Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Treu und Glauben, wenn ein Steuerpflichtiger in einem Bestätigungsschreiben an das Finanzamt eine bestimmte Zusage seitens des Sachbearbeiters behauptet und das Finanzamt dieses Schreiben, ohne ihm zu widersprechen, zu den Akten genommen hat.
Normenkette
StAnpG § 1/3
Tatbestand
Die Steuerpflichtige hat von Schreinereien Dielengarnituren - regelmäßig bestehend aus einem Schränkchen, einer Hutablage, einem Schirmständer und einem Spiegelrahmen - bezogen und nach Aufsetzen oder Aufschieben eines Spiegels auf den Blindrahmen im Großhandel weiterveräußert. Sie hat die in den Ausgangsrechnungen gesondert aufgeführten Spiegel mit dem allgemeinen Steuersatz von 4 v. H., die übrigen Teile der Garnituren mit dem ermäßigten Großhandels-Steuersatz von 1 v. H. der Umsatzsteuer unterworfen. Ebenso ist sie bei Flurgarderoben, die nur aus einem Stück bestanden, verfahren. Außerdem hat die Steuerpflichtige in geringem Umfange Bilder, die sie von einem anderen Betriebe hat einrahmen und einglasen lassen, im Großhandel geliefert; sie hat auch für diese Umsätze den ermäßigten Steuersatz in Anspruch genommen.
Dieser Sachverhalt wurde bei einer im Januar 1955 bei der Steuerpflichtigen durchgeführten Betriebsprüfung, die sich auf die Jahre 1950 bis 1954 erstreckte, festgestellt. Das Finanzamt sah davon ab, die bereits rechtskräftigen Veranlagungen für die Jahre 1950 bis 1953 zu berichtigen, legte jedoch die Ergebnisse der Betriebsprüfung der erstmaligen Veranlagung für 1954 zugrunde. Es zog die Steuerpflichtige (abgesehen von einem geringfügigen, nur versehentlich mit 1 v. H. versteuerten Betrage) mit dem Gesamtbetrage der vereinnahmten Entgelte zum allgemeinen Steuersatz von 4 v. H. zur Umsatzsteuer heran.
Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht dagegen billigte der Steuerpflichtigen die Großhandelsvergünstigung des § 7 Abs. 3 UStG zu und setzte die Umsatzsteuer für 1954 auf denjenigen Betrag herab, den die Steuerpflichtige in ihrer Umsatzsteuererklärung (nach Abzug der Berlinhilfe-Kürzung) als Umsatzsteuerschuld 1954 angegeben hatte. Das Finanzgericht sah auf Grund eines bei den Umsatzsteuer-Akten befindlichen Schreibens der Steuerpflichtigen vom 8. September 1951 und der Aussage des als Auskunftsperson gehörten zuständigen Sachbearbeiters als erwiesen an, daß sich das Finanzamt anläßlich einer am 6. September 1951 vorgenommenen Prüfung der Großhandelsumsätze der Steuerpflichtigen mit der Aufteilung der Lieferungen der Dielengarnituren in einen mit 4 v. H. und einen mit 1 v. H. zu versteuernden Teil einverstanden erklärt hätte.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß das Anbringen der Spiegel an den Blindrahmen der Dielengarnituren und der Flurgarderoben sowie das Einrahmen- und Einglasenlassen der Bilder eine die Großhandelsvergünstigung des § 7 Abs. 3 UStG ausschließende Bearbeitung im Sinne des § 12 UStDB darstellt und daß es nicht zulässig ist, bei den als Sachgesamtheiten erworbenen und weitergelieferten Dielengarnituren für Umsatzsteuerzwecke eine Aufspaltung der einheitlichen Lieferungen in einen mit 4 v. H. und einen mit 1 v. H. zu versteuernden Teil vorzunehmen. Die Gewährung der Großhandelsvergünstigung in den Vorjahren war - wenn nicht besondere Umstände hinzutraten - kein Grund, nach Klärung der Sach- und Rechtslage durch die Betriebsprüfung im Januar 1955 an der falschen umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Großhandelslieferungen bei der im August 1955 durchgeführten erstmaligen Veranlagung für 1954 festzuhalten. Bei den Veranlagungssteuern sind die Voraussetzungen einer Steuervergünstigung für jeden Veranlagungszeitraum grundsätzlich neu zu prüfen.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht, wenn Treu und Glauben eine abweichende Behandlung erfordern. Das gilt auf jeden Fall dann, wenn das Finanzamt hinsichtlich eines rechtlich zweifelhaften Tatbestandes nach vorangegangener Erörterung der Rechtslage dem Steuerpflichtigen eine (schriftliche oder mündliche) Zusage gibt, den Fall in einer bestimmten Weise zu behandeln, und die Zusage die Grundlage für wirtschaftliche Maßnahmen des Steuerpflichtigen bildet. Hier gebietet es das Bedürfnis nach Sicherheit im Rechtsverkehr, daß sich das Finanzamt solange an seine Zusage hält, bis es sie widerruft, und damit dem Steuerpflichtigen Gelegenheit gibt, seine Dispositionen zu ändern (Urteil des Bundesfinanzhofs I 176/57 U vom 18. November 1958, BStBl 1959 III S. 52, Slg. Bd. 68 S. 137). Das Finanzgericht hat eine vorbehaltlose Zusage des für die Veranlagung der Steuerpflichtigen zuständigen Sachbearbeiters (Bezirksbearbeiters) des Finanzamts bei der Prüfung am 6. September 1951 dahingehend für gegeben erachtet, daß das Finanzamt der Handhabung des Buchnachweises und der Umsatzsteuerberechnung für die Großhandelsumsätze durch die Steuerpflichtige zugestimmt habe. Es ist zu diesem Ergebnis an Hand des Bestätigungsschreibens der Steuerpflichtigen vom 8. September 1951 gelangt, das mit den folgenden Worten beginnt:
"Betrifft: Bei der am 6. 9. 1951 durch ... vorgenommenen Prüfung des Umsatzsteuernachweises wurde nachfolgende Berechnungsart und Buchnachweis für richtig befunden und gutgeheißen."
und in dem es nach der Darstellung des Buchnachweises wörtlich heißt:
"Die fertig bezogenen Dielengarnituren werden mit 3/4 % resp. 1 % Umsatzsteuer verbucht, während die Spiegel dazu, in unserem Betrieb auf Blindrahmen aufgeschraubt, auf den Rechnungen getrennt geführt und bei Zahlungseingang mit 3 % resp. 4 % Umsatz berechnet werden."
Bestätigungsschreiben dieser Art sind durchaus geeignet, als Beweismittel für den Inhalt einer vorangegangenen Besprechung zu dienen (Urteil des Bundesfinanzhofs I 94/56 U vom 25. September 1956, BStBl 1956 III S. 341, Slg. Bd. 63 S. 379). Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Steuerpflichtige den Inhalt der Besprechung falsch wiedergegeben hätte. Sie konnte nicht damit rechnen, daß das Finanzamt von ihrem Schreiben keine Kenntnis nehmen, oder, falls es sachlich unrichtig war, ihm nicht widersprechen würde. Aus der vordruckmäßigen Niederschrift über die Nachprüfung vom 6. September 1951 lassen sich irgendwelche zuverlässigen Schlüsse dahingehend, daß die im Schreiben der Steuerpflichtigen vom 8. September 1951 behauptete Regelung tatsächlich nicht getroffen worden sei, nicht ziehen. Es fällt auf, daß derselbe Sachbearbeiter, der die Prüfung vom 6. September 1951 vorgenommen hatte, in einem von ihm entworfenen Bericht an die Oberfinanzdirektion vom 7. September 1951 ausführt:
"Der Buchnachweis für Großhandel wurde nachgeprüft und als erbracht anerkannt."
Bei seiner Vernehmung im Berufungsverfahren hat der zuständige Sachbearbeiter erklärt, er könne nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob bei der Nachprüfung vom 6. September 1951 über die Besteuerung der Dielengarnituren usw., insbesondere über die Aufteilung dieser Umsätze in steuerbegünstigte und nichtsteuerbegünstigte, gesprochen worden sei. Bei dieser Sachlage konnte das Finanzgericht zu dem Ergebnis kommen, daß der Sachbearbeiter die oben angeführte vorbehaltlose Zusage tatsächlich gemacht hat. Eine weitere Beweiserhebung war weder erforderlich noch, weil es sich um Vorgänge aus dem Jahre 1951 handelt, erfolgversprechend.
Voraussetzung für die Verbindlichkeit einer solchen Zusage ist allerdings, daß sie von einem Beamten gemacht wird, der zur Abgabe derartiger Erklärungen bevollmächtigt ist. Das wird in der Regel der zuständige Sachgebietsleiter sein (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 199/57 U vom 20. Februar / 23. Oktober 1958, BStBl 1959 III S. 85, Slg. Bd. 68 S. 219). Es ist jedoch nicht zu beanstanden, daß das Finanzgericht im Streitfalle die Zusage eines Sachbearbeiters für verbindlich angesehen hat. Denn aus dem Schweigen auf ihr Schreiben vom 8. September 1951, das den Zweck hatte, den Inhalt der Besprechung vom 6. September 1951 schriftlich festzulegen und ihn den zuständigen Stellen des Finanzamts zur Kenntnis zu bringen, konnte die Steuerpflichtige schließen, daß die zur Entscheidung bevollmächtigten Beamten der Zusage des Sachbearbeiters zustimmten. Mit einer Antwort brauchte sie im Falle einer Zustimmung nicht zu rechnen. Das Verlangen des Vorstehers des Finanzamts, die Steuerpflichtige hätte auf einer Beantwortung des Bestätigungsschreibens bestehen und sich über die Befugnisse des Sachbearbeiters beim Finanzamt erkundigen müssen, ist als überspitzt abzulehnen. Das Bestätigungsschreiben war klar und in sich verständlich. Aus ihm ging hervor, daß bei der Steuerpflichtigen eine Prüfung der Großhandelsumsätze stattgefunden und der Prüfer hierbei eine bestimmte Art der Steuerberechnung ausdrücklich gutgeheißen hatte. Es gehört zu den Aufgaben des Sachgebietsleiters, bei der Durchsicht der Eingangspost einfache, ohne Hinzuziehung der Akten verständliche Schreiben kritisch zu prüfen und für den Fall, daß er anderer Ansicht ist, das Erforderliche zu veranlassen. Jedenfalls kann der Steuerpflichtige darauf vertrauen, daß seine an das Finanzamt (nicht an einen Sachbearbeiter) gerichteten Schreiben an die für die Entscheidung zuständige Stelle gelangen und von ihr bearbeitet werden. Wenn der Sachgebietsleiter dem Bestätigungsschreiben vom 8. September 1951 keine Bedeutung beigemessen und der Sachbearbeiter die Beantwortung des Schreibens übersehen hat (obwohl er sich bei seiner Vernehmung, fast acht Jahre später, an dieses Schreiben noch erinnerte), so können diese Versäumnisse nicht zum Nachteil der Steuerpflichtigen ausschlagen.
Schließlich konnte das Finanzgericht auch annehmen, daß sich die streitige Zusage auf die geschäftlichen Maßnahmen der Steuerpflichtigen ausgewirkt hat. Es gehört zum Wesen der Umsatzsteuer als Objektsteuer, daß sie auf den Abnehmer abgewälzt wird. Nach den Erfahrungen des Lebens bleibt ein Unterschied von 3 v. H. im Umsatzsteuersatz auf die Höhe des Verkaufspreises regelmäßig nicht ohne Einfluß. Das Finanzgericht konnte auf Einzelermittlungen zu dieser Frage verzichten, weil sie im Hinblick auf die Länge der inzwischen verstrichenen Zeit und die wiederholt eingetretenen Preiserhöhungen gerade in der Möbelbranche keinen Erfolg versprechen.
Wenngleich der Senat danach der Vorinstanz in den Hauptstreitpunkten zustimmt, ist die Sache zur weiteren Klärung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Das Finanzgericht hat nämlich den ermäßigten Steuersatz von 1 v. H. auf den ganzen in der Umsatzsteuererklärung für 1954 als Großhandelsumsatz bezeichneten Betrag (358.983 DM) angewendet, obwohl die Steuerpflichtige nach dem Betriebsprüfungsbericht vom 1. März 1955 den Steuersatz von 1 v. H. auch für die Großhandelslieferungen der (von ihr bearbeiteten) Flurgarderoben und Bilder in Anspruch genommen hat, sich die Zusage des Sachbearbeiters bei der Prüfung vom 6. September 1951 aber nur auf die Dielengarnituren erstreckte (vgl. Bestätigungsschreiben vom 8. September 1951). Diese Umsätze müssen, wenn die Steuerpflichtige sie in der Umsatzsteuererklärung für 1954 in die mit 1 v. H. zu versteuernden Beträge miteinbezogen hat - was aus den Akten nicht ersichtlich ist -, aus den steuerbegünstigten Beträgen ausgeschieden und den nichtbegünstigten Beträgen zugerechnet werden. Das Finanzgericht wird insoweit die erforderliche Feststellung zu treffen und alsdann erneut zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 410304 |
BStBl III 1962, 94 |
BFHE 1962, 250 |
BFHE 74, 250 |