Leitsatz (amtlich)
Die Tätigkeit eines Trauerredners ist nicht freiberuflich (künstlerisch), sondern gewerblich, wenn der Redner in der Masse der Fälle nach Redeschabionen verfährt.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2; GewStG § 2 Abs. 1; GewStDV § 1 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Schriftsteller und Redakteur. Vom Jahre 1968 an wandte er sich einer neuen Beschäftigung zu, aus der er seit 1969 zum überwiegenden Teil seinen Lebensunterhalt bestritt. Er hielt in den Streitjahren (1969 bis 1971) bei Totenfeiern die Trauerrede. Die Aufträge hierzu vermittelten in der Regel Beerdigungsinstitute. Der Kläger betrachtete seine Tätigkeit als die eines Freiberuflers. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) beurteilte die Tätigkeit als eine gewerbliche und erließ entsprechende Einkommensteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 1969 bis 1971 und Gewerbesteuerbescheide für die Erhebungszeiträume 1970 und 1971.
Die Einsprüche, welche auch die Einkommensteuerveranlagung 1968 betrafen, blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage hinsichtlich der Streitjahre statt. Es führte aus, es habe eine freiberufliche Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorgelegen. Die dem Gericht überreichten Trauerreden ließen die schriftstellerische Neigung des Klägers erkennen, so z. B. durch die gezielte Auswahl eines in die Rede eingeflochtenen Gedichts. Zum anderen verfüge der Kläger erkennbar über eine Vortragstechnik, die bereits von der Art der Darstellung her künstlerisches Niveau habe. Eine Trauerrede könne trotz der Vorgabe der Lebensdaten des Verstorbenen schöpferisch gestaltet werden. Ob ein Redner auch über die erforderliche Gestaltungskraft verfüge, könne nicht allgemein, sondern nur anhand der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Diese Umstände sprächen im Streitfall zugunsten des Klägers. Der dem individuellen Todesfall gerecht werdende Stil, die Verknüpfung mit Zitaten aus der Dichtung, der unterschiedliche Aufbau der Gedanken, die wechselnden Schwerpunkte zeigten die einzelne Rede als eigene Schöpfung auch unabhängig von den unterschiedlichen Schicksalen. Es handle sich daher nicht um die Wiederholung immer der gleichen Trauerrede, die mit einem reproduzierten gewerblichen Artikel verglichen werden könnte.
Das FG hob die angefochtenen Gewerbesteuerbescheide auf und setzte für die Streitjahre die Einkommensteuer anderweit fest.
Das FA rügt in seiner Revision, welche der Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat, Verletzung von Verfahrensvorschriften und materiellen Rechts. Es macht unzureichende Aufklärung des Sachverhalts, fehlerhafte Beweisaufnahme und Beweiswürdigung sowie Versagung des rechtlichen Gehörs geltend (§§ 76 Abs. 1, 81 Abs. 1, 96, 119 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Außerdem habe das FG die Vorschrift des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG unzutreffend angewendet. Die Feststellungen des FG bezögen sich lediglich auf die eigenschöpferische Gestaltungskraft, nicht darüber hinaus auf die künstlerische Gestaltungshöhe. Zu diesen Feststellungen hätte das FG nicht aufgrund eigener Sachkunde gelangen dürfen. Das FG hätte ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Wenn das Gericht Feststellungen aufgrund eigener Sachkunde zu treffen gedenke, so müsse dies den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt werden, damit sie Gelegenheit hätten, Stellung zu nehmen. Da dies nicht geschehen sei, sei das rechtliche Gehör verletzt. Das Gericht habe auch in den Urteilsgründen nicht dargelegt, auf welchen Kenntnissen und Erfahrungen seine Sachkunde beruhe. - Das FG habe zu Unrecht die festgestellte Tätigkeit des Klägers dem künstlerischen Bereich zugeordnet. Die Verkehrsauffassung betrachte Trauerreden nicht als Kunstwerke.
Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung hinsichtlich der Einkommensteuerveranlagungen 1969 bis 1971 und der Gewerbesteuerveranlagungen 1970 bis 1971 sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.
1. Die vom FA erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO) ist nicht begründet. Das FA stützt sie darauf, daß das FG die Entscheidung nur aufgrund besonderer Sachkunde hätte fällen können und daß das FG deshalb den Verfahrensbeteiligten seine Absicht hätte mitteilen müssen, die erforderlichen Feststellungen aufgrund eigener Sachkunde zu treffen. Das FA beruft sich damit allerdings auf einen allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz. Beabsichtigt nämlich das FG, die Feststellungen aufgrund eigener Sachkunde zu treffen, so muß dies insbesondere im Bereich von Grenz- und Übergangsfällen für die Verfahrensbeteiligten erkennbar sein oder ihnen mitgeteilt werden, damit sie Gelegenheit haben, hierzu Stellung zu nehmen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Dezember 1976 VIII R 76/75, BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474, mit weiteren Nachweisen). Im Streitfall war den Verfahrensbeteiligten aufgrund des Verlaufs der mündlichen Verhandlung vor dem FG erkennbar, daß das Gericht aufgrund eigener Sachkunde entscheiden werde. Es entsprach erkennbar der Eigenart des vorliegenden Falles, daß das FG ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens entscheiden würde. Daher bedurfte es keiner besonderen Mitteilung an die Verfahrensbeteiligten, um diesen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Diese Gelegenheit war den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ohnehin eröffnet.
2. Für die Entscheidung ist davon auszugehen, daß die Rede eine Kunstform ist oder doch sein kann und daß dementsprechend die Tätigkeit eines Redners als eine künstlerische zu werten sein kann. Sie berührt sich sowohl mit dem Schauspielerischen als auch - wenn der Redner seine Texte selbst verfaßt - mit der Tätigkeit des Schriftstellers. Von der letzteren unterscheidet sie sich jedoch dadurch, daß eine schriftstellerische Tätigkeit nur dann vorliegt, wenn - in selbständiger Gestaltung - Gedanken schriftlich für die Öffentlichkeit niedergelegt werden (vgl. Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 67 zu § 18 EStG). Dabei werden an die Voraussetzung, daß der Schriftsteller eigene Gedanken ausdrücken muß, in der Rechtsprechung zum einkommensteuerrechtlichen Begriff des Schriftstellers (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG) keine besonderen Anforderungen gestellt (vgl. BFH-Urteil vom 30. Oktober 1975 IV R 142/72, BFHE 117, 456, BStBl II 1976, 192, mit weiteren Nachweisen). Solche besonderen Anforderungen müssen jedoch erfüllt sein, wenn eine Tätigkeit als künstlerisch i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG gewertet werden soll. Diese allgemeinen Qualifikationsmerkmale sind auch für die Beurteilung einer rednerischen Tätigkeit maßgebend.
a) Für die Abgrenzung künstlerischer von gewerblicher Tätigkeit geht die Rechtsprechung herkömmlich von einer Dreiteilung in freie Kunst, Kunstgewerbe und Kunsthandwerk aus (vgl. zuletzt BFH-Beschluß vom 14. August 1980 IV R 9/77, BFHE 131, 365, BStBl II 1981, 21). Diese Unterscheidung beruht darauf, daß bei der Ausübung der freien, d. h. zweckfreien Kunst die Zuordnung zur künstlerischen Tätigkeit ohne weiteres gegeben ist, während bei den beiden anderen Bereichen der zweckgebundenen Gebrauchskunst mit praktischem Nützlichkeitswert nach den Verhältnissen des Einzelfalles aufgrund besonderer Kriterien zu entscheiden ist, ob die Tätigkeit noch als eine künstlerische zu werten ist. Die Frage ist zu bejahen, wenn eigenschöpferische Leistungen, d. h. Leistungen, in denen sich eine individuelle Anschauungsweise und eine besondere Gestaltungskraft widerspiegeln, vorliegen und diese Leistungen eine gewisse künstlerische Gestaltungshöhe erreichen (vgl. Urteil in BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474, mit weiteren Nachweisen). Diese Merkmale sind sinngemäß auch für die Beurteilung einer rednerischen Tätigkeit maßgebend.
b) Aus den dargelegten allgemeinen Grundsätzen der Abgrenzung von künstlerischer und gewerblicher Tätigkeit ergibt sich zunächst, daß der Gebrauchszweck von Reden deren künstlerischem Charakter nicht entgegensteht. Die Tätigkeit des Redners muß unabhängig von dem Gebrauchszweck gewürdigt werden. Es liegt in der Natur der Sache, daß eine Rede stets einem bestimmten Zweck dient. Daher scheidet bei ihr die Alternative - Ausübung zweckfreier Kunst - praktisch aus. Die Gleichstellung mit den anderen Erscheinungsformen der Gebrauchskunst gebietet es jedoch, auch für die Gebrauchsrede gleiche Maßstäbe anzulegen. Die Gebrauchsrede ist künstlerisch, sofern sie im wesentlichen eigenschöpferisch ist und eine gewisse künstlerische Gestaltungshöhe erreicht. Das Künstlerische muß somit sowohl dem Inhalt als auch der Form nach verwirklicht sein.
c) Für die steuerrechtliche Beurteilung muß die Gesamttätigkeit gewertet werden. Es kommt deshalb im Falle eines berufsmäßigen Redners darauf an, ob die Gesamttätigkeit im wesentlichen die Merkmale des Eigenschöpferischen und der künstlerischen Gestaltungshöhe verwirklicht. Die Zuerkennung der Künstlereigenschaft wird bei einem Trauerredner, der nur bei Totenfeiern auftritt, durch die Beschränkung in der Motivwahl nicht ausgeschlossen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474). Je mehr aber der Kreis der Motive eingeengt ist, um so mehr Gewicht muß den genannten künstlerischen Kriterien beigemessen werden. An eigenschöpferischer Tätigkeit fehlt es, wenn der Redner mit Redeschablonen arbeitet und praktisch die gleiche Trauerrede, nur mit gewissen, auf den Einzelfall abgestellten Variationen und Daten, in zahlreichen Fällen wieder vorträgt. An diesem eigenschöpferischen Element fehlt es deshalb auch dann, wenn der Redner in der Masse der Fälle mit der Verwendung weniger Grundmuster auskommt und nur für besonders gelagerte Ausnahmefälle einen individuellen Redetext entwirft.
d) In der Rechtsprechung ist zwar wiederholt betont worden, daß für die Prüfung, ob eine als Kunstgewerbe oder Kunsthandwerk zu beurteilende Tätigkeit eine künstlerische ist, besondere Sachkunde erforderlich sei (vgl. BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474). Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß in jedem Falle ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müßte. Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Überzeugung kann in Fällen der vorliegenden Art, die gegenüber den sonst in der Rechtsprechung behandelten vergleichbaren Fällen der Gebrauchskunst (Kunstgewerbe, Kunsthandwerk) besonders gelagert sind, vom FG aufgrund eigener Sachkunde gewonnen werden.
3. Die vom FG getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, die Tätigkeit des Klägers nach den vorstehenden Grundsätzen als eine künstlerische i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zu werten. Das FG hat nicht festgestellt, in welchem Umfange der Kläger in den drei Streitjahren als Trauerredner tätig geworden ist und inwieweit dabei von eigenschöpferischen Leistungen des Klägers gesprochen werden kann. Wenige, dem Gericht vorgelegte Redetexte, welche als individuelle Leistungen in diesem Sinne gewertet werden könnten, schließen nicht aus, daß der Kläger in der überwiegenden Zahl der Fälle Reden nach Schablone gehalten hat. Das FG hat zwar festgestellt, es handle sich nicht um die "Wiederholung immer der gleichen Trauerrede, die mit einem reproduzierten gewerblichen Artikel verglichen werden könnte". Die in dieser Wendung liegende tatsächliche Feststellung reicht für die Entscheidung über den künstlerischen Charakter der Gesamttätigkeit des Klägers nicht aus. Denn diese müßte auch dann als eine gewerbliche gewertet werden, wenn der Kläger nicht nur eine Musterrede zu wiederholen pflegte, sondern wenn er, wie ausgeführt, sich in der Masse der Fälle einer Mehrzahl von Redeschablonen bediente. Das FG wird deshalb bei der erneuten Prüfung des Streitfalls Feststellungen über das Ausmaß der Gesamttätigkeit des Klägers treffen und sich nach den zu 2. dargelegten Grundsätzen eine Überzeugung von dem Charakter dieser Tätigkeit verschaffen.
Fundstellen
Haufe-Index 74107 |
BStBl II 1982, 22 |
BFHE 1981, 135 |
NJW 1982, 672 |