Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensregulierung eines Kfz-Unfalls ohne Ersatzbeschaffung auf Basis der Umsatzsteuerregelbesteuerung oder Differenzbesteuerung
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, welcher Umsatzsteueranteil vom Brutto-Wiederbeschaffungswert eines unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges in Abzug zu bringen ist, wenn keine Ersatzbeschaffung vorgenommen wird.
Leitsatz (redaktionell)
Will der Geschädigte seinen Schaden fiktiv auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens abrechnen und fällt tatsächlich keine Umsatzsteuer an, ist von einem dort angegebenen Brutto-Wiederbeschaffungswert eine darin enthaltene Umsatzsteuer abzuziehen, denn nach der gesetzlichen Neuregelung des § 249 Abs. 2 BGB ist sie nicht ersatzfähig, weil diese Vorschrift insoweit die Dispositionsfreiheit begrenzt. Hierfür hat der Tatrichter zu klären, ob solche Fahrzeuge üblicherweise auf dem Gebrauchtwagenmarkt nach § 10 UStG regelbesteuert oder nach § 25a UStG differenzbesteuert oder von privat und damit umsatzsteuerfrei angeboten werden.
Normenkette
BGB § 249 Abs. 2 S. 2 n.F.; UStG 1980 §§ 10, 25a
Verfahrensgang
LG Hechingen (Urteil vom 09.06.2005; Aktenzeichen 3 S 24/05) |
AG Albstadt (Urteil vom 24.02.2005; Aktenzeichen 1 C 24/05) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Hechingen vom 9.6.2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1]Der Kläger nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer auf restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 24.2.2004 in Anspruch, bei dem an seinem Pkw wirtschaftlicher Totalschaden entstand. Die volle Haftung der Beklagten für den Unfallschaden steht außer Streit.
[2]In einem vom Kläger vorprozessual eingeholten Gutachten ermittelte ein Sachverständiger den Restwert des Unfallfahrzeuges, eines VW Golf TDI, Erstzulassung 2001, mit 4.255 EUR und den Wiederbeschaffungswert mit 12.800 EUR brutto, wobei er davon ausging, dass entsprechende Fahrzeuge im Kfz-Handel überwiegend differenzbesteuert mit einem Mehrwertsteueranteil von ca. 2 % angeboten werden.
[3]Der Kläger hat keine Ersatzbeschaffung vorgenommen und mit der Beklagten auf Grundlage des Sachverständigengutachtens abgerechnet. Die Beklagte ist jedoch bei der Schadensregulierung von einem Mehrwertsteueranteil von 16 % ausgegangen und hat den Netto-Wiederbeschaffungswert auf dieser Grundlage errechnet. Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger den Differenzbetrag geltend, der sich aus den beiden Berechnungsmethoden ergibt. Das AG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG das erstinstanzliche Urteil entsprechend abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
[4]I.
Das Berufungsgericht hat zwar mit dem AG bei der Ermittlung des Netto-Wiederbeschaffungswertes des unfallbeschädigten Fahrzeuges entscheidend darauf abgestellt, ob ein entsprechendes Fahrzeug auf dem Gebrauchtwagenmarkt überwiegend mit 16 % Umsatzsteuer regelbesteuert oder mit ca. 2 % differenzbesteuert gehandelt wird. Es hat sich jedoch nach Anhörung eines weiteren Sachverständigen die Überzeugung gebildet, dass das unfallbeschädigte Fahrzeug des Klägers zum Unfallzeitpunkt überwiegend regelbesteuert angeboten worden sei. An dieser vom AG abweichenden Feststellung hat es sich nicht durch eine Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem AG gehindert gesehen, dass die Feststellungen in dem vom Kläger vorgelegten und seinem Vortrag zugrunde gelegten Schadensgutachten nicht bestritten würden. Es meint, der in der mündlichen Verhandlung nach wie vor bestehende Streit zwischen den Parteien über die Abzugsfähigkeit von 2 % oder 16 % Umsatzsteuer wäre von Seiten der Beklagten sinnlos gewesen, wenn mit der entsprechenden Erklärung zum Schadensgutachten auch der Tatsachenvortrag des Klägers zur überwiegenden Differenzbesteuerung des Fahrzeuges habe zugestanden werden sollen.
[5]II.
Das Urteil des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
[6]1. Da das schädigende Ereignis nach dem 31.7.2002 eingetreten ist, bestimmt sich die Ersatzpflicht der Beklagten gem. Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB nach den Vorschriften der §§ 249 ff. BGB in der Fassung des zweiten Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19.7.2002 (BGBl. I, 2674). Nach dieser gesetzlichen Neuregelung schließt der bei der Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist (§ 249 Abs. 2 Satz 2 BGB). Dies gilt auch im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens (BGH, Urt. v. 1.3.2005 - VI ZR 91/04, BGHReport 2005, 1178 m. Anm. Krischer = MDR 2005, 1224 = VersR 2005, 994; v. 20.4.2004 - VI ZR 109/03, BGHZ 158, 388 [389] = MDR 2004, 934 m. Anm. Timme/Hülk = BGHReport 2004, 1080 m. Anm. Lemcke; v. 18.5.2004 - VI ZR 267/03, MDR 2004, 934 = BGHReport 2004, 1084 = VersR 2004, 927 [928]).
[7]a) Will der Geschädigte seinen Schaden fiktiv auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens abrechnen, ist von einem dort angegebenen Brutto-Wiederbeschaffungswert eine darin enthaltene Umsatzsteuer abzuziehen. Hierfür hat der Tatrichter zu klären, ob solche Fahrzeuge üblicherweise auf dem Gebrauchtwagenmarkt nach § 10 UStG regelbesteuert oder nach § 25a UStG differenzbesteuert oder von Privat und damit umsatzsteuerfrei angeboten werden (BGH, Urt. v. 1.3.2005 - VI ZR 91/04, BGHReport 2005, 1178 m. Anm. Krischer = MDR 2005, 1224 = VersR 2005, 994). Dabei ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn sich der Tatrichter im Rahmen der Schadensschätzung i.S.d. § 287 ZPO an der überwiegenden Wahrscheinlichkeit orientiert, mit der das Fahrzeug diesbezüglich auf dem Gebrauchtwagenmarkt gehandelt wird.
[8]b) Der von der Revision im Anschluss an eine Entscheidung des OLG Köln (OLG Köln v. 5.12.2003 - 19 U 85/03, OLGReport Köln 2004, 96 = NJW 2004, 1465) vertretenen Auffassung, auch bei einem überwiegend regelbesteuert gehandelten Unfallfahrzeug könne der Geschädigte aus Gründen der Dispositionsfreiheit nicht darauf verwiesen werden, ein solches Fahrzeug zu erwerben, vielmehr könne er ebenso ein differenzbesteuertes Fahrzeug anschaffen, kann nicht gefolgt werden.
[9]Im Rahmen der gebotenen "subjektbezogenen Schadensbetrachtung" kann es dem Geschädigten zwar nicht zum Nachteil gereichen, wenn er bei der konkreten Ersatzbeschaffung auf dem Gebrauchtwagenmarkt von den umsatzsteuerrechtlich möglichen verschiedenen Erwerbsmöglichkeiten nicht gerade diejenige realisiert, die der Sachverständige als die statistisch wahrscheinlichste bezeichnet hat (BGH, Urt. v. 1.3.2005 - VI ZR 91/04, BGHReport 2005, 1178 m. Anm. Krischer = MDR 2005, 1224 = VersR 2005, 994). Erwirbt der Geschädigte tatsächlich ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis, der dem in einem Sachverständigengutachten ausgewiesenen Brutto-Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges entspricht oder diesen übersteigt, kann er im Wege konkreter Schadensabrechnung die Kosten der Ersatzbeschaffung bis zur Höhe des Brutto-Wiederbeschaffungswertes des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges - unter Abzug des Restwertes - ersetzt verlangen. Auf die Frage, ob und in welcher Höhe in dem im Gutachten ausgewiesenen Brutto-Wiederbeschaffungswert Umsatzsteuer enthalten ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (BGH, Urt. v. 1.3.2005 - VI ZR 91/04, BGHReport 2005, 1178 m. Anm. Krischer = MDR 2005, 1224 = VersR 2005, 994).
[10]Verzichtet jedoch der Geschädigte - wie im Streitfall - auf eine Ersatzbeschaffung und fällt tatsächlich keine Umsatzsteuer an, dann ist eine solche im Rahmen einer fiktiven Schadensabrechnung auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens nach der gesetzlichen Neuregelung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht ersatzfähig, weil diese Vorschrift insoweit die Dispositionsfreiheit begrenzt (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drucks. 14/7752, 23). Der Rechtsstandpunkt der Revision hätte im Ergebnis zur Folge, dass auch ein Abzug eines 2 %igen Umsatzsteueranteils bei überwiegender Differenzbesteuerung zu unterbleiben hätte, wenn die Möglichkeit bestünde, dass der Geschädigte ein gleichwertiges Fahrzeug umsatzsteuerfrei von Privat erwirbt. Da diese Möglichkeit, mag sie im Einzelfall auch noch so gering sein, theoretisch immer besteht, wäre der Anwendbarkeit der gesetzlichen Neuregelung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB bei der fiktiven Schadensabrechnung die Grundlage entzogen.
[11]c) Steht mit der für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO ausreichenden Wahrscheinlichkeit fest, dass ein Ersatzfahrzeug auf dem Gebrauchtwagenmarkt überwiegend regelbesteuert erworben werden kann, beschränkt sich der bei der fiktiven Schadensabrechnung vorzunehmende Abzug der Umsatzsteuer auch nicht - wie die Revision hilfsweise meint - auf einen Mittelwert aus dem Marktanteil der Regel- und dem der Differenzbesteuerung (Huber, NZV 2004, 105). Damit ließe sich zwar rechnerisch ein durchschnittlicher "Netto-Wiederbeschaffungswert" ermitteln. Dieser läge jedoch über dem Wert, den das Berufungsgericht im Rahmen seiner Schadensschätzung als überwiegend wahrscheinlich erachtet hat und würde deshalb einen fiktiven Umsatzsteueranteil enthalten, der nach der gesetzlichen Neuregelung nicht erstattungsfähig ist (BGH, Urt. v. 15.11.2005 - VI ZR 26/05, MDR 2006, 685 = BGHReport 2006, 228 = VersR 2006, 238 [239]).
[12]2. Entgegen der Auffassung der Revision war das Berufungsgericht auch nicht durch ein erstinstanzliches Geständnis der Beklagten nach §§ 288, 535 ZPO gehindert, eine von dem erstinstanzlichen Urteil abweichende Feststellung zur wahrscheinlichen Umsatzsteuer bei Ersatzbeschaffung zu treffen.
[13]a) Die Frage, ob ein Geständnis gem. §§ 288 Abs. 1, 289 Abs. 2 ZPO vorliegt, ist revisionsrechtlich uneingeschränkt nachprüfbar (BGH, Urt. v. 22.5.2001 - VI ZR 74/00, MDR 2001, 1313 = BGHReport 2001, 662 = VersR 2001, 1442 [1443], m.w.N.). Als gerichtliches Geständnis ist die innerhalb des Rechtsstreits abgegebene Erklärung einer Partei anzusehen, dass eine vom Gegner behauptete, ihr im Rechtssinne ungünstige Tatsache wahr sei. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kann die Erklärung, eine tatsächliche Behauptung des Gegners werde nicht bestritten, als Geständnis nur gewertet werden, wenn weitere Umstände hinzutreten, die den Schluss auf ein Geständnis nahe legen (BGH, Urt. v. 7.3.1983 - VIII ZR 331/83, MDR 1983, 661 = WM 1983, 448 [449]; v. 7.7.1994 - IX ZR 115/93, MDR 1995, 90; v. 25.4.1996 - VII ZR 157/94, MDR 1996, 1117 = NJW-RR 1996, 1044; v. 19.5.2005 - III ZR 265/04, BGHReport 2005, 1277 = MDR 2005, 1307 = NJW-RR 2005, 1297, m.w.N.). Derartige Umstände, die auf einen Geständniswillen der Beklagten hindeuten, zeigt die Revision aber nicht auf.
[14]b) Vielmehr lässt unter den Umständen des vorliegenden Falles die Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 24.2.2005 vor dem AG, dass die Feststellung in dem Schadensgutachten vom 5.8.2004 nicht bestritten werde, kein Geständnis i.S.d. § 288 ZPO erkennen. Insbesondere spricht das weitere Prozessverhalten der Beklagten - worauf das Berufungsgericht zutreffend abgestellt hat - gegen die Annahme, dass die Behauptung eines überwiegend differenzbesteuerten Handels vergleichbarer Ersatzfahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt zugestanden werden sollte. Aus dem erstinstanzlichen Urteil ergibt sich, dass die Parteien in der mündlichen Verhandlung trotz der besagten Erklärung nach wie vor über die Abzugsfähigkeit von 2 % oder 16 % Umsatzsteuer vom Brutto-Wiederbeschaffungswert gestritten haben. Ein solcher Streit wäre aber, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, auf der Grundlage der Rechtsauffassung des AG auf Seiten der Beklagten sinnlos gewesen, wenn sie den Tatsachenvortrag des Klägers zur Differenzbesteuerung hätte zugestehen wollen. Gegen die Annahme eines Geständnisses spricht letztlich auch entscheidend die Tatsache, dass das AG, vor dem die umstrittene Erklärung abgegeben wurde, in seinem Urteil selbst nicht von einem Geständnis ausgegangen ist, sondern ausgeführt hat, das als qualifizierter Parteivortrag zu bewertende Vorbringen des Klägers zur überwiegenden Differenzbesteuerung des Fahrzeuges sei beklagtenseits nicht, jedenfalls nicht substantiiert bestritten worden.
[15]III.
Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1526966 |
BFH/NV Beilage 2006, 516 |
HFR 2006, 1154 |
NJW 2006, 2181 |
NWB 2007, 15 |
BGHR 2006, 1013 |
MDR 2006, 1281 |
NZV 2006, 462 |
NZV 2006, 576 |
VRS 2006, 94 |
VersR 2006, 987 |
KfZ-SV 2007, 33 |
NJW-Spezial 2006, 304 |
VRA 2006, 132 |
r+s 2006, 303 |
BFH/NV-Beilage 2006, 516 |