Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung rechtlichen Gehörs
Leitsatz (NV)
Unterläßt das Finanzgericht einen Hinweis auf den mangelnden Beweiswert einer für den Ausgang des Rechtsstreits wesentlichen Urkunde, kann darin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegen.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 2, § 119 Nr. 3
Tatbestand
Der 1992 verstorbene Ehemann der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war Inhaber eines ... -Unternehmens. Als zuständiges Betriebsstättenfinanzamt führte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) eine gesonderte Gewinnfeststellung durch und ermittelte für das Streitjahr (1986) einen Verlust. Nach einer Außenprüfung erließ es am 6. November 1992 einen nach §164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Gewinnfeststellungsbescheid, der einen Gewinn auswies. Das FA war der Auffassung, daß für den vom Ehemann der Klägerin errechneten Sanierungsgewinn eine Steuerfreiheit nach §3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht in Betracht kommen könne. Nach den Feststellungen der Betriebsprüfung waren ab Januar 1986 Verhandlungen mit der X-Bank über den Erlaß eines Kontokorrentkredits geführt worden. Es wurde vereinbart, daß zur Abgeltung der Forderungen der X-Bank eine Vergleichssumme in Höhe von 100 000 DM gezahlt und darüber hinaus 50 000 DM aus einer Lebensversicherung abgetreten werden sollten. Wegen der abgetretenen Lebensversicherung verlangte die Bank ein Schuldanerkenntnis in Höhe von 100 000 DM. Das Konto bei der X- Bank wies am 9. Dezember 1986 einen Minusbestand aus. Zum 31. Dezember 1986 war das Konto ausgeglichen (Kontostand: 0 DM). Nach dem der Betriebsprüfung vorliegenden Schriftverkehr kam der Prüfer zu der Überzeugung, der sich das FA anschloß, daß die Voraussetzungen für einen steuerfreien Sanierungsgewinn nicht gegeben seien, zumal die übrigen Gläubiger keinen Schuldenerlaß ausgesprochen hatten.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 687 veröffentlichten Urteil ab, weil es im Streitfall vor allem an der Absicht des Hauptgläubigers fehle, den Zusammenbruch des sanierungsbedürftigen Unternehmens durch den Schuldenerlaß zu verhindern.
Mit der vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Versagung rechtlichen Gehörs sowie die Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und unter Abänderung des Bescheides vom 6. November 1992 für 1986 einen Verlust in Höhe von ... DM festzustellen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzu weisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Die Klägerin rügt mit der Revision in einer den Anforderungen des §120 Abs. 2 Satz 2 FGO genügenden Weise, daß ihr das FG das rechtliche Gehör versagt habe. Sie hat in der Revisionsschrift die Tatsachen bezeichnet, die ihrer Ansicht nach den Verfahrensmangel ergeben, indem sie ausführt, das FG habe die schriftliche Erklärung der X-Bank vom 21. Februar 1992 nicht als ausreichenden Beleg für die Sanierungsabsicht i. S. des §3 Nr. 66 EStG angesehen, ohne sie auf den aus seiner Sicht unzureichenden Beweiswert des Schreibens hinzuweisen und ihr Gelegenheit zu weiterem Tatsachenvortrag und der Vorlage von Urkunden zu geben. Zu berücksichtigen ist ferner, daß der erkennende Senat das Vorliegen dieses Verfahrensmangels in der Entscheidung über die Zulassung der Revision bejaht hat.
2. Die Revision ist auch begründet.
Die Klägerin rügt zu Recht die Verletzung der Hinweispflicht des FG (§76 Abs. 2 FGO) und damit auch die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die Pflicht, rechtliches Gehör zu gewähren, bedeutet, daß das FG den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zu geben hat, sich zu den Tatsachen und Beweismitteln, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen, zu äußern. Das rechtliche Gehör -- insbesondere i. S. von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes -- ist aber auch dann verletzt, wenn die Verfahrensbeteiligten von einer Entscheidung überrascht werden, weil das Urteil auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gegründet ist, zu denen sie sich nicht geäußert haben und zu denen sich zu äußern sie nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens auch keine Veranlassung hatten (vgl. u. a. BFH-Urteile vom 22. Oktober 1986 I R 107/82, BFHE 148, 507, BStBl II 1987, 293; vom 19. Oktober 1993 VIII R 61/92, BFH/NV 1994, 790, m. w. N.).
Die Frage nach der Sanierungsabsicht der X-Bank war zwar schon Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Das FA hat diese Frage verneint. Es hat zur Begründung jedoch nur ausgeführt, eine Sanierungsabsicht der Bank sei nicht substantiiert vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich. Nach dem äußeren Erscheinungsbild müsse vielmehr davon ausgegangen werden, daß es der Bank lediglich darum ging, ein notleidend gewordenes Vertragsverhältnis zu beenden.
In dem Schreiben vom 21. Februar 1992 hat die X-Bank bestätigt, daß der Forderungserlaß zur Unterstützung der Sanierungsbemühungen des Unternehmens erfolgt sei. Angesichts der Tatsache, daß diese Aussage von einer Bank gemacht worden ist, kann nicht davon ausgegangen werden, daß dieser die steuerliche Bedeutung und Trag weite einer solchen Aussage unbekannt gewesen ist, d. h., daß die Bank keine aussagekräftige Bescheinigung erteilt hat. Wollte das FG von dieser Aussage abweichen und nicht von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären (§76 Abs. 1 FGO), so war es jedenfalls gehalten, die Klägerin zu einem ergänzenden Vortrag und weiterer Beweisführung aufzufordern. Weder dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem FG vom 18. Oktober 1993 noch der angefochtenen Entscheidung läßt sich entnehmen, daß das FG seiner Hinweispflicht nachgekommen ist. Hinzu kommt, daß der Ehemann der Klägerin, der seinerzeit die Verhandlungen mit der X-Bank geführt hat, nicht mehr gehört werden konnte. In einer solchen Situation durfte auf weitere Beweise, insbesondere in Form der Vernehmung der mit dem Vergleich befaßten Mitarbeiter der X-Bank, nicht verzichtet werden.
Die Versagung des rechtlichen Gehörs ist ein Revisionsgrund, der regelmäßig zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt, weil nach §119 Nr. 3 FGO unwiderleglich vermutet wird, daß das Urteil des FG auf dem gerügten Fehler beruht. Dies gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn es auf den festgestellten Verfahrensverstoß unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ankommen kann (BFH-Urteile vom 8. November 1989 I R 14/88, BFHE 159, 112, BStBl II 1990, 386, und vom 5. November 1991 VII R 64/90, BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425). Ob im Streitfall eine derartige Ausnahme vorliegt, kann der Senat nicht beurteilen, denn für die materiell-rechtliche Entscheidung kann der zu ergänzende Vortrag entscheidungserheblich sein. Zudem hat das FG keine Feststellungen dazu getroffen, ob die übrigen, von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Voraussetzungen für einen steuerfreien Sanierungsgewinn gegeben sind.
Das angefochtene Urteil war deshalb, ohne daß es eines Eingehens auf die materiellen Rechtsfragen bedurfte, aufzuheben, und die Sache war an das FG zurückzuverweisen. Diesem war auch die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zu übertragen (§143 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 66617 |
BFH/NV 1998, 198 |