Leitsatz (amtlich)
Das Krempeln von Rohbaumwollabfällen zu Verbandwatte ist umsatzsteuerlich schädlich.
Normenkette
UStG 1934 § 4 Ziff. 4; UStDB 1938 § 28 Abs. 1, 2 Ziff. 1, § 29 Abs. 1 Ziff. 1, Abs. 2
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) erwirbt Rohbaumwollabfälle, die in ihrem Betrieb in Kesseln unter Druck und unter Zusatz von reinigenden Chemikalien "gebeucht", d. h. gewaschen werden. Die derart vorgereinigten Rohbaumwollabfälle werden anschliessend in Bottichen in Chlorwasser weiter gereinigt und gebleicht. Nach der in zwei Phasen auf zwei Trockenmaschinen durchgeführten Trocknung werden die nunmehr von den gröbsten Unreinigkeiten befreiten Rohbaumwollabfälle zu einer Walzenkrempel transportiert und dort gekrempelt. Das Material verläßt die Krempel in Form eines Vließes, wird dabei aufgewickelt und ohne weiteren Bearbeitungsvorgang in Ballen im Großhandel an Verbandsmittelhersteller als Verbandwatte weitergeliefert.
Streitig ist, ob die Bfin. für die Lieferungen der Verbandwatte gemäß § 4 Ziff. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in Verbindung mit § 28 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 1 und § 29 Abs. 1 Ziff. 1 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) 1938 Steuerfreiheit in Anspruch nehmen kann. Das Finanzamt hat in dem Vorgange des Krempelns eine steuerlich schädliche Bearbeitung erblickt, weil im § 29 Abs. 1 Ziff. 1 im Gegensatz zu § 29 Abs. 1 Ziff. 5 UStDB das Krempeln nicht genannt, und weil Verbandwatte, wie § 29 Abs. 2 UStDB vorschreibe, im § 28 Abs. 2 nicht aufgeführt sei. Demgegenüber vertritt die Bfin. den Standpunkt, daß es auf die Bezeichnung als Verbandwatte nicht ankomme, da die Watte nichts anderes darstelle wie gereinigte Abfälle von Rohbaumwolle; das Krempeln hält sie unter Berufung auf verschiedene Sachverständigengutachten nur für einen Vorgang des Reinigens.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Bfin. blieb ohne Erfolg; auch ihre Rechtsbeschwerde (Rb.) ist nicht begründet.
Die Vorentscheidung hat die Steuerfreiheit der hier streitigen Lieferungen in erster Linie deshalb versagt, weil durch die Verarbeitung der Abfälle, auch wenn man in dem Krempeln nur ein Reinigen der Abfälle von Rohbaumwolle im Sinne des § 29 Abs. 1 Ziff. 1 UStDB erblicke, ein besonderer Gegenstand, nämlich Verbandwatte, entstanden sei, dessen Lieferung nach § 29 Abs. 2 UStDB nur dann steuerfrei sei, wenn er im § 28 Abs. 2 UStDB genannt sei. Diese Auffassung läßt einen Rechtsirrtum nicht erkennen.
Zwar ist der Rb. zuzugeben, daß es auf den subjektiven Verwendungszweck des Lieferungsgegenstandes und auf dessen Bezeichnung nicht entscheidend ankommen kann, da die in § 28 Abs. 2 UStDB genannten Rohstoffe und Halberzeugnisse nach objektiven Merkmalen umgrenzt sind (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs V A 601/36 vom 22. Januar 1937, Slg. Bd. 40 S. 342, und V 159/38 vom 5. Mai 1939, Slg. Bd. 47 S. 30). Damit ist aber nur ausgesprochen, daß Gegenstände, die eine Bearbeitung nicht erfahren haben, erkennbar nach objektiven Gesichtspunkten bestimmbar sein müssen als solche, die im § 28 Abs. 2 UStDB aufgeführt sind, oder als solche, die nach der Verkehrsauffassung etwas anderes darstellen. Verbandwatte ist im § 28 Abs. 2 Ziff. 1 nicht genannt. Dort ist lediglich von Baumwolle roh, Abfällen davon, Spinnereiabfällen aller Art und Linters, auch gewaschen, gereinigt oder gebleicht, die Rede. Daß Verbandwatte unter keinen der genannten Gegenstände fällt, kann von der Rb. ernstlich nicht bestritten werden. Ihre Berufung auf den Erlaß des Reichsministers der Finanzen S 4216 -- 118 III vom 27. November 1935 geht fehl. Hier ging es nur darum, daß bei Weiterlieferung von Baumwollspinnereiabfällen, die lediglich gewaschen, gereinigt und gebleicht wurden, unter der Bezeichnung "Putzwolle" die Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 4 UStG nicht verloren ging. Die Abfälle sind in diesem Falle erkennbar Abfälle geblieben. Dagegen hat im Streitfalle eine zusätzliche Bearbeitung, das im § 29 Abs. 1 Ziff. 1 UStDB nicht genannte Krempeln, stattgefunden, und der Liefergegenstand ist in veränderter Form, nämlich in der eines breiten, aufgewickelten Vließes weitergeliefert worden. Auch wenn man mit den von der Rb. beigebrachten Gutachten, denen in den technischen Feststellungen zu folgen, der Senat keine Bedenken hätte, als Hauptzweck des Krempelns nur eine Reinigung der Abfälle erblickte und die nunmehr dem Lieferungsgegenstand gegebene Form als zwangsläufige Folge dieser Art "Reinigung" erachtete, so würde gleichwohl die Verkehrsanschauung in der Verbandwatte etwas anderes sehen wie nur gereinigte Abfälle von Rohbaumwolle. Diese Auffassung wird bestätigt durch die zolltarifliche Einordnung der Ware, die nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (vgl. z. B. Urteile V 56/38 vom 26. April 1940, Reichssteuerblatt -- RStBl. -- 1940 S. 563; V 212/40 vom 16. Mai 1941, RStBl. 1941 S. 661, und V 23/43 vom 10. Dezember 1943, RStBl. 1944 S. 627) grundsätzlich auch für das Umsatzsteuerrecht maßgebend ist. In Betracht zu ziehen ist der jeweils geltende Zolltarif (vgl. auch Koch-Wirckau-Sölch-Ringleb, 5. Aufl. Bem. 1, 2, 5 S. 198, 199, 206 zu § 4 Ziff. 4 UStG). Nach dem Amtlichen Warenverzeichnis zum hier anzuwendenden Zolltarif von 1902 ist Watte aus Spinnstoffen unter Nr. 512 A des Zolltarifs als zollpflichtig besonders aufgeführt. Nach der Anmerkung hierzu wird Watte aus Baumwolle wie Watte aus Spinnstoffen behandelt. Andererseits werden Abfälle roher Baumwolle unter Nr. 438 als besonderer Gegenstand zollfrei aufgeführt. Das Krempeln ist auch hierbei als besonders zugelassene Bearbeitung nicht erwähnt. Unter "Baumwolle, roh, auch gereinigt" (Nr. 28 des Zolltarifs) ist besonders auf die Watte verwiesen. Es sei bemerkt, daß sich auch nach dem Zolltarif von 1951 die zollrechtliche Lage insoweit nicht geändert hat.
Der Senat hat keine Bedenken, sich der zollrechtlichen Abgrenzung, der die Verkehrsauffassung der beteiligten Wirtschaftskreise zugrunde liegt, auch für die hier zu beurteilende Frage anzuschließen. Den in dieser Sache erstatteten Gutachten kommt demgegenüber eine umsatzsteuerliche Bedeutung nicht zu, so daß es auf die weiteren Ausführungen der Vorentscheidung über die mit dem Krempeln verfolgten Zwecke nicht mehr ankommen kann. Ebenso erübrigt sich bei dieser Betrachtungsweise ein Eingehen auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 7. November 1950 III B S 4138 -- 58/50, auf das sich die Bfin. beruft, wonach es auf das jeweils angewendete technische Verfahren ankommen soll, ob das Krempeln als bloßes Reinigen zu den besonders zugelassenen Bearbeitungen des § 29 Abs. 1 Ziff. 1 UStDB gehöre. Technische Gesichtspunkte können jedenfalls dann außer Betracht bleiben, wenn durch das Krempeln von Rohbaumwolle und deren Abfällen ein Lieferungsgegenstand entsteht, der nach der Verkehrsauffassung nicht mehr zu den Rohstoffen und Halberzeugnissen des § 28 Abs. 2 UStDB rechnet.
Das Vorbringen der Bfin. in der mündlichen Verhandlung konnte den Senat nicht zu einer von dem Bescheid vom 19. Dezember 1952 abweichenden Beurteilung veranlassen. Wenn sich die Bfin. darauf beruft, daß in einem Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 2. Februar 1939 (Umsatzsteuerkartei S 4138 d Karte 25) ausgeführt sei, daß in einem für den Großhandel mit Kraft- und Schmierstoffen aufgestellten Verzeichnis nur die in der Wirtschaft gebräuchlichen Sammelbezeichnungen für Kraft- und Schmierstoffe aufgeführt seien, daß Schmierstoffe jedoch oft auch unter anderen Phantasiebezeichnungen gehandelt würden, so ist dem entgegenzuhalten, daß "Watte" keine Phantasiebezeichnung ist, sondern im Wirtschaftsverkehr, mag man sie nun als Fertig- oder Halberzeugnis ansehen, eindeutig für einen bestimmten Gegenstand mit eindeutig abgrenzbaren Merkmalen und Eigenschaften verwendet wird. Ein solches Erzeugnis aber hätte, wenn seine Lieferung steuerfrei sein soll, in § 28 Abs. 2 UStDB 1938 ausdrücklich aufgeführt sein müssen.
Die Bfin. kann sich auch nicht auf die steuerliche Behandlung der Zellwolle ab 1. Juli 1951 und der Wolle berufen. Denn es kann nicht angenommen werden, daß der Verordnungsgeber einen ihm geläufigen technischen Bearbeitungsvorgang im § 28 Abs. 2 Ziff. 1 UStDB nur versehentlich nicht aufgeführt hätte. Der Senat ist deshalb auch jetzt der Überzeugung, daß es nicht darauf ankommt, ob das Krempeln nach den Ausführungen des technischen Gutachtens nur den letzten Akt der Reinigung darstelle, da das Erzeugnis "Watte" in der Form des beim Krempeln entstehenden Vließes nicht mehr bloß Abfälle von Rohbaumwolle darstellt.
Hiernach war die Rb. mit der Kostenfolge des § 307 der Reichsabgabenordnung als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl III 1953, 182 |
BFHE 1954, 470 |