Leitsatz (amtlich)
Belassen Mitglieder einer Molkereigenossenschaft die zur Ausschüttung gelangenden Warenrückvergütungen der Genossenschaft als Darlehen, so sind die Warenrückvergütungen als bezahlt im Sinne des § 35 KStDV anzusehen, wenn das einzelne Mitglied die freie Verfügungsbefugnis über die Warenrückvergütung erhalten hat. Voraussetzung ist, daß für jede Warenrückvergütung ein besonderer Darlehnsvertrag geschlossen worden ist.
Normenkette
KStG § 23; KStDV § 35
Tatbestand
Die Klägerin (Steuerpflichtige) ist eine Molkereigenossenschaft, die an ihre Mitglieder im Streitjahr 1954 33 300 DM und im Streitjahr 1955 13 250 DM als Rückvergütungen gezahlt hat.
Auf Grund einer Betriebsprüfung ergaben sich unstreitige Gewinnerhöhungen von 16 522 DM für 1954 und 6 628 DM für 1955. Außerdem wurde festgestellt, daß die Steuerpflichtige von der abgezogenen Rückvergütung 1954 (insgesamt 33 300 DM):
auf noch nicht volleingezahlte Geschäftsanteile
verrechnet hatte 12 800 DM
ausbezahlt hatte 7 296 DM
auf Darlehnskonten
umgebucht hatte 12 263 DM
und auf das nächste
Geschäftsjahr vorgetragen hatte 941 DM
Der Beklagte (das FA) versagte den letztgenannten beiden Beträgen der Rückvergütungen von insgesamt 13 204 DM bei der Veranlagung 1954 die Abzugsfähigkeit.
Die Steuerpflichtige begehrt die Berücksichtigung dieses Betrages als Betriebsausgaben. Nachdem die Generalversammlung der Steuerpflichtigen am 10. August 1957 nachträglich die Ausschüttung der durch die Betriebsprüfung festgestellten Mehrgewinne von 16 522 und 6 628 DM an die Genossen beschlossen und eine entsprechende Änderung der Handelsbilanz vorgenommen hatte, beantragte sie den Abzug auch dieser Beträge.
Der Einspruch hatte insofern Erfolg, als das FA von den nachträglichen Mehrausschüttungen Beträge von 13 878 DM (1954) und 5 700 DM (1955) von den steuerpflichtigen Gewinnen kürzte.
Nunmehr sind noch streitig der Abzug
1. von 12 263 DM auf Darlehnskonten umgebuchten "Warenrückvergütungen" 1954,
2. der restlichen nachträglich ausgeschütteten Mehrgewinne von 2 644 DM (1954) und 928 DM (1955).
Z u 1. Nach Darstellung des Betriebsprüfers hat die Steuerpflichtige den Betrag im Laufe des Jahres 1955 auf ein Darlehnskonto gutgeschrieben, aber keine Darlehnsverträge mit den einzelnen Mitgliedern abgeschlossen. Bei der Generalversammlung der Steuerpflichtigen vom 24. Juli 1955, die die Darlehnsgutschriften beschlossen habe, seien nur 89 der 200 Mitglieder anwesend gewesen. Die einzelnen Mitglieder hätten keine freie Verfügungsmacht über die gutgeschriebenen Beträge gehabt. Nur in den vom Vorstand der Steuerpflichtigen anerkannten Notfällen seien die gutgeschriebenen Beträge auf Verlangen ausbezahlt worden.
Die Steuerpflichtige trägt vor, es seien zwar zunächst nur mündliche Vereinbarungen getroffen, später aber diese schriftlich fixiert worden. Im übrigen seien in den Unterschriften der Genossen in den Quittungsbüchern gültige Darlehnsvereinbarungen zu sehen. Mit der Erklärung ihrer Bereitschaft, daß die Beträge gutgeschrieben würden, hätten die Genossen über die "Warenrückvergütungen" verfügt. Schließlich seien die streitigen Beträge am 10. Dezember 1957 auf Geschäftsguthaben umgebucht worden, nachdem in der Generalversammlung vom 10. August 1957 eine Erhöhung der Geschäftsanteile - wie bereits 1954 für die nahe Zukunft geplant - beschlossen worden sei. Demnach seien die "Warenrückvergütungen" 1954 bis zum Jahre 1957 im Sinne des § 35 KStDV voll bezahlt worden.
Das FG, dessen Urteil in EFG 1965, 190 veröffentlicht ist, hat in diesem Punkt die Berufung als unbegründet zurückgewiesen:
Der streitige Betrag von 12 263 DM sei weder in bar ausgeschüttet, noch den Genossen zu ihrer freien Verfügung auf ein Konto gutgeschrieben, noch formlos zu ihrer freien Verfügung "stehengelassen" worden. Der Abschluß von einzelnen Darlehnsverträgen mit allen 200 Genossen unmittelbar anschließend an die "Ausschüttung" sei nicht nachweisbar. Dagegen spreche schon die Beteiligung von nur 89 Genossen an der maßgeblichen Generalversammlung. Die Anerkennung des sich bei Berücksichtigung der "gutgeschriebenen" Beträge ergebenden Jahressaldos in den Quittungsbüchern der Genossen könne nicht als Darlehnsvertrag angesehen werden.
Die Steuerpflichtige hat Rb. eingelegt und beantragt, den Betrag von 12 263 DM zum Abzug zuzulassen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Rb., die als Revision zu behandeln ist, ist unbegründet.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß Warenrückvergütungen im Rahmen des § 35 Abs. 2 KStDV als Betriebsausgaben gelten, wenn sie "bezahlt" sind. Über Sinn und Zweck dieser Vorschrift hat der Senat im Urteil I 275/62 vom 1. Februar 1966 (BFH 85, 307, BStBl III 1966, 321) Ausführungen gemacht. Hier hat er auch gesagt, daß wesentliche Voraussetzung für die Annahme einer Warenrückvergütung ist, daß der geschuldete Betrag bei der Genossenschaft abfließt und in den Herrschaftsbereich des Empfängers gelangt. Diese Voraussetzung hat das Urteil auch als erfüllt angesehen, wenn der Genosse die Warenrückvergütung der Genossenschaft als Darlehen beläßt; auch in diesem Fall werde die Genossenschaft entreichert, weil das Darlehen zu einer Schuldverpflichtung gegenüber dem Genossen führt. In diesem Falle muß aber für jede für ein Wirtschaftsjahr ausgeschüttete Warenrückvergütung ein besonderer Darlehnsvertrag abgeschlossen werden und der Genosse muß die freie Entscheidungsmöglichkeit haben, ob er den Darlehnsvertrag abschließen will. Richtig ist, daß nach § 607 Abs. 2 BGB ein Darlehen auch dadurch zustande kommen kann, daß ein Schuldner mit dem Gläubiger vereinbart, daß ein aus einem anderen Grunde geschuldeter Betrag als Darlehen geschuldet werden soll. Auch in diesem Falle ist aber Voraussetzung für die Anerkennung einer als Betriebsausgabe abzugsfähigen Warenrückvergütung, daß der einzelne Genosse zunächst einen Rechtsanspruch gegen die Genossenschaft erhalten hat, über den er frei verfügen kann. Wie die Vorentscheidung in tatsächlicher Hinsicht festgestellt hat, ist dies im vorliegenden Fall nicht geschehen; die Genossen haben keine freie Verfügungsbefugnis über die gutgeschriebenen Beträge erhalten. Diese Feststellung steht in Übereinstimmung mit dem Akteninhalt, wonach nur in Notfällen eine Auszahlung der Warenrückvergütung erfolgte. Wenn die Steuerpflichtige meint, die Vorentscheidung enthalte keine Begründung dafür, warum die Anerkennung der Quittungsbücher durch die Mitglieder nicht als ausreichender Nachweis für den Abschluß von Einzeldarlehnsverträgen gelten solle, so ist auf das Wesen des Darlehnsvertrages hinzuweisen. Die Steuerpflichtige hat im Schriftsatz vom 22. November 1956 ausgeführt, mit der Unterschrift in dem Quittungsbuch habe der Milchlieferant bestätigt, daß er auch in späteren Jahren Darlehen gewähren werde. Demgegenüber kann die Unterschrift im Quittungsbuch weder ein Darlehen im Sinne des BGB darstellen noch andere vertragliche Verpflichtungen erzeugen, die über die Bestätigung der Richtigkeit der Berechnung hinausgehen. Die Vorinstanz ist darum zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, daß im Vorliegenden Falle die Steuerpflichtige die Verfügung über die Rückvergütungsbeträge nicht abgegeben hat, daß die Genossen die freie Verfügung an der Warenrückvergütung nicht erhalten haben und daß darum für eine Abzugsfähigkeit kein Raum ist.
Zu 2. Zum Abzug der restlichen nachträglich ausgeschütteten Mehrgewinne ist das FA der Meinung, daß nur derjenige Teil der nachträglich ausgeschütteten Mehrüberschüsse zum Abzug zugelassen werden könne, der nach der in § 35 Abs. 2 KStDV vorgeschriebenen Verhältnisrechnung als im Mitgliedergeschäft erwirtschaftet anzusehen sei, also 84 % für 1954 und 86 % für 1955. Die Steuerpflichtige vertritt demgegenüber den Standpunkt, sie könne den gesamten nachträglich festgestellten Mehrüberschuß an die Mitglieder verteilen und als Betriebsausgabe behandeln, wenn er - was hier unbestritten der Fall sei - bei völliger Neuberechnung der Rückvergütung innerhalb der Höchstgrenze nach § 35 Abs. 2 KStDV liege.
Das FG hat der Berufung in diesem Punkte stattgegeben, nachdem es festgestellt hat, daß die ursprünglichen und die nachträglich gezahlten Rückvergütungen zusammen geringer waren als die nach dem Gesetz abzugsfähigen Höchstbeträge.
Das FG hat die Entscheidung des FG in diesem Punkte unter Berufung auf das Urteil des BFH I 145/56 U vom 30. April 1957 (BFH 64, 586, BStBl III 1957, 219) beanstandet und ebenfalls Revision eingelegt. Es trägt vor, wenn eine Berichtigungsveranlagung zu einer Erhöhung des Steuerbilanzgewinns führe und die Genossenschaft ihre Handelsbilanz der Steuerbilanz angeglichen habe, müsse der ursprüngliche Überschußbetrag für die Neuberechnung der Warenrückvergütung insoweit als verwirkt angesehen werden, als die Genossenschaft über ihn bereits einen Verwendungsbeschluß gefaßt hatte. Dies habe gerade dann zu gelten, wenn die Genossenschaft nicht den gesamten ursprünglichen rückvergütungsfähigen Betrag verteilen wollte, sondern nur einen Teil desselben; denn damit habe die Genossenschaft zu erkennen gegeben, daß sie bewußt Rücklagen bilden wollte. Insoweit habe dann aber die Genossenschaft nach dem BFH-Urteil I 145/56 U (a. a. O.) ihr Recht auf Ausschüttung verwirkt. Für eine nachträgliche Ausschüttung verbleibe deshalb nur die nicht strittige Gewinnerhöhung aufgrund der Betriebsprüfung, die im Rahmen der Verhältnisrechnung des § 35 Abs. 2 KStDV das Einkommen mindern dürfe.
Auch die Revision des FA ist unbegründet.
Nach dem Urteil I 145/56 U (a. a. O.) ist die durch eine Berichtigungsveranlagung veranlaßte nachträgliche Ausschüttung einer Warenrückvergütung steuerlich anzuerkennen, wenn die Grundsätze von Treu und Glauben nicht entgegenstehen. Die Genossenschaft ist nach diesem Urteil an ihre frühere Entscheidung über die Ausschüttung oder Nichtausschüttung einer Warenrückvergütung jedenfalls insoweit gebunden, als sie bewußt offene oder später aufgedeckte stille Rücklagen gebildet und damit zum Ausdruck gebracht hat, daß sie einen bestimmten Teil des Jahresergebnisses nicht ausschütten wolle. Das Urteil hat die Verwirkung des Rückvergütungsrechts auf solche Gewinnerhöhungen ausgedehnt, die auf einer Beurteilung der Sach- und Rechtslage beruhen, deren Richtigkeit die Genossenschaft bei sorgfältiger Prüfung schon zur Zeit der Beschlußfassung über die ursprüngliche Bilanz unschwer hätte erkennen können. Legt eine Genossenschaft in ihrer Bilanz Reserven an, über deren steuerrechtliche Berechtigung sie bei Anwendung eines nicht zu strengen Maßstabes erhebliche Zweifel haben müßte, so widerspricht es Treu und Glauben, wenn sie insoweit die spätere Gewinnerhöhung nicht in der Reserve belassen, sondern als Warenrückvergütung ausschütten will (vgl. Grieger, Deutsche Steuer-Zeitung - Ausgabe A - 1957 S. 195).
Ein solcher Tatbestand, der die Steuerpflichtige nach Treu und Glauben binden könnte, liegt hier aber nicht vor. Die Erhöhung des Gewinns durch die Betriebsprüfung ist auf die Erhöhung aktivierungspflichtiger Baukosten und Maschinen und eine Herabsetzung des Delkredere zurückzuführen; dabei handelt es sich um die Berichtigung irrtümlicher oder streitiger Buchungen. Der Prüfer hat darum in Tz. 21 des Betriebsprüfungsberichts die Möglichkeit nachträglicher Auszahlung der Warenrückvergütung vorgeschlagen. Auch die Revisionsbegründung trägt nichts dafür vor, was auf einen Verstoß der Steuerpflichtigen wider Treu und Glauben hindeuten könnte. Der Vorentscheidung ist darum zuzustimmen.
Fundstellen
Haufe-Index 68019 |
BStBl II 1968, 458 |
BFHE 1968, 202 |