Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung aller Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts
Leitsatz (NV)
Die Übertragung aller Anteile an einer (lediglich) Grundbesitz haltenden GbR kann entgegen dem Regelfall bei Vorliegen ganz besonderer Umstände kein Gestaltungsmißbrauch i. S. § 42 AO sein. Wenn den Beteiligten der einfache Weg objektiv nicht zur Verfügung stand, so kann dies für die Angemessenheit des gewählten Wegs sprechen.
Normenkette
GrEStG 1983 § 1 Abs. 1; AO 1977 § 42
Verfahrensgang
Tatbestand
Durch notariell beurkundete Erklärungen vom 10. Oktober 1984 schlossen die A-GmbH & Co. KG und deren Geschäftsführer als Gründungsgesellschafter einen Vertrag über die Errichtung der Klägerin als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Nach dem Gesellschaftsvertrag war der Zweck der Gesellschaft der Erwerb eines Teileigentums (Miteigentumsanteil an einem bestimmten Grundstück verbunden mit dem Sondereigentum an einer noch zu errichtenden . . . halle) sowie die Errichtung, Vermietung und Verwaltung dieser Halle. Für die Verwirklichung dieses Gesellschaftszwecks sah der Vertrag einen Investitionsplan vor, dessen Umsetzung ausdrücklich zum Bestandteil des Gesellschaftszwecks erklärt wurde. Dieser Plan sah ein Investitionsvolumen von . . . DM vor, das finanziert werden sollte durch eine Bareinlage von . . . DM, eine Umsatzsteuererstattung von . . . DM und durch Fremdkapital in Höhe von . . . DM. In dem Gesellschaftsvertrag wurde die Absicht niedergelegt, weitere Gesellschafter aufzunehmen. Die jeweiligen Gesellschaftsbeteiligungen müßten durch . . . DM teilbar sein. Je . . . DMBeteiligung seien . . . DM bar zu erbringen und . . . DM Umsatzsteuererstattung würden gutgeschrieben, der Rest sei fremdzufinanzieren. Die beiden Gründungsgesellschafter leisteten je eine Einlage von . . . DM, die zusammen mit der darauf entfallenden Umsatzsteuererstattung ihren Anteil am Gesellschaftsvermögen bilden sollte. Zur Aufnahme von Fremdkapital waren sie nicht verpflichtet. Bezüglich der Verwirklichung des Investitionsplans einschließlich dessen erstmaliger Finanzierung und der damit zusammenhängenden Aufnahme von Gesellschaftern wurde die Geschäftsführung der A übertragen. Mit ihrem Beitritt zur Gesellschaft sollten die neuen Gesellschafter die alleinige Geschäftsführungsbefugnis der A anerkennen und entsprechende Vollmacht erteilen. Nach Verwirklichung des Investitionsplans sollte die A die Geschäftsführung der Gesellschaft und Vertretung der Gesellschafter auf die B-GmbH übertragen. Dieser sollten dafür 4 v. H. der Jahresmieteinnahmen zustehen. Nach dem Vertrag konnte jeder Gesellschafter zum Schluß eines Kalenderjahres seinen Gesellschaftsanteil abtreten oder in sonstiger Weise darüber verfügen. Beim Ausscheiden aus der Gesellschaft stand dem einzelnen Gesellschafter ein Anspruch auf ein Auseinandersetzungsguthaben zu, das seiner Beteiligung am Vermögen der Gesellschaft entsprach.
Bereits im Juni 1984 hatten die beiden Gründungsgesellschafter, finanziert durch Bankkredite, mit dem Bau der Halle begonnen. Deren Fertigstellung erfolgte am 31. Oktober 1984. Durch Vertrag vom 30. November 1984 erwarb die Klägerin - wie im Gesellschaftsvertrag vorgesehen - das genannte Teileigentum.
In der Zeit vom 4. Februar bis 21. Dezember 1985 warben die Gründungsgesellschafter . . . Personen, die der Gesellschaft zu den im Gesellschaftsvertrag genannten Bedingungen beitraten und insgesamt eine Beteiligung in Höhe von . . . DM erbrachten. Im April 1986 wurde beantragt, das Grundbuch dahin zu berichtigen, daß die beigetretenen Gesellschafter als Eigentümer eingetragen werden. Die beiden Gründungsgesellschafter sollten dagegen gelöscht werden, da diese aus der Gesellschaft ausgeschieden seien. Eine schriftliche Vereinbarung über das Ausscheiden der Gründungsgesellschafter gab es nicht. Ertragsteuerlich wickelte die Klägerin in ihrer Ermittlung der Einkünfte für 1985 den Gesellschafterwechsel dergestalt ab, daß sie die Einkünfte bis zum 30. September 1985 den Gründungsgesellschaftern zurechnete und die Einkünfte danach den Neugesellschaftern. Auch der Beitritt des letzten Neugesellschafters wurde noch gegenüber dem Gründungsgesellschafter A erklärt. Dieser mußte daher bis zu diesem Zeitpunkt Gesellschafter geblieben sein.
Das beklagte Finanzamt (FA) setzte durch Bescheid vom 22. August 1986 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von . . . DM fest. Es sah in dem Gesellschafterwechsel eine Steuerumgehung.
Hiergegen richtete sich die Klage. Mit dieser wurde geltend gemacht, daß keine Steuerumgehung vorliege. Die Suche nach neuen Gesellschaftern habe längere Zeit in Anspruch genommen und während dieser Zeit sei nicht sicher gewesen, ob die gewünschte Zahl neuer Gesellschafter gefunden werde. Die ursprünglichen Gesellschafter hätten damit rechnen müssen, wesentliche Anteile an der Klägerin zu behalten.
Während des Klageverfahrens hat das FA durch auf § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Änderungsbescheid die Grunderwerbsteuer auf . . . DM herabgesetzt.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 werde durch einen Gesellschafterwechsel bei einer mit Grundvermögen ausgestatteten Personengesellschaft nicht erfüllt. Es liege auch kein Scheingeschäft vor. Eine Besteuerung komme auch nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 i. V. m. § 42 AO 1977 in Betracht. Es liege keine Steuerumgehung vor. Die erste Gruppe von Neugesellschaftern, die bereits am 4. Februar 1985 beigtreten sei, habe über 10 Monate noch mit einem der Gründungsgesellschafter zusammen die Gesellschaft gebildet. Von daher könne zumindest nicht von einer gleichzeitigen Übertragung aller Gesellschaftsanteile gesprochen werden. Sollte die Angabe über das Ausscheiden der Gesellschafter überhaupt unzutreffend sein, wäre der Annahme einer Steuerumgehung ohnehin die Grundlage entzogen. Ob ein achtmonatiges Nebeneinander von Alt- und Neugesellschaftern noch als zeitnaher Austausch sämtlicher Gesellschafter zu beurteilen sei, könne auf sich beruhen. Eine Steuerumgehung scheide schon deshalb aus, weil sich der Gesellschaftszweck der Klägerin nicht im bloßen Halten und Verwalten von Grundbesitz erschöpft habe. Die Klägerin stelle einen Immobilienfonds in der Rechtsform der GbR dar. Die mit der Verwaltung eines derartigen Fonds verbundenen Aufgaben gingen über eine bloße Hausverwaltung hinaus. Den Schwerpunkt der Verwaltungsaufgaben bildete nicht die Vermietung des Objekts, sondern die Abwicklung der Finanzierung und die Betreuung der Gesellschafter. Insofern bedürfe es eines gewissen Geschäftsbetriebs, der - vergleichbar einem gewerblichen Unternehmen - eine den Gesellschafterwechsel überdauernde sichtbare Organisationseinheit darstelle. Dies gelte zumindest bei einem Immobilienfonds mit . . . Gesellschaftern und einem Finanzierungsvolumen von über . . . DM. Das FG hat die Revision zugelassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet.
Das FG hat im Ergebnis zu Recht den Grunderwerbsteuerbescheid und den Änderungsbescheid sowie die diese bestätigende Einspruchsentscheidung für rechtswidrig gehalten.
1. Das FA hat zu Unrecht die Übertragung aller Anteile an der Klägerin als der Grunderwerbsteuer unterliegenden Vorgang angesehen. Die Übertragung von Anteilen an einer grundbesitzenden Personengesellschaft unterliegt als solche - falls nicht einer der Tatbestände des § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 erfüllt wird - nicht der Grunderwerbsteuer. Ein Scheingeschäft (bzw. Scheingeschäfte) liegt im Streitfall nicht vor.
2. Eine Besteuerung käme daher allenfalls nach § 42 AO 1977 (i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983) in Betracht. Die Voraussetzungen des § 42 Satz 1 AO 1977 sind jedoch im Streitfall nicht erfüllt.
Den Steuerpflichtigen ist es grundsätzlich nicht verwehrt, ihre rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, daß sich eine geringere steuerliche Belastung ergibt. Die Gestaltungsmöglichkeiten finden jedoch ihre Grenze in § 42 AO 1977, wonach durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden darf. Ein solcher Mißbrauch liegt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung dann vor, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen, also ungewöhnlich, ist und nicht durch sachgerechte erwerbswirtschaftliche oder andere beachtliche Gründe zu rechtfertigen ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. März 1988 X R 27/86, BFHE 153, 46, BStBl II 1988, 629, m. w. N.).
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats, daß die Übertragung sämtlicher Anteile an einer Grundbesitz haltenden GbR gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 i. V. m. § 42 AO 1977 der Grunderwerbsteuer unterliegen kann (vgl. BFH-Urteil vom 4. März 1987 II R 150/83, BFHE 149, 75, BStBl II 1987, 394, und Beschluß vom 7. Juni 1989 II B 111/88, BFHE 156, 527, BStBl II 1989, 803, m. w. N.).
Zwar sind im Streitfall innerhalb von fast 11 Monaten alle Anteile an der Klägerin auf neue Gesellschafter übertragen worden; auf Grund der sich aus den Gesamtumständen ergebenden Besonderheiten ist darin jedoch ein zur Steuerpflicht führender Gestaltungsmißbrauch i. S. von § 42 AO 1977 entgegen dem Regelfall nicht zu sehen.
Dies folgt allerdings - entgegen der Auffassung des FG - nicht bereits daraus, daß die Klägerin als Immobilienfonds in der Rechtsform einer GbR wegen der Abwicklung der Finanzierung und der Betreuung der Gesellschafter Verwaltungsaufgaben hat, die über die bloße Hausverwaltung und Vermietung des Objekts hinausgehen. Zumindest bei einem - wie im Streitfall - zum Zeitpunkt des Eintritts der neuen Gesellschafter bereits fertiggestellten Objekt sind diese Aufgaben nicht so gewichtig, daß bereits deswegen der Tatbestand des § 42 AO 1977 nicht erfüllt sein könnte. Durch den Beitritt zu der bereits bestehenden Gesellschaft mit dem bereits fertiggestellten Immobilienobjekt hat der einzelne Gesellschafter im wesentlichen dieselbe Stellung erlangt, die er erhalten hätte, wenn er zusammen mit den anderen Neugesellschaftern in GbR das Gesellschaftsgrundstück von der alten Gesellschaft erworben hätte. Zumindest bei einem bereits fertiggestellten Objekt besteht insofern kein wesentlicher Unterschied.
Auch der Umstand, daß sich der Beitritt der neuen Gesellschafter - und damit insgesamt der Austausch aller Gesellschafter - über einen Zeitraum von fast 11 Monaten hinzog, schließt für sich allein gesehen die Annahme eines Gestaltungsmißbrauchs nicht aus (zur Frage des Zeitraums vgl. BFH-Urteil in BFHE 149, 75, BStBl II 1987, 394). Bei der Prüfung der Frage, ob die Beteiligten insgesamt eine angemessene zivilrechtliche Gestaltung gewählt haben, ist jedoch die Länge des Zeitraums, in dem der vollständige Gesellschafteraustausch stattgefunden hat, mit zu berücksichtigen.
Im Streitfall liegen (weitere) Besonderheiten vor, die das Vorliegen eines Gestaltungsmißbrauchs ausschließen. Unangemessen ist eine rechtliche Gestaltung, die verständige Parteien in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung nicht wählen würden (vgl. Urteil des Senats vom 6. März 1990 II R 88/87, BFHE 160, 57, BStBl II 1990, 446). Eine mißbräuchliche Rechtsgestaltung zur Steuerumgehung ist danach darin zu sehen, daß die Beteiligten unter Ausnutzung einer zivilrechtlich bestehenden Wahlmöglichkeit (= Möglichkeit verschiedener Gestaltung) den angemessenen, aber vom Tatbestand eines Steuergesetzes erfaßten Weg vermeiden und statt dessen einen unangemessenen Weg beschreiten, der zwar nach der Wertung des Steuergesetzes ebenfalls besteuerungswürdig ist, aber als solcher keinen Steuertatbestand erfüllt. Der durch die tatsächlich gewählte Gestaltung ,,verdeckte", eigentlich angemessene zivilrechtliche (Gestaltungs-)Weg muß den Beteiligten daher als eigentlich naheliegende Möglichkeit zur Verfügung gestanden haben. Nach der Rechtsprechung des Senats zum Gestaltungsmißbrauch bei der Übertragung aller Anteile an einer grundbesitzenden Personengesellschaft (vgl. Urteil vom 19. März 1980 II R 23/77, BFHE 130, 422, BStBl II 1980, 598) wäre der angemessene Weg regelmäßig darin zu sehen gewesen, daß die Beteiligten zur Erreichung desselben Erfolgs das Gesellschaftsgrundstück (oder die Gesellschaftsgrundstücke) in - ggf. neu zu gründender - Gesellschaft gemeinsam erworben hätten. Diese Möglichkeit - gemeinsamer Erwerb in neugegründeter Gesellschaft - stand im Streitfall den neubeitretenden Gesellschaftern jedoch objektiv nicht zur Verfügung. Sie sind vielmehr erst sukzessive - über einen Zeitraum von fast 11 Monaten verteilt - für das Immobilienobjekt interessiert worden und sind der Gesellschaft ebenfalls sukzessive und objektiv notwendigerweise ohne vorherige Verbindung zueinander beigetreten. Diese objektive Sachlage spricht dafür, den gewählten Weg als angemessen zu werten. Dabei sind die Vielzahl der Gesellschafter im Verhältnis zur Größe des Immobilienobjekts und der relativ lange Zeitraum bis zum Ausscheiden des letzten Gründungsgesellschafters als ebenfalls für die Angemessenheit der gewählten Regelung sprechend mitzuberücksichtigen. Auch die aus der Gesamtregelung des GrEStG zu ermittelnde Wertung des Steuergesetzgebers widerspricht im Streitfall diesem Ergebnis nicht. Durch die Regelung im Gesellschaftsvertrag ist die Stellung der Gesellschafter denen einer Kapitalgesellschaft angenähert. Dies ergibt sich vor allem aus der Vielzahl der Gesellschafter, der freien Übertragbarkeit des einzelnen Gesellschaftsanteils und dem Ausschluß der Gesellschafter von der Geschäftsführung. Damit ist ihre Stellung zumindest in die Nähe eines Kapitalgesellschafters gerückt, bei denen die Übertragung von Anteilen - abgesehen von den hier nicht interessierenden Tatbeständen des § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 - grundsätzlich nicht von der Grunderwerbsteuer erfaßt wird. Zu berücksichtigen ist auch, daß der Beitritt der neuen Gesellschafter zu Finanzierungszwecken erfolgte.
Fundstellen
Haufe-Index 417940 |
BFH/NV 1992, 410 |