Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
Der Bundesfinanzhof tritt der Entscheidung des Reichsfinanzhofs II 47/43 vom 26. August 1943 (RStBl. 1943 S. 814) darin bei, daß eine Vereinigung aller Anteile einer Gesellschaft in einer Hand auch dann anzunehmen ist, wenn alle Anteile mit Ausnahme wirtschaftlich bedeutungsloser Zwerganteile in einer Hand vereinigt werden, nicht aber darin, daß der Zwerganteilsbesitz wirtschaftlich bedeutungslos nur dann ist, wenn er im ganzen 1 v. H. des Gesellschaftskapital nicht überschreitet.
Unter welchen Voraussetzungen findet die Steuerbefreiungsvorschrift des Artikels 77 REG (brit.) bei der Auflösung von Treuhandverhältnissen Anwendung?
Normenkette
GrEStG § 1 Abs. 3 Ziff. 1, § 1/3/2
Tatbestand
An dem 150.000 RM betragenden Stammkapital einer GmbH, zu deren Vermögen Grundstücke gehören, war die Beschwerdeführerin (Bfin.), eine englische Gesellschaft, mit 148.000 RM beteiligt, während zwei weitere Geschäftsanteile von je 1.000 RM Engländern zustanden, von denen einer der Verwaltung der Bfin. angehört. Im Jahre 1937 wurden die GmbH-Anteile an mehrere deutsche Treuhänder abgetreten; die Treuhänder verpflichteten sich, die Anteile jederzeit unentgeltlich an die Treugeber oder an die von diesen bezeichneten Personen zurückzuübertragen. Nach dem Vorbringen der Bfin. wurde die übertragung vorgenommen, weil der Hinweis von Mitbewerbern darauf, daß sich das Unternehmen in englischem Besitz befinde, aus Existenzgründen zur Tarnung zwang. Im Jahre 1949 übertrugen die Treuhänder insgesamt 148.000 DM an die Bfin., je 1.000 DM an das Mitglied der Verwaltung der Bfin. und an einen anderen Engländer. Diesen Rechtsvorgang zog das Finanzamt zur Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Absatz 3 des Grunderwerbsteuergesetzes heran. Der Einspruch blieb, abgesehen von einem jetzt erledigten Punkt, erfolglos, und ebenso die Berufung.
Entscheidungsgründe
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) verlangt die Bfin. Freistellung von der Grunderwerbsteuer. Sie hatte mündliche Verhandlung beantragt. Der Senat wies durch Bescheid die Rb. als unbegründet zurück. Auf Antrag der Bfin. wurde mündliche Verhandlung anberaumt. Auch nach nochmaliger Prüfung bejaht der Senat die Grunderwerbsteuerpflicht.
Auch die übertragung vom Treugeber an den Treuhänder und die Rückübertragung vom Treuhänder an den Treugeber sind grunderwerbsteuerpflichtig; das Grunderwerbsteuergesetz stellt auf die übertragung des rechtlichen Eigentums ab.
Der vorliegende Fall ist dem der rechtlichen Vereinigung aller Anteile gleichzustellen. Es wurden zwar 1,33 v. H. der Anteile nicht an die neue Hauptgesellschafterin, sondern an Dritte abgetreten. Die Entscheidung des Reichsfinanzhofs II 47/43 vom 26. August 1943 (Reichssteuerblatt 1943 S. 814) hält es nur dann für möglich, Zwerganteile als "so gut wie nicht vorhanden" anzusehen, wenn der Zwerganteilsbesitz 1 v. H. des Gesellschaftskapitals nicht übersteigt. An dieser starren Grenze hält der Senat grundsätzlich nicht mehr fest; er nimmt vielmehr auch im vorliegenden Fall an, daß die Hauptgesellschafterin praktisch allein den bestimmenden Einfluß auf die Geschäftsführung der Gesellschaft hat und der Zwerganteilsbesitz wirtschaftlich bedeutungslos ist.
Die Bfin. nimmt die Befreiungsvorschrift des Artikels 77 des Gesetzes Nr. 59 der britischen Militärregierung (Rückerstattungsgesetz - REG -) in Anspruch. Nach dieser Bestimmung werden Steuern aus Anlaß der Rückerstattung nicht erhoben. Nach Artikel 5 Absatz 1 finden die Vorschriften des III. bis VII. Abschnittes des Gesetzes keine Anwendung auf Treuhandverträge, die abgeschlossen worden sind, um einen aus den Gründen des Artikels 1 drohenden oder eingetretenen Vermögensschaden abzuwenden oder zu mindern. Hiernach findet die im Abschnitt XVI stehende Befreiungsvorschrift des Artikels 77 auf die bezeichneten Treuhandverträge Anwendung, wenn auch die Rückübertragungsverpflichtung des Treuhänders aus den Treuhandverträgen bereits nach bürgerlichem Recht begründet ist. Es ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Artikels 5 Absatz 1 hier vorliegen. Dabei ist die Bestimmung nicht für sich allein, sondern im Zusammenhang mit allen anderen Bestimmungen des REG und nach dessen Sinn und Zweck auszulegen.
Der zweite Absatz des gleichen Artikels 5 bestimmt, daß der "Berechtigte" Verträge der in Absatz 1 bezeichneten Art jederzeit kündigen kann. Nach der Begriffsbestimmung des Artikels 1 Absatz 4 des Gesetzes werden diejenigen, die einen Rückerstattungsanspruch auf feststellbare Vermögensgegenstände geltend machen können, als "Berechtigte" bezeichnet. Nur solche Personen können einen Rückerstattungsanspruch geltend machen, denen feststellbare Vermögensgegenstände ungerechtfertigt entzogen worden sind (Artikel 1 Absatz 1 Satz 1). Ungerechtfertigte Entziehung setzt u. a. voraus, daß "das Rechtsgeschäft, die Wegnahme oder die sonst in Betracht kommende Handlung eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des Artikels 1 darstellte oder sich aus einer solchen Verfolgungsmaßnahme ergab" (Artikel 2 Absatz 1 letzter Halbsatz). Es ergibt sich also folgende Kette von Schlußfolgerungen:
Treuhandvertrag im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 liegt nur vor, wenn der Treugeber "Berechtigter" gewesen ist.
"Berechtigter" ist nur, wem Vermögensgegenstände ungerechtfertigt entzogen worden sind, oder, auf Treuhandverträge bezogen, wem die ungerechtfertigte Entziehung von Vermögensgegenständen drohte.
Ungerechtfertigte Entziehung ist nicht möglich ohne Verfolgungsmaßnahmen.
Also d) Ein Treuhandvertrag im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 setzt eine Verfolgungsmaßnahme voraus.
Von Verfolgungsmaßnahmen kann nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes nur dann die Rede sein, wenn Maßnahmen in einem inneren Zusammenhang mit den Zielen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft standen, wenn sie nationalsozialistisch gefärbt waren. Im Jahre 1937, als die GmbH-Anteile treuhänderisch von Engländern an Deutsche übertragen wurden, hatte der Hinweis auf die britische Staatsangehörigkeit der Gesellschafter eines Unternehmens durch dessen Mitbewerber mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun. Hätte in der damaligen Zeit ein Engländer gegen einen Konkurrenten, der ihm durch Hinweis auf seine britische Staatsangehörigkeit Kunden abspenstig zu machen versuchte, auf Unterlassung und Schadensersatz geklagt, so wäre eine solche Rechtsverfolgung nicht auf Schwierigkeiten gestoßen (vgl. die Unsittlichkeit des Hinweises auf ausländisches Kapital eines Mitbewerbers Entscheidung des Reichsgerichtshofs in Zivilsachen - RG - II 125/35 vom 7. Januar 1936, RGZ Bd. 150 S. 55; für die Unsittlichkeit des Hinweises auf ausländische Herkunft eines Erzeugnisses Entscheidung RG II 127/39 vom 25. November 1939, RGZ Bd. 163 S. 164).
Die Bfin. hat ein Gutachten überreicht und dessen Inhalt vorgetragen. Gegenüber der Darlegung unter Ziffer 2 kommt es auf die Ausführungen des Gutachtens nicht an, so daß sich ein Eingehen darauf erübrigt.
Fundstellen
Haufe-Index 407303 |
BStBl III 1951, 239 |
BFHE 1952, 594 |
BFHE 55, 594 |