Erpresser sind nicht arglos - BGH zum Mordmerkmal der Heimtücke

Befindet sich ein Täter in einer Notwehrsituation gegenüber seinem Erpresser und überschreitet die Grenzen der Notwehr, indem er den Erpresser tötet, so ist das Mordmerkmal der Heimtücke einschränkend auszulegen.

In einem Grundsatzurteil hat der BGH entschieden, dass die Tötung eines Erpressers durch das Erpressungsopfer in der Regel nicht das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt, da ein Erpresser gegenüber seinem Erpressungsopfer nicht arglos ist.

Drogendealer forderte Strafzinsen

Im vom BGH entschiedenen Fall erwarb der Angeklagte von seinem späteren Tatopfer regelmäßig Kokain, das er nach einer mündlich getroffenen Vereinbarung jeweils zum Monatsende bezahlte. Entgegen diesem Übereinkommen forderte der Dealer im November 2019 die sofortige Begleichung einer ausstehenden Geldsumme von 700 Euro. Da der Angeklagte nicht flüssig war, forderte der Dealer Strafzinsen in Höhe von 300 Euro. Diese neue Zahlungspraxis weitete der Dealer in der Folgezeit aus und kündigte Anfang Februar 2020 die Forderung von Strafzinsen in Höhe von pauschal 1.000 Euro pro Woche für offenstehende Zahlungen an.

Drei tödliche Schüsse in den Kopf des Dealers

Mitte März 2020 kam es im Rahmen einer Forderung des Dealers in Höhe von ca. 8.000 Euro zu einer Auseinandersetzung, bei der der Dealer den Angeklagten mit Schlägen erheblich verletzte und ihm androhte, er werde ihn „auseinandernehmen, wenn er das Geld nicht kurzfristig besorge. Die Auseinandersetzung setzte sich später im Porsche des Dealers fort. Von der Rückbank aus bedrohte der Angeklagte den Dealer mit einer mitgeführten Pistole. Als dieser ihn auslachte, schoss der Angeklagte ihm dreimal in den Kopf. Die Schüsse waren tödlich.

Verurteilung wegen heimtückischen Mordes

Das erstinstanzlich mit der Sache befasste LG hat den Angeklagten wegen heimtückischen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Auffassung des LG war die Tat des Angeklagten nicht durch Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt, obwohl der Angeklagte einem andauernden und damit gegenwärtigen rechtswidrigen Eingriff auf seine freie Willensentschließung und sein Vermögen ausgesetzt war (BGH, Urteil vom 12. Februar 2003,1 StR 403/02).

Erpresste hätte Strafverfolgungsbehörden einschalten können

Gewalttätige Übergriffe des Dealers sowie Drohungen gegenüber dem Angeklagten hatten sich nach den Feststellungen des LG im Laufe der Zeit zwar zunehmend intensiviert, jedoch war die Tötung des Dealers nach Auffassung des LG zur Abwehr der Angriffe nicht erforderlich. Dem Angeklagten sei es zeitlich möglich und zumutbar gewesen, sich an die Strafverfolgungsbehörden zu wenden, um diese Angriffe endgültig abzustellen (BGH, Urteil v. 19.8.2020, 5 StR 219/20). Aus dem gleichen Grund Grund habe sich der Angeklagte auch nicht im entschuldigenden Notstand gemäß § 35 StGB befunden.

BGH lehnt Mordmerkmal der Heimtücke ab

Die Ausführungen des LG zu Notwehr und Notstand billigte der BGH, nicht jedoch die Annahme des LG, der Angeklagte habe heimtückisch gehandelt. Allerdings bestätigte der BGH die Annahme der Vorinstanz, dass ein tückisches Handeln kein heimliches Vorgehen erfordert: 

  • Das Opfer könne auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm feindselig entgegentritt,
  • die Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist,
  • dass ihm keine reale Möglichkeit mehr bleibt, dem Angriff zu begegnen (BGH, Urteil v. 6.1.2021, 5 StR 288/20).

Erpressung und Notwehrlage wirken auf Mordmerkmal

Nach Auffassung des BGH hatte die Vorinstanz aber dem Umstand zu wenig Rechnung getragen, dass die grundsätzlich bestehende Notwehrlage des Täters als Opfer einer Erpressung Auswirkungen auf die Beurteilung des Mordmerkmals der Heimtücke hat. Das Mordmerkmal der Heimtücke sei insoweit einer normativ orientierten, einschränkenden Auslegung zugänglich, die dem „Element des Tückischen Rechnung zu tragen“ habe (BGH, Urteil vom 10.5.2007, 4 StR 11/07).

Ein Erpresser befindet sich kaum im Zustand der Arglosigkeit

Hierbei stellte der Senat auch die Frage, ob ein Erpresser gegenüber seinem Erpressungsopfer überhaupt arglos sein kann, wie es der Begriff der Heimtücke voraussetzt. Ein Erpresser müsse grundsätzlich jederzeit mit der Gegenwehr seines Opfers rechnen. Dies spreche gegen seine Arglosigkeit in einer solchen Situation (BGH, Urteil v. 12.2.2002, 1 StR 403/02).

Das eigentlich „Tückische“ macht die Heimtücke aus

Im Ergebnis ließ der BGH die Frage der möglichen Arglosigkeit eines Erpressers offen. Im konkreten Fall sei jedenfalls davon auszugehen, dass der tödlichen Gegenwehr des Angeklagten und Erpressungsopfers nicht in dem Maße das typisch „Tückische“ innewohne, welches den gesteigerten Unwert des Mordmerkmals der Heimtücke kennzeichne.

In der konkreten Konstellation sei der Dealer der eigentliche und permanente Angreifer gewesen, der Angeklagte habe sich insoweit in einer Notwehrlage befunden, auch wenn er deren Grenzen durch die Tötung des Erpressers überschritten habe.

Angeklagter hatte nicht von Anfang an Tötungsabsicht

Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz sei auch nicht davon auszugehen, dass der Angeklagte die Pistole von vornherein in der Absicht mitgeführt habe, den Erpresser zu töten. Vielmehr sei davon auszugehen, dass er diesen zunächst nur einschüchtern wollte und er die Schüsse erst in der konkreten Situation angesichts zunehmender Gewaltandrohung durch den Dealer abgegeben habe.

Revision wegen Mordverurteilung erfolgreich

Im Ergebnis verneinte der Senat das Merkmal der Heimtücke. Der Senat änderte Schuldspruch der Vorinstanz und bewertete die Tat als Totschlag. Den Strafausspruch der lebenslangen Freiheitsstrafe hob der Senat auf und verwies die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG zurück.

(BGH, Urteil v. 18.11.2021, 1 StR 397/21).


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