Leitsatz (amtlich)
Ein Betrieb der Land- und Forstwirtschaft bildet dann die Existenzgrundlage des Betriebsinhabers, wenn aus ihm Reinerträge erwirtschaftet werden können, die mindestens den Sozialhilfeleistungen entsprechen, die der Betriebsinhaber unter Berücksichtigung seiner Familienverhältnisse im Fall der Hilfsbedürftigkeit erhalten würde.
Normenkette
BewG 1965 § 69 Abs. 2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten. Sie nutzten im Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 eine ihnen gehörende Grundfläche von rund 1, 65 ha landwirtschaftlich. Außerdem bewirtschafteten sie zusammen mit ihrer eigenen Fläche rd. 1 ha landwirtschaftliches Pachtland, so daß die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche rd. 2,65 ha betrug.
Zu der im Eigentum der Kläger stehenden landwirtschaftlichen Nutzfläche gehört die im Liegenschaftskataster als Bauland bezeichnete Grundfläche Flur-Nr. 45/5 mit einer Größe von 1 618 qm, die die Kläger 1959 erwarben. Diese Fläche ist im Bebauungsplan der Gemeinde nicht als Bauland festgesetzt. Sie liegt jedoch an einer ausgebauten Straße und grenzt unmittelbar an das bebaute Grundstück Flur-Nr. 45/4 an. Die Gemeinde würde gegen die Bebauung keine Einwendungen erheben. Am 1. Januar 1964 war die Grundfläche der Kläger allerdings noch nicht unmittelbar an die örtliche Wasserleitung und Kanalisation angeschlossen. Diese Erschließungsmaßnahmen hätten jedoch im Zuge der Bebauung durchgeführt werden können.
Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) stellte durch Hauptfeststellung zum 1. Januar 1964 für die Grundfläche Flur-Nr. 45/5 die Grundstücksart "unbebautes Grundstück" und einen Einheitswert von 4 800 DM fest. Dabei legte das FA den für Rohbauland in der Gegend üblichen qm-Preis von 3 DM zugrunde.
Nach erfolglosem Einspruch hob das FG den Feststellungsbescheid des FA auf.
Das FG war der Meinung, die Grundfläche Flur-Nr. 45/5 der Kläger sei Bestandteil eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft, der die Existenzgrundlage der Betriebsinhaber bilde. Für diese Entscheidung dürfe nur auf den Lebensbedarf der Betriebsinhaber selbst abgestellt werden. Die Zahl der unterhaltsberechtigten Kinder müsse außer Betracht bleiben, weil bei der Einheitsbewertung persönliche Verhältnisse nicht berücksichtigt werden dürften. Der Gesamtreinertrag des landwirtschaftlichen Betriebs der Kläger in Höhe von rd. 4 500 DM reiche aber aus, deren Existenz zu sichern.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 69 Abs. 2 BewG 1965. Die vom FG angenommenen Kosten für den Lebensbedarf der Kläger widersprächen der allgemeinen Lebenserfahrung Das FG habe die Gesamtaufwendungen für den Lebensunterhalt der Familie der Kläger ohne ersichtlichen Grund nur mit 10 750 DM (9 000 DM Rente + 1 750 DM Eigenverbrauch aus Landwirtschaft) bemessen und diese Aufwendungen durch die Zahl der Familienmitglieder geteilt. Dabei habe es nicht beachtet, daß für die damals unter zehn Jahre alten Kinder nicht ein gleichhoher Aufwand für den Lebensunterhalt angefallen sei wie für die Kläger selbst.
Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision wird die Vorentscheidung aufgehoben.
1. Landwirtschaftlich genutzter Grund und Boden ist ein Wirtschaftsgut, das einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft im Sinn des Bewertungsrechts dauernd zu dienen bestimmt ist und damit grundsätzlich dem landund forstwirtschaftlichen Vermögen angehört (vgl. § 33 BewG). Der Begriff des Betriebs der Land- und Forstwirtschaft im Sinn des Bewertungsrechts setzt, wie das FG zutreffend angenommen hat, weder eine Mindestgröße noch eine organisatorische Zusammenfassung von Grund und Boden, Gebäuden und Betriebsmitteln voraus. Dementsprechend ist auch ein einzelner Acker oder eine landwirtschaftlich genutzte Wiese ein Betrieb der Landund Forstwirtschaft im Sinn des § 33 BewG. Dies hat der Senat für die Rechtslage auf Grund § 29 BewG in der vor dem Bewertungsgesetz 1965 geltenden Fassung (im folgenden: BewG 1934) mit Urteil vom 21. Dezember 1965 III 291/62 U (BFHE 84, 381, BStBl III 1966, 138) unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung entschieden. Durch die geänderte Fassung der Begriffsbestimmung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens in § 33 BewG ist eine Änderung in dieser Rechtslage nicht eingetreten (vgl. § 34 Abs. 7 BewG).
Landwirtschaftlich genutzte Flächen sind dann nicht in das land- und forstwirtschaftliche Vermögen, sondern in das Grundvermögen einzubeziehen, wenn im Feststellungszeitpunkt nach ihrer Lage, den bestehenden Verwertungsmöglichkeiten oder den sonstigen Umständen anzunehmen ist, daß sie in absehbarer Zeit anderen als landwirtschaftlichen Zwecken dienen werden (§ 69 Abs. 1 BewG). Das FG ist auf Grund seiner unangefochtenen Feststellung der objektiven Verhältnisse (Lage, Verwertungsmöglichkeiten, Kaufpreis) der Grundfläche Flur-Nr. 45/5 ohne Rechtsirrtum davon ausgegangen, daß diese Grundfläche trotz ihrer landwirtschaftlichen Nutzung nach § 69 Abs. 1 BewG als Grundvermögen zu behandeln wäre, so daß ihre Bewertung als land- und forstwirtschaftliches Vermögen nur unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 BewG in Betracht kommen kann. Dabei hat das FG in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats den unbestimmten Rechtsbegriff "in absehbarer Zeit" als einen Zeitraum von regelmäßig sechs Jahren bestimmt (vgl. Entscheidung des BFH vom 4. August 1972 III R 47/72, BFHE 106, 464, BStBl II 1972, 849).
2. Bei einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft, der die Existenzgrundlage des Betriebsinhabers bildet, sind Grundflächen, die von einer Stelle aus ordnungsgemäß nachhaltig bewirtschaftet werden, nur dann in das Grundvermögen einzubeziehen, wenn nach ihrer Lage, den Verwertungsmöglichkeiten oder den sonstigen Umständen mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß sie spätestens nach zwei Jahren anderen als landund forstwirtschaftlichen Zwecken dienen werden. Dabei sind nach der am 1. Januar 1964 maßgebenden Rechtslage für die Beantwortung der Frage, ob der Betrieb die Existenzgrundlage des Betriebsinhabers bilde, Pachtflächen dem Betrieb des Pächters zuzurechnen (§ 69 Abs. 2 BewG).
a) Diese Regelung des § 69 Abs. 2 BewG bewirkt, daß Grundflächen eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft weitergehend als sonstige land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen vor der Bewertung als Grundvermögen geschützt werden, wenn der Betrieb die Existenzgrundlage des Betriebsinhabers bildet. Der landwirtschaftliche Betrieb, zu dem die fraglichen Flächen gehören, muß außerdem von einer "Stelle" aus bewirtschaftet werden. Im Gegensatz zum Begriff des Betriebs der Land- und Forstwirtschaft, wie ihn das Bewertungsrecht in § 33 BewG versteht (siehe oben 1.), wird damit für die Anwendung des § 69 Abs. 2 BewG eine gewisse Organisation von Boden, Gebäuden und Betriebsmitteln und die Bewirtschaftung von einer Hofstelle aus verlangt, die erst dazu führen, den bewertungsrechtlichen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft im Sinn des § 69 Abs. 2 BewG schutzwürdig zu machen.
b) Aus der Beweisaufnahme durch das FG ergibt sich, daß die gesamte Betriebsfläche der Kläger von einer Hofstelle aus ordnungsgemäß nachhaltig bewirtschaftet wird. Das FG hat weiter unangefochten festgestellt, daß die Kläger einen Viehbesatz von drei Kühen, vier Schweinen, drei Kälbern, ca. 40 Hühnern, rd. 25 Gänsen und 40 Enten halten bzw. umtreiben und einen Reinertrag von jährlich rd. 2 700 DM erwirtschaften. Daneben entnehmen die Kläger nach den ebenfalls unangefochtenen Feststellungen des FG noch jährlich Erzeugnisse im Wert von rd. 1 750 DM, so daß sie mit dem Betrieb einen Reinertrag von jährlich 4 500 DM erzielen.
Das FG hat für die Entscheidung, ob der Betrieb die Existenzgrundlage darstelle, diesen Reinertrag nur auf die Bedürfnisse der Kläger als Betriebsinhaber allein bezogen und ihre Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihren zur Familie gehörenden Kindern außer Betracht gelassen. Insoweit vermag der Senat dem FG nicht zu folgen.
c) In kleineren und mittleren bäuerlichen Verhältnissen ist der Familienbetrieb typisch. Ungeachtet dessen, wer bürgerlich-rechtlicher Eigentümer des Betriebs ist oder wem er steuerlich zugerechnet wird, ist es für diese Betriebe kennzeichnend, daß ihre Bewirtschaftung von der Arbeitskraft der Familie bestimmt wird, die auf dem Betrieb lebt. Deshalb erscheint es dem Senat entgegen der Auffassung des FG dem Grundgedanken der Regelung des § 69 Abs. 2 BewG durchaus gerecht zu werden, daß die persönlichen Verhältnisse des Betriebsinhabers für die Entscheidung berücksichtigt werden, ob der Betrieb die Existenzgrundlage bildet. Denn das Gesetz will offensichtlich den Inhaber eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft nicht vor erhöhter Steuerbelastung schützen, der auf Grundflächen wirtschaftet, die im bebauten Gebiet einer Gemeinde liegen oder an dieses unmittelbar angrenzen und deren Bebauung ein Hindernis nicht entgegensteht, wenn anzunehmen ist, daß diese Flächen nicht mehr auf absehbare Zeit landwirtschaftlich genutzt werden, weil der Betrieb dem Inhaber bei Berücksichtigung des Lebensbedarfs seiner Familie die Existenzgrundlage nicht mehr bietet und daher ohnedies aufgegeben werden muß. Ob dies der Fall ist, kann aber nur nach dem konkreten Lebensbedarf des jeweiligen Betriebsinhabers unter Berücksichtigung seiner Familienverhältnisse beurteilt werden. Das bedeutet, daß der Betrieb einen Reinertrag erbringen muß, der das Existenzminimum der Familie des Betriebsinhabers sichert. Es wird nach Auffassung des Senats dann gesichert, wenn der Ertrag des Betriebs mindestens den Regelsätzen der Sozialhilfe entspricht, die der Betriebsinhaber unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen zu seinem Haushalt gehörenden Familienangehörigen erhalten würde (vgl. §§ 1, 7, 11, 12 und 22 des Bundessozialhilfegesetzes vom 30. Juni 1961, BGBl I 1961, 815, sowie die Regelsatzverordnung vom 20. Juli 1962, BGBl I 1962, 515). Dabei sind Leistungen für die Unterkunft außer Betracht zu lassen, wenn sämtliche unterhaltsberechtigten Familienangehörigen des Betriebsinhabers in der Hofstelle wohnen.
Diese auf die konkreten Verhältnisse des Betriebsinhabers abstellende Auffassung führt entgegen der Befürchtung des FG nicht dazu, daß die Frage, ob ein Betrieb der Land- und Forstwirtschaft die Existenzgrundlage des Betriebsinhabers bildet, von den übrigen Einkünften außerhalb der Land- und Forstwirtschaft abhängig gemacht werden könnte. Denn die Entscheidung darüber, ob der Betrieb Existenzgrundlage sein kann, hängt nicht davon ab, welche Einkünfte der konkrete Betriebsinhaber außerhalb der Land- und Forstwirtschaft noch hat, sondern nur davon, ob aus der Landwirtschaft Erträge in Höhe der Sozialhilfeleistungen erwirtschaftet werden können, die dem Betriebsinhaber und seinen haushaltsangehörigen Familienmitgliedern zustehen würden, wenn sie Anspruch auf Sozialhilfe hätten.
3. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung war deshalb aufzuheben.
Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat, von seinem Rechtsstandpunkt ausgehend zu Recht, keine Feststellungen darüber getroffen, in welcher Höhe die Kläger nach den Verhältnissen des Feststellungszeitpunkts Sozialhilfe hätten beanspruchen können, wenn sie den notwendigen Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder nicht aus eigenen Kräften und Mitteln hätten beschaffen können. Dieser Betrag ist mit den vom FG bereits festgestellten Erträgen des Betriebs der Land- und Forstwirtschaft der Kläger zu vergleichen, um feststellen zu können, ob dieser Betrieb die Existenzgrundlage der Kläger bildet. Die Sache geht zu diesem Zweck zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Fundstellen
Haufe-Index 71027 |
BStBl II 1974, 702 |
BFHE 1975, 250 |