Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 20.01.2006) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 20. Januar 2006
- im Schuldspruch aufgehoben; die Feststellungen bleiben aufrechterhalten mit Ausnahme der Feststellungen zur Tatzeit,
- im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten sowie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Rz. 1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in drei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Soweit dem Angeklagten in der Anklage 197 weitere Fälle zur Last gelegt worden waren, konnte das Landgericht keine weiteren Feststellungen treffen, weshalb der Angeklagte insoweit freigesprochen wurde.
Rz. 2
2. Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf zwei Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Schuldspruchs und des Strafausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
1. Die Verfahrensrügen, mit denen der Angeklagte eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO sowie die Ablehnung einer hilfsweise beantragten Vernehmung eines gynäkologischen Sachverständigen rügt, sind aus den Gründen, die der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift angeführt hat, unbegründet.
Rz. 4
2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge führt zur Aufhebung des Schuldspruchs; im Übrigen hat sie keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Rz. 5
Die Strafkammer vermochte sich nur davon zu überzeugen, dass der Angeklagte an der Geschädigten insgesamt drei sexuelle Handlungen vorgenommen hat, obgleich die Geschädigte noch zu Beginn der Hauptverhandlung von vier bis fünf sexuellen Übergriffen pro Woche (UA S. 19) und einem Tatzeitraum von Mai 1998 bis September 1999 (UA S. 9 f.) berichtet hatte. Das ist hinzunehmen. Der Senat hebt jedoch den Schuldspruch auf, weil die Strafkammer bisher keine näheren Feststellungen zu den genauen Tatzeitpunkten getroffen hat. Das ist geboten, weil auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen in Betracht kommt, dass der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen verjährt ist. Die Jugendkammer hat als Tatzeitraum „Mai 1998 bis 31.08.1999” angenommen. Die im Jahre 2005 zur Anzeige gekommenen Tatvorwürfe gegen den Angeklagten waren hinsichtlich des tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen zu diesem Zeitpunkt nur dann noch nicht verjährt, wenn beim Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3007) am 1. April 2004 die Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) noch nicht abgelaufen war. Somit kommt es vorliegend darauf an, ob eine oder mehrere der Taten, welche der Verurteilung zu Grunde liegen, vor dem 1. April 1999 begangen worden sind.
Rz. 6
Der Senat kann über die Frage der Verjährung nicht abschließend entscheiden. Ausgehend von ihrem Standpunkt hatte die Strafkammer keinen Anlass, die Tatzeiten näher einzugrenzen. Es erscheint aber möglich, dass die neu zur Entscheidung berufene Kammer die Tatzeitpunkte genauer bestimmen kann, so dass insoweit noch keine Verjährung eingetreten ist. Deshalb hat der Senat die Sache zurückverwiesen mit der Maßgabe, dass die getroffenen Feststellungen aufrechterhalten bleiben mit der Ausnahme der Feststellungen zu den genauen Tatzeitpunkten. Ist eine weitere Aufklärung nicht möglich, wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer zu Gunsten des Angeklagten davon ausgehen müssen, dass die Taten vor dem 1. April 1999 begangen worden sein können und damit der jeweils tateinheitliche Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen verjährt ist.
Rz. 7
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Falls der neue Tatrichter (bei Verjährung der tateinheitlich begangenen Taten des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen) nur noch zu einer Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen kommen sollte, wird darauf hingewiesen, dass auch verjährte Taten, wenn auch mit geringerem Gewicht, bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden können (Senat, Beschluss vom 14. März 2000 – 1 StR 65/00; Beschluss vom 17. März 2006 – 1 StR 577/05; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 20).
Unterschriften
Nack, Wahl, Kolz, Elf, Graf
Fundstellen
NStZ-RR 2006, 361 |
StraFo 2006, 408 |