzung des Entschädigungsbetrages ersetzt wird. Der Verkäufer bezieht - wie bei längerfristiger Stundung - Zinsen in Höhe der Differenz zwischen den tatsächlich gezahlten Beträgen und dem - durch Abzinsung ermittelten - Entschädigungsanspruch (Hinweis auf § 12 Abs. 3 BewG 1965).
3. An diesem Ergebnis ändert sich grundsätzlich nichts dadurch, daß die Bundesrepublik nicht das Grundstück selbst, sondern nur die dem Kläger gehörenden Anteile an der Ganerbschaft erworben hat. Soweit die Ganerbschaft als altrechtliche Realgemeinde oder als ein dieser ähnlicher Verband dem Berechtigten selbst frei veräußerliche Nutz- und Miteigentumsanteile einräumt (vgl. dazu Staudinger-Promberger, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Kommentar, 10./11. Aufl., 1973, Teil 1, Art. 164 Rdnr. 13, 21, 29, mit Hinweisen auf das bayerische Landesrecht), sind allein die Ganerben berechtigt, über ihre Mitgliedschaftsrechte zu verfügen. Solche Mitgliedschaftsrechte können auch Gegenstand einer Enteignung für Zwecke der Landbeschaffung sein (vgl. z. B. von Schalburg, a. a. O., § 12 Bem. 4). Gegen eine solche Annahme bestehen jedenfalls solange keine Bedenken, als Ziel einer solchen Enteignung die Herrschaft des Enteignungsbegünstigten über das gesamte Grundstück ist. Wird dieses Ziel ganz oder teilweise anstelle einer Enteignung durch Ankauf einzelner Ganerbenanteile angestrebt, so entspricht dies der von Art. 14 des Grundgesetzes geforderten Wahl des verhältnismäßigen Mittels (vgl. dazu Urteil des BVerfG vom 18. Dezember 1968 1 BvR 638/64 u. a. , BVerfGE 24, 367 [404 ff.]).
Im Streitfall ist weiter zu beachten, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Mittels auch bei der Auswahl und dem Umfang der durch Enteignung zu beschaffenden Fläche berücksichtigt werden muß (vgl. z. B. Urteil des BVerwG vom 18. August 1974 I C 48.63, BVerwGE 19, 171, und BVerfG-Urteil 1 BvR 638/64 u. a. [416 ff.]). Danach lagen und liegen die Enteignungsvoraussetzungen hinsichtlich eines - von der Besitzeinweisung nicht erfaßten - Teiles des Distrikts B nicht vor. Zumindest aber fehlt es insoweit an einer wirtschaftliches Eigentum des Enteignungsbegünstigten begründenden, vorzeitigen Besitzeinweisung, die es rechtfertigte, das Entgelt für die Ganerbenanteile einheitlich zu beurteilen. Sollte die vom FG noch vorzunehmende weitere Sachaufklärung ergeben, daß der für den Distrikt A gezahlte Kaufpreis abzuzinsen ist, dann ist der auf den Distrikt B entfallende Kaufpreisanteil entsprechend den von der Rechtsprechung des BFH aufgestellten Grundsätzen zur Aufteilung eines Gesamtkaufpreises (vgl. Urteile vom 19. Dezember 1972 VIII R 124/69, BFHE 108, 168, BStBl II 1973, 295; vom 21. Januar 1971 IV 123/65, BFHE 102, 464, BStBl II 1971, 682) zu ermitteln. Danach ist zunächst dieser Anteil aus dem Gesamtkaufpreis auszuscheiden und der verbleibende Restkaufpreis mit einem Zinsfuß von 5,5 % abzuzinsen.
4. Mit diesen Grundsätzen stimmt die Vorentscheidung nicht überein. Die Sache ist nicht spruchreif. Die Vorentscheidung enthält insbesondere keine tatsächlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen des wirtschaftlichen Eigentums - deren Vorliegen der Kläger mit seiner Gegenrüge bestreitet - und zum objektiven Wert der Grundstücksteile.
Fundstellen
Haufe-Index 71783 |
BStBl II 1976, 293 |
BFHE 1976, 534 |