Entscheidungsstichwort (Thema)
Belohnung für geschlechtliche Hingabe als einziger Zweck eines Vermächtnisses
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit eines "Geliebten-Testaments".
Normenkette
BGB § 138; ZPO § 286
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 27. März 1981 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin macht als Miterbin die Nichtigkeit einer letztwilligen Verfügung ihres Vaters geltend, durch die der Beklagten die Restschuld eines Darlehens im Wege eines Vermächtnisses erlassen worden ist.
Der Vater der Klägerin (im folgenden: Erblasser) ist am 23. Januar 1977 verstorben und laut Erbschein aufgrund Gesetzes von seiner Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern (der Klägerin sowie ihren Schwestern Heide und Petra) zu gleichen Teilen beerbt worden.
Der Erblasser hatte sich Ende 1970 von seiner Familie getrennt und von da an bis zu seinem Tode weitgehend mit der Beklagten zusammengelebt. Er gewährte ihr Anfang 1971 für die Eröffnung eines Friseursalons ein zinsloses Darlehen, das zur Zeit seines Todes nach Darstellung der Klägerin noch mit DM 251.663,62, nach Angaben der Beklagten mit DM 226.672,81 zur Rückzahlung offen stand.
Am 18. April 1975 errichtete der Erblasser das folgende, formgültige handschriftliche Testament:
"Mein letzter Wille
1)
Meine Töchter Heide, Gabriele und Petra sollen die Erben der Anwesen in S., M. str. ... und T., B. str. .../P.str. ... zu gleichen Teilen sein.
2)
Meine Frau Stephanie, geb. T. erhält den Nießbrauch aus diesen Anwesen bis zur jeweiligen Volljährigkeit der Töchter.
3)
Sollte meine Frau nach der Volljährigkeit meiner Töchter noch unverheiratet sein, so haben meine Töchter die Pflicht aus den Mieteinnahmen der Anwesen an ihre Mutter monatlich einen Betrag von DM 1.500,- (Eintausendfünfhundert) zu bezahlen. Dieser Betrag soll dem jeweils gültigen Lebenshaltungsindex angepaßt werden.
Die Pflicht auf Weiterzahlung erlischt mit der Wiederverheiratung meiner Frau, bzw. ihrem Tode.
4)
Mit den Geldern der Lebensversicherung bzw. der Abfindung der Werke sollen die Belastungen auf den Anwesen in S. S. str. ..., M. str. ... und T., S. Allee ..., B. str. .../P.str. ... abgelöst werden. (Eine gesonderte Aufstellung über die Belastungen ist vorhanden.)
5)
Die Einzelfirma H.J. K. muß auf alle Fälle, schon aus steuerlichen Gründen weitergeführt werden (Wartungs- und Vermietungsfirma). Herr Steuerberater G. P. ist als Fachmann zu Rate zu ziehen.
6)
Die notwendigen Arbeiten zur Erhaltung der Antennenwartungsverträge mit der GBT, T., sollen von Herrn K. übernommen werden.
7)
Meine Töchter Heide u. Gaby und vielleicht später auch Petra könnten von T. aus verschiedene Werke (C., W.) weitervertreten. Ich würde mir wünschen, daß die Werke hierzu ihre Zustimmung geben.
8)
Die Forderung an die C. B. Helga K. T., Am K. wird erlassen und zur Erhaltung der Existenz Frau Helga K. persönlich geschenkt.
S., 18.4.1975
Hans-Joachim K."
Durch notarielle Vereinbarung vom 21. Juli 1971 regelten der Erblasser und seine Ehefrau, die schon damals im Güterstand der Gütertrennung lebten, ihr Getrenntleben. Der Erblasser verpflichtete sich, monatlich als Unterhalt an seine Ehefrau DM 750,- und an jedes der Kinder DM 250,- zu zahlen. Zur Sicherung dieser Unterhaltsverpflichtung bestellte er an einem seiner Grundstücke eine Sicherungshypothek von DM 120.000,-, die später wieder gelöscht wurde. Er überließ seiner Ehefrau sämtliche Wohnungseinrichtungsgegenstände eines ihr gehörenden, früher gemeinsam bewohnten Hauses in der S. straße in S. Er verpflichtete sich, seiner Ehefrau auf die Dauer von vier Jahren einen Pkw der Mittelklasse kostenlos zur Verfügung zu stellen. Ferner übertrug er ihr seinen hälftigen Miteigentumsanteil an der Wohnung am O. ring in S., deren anderer Hälfteanteil ihr bereits gehörte.
Seine Eigentumswohnung in der S. Allee ... in T. übereignete der Erblasser Ende 1974 seiner körperbehinderten (contergangeschädigten) Tochter Petra; deren von der Stiftung "Hilfswerk für das behinderte Kind" aufgrund des Contergan-Schadens ausgesetzte Rente hatte der Erblasser in Höhe von DM 87.000,- kapitalisieren und an sich und seine Ehefrau auszahlen lassen. Für diese und die seiner Ehefrau übereignete Wohnung trug der Erblasser bis zu seinem Tode die dinglichen Lasten.
Der Beklagten wendete der Erblasser zu Lebzeiten in den Jahren 1975 und 1976 DM 81.000,- für den Erwerb eines Hauses in T.-I. zu, in dem er mit ihr wohnte und dessen dingliche Lasten er ebenfalls bis zu seinem Tode in Höhe von insgesamt DM 39.292,- trug, ferner Mobiliar und Einrichtungsgegenstände im Werte von rund DM 28.600,-, einen Sportwagen im Werte von DM 15.100,- sowie einen Pelzmantel im Werte von DM 6.850,-. Er übernahm ferner die Mithaft für ein der Beklagten von der D. Bank in T. gewährtes, durch Grundpfandrecht gesichertes Darlehen von ursprünglich DM 230.000,- und die Bürgschaft für einen weiteren Kredit von DM 10.000,-; aus diesen Verbindlichkeiten sind unstreitig weder der Erblasser noch dessen Erben bisher in Anspruch genommen worden.
Der Klägerin und ihrer Schwester Heide schenkte der Erblasser in der fraglichen Zeit je eine Pelzjacke und je einen Pkw VW-Golf.
Bei den in Nr. 1 des Testaments erwähnten Anwesen handelt es sich um ein luxuriös ausgestattetes Wohn- und Geschäftshaus in S. (geschätzter Sachwert zur Zeit der Testamentserrichtung: DM 879.000,-; geschätzter Verkehrswert zu diesem Zeitpunkt: DM 600.000,-; dingliche Belastungen: DM 325.000,-) sowie ein in T. gelegenes Wohnhaus (geschätzter Verkehrswert zur Zeit der Testamentserrichtung: DM 215.000,-; dingliche Lasten zu dieser Zeit: DM 203.000,-). Zum Nachlaß gehörten ferner die Beteiligungen an der Firma K. I. GmbH zu 90 % sowie ein Einzelhandelsunternehmen. Diese Unternehmen, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zur Zeit der Testamentserrichtung mit DM 252.000,- und DM 260.000,- überschuldet waren, sind von den Erben nach dem Tode des Erblassers fortgeführt worden. Die Versicherungssumme der unter Nr. 4 des Testaments aufgeführten Lebensversicherung des Erblassers betrug DM 100.000,-.
Die Klägerin hält das der Beklagten durch Nr. 8 des Testaments zugewandte Vermächtnis, nämlich den Erlaß der Restdarlehensschuld, für sittenwidrig und deshalb nichtig. Sie fordert Rückzahlung eines Teilbetrags des Darlehens in Höhe von DM 50.000,- an die Erbengemeinschaft.
Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage insoweit stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Es könne nicht festgestellt werden, daß etwa der einzige Zweck des Vermächtnisses gewesen sei, die Beklagte für geschlechtliche Hingabe zu belohnen. Für die Beurteilung der letztwilligen Verfügung unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit komme es nach den in BGHZ 53, 369 ff. entwickelten Grundsätzen wesentlich auf den Inhalt des Rechtsgeschäfts unter Einschluß seiner Auswirkungen an. Bei der gebotenen Gesamtschau sei das Vermächtnis aber nicht mit der geltenden Moral- und Sittenordnung in Einklang zu bringen. Zwar sei der Beklagten zuzugeben, daß die Familie des Erblassers zu keinem Zeitpunkt Not gelitten habe oder ihr Unterhalt ernsthaft gefährdet gewesen sei. Der Erblasser habe aber - auch unter Berücksichtigung seiner Zuwendungen an seine Ehefrau zu Lebzeiten und deren gemeinsames Vermögen - diese und seine leiblichen Kinder, darunter das erheblich körperbehinderte Kind Petra, in einer Weise gegenüber der Beklagten zurückgesetzt, die auf seine familienfeindliche Gesinnung schließen lasse. Die erheblichen finanziellen Zuwendungen des Erblassers an die Beklagte seien auch dann herausragend, wenn man das Vorbringen der Beklagten berücksichtige, die habe mit dem Erblasser bis zu seinem Tode alles geteilt, ihn versorgt und gepflegt und ihm ein Heim geschaffen. Zur Zeit der Testamentserrichtung seien sowohl die GmbH als auch das Einzelhandelsgeschäft hoch überschuldet gewesen. Die Erbengemeinschaft müsse auch immer noch befürchten, für die Darlehensschuld der Beklagten gegenüber der D. Bank künftig mit in Anspruch genommen zu werden. Die Vermögensaufwendungen des Erblassers für die Beklagte ständen in einem derartigen krassen Verhältnis zu den Werten, die er seinen nächsten Familienangehörigen zugedacht habe, daß dies mit den herrschenden Rechts- und Moralvorstellungen nicht in Einklang zu bringen sei. Die Nr. 8 der letztwilligen Verfügung sei daher nichtig; die Wirksamkeit der anderen Teile des Testaments werde dadurch nicht berührt, denn es sei nicht anzunehmen, daß der Erblasser sie ohne die unwirksame Verfügung nicht getroffen hätte.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
II.
Das Berufungsgericht hat nicht feststellen können, daß die nichteheliche Lebensgemeinschaft des Erblassers und der Beklagten eine Beziehung darstellte, die sich im sexuellen Bereich erschöpfte. Mit Recht hat es daraus den Schluß gezogen, daß das Bestehen dieser Beziehungen für sich allein nicht zur Nichtigkeit des Vermächtnisses wegen Sittenverstoßes führte.
Wenn das Berufungsgericht gleichwohl eine Sittenwidrigkeit der letztwilligen Verfügung annimmt, weil sie mit der geltenden Moral- und Sittenordnung nicht in Einklang zu bringen sei, insbesondere der Verzicht auf die Rückforderung des Darlehens eine Zurücksetzung der Familie bedeutet habe, die von der Rechtsordnung nicht gebilligt werden könne, so steht dies nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht mit den Rechtsgrundsätzen in Einklang, die in der - auch vom Berufungsgericht herangezogenen - Entscheidung BGHZ 53, 369 ff. aufgestellt worden sind (vgl. auch BGH Urteil vom 29. Juni 1973, V ZR 187/71 = LM BGB § 138 (Cd) Nr. 20).
Das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches ist von dem Grundsatz der Testierfreiheit beherrscht. In der Freiheit, über sein Vermögen letztwillig zu verfügen, wird der Erblasser auch durch das der gesetzlichen Erbfolge zugrundeliegende sittliche Prinzip regelmäßig nicht beschränkt. Diesem Prinzip ist der autonome Wille des Erblassers grundsätzlich übergeordnet. Die Schranken der Testierfreiheit gegenüber einer sittlich als unangemessen empfundenen Benachteiligung nächster Angehöriger werden im fünften Buch des BGB durch die Bestimmungen über die Pflichtteilsrechte gezogen. Daneben gilt freilich die Schranke des § 138 Abs. 1 BGB. Dieser Nichtigkeitsgrund kann aber nur zurückhaltend angewandt werden. Er berechtigt den Richter nicht, die Auswirkungen einer vom Erblasser getroffenen letztwilligen Verfügung an seinen eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen zu messen und den Willen des Erblassers danach zu korrigieren. Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung kann daher nur in besonders hervorstechenden Ausnahmefällen angenommen werden (Johannsen WM 1971, 918, 921).
Wie der Bundesgerichtshof a.a.O. weiter betont hat, geht es im Rahmen des § 138 BGB nicht entscheidend um die Beurteilung eines Verhaltens einer Person oder um Sanktionen für unsittliches Verhalten, sondern allein um die Frage der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts. Das hat das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil auch selbst ausgeführt. Die Beurteilung ist entscheidend auf die Frage zu erstrecken, ob und inwieweit etwa als sittenwidrig empfundene Beziehungen, die für sich allein genommen kein selbständiges Entscheidungskriterium darstellen, die letztwillige Verfügung sittenwidrig machen. Ausschlaggebend ist, ob in der letztwilligen Verfügung selbst eine unredliche (also verwerfliche) Gesinnung des Erblassers zum Ausdruck kommt und eine Verwirklichung erstrebt. Gegebenenfalls sind unter anderem sowohl das Verhalten der "zurückgesetzten" Personen als auch die Beziehungen der bedachten Person zum Erblasser zu berücksichtigen, die eine letztwillige Verfügung zu ihren Gunsten als gerechtfertigt oder zumindest weniger anstößig erscheinen lassen können, ferner die Auswirkungen der letztwilligen Verfügung auf die zurückgesetzten Familienangehörigen (BGH a.a.O. S. 377, 378).
Hier hat das Berufungsgericht rechtsbedenkenfrei festgestellt, daß der Erblasser seine Unterhaltspflichten gegenüber seinen Familienangehörigen zu keinem Zeitpunkt vernachlässigt hat. Die Ehefrau des Erblassers hatte einem Getrenntleben ausdrücklich zugestimmt, sich in diesem Zusammenhang erhebliche Vermögenswerte übertragen und für sich und die Kinder laufenden Unterhalt in notarieller Urkunde zusagen und dinglich sichern lassen. Auch seinen Kindern hatte der Erblasser noch zu Lebzeiten über diesen Unterhalt hinaus nicht unerhebliche Zuwendungen gemacht. In dem Testament hat der Erblasser seinen Töchtern zwei Hausgrundstücke vermacht, deren Werte auch nach den Sachverständigenschätzungen, die das Berufungsgericht übernommen hat, und nach Abzug der damals bestehenden dinglichen Lasten den des der Beklagten zugewandten Vermächtnisses erheblich überstiegen. Durch die Nummern 2-4 des Testaments stellte der Erblasser den angemessenen Unterhalt seiner Ehefrau über seinen Tod hinaus sicher. Alle diese Umstände hat das Berufungsgericht - wie die Revision zu Recht rügt - entgegen § 286 ZPO nicht vollständig berücksichtigt.
Die Vorwürfe des Berufungsgerichts gegen den Erblasser richten sich möglicherweise - und entgegen der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs - weniger gegen die letztwillige Verfügung selbst als dagegen, daß der Erblasser noch zu Lebzeiten eine Überschuldung seiner Unternehmen in Kauf genommen hat, um damit neben der unbestrittenen wirtschaftlichen Fürsorge für seine Familie auch die Beklagte wirtschaftlich großzügig sicherstellen zu können. Dabei verkennt das Berufungsgericht, daß der Erblasser in der Verfügung über sein Vermögen zu Lebzeiten nicht beschränkt war, solange er seinen Unterhaltspflichten nachkam. Auch pflichtteilsberechtigte Angehörige haben grundsätzlich keinen Anspruch gegen den potentiellen Erblasser darauf, daß dieser ein Vermögen bis zu seinem Tode erhält, um es vererben zu können.
III.
Das angefochtene Urteil kann somit nicht bestehen bleiben. Der Rechtsstreit ist jedoch mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen, die der Senat nicht selbst treffen kann, nicht zur Entscheidung reif.
1.
Das Berufungsgericht hat über die Art der Beziehungen zwischen dem Erblasser und der Beklagten keine näheren Feststellungen getroffen. Es hat nicht sicher feststellen können, daß die letztwillige Verfügung lediglich als Entgelt für sexuelle Hingabe gedacht gewesen sei. Das Vorbringen der Beklagten, sie habe mit dem Erblasser seit 1970 bis zu seinem Tode alles geteilt, ihn versorgt und gepflegt und ihm ein Heim geschaffen, hat das Berufungsgericht ausdrücklich nur als einseitig unterstellt, ohne die Richtigkeit dieses Vorbringens festzustellen.
Den Umständen nach liegt zwar nahe, daß die Unterstellungen des Berufungsgerichts dem wirklichen Sachverhalt entsprechen. Indessen kann das Revisionsgericht eine dahingehende Tatsachenfeststellung nicht treffen. Auf diese Feststellung kann es aber bei der Entscheidung ankommen, ob die letztwillige Verfügung des Erblassers etwa gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist.
2.
Wie der Bundesgerichtshof a.a.O. S. 377 ausgeführt hat, kann die Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung sich gemäß § 138 Abs. 1 BGB aus deren Auswirkungen für die zurückgesetzten nahen Familienangehörigen ergeben. In diese Richtung deutet die Erwägung des Berufungsgerichts, der Erblasser habe sich schon im Zeitpunkt der Testamentserrichtung in derartiger finanzieller Bedrängnis befunden, daß der Verzicht auf die Rückforderung des Darlehens eine Zurücksetzung der Familie bedeute, die von der Rechtsordnung nicht gebilligt werden könne.
Indessen reichen die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht einmal aus, um das objektive Bestehen eines derartigen Sachverhaltes anzunehmen.
Mit Recht weist die Revision darauf hin, daß eine Mithaftung der Erbengemeinschaft für die Darlehensschuld der Beklagten gegenüber der Deutschen Bank nur theoretisch in Betracht gekommen sei. Die Beklagte hat offenbar bisher ihre Verpflichtung aus diesem Darlehen, das überdies dinglich ausreichend gesichert gewesen sein dürfte, erfüllt, Anhaltspunkte dafür, daß die Erbengemeinschaft ernsthaft eine Inanspruchnahme aus dem (Rest-)Darlehen hätte befürchten müssen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
In rechtlich bedenklicher Weise hat das Berufungsgericht andererseits einen Firmenwert (good will) weder für die Firma K. I. GmbH noch für das Einzelhandelsunternehmen des Erblassers angesetzt. Daß ein solcher Wert hier nicht in Betracht kommen könne, wie das Berufungsgericht meint, ist mit der Lebenserfahrung nicht ohne weiteres vereinbar; eine dahingehende Feststellung bedürfte genauerer Begründung.
Legt man indessen die vom Berufungsgericht festgestellten Werte der den Familienangehörigen vermachten Grundstücke und der anderen Vermögensgegenstände des Erblassers sowie die festgestellten Belastungen und Verbindlichkeiten zugrunde, so würde sich in der Tat eine Überschuldung des Nachlasses ergeben, die den Wert der den Familienangehörigen zugewandten Vermächtnisse überstiege. Das Testament, in welchem lediglich Vermächtnisse und Teilungsanordnungen enthalten sind, würde in diesem Fall nur scheinbar ausgewogen sein. Die Nachlaßverbindlichkeiten, für die die Familienangehörigen als Erben haften müßten, würden dann den Wert der den Töchtern und der Ehefrau des Erblassers zugewandten Vermächtnisse sogar übersteigen. Die Beklagte hätte in diesem Fall durch ihr Vermächtnis den einzigen erheblichen Vermögensgegenstand aus dem Nachlaß erhalten, während die Familienangehörigen im wirtschaftlichen Endergebnis nur mit Schulden belastet wären. Ein solcher Sachverhalt könnte Anlaß zur Prüfung der Sittenwidrigkeit dieses Vermächtnisses nach § 138 Abs. 1 BGB sein.
Das Berufungsgericht wird jedoch - abgesehen von den oben angesprochenen Bedenken gegen die Bewertung der Firmen - gemäß § 286 ZPO auch in Betracht zu ziehen haben, daß die Firmen nach dem Erbfall nicht aufgelöst, sondern offenbar von den Erben fortgeführt worden sind. Es ist nichts dafür vorgetragen, daß sie in Zahlungsschwierigkeiten gekommen oder daß wegen Zahlungsunfähigkeit einer der Firmen oder Überschuldung der GmbH ein Konkurs- oder Vergleichsverfahren eröffnet worden wäre. Die Klägerin selbst ist, wie sich aus den von ihr im Armenrechtsprüfungsverfahren vorgelegten Unterlagen ergibt, an der GmbH beteiligt und bestreitet ihren Lebensunterhalt aus dem Gehalt, das sie als Arbeitnehmerin dieses Unternehmens bezieht. Sollten die Unternehmen, wie es den Anschein hat, trotz nomineller Überschuldung auch nach dem Tode des Erblassers die Existenzgrundlage der Klägerin, ihrer Mutter und ihrer Geschwister dargestellt haben, indem sie ihnen über Anstellungsverträge regelmäßige Einkommen sicherten, als Teilhaber Entnahmen für den privaten Bedarf ermöglichten oder durch die Verrechnung von Verlusten Steuervorteile bei anderen Einkommensarten verschafften, so würde daraus folgen, daß diese Unternehmen für die Familienangehörigen des Erblassers keineswegs nur eine Schuldenlast dargestellt hätten. Derartige Erwägungen liegen deshalb nahe, weil andernfalls die Fortführung überschuldeter Unternehmen über viele Jahre hinweg kaum verständlich wäre.
In diesem Zusammenhang ist gemäß § 286 ZPO auch der Umstand zu berücksichtigen, daß die Familienangehörigen - soweit aus dem bisherigen Parteivortrag ersichtlich - weder die Erbschaft ausgeschlagen noch gegen die Beklagte Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend gemacht haben.
3.
Sollte das Berufungsgericht gleichwohl eine Überschuldung des Nachlasses und damit eine auffällige Benachteiligung der Familienangehörigen zugunsten der Beklagten auch unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen feststellen, so käme dennoch eine Sittenwidrigkeit des der Beklagten zugewandten Vermächtnisses dann nicht in Betracht, wenn der Erblasser das bei Errichtung des Testamentes nicht gewußt hätte, sondern an die Ausgewogenheit seiner Bestimmungen, insbesondere daran geglaubt haben sollte, daß die Unternehmen und die Grundstücke seiner Ehefrau und seinen Kindern eine angemessene Existenzgrundlage über seinen Tod hinaus sichern würden. In diesem Fall könnte dem Erblasser der Vorwurf, er habe durch sein Testament gegen die guten Sitten verstoßen, nicht gemacht werden. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß das Testament in seiner Gesamtheit keinen Anhaltspunkt dafür enthält, daß der Erblasser sich bewußt gewesen wäre, seine Familienangehörigen würden gegenüber der Beklagten unangemessen zurückgesetzt. Dieses Testament unterscheidet sich gerade dadurch von den vom Bundesgerichtshof früher entschiedenen Fällen, in denen die Familienangehörigen zugunsten der Geliebten enterbt worden waren.
4.
Für die Entscheidung der Frage, ob der Erblasser sich etwa von familienfeindlicher Gesinnung hat leiten lassen, könnte es schließlich auch von Bedeutung sein, wenn der Erblasser an der Bindung an seine Ehefrau - möglicherweise gerade mit Rücksicht auf seine Kinder - trotz der auch schon vor dem 1. Juli 1977 bestehenden Möglichkeit einer - eventuell auf § 48 EheG a.F. gestützten - Ehescheidungsklage festgehalten hat. Die Klägerin hat selbst vorgetragen, daß der Erblasser auch nach der Trennungsvereinbarung die Verbindung zu seiner Familie nicht aufgegeben habe. Ein solches Verhalten würde ein Indiz gegen die vom Berufungsgericht angenommene familienfeindliche Gesinnung des Erblassers sein.
Andererseits darf auch nicht außer Acht gelassen werden, daß sich aus einer langjährigen nichtehelichen Lebensgemeinschaft, deren Bestehen zwischen dem Erblasser und der Beklagten das Berufungsgericht unterstellt hat, auch eine moralische Pflicht ergeben kann, für den Unterhalt des Partners zu sorgen und dessen wirtschaftliche Existenz nach dem eigenen Tode in angemessener Weise zu sichern. Eine letztwillige Verfügung, die einer solchen moralischen Verpflichtung Rechnung trägt, wird nur in ganz besonders kraß gelagerten Ausnahmefällen als sittenwidrig angesehen werden können.
Unterschriften
Dr. Hoegen
Rottmüller
Dehner
Dr. Schmidt-Kessel
Rassow
Fundstellen
DNotZ 1984, 42 |
JZ 1983, 606 |