Leitsatz (amtlich)
Grundbesitz, den eine Landwirtschaftskammer in Nordrhein- Westfalen für einen öffentlichen Dienst oder Gebrauch benutzt, ist nicht grundsteuerfrei, weil die Landwirtschaftskammer auch Berufsvertretung ist.
Orientierungssatz
1. Berufsvertretungen i.S. des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 GrStG sind juristische Personen des öffentlichen Rechts, welche die gemeinsamen berufsständischen und wirtschaftlichen Interessen der durch sie repräsentierten Angehörigen bestimmter Berufszweige vertreten, außerdem öffentliche Aufgaben erfüllen und zu diesem Zweck in der Regel mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet sind (zu dieser "Doppelnatur" von öffentlichen Körperschaften vgl. Literatur). Hier: Landwirtschaftskammern in Nordrhein-Westfalen. Eine ähnliche "Doppelnatur" von Körperschaften des öffentlichen Rechts ist kennzeichnend auch für die Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, welche das Gesetz gleichbehandelt mit den Berufsvertretungen und Berufsverbänden.
2. § 8 Abs. 2 GrStG regelt den Fall, daß der Steuergegenstand sowohl für steuerbegünstigte Zwecke als auch andere Zwecke benutzt wird, ohne daß eine räumliche Abgrenzung für die verschiedenen Zwecke möglich ist. Nicht anwendbar ist diese Vorschrift, wenn es schon an der persönlichen Voraussetzung für die Grundsteuerbefreiung fehlt. Hier: Landwirtschaftskammern in Nordrhein-Westfalen als Berufsvertretung; dies schließt eine Grundsteuerbefreiung aus.
Normenkette
GrStG § 3 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, Abs. 2-3, § 8 Abs. 2; RVO § 368k Abs. 3 S. 1, § 368n Abs. 2 S. 2, § 368m Abs. 4, § 368n Abs. 2; LwKG NW § 2 Nr. 1 S. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) --eine Landwirtschaftskammer-- ist durch Landesgesetz errichtet worden, ist rechtsfähig und hat die Aufgabe, die Landwirtschaft und die in ihr Berufstätigen zu fördern und zu betreuen. Sie ist Eigentümerin des Grundstücks ...straße in M, auf dem ein Verwaltungsgebäude steht, das sie für ihre Aufgaben benutzt. Sie ist der Ansicht, dieser Grundbesitz sei gemäß § 3 Abs.1 Nr.1 Satz 1 des Grundsteuergesetzes (GrStG) von der Grundsteuer befreit, da sie eine juristische Person des öffentlichen Rechts sei und den Grundbesitz für einen öffentlichen Dienst benutze.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) war demgegenüber der Auffassung, die Klägerin sei eine Berufsvertretung und demzufolge ihr Grundbesitz gemäß Satz 2 des § 3 Abs.1 Nr.1 GrStG von der Grundsteuerbefreiung ausgenommen. Er lehnte den Antrag der Klägerin, den bestandskräftigen Grundsteuermeßbescheid vom 20.Februar 1976 aufzuheben und den Grundbesitz rückwirkend als steuerfrei zu beurteilen, durch Verwaltungsakt vom 14.April 1977 ab, den Einspruch wies er zurück.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin begehrt, die Einspruchsentscheidung und den ablehnenden Verwaltungsakt aufzuheben und das FA zu verurteilen, ihren Grundbesitz rückwirkend ab 1.Januar 1976 von der Grundsteuer zu befreien. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Zwar nehme die Klägerin auch Interessen der Allgemeinheit wahr; in erster Linie aber vertrete sie die Interessen ihrer Mitglieder.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 3 Abs.1 Nr.1 GrStG. Sie beantragt,
das Urteil des FG abzuändern und das FA zu verurteilen, den bezeichneten
Grundbesitz mit Wirkung ab 1.Januar 1976 ganz oder zu einem angemessenen
Teil von der Grundsteuer freizustellen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist zurückzuweisen, weil sie unbegründet ist (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat den ablehnenden Verwaltungsakt zutreffend für rechtmäßig erachtet.
Verfahrensrechtlich ist es ohne Rechtsirrtum davon ausgegangen, daß gegen die Ablehnung des Antrags, den bestandskräftig gewordenen Grundsteuermeßbescheid aufzuheben (§ 20 Abs.1 Nr.2 Buchst.b GrStG), als Rechtsbehelf der Einspruch gegeben (§ 348 Abs.2 der Abgabenordnung --AO 1977--) und nach erfolglos gebliebenem Einspruchsverfahren die Verpflichtungsklage zulässig ist (§ 40 Abs.1, § 44 Abs.1 FGO).
Materiell-rechtlich ist es zu dem richtigen Ergebnis gekommen, daß der bezeichnete Grundbesitz der Klägerin nicht von der Grundsteuer befreit ist. Befreit von der Grundsteuer ist "Grundbesitz, der von einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts für einen öffentlichen Dienst oder Gebrauch benutzt wird". Ausgenommen von dieser Steuerfreiheit ist der Grundbesitz, der von Berufsvertretungen und Berufsverbänden benutzt wird (§ 3 Abs.1 Nr.1 GrStG). Berufsvertretungen in diesem Sinne sind (im Unterschied zu den meist privatrechtlich organisierten Berufsverbänden) juristische Personen des öffentlichen Rechts, welche die gemeinsamen berufsständischen und wirtschaftlichen Interessen der durch sie repräsentierten Angehörigen bestimmter Berufszweige vertreten, außerdem öffentliche Aufgaben (d.h. Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit) erfüllen und zu diesem Zweck in der Regel mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet sind (ähnlich Schlieder, Berufs- und Wirtschaftsverbände im Steuerrecht, 1960, 3). Zu ihnen gehört auch die Klägerin. Denn zu ihren Aufgaben gehört es, die in der Landwirtschaft Berufstätigen "zu fördern und zu betreuen". Die Klägerin hat eine "Doppelnatur": Einerseits ist sie Teil der mittelbaren Staatsverwaltung, andererseits nimmt sie die gemeinsamen berufsständischen und wirtschaftlichen Interessen der durch sie repräsentierten Landwirte wahr (vgl. zu dieser "Doppelnatur" von öffentlichen Körperschaften, insbesondere von Landwirtschaftskammern, ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrer Bedeutung: Bieback, Die öffentliche Körperschaft, 1976, 315 ff., 332, 336-348, 356, 357; ferner Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, 104, 106, 162, 163; Fröhler/Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, 1974, 12, 38, 41-46; ebenso in bezug auf die Handwerksinnungen, Beschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 31* .Oktober 1984 1 BvR 35/82 u.a., BVerfGE 68, 193, Neue Juristische Wochenschrift 1985, 1385, 1386).
Eine ähnliche "Doppelnatur" von Körperschaften des öffentlichen Rechts ist kennzeichnend auch für die Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, welche das Gesetz gleichbehandelt mit den Berufsvertretungen und Berufsverbänden (§ 3 Abs.1 Nr.1 Satz 2 GrStG; Begründung zum Entwurf dieses Gesetzes, BTDrucks 7/78 S.45 und BTDrucks VI/3418 S.78): Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen --beides Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 368k Abs.3 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung --RVO--) haben einerseits die den Krankenkassen obliegende ärztliche Versorgung der Versicherten und ihrer Angehörigen sicherzustellen (§ 468n Abs.1, § 368 Abs.1 und 2 RVO); insoweit sind sie dem Gemeinwohl verpflichtet und mit Disziplinarbefugnissen ausgestattet (§ 368n Abs.2 Satz 2 i.V.m. § 368m Abs.4 RVO; BVerfG-Urteil vom 23.März 1960 1 BvR 216/51, BVerfGE 11, 30, 39). Andererseits haben sie die Rechte der Kassenärzte gegenüber den Krankenkassen wahrzunehmen (§ 368n Abs.2 RVO) und weisen insoweit "Elemente einer genossenschaftlichen, gewerkschaftlichen Interessenvertretung auf" (vgl. Schulin/Düe, Zur Einführung: Kassenarztrecht, Juristische Schulung 1984, 920, 922; vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15.Juli 1960 III 383/58 S, BFHE 71, 538, 542, BStBl III 1960, 449, 450). Trotzdem hat § 3 Abs.1 Nr.1 Satz 2 GrStG deren Grundbesitz ausdrücklich von der Steuerbefreiung ausgenommen.
Ähnlich wie im vorliegenden Falle hat der BFH schon früher die Landwirtschaftskammern Nordrhein-Westfalens beurteilt als "Selbstverwaltungskörperschaften, die die Interessen eines Berufsstandes wahrnehmen und für dessen Förderung sorgen sollen" (Urteil vom 16.Juli 1965 III 180/64 U, BFHE 83, 171, BStBl III 1965, 563; vgl. ferner Urteil vom 18.November 1955 III 92/54 U, BFHE 61, 517, BStBl III 1955, 398, betreffend eine Kreishandwerkerschaft als Berufsvertretung oder Berufsverband).
Die Vorschrift des § 8 Abs.2 GrStG hat das FG zutreffend für nicht anwendbar erachtet. Diese Vorschrift regelt den Fall, daß der Steuergegenstand sowohl für steuerbegünstigte Zwecke als auch andere Zwecke benutzt wird, ohne daß eine räumliche Abgrenzung für die verschiedenen Zwecke möglich ist. Für diesen Fall ordnet das Gesetz an, daß der Steuergegenstand nur befreit ist, "wenn die steuerbegünstigten Zwecke überwiegen". Nicht anwendbar ist diese Vorschrift deshalb, weil es im Streitfall schon an der persönlichen Voraussetzung für die Befreiung fehlt. Denn die Klägerin ist --wie dargelegt-- eine Berufsvertretung und dies schließt die Steuerbefreiung aus (vgl. auch Troll, Grundsteuergesetz, Kommentar, 4.Aufl., 1979, § 3 Erl.10 a.E.).
Fundstellen
Haufe-Index 60966 |
BStBl II 1985, 681 |
BFHE 144, 277 |
BFHE 1986, 277 |
BB 1985, 2225-2225 (S) |
DB 1986, 91-91 (ST) |
DStR 1985, 743-743 (S) |
HFR 1986, 20-21 (ST) |