Unwirksame Pflichtteilsentziehung macht Enterbung nicht unwirksam

Das OLG Karlsruhe hat sich in einer Entscheidung ausführlich mit der Frage befasst, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen sich die Unwirksamkeit einer Pflichtteilsentziehung auf eine testamentarische Enterbung auswirkt.
Entziehung des Pflichtteils wegen groben Undanks
In dem vom OLG entschiedenen Fall hatte ein Vater seinen 3 Kindern durch testamentarische Verfügung den Pflichtteil wegen groben Undanks entzogen. Den groben Undank begründete der Familienvater mit dem aus seiner Sicht unangemessenen Verhalten der Kinder im Zusammenhang mit der Unterbringung seiner schwer demenzkranken Ehefrau in einer geschlossenen Abteilung eines Pflegeheims während einer USA-Reise des Erblassers.
Pflichtteilsentziehung und Enterbung durch Testament
Der Erblasser verfasste hierzu ein eigenhändiges Testament, in dem er verfügte: „Hiermit enterbe ich meine Kinder und entziehe ihnen auch den Pflichtteil wegen groben Undankes“. Später kam es zu einer Versöhnung zwischen dem Erblasser und seinen Kindern.
AG lehnt Erteilung des Erbscheins ab
Nach dem Tod des Erblassers beantragten die Kinder einen Erbschein entsprechend der gesetzlichen Erbfolge. Das zuständige AG lehnte den Antrag unter Hinweis auf die testamentarische Enterbung ab. Im Beschwerdeverfahren bestätigte das OLG die Ablehnung der Erbscheinserteilung durch das AG als rechtmäßig.
Pflichtteilsentziehung unwirksam
Das OLG bewertete zunächst die testamentarisch verfügte Entziehung des Pflichtteils durch den Erblasser als unwirksam. Der Senat sah die hohe Hürde des § 2333 BGB für eine Entziehung des Pflichtteils als nicht erreicht an. Die nach dieser Vorschrift erforderlichen schweren Verfehlungen der Pflichtteilsberechtigten seien nicht erkennbar. Außerdem sei aufgrund der späteren Versöhnung des Erblassers mit seinen Kindern möglicherweise von einer Verzeihung auszugehen, so dass die Entziehung des Pflichtteils auch gemäß § 2337 BGB wegen Verzeihung unwirksam geworden sein könnte.
Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung ohne Einfluss auf Enterbung
Nach der Entscheidung des OLG kommt es für die Frage der Wirksamkeit der Enterbung auf die Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung im Ergebnis aber nicht an. Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass aufgrund der Entwicklung des Verhältnisses der Beschwerdeführer und des Erblassers dieser den Beschwerdeführern verziehen hätte und die Entziehung des Pflichtteils gemäß § 2337 BGB unwirksam geworden wäre, seien keine Umstände erkennbar, dass der Erblasser in Kenntnis dieser späteren Entwicklung zuvor anderweitig testiert hätte.
Pflichtteilsentzug und Enterbung sind strikt zu trennen
Das OLG stellte klar, dass sowohl die hohen Anforderungen an eine Pflichtteilsentziehung nach § 2333 BGB als auch die nach § 2337 BGB angeordnete Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung wegen Verzeihung nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes ausschließlich das Pflichtteilsrecht betreffen. Die gleichzeitige Enterbung durch letztwillige Verfügung ist von der Entziehung des Pflichtteils wegen groben Undanks strikt zu trennen.
Wille des Erblassers ist entscheidend
Bei der Auslegung eines Testaments komme es allein darauf an, dem wirklichen Willen des Erblassers zur Geltung zu verhelfen, gegebenenfalls auch durch Ermittlung des mutmaßlichen Erblasserwillens (BGH, Urteil v. 8.5.1985, IVa ZR 230/83). Im vorliegenden Fall seien keine Anhaltspunkte für einen mutmaßlichen Willen des Erblassers erkennbar, die Enterbung wegen der eingetretenen positiven Entwicklung im Verhältnis zu seinen Kindern rückgängig machen zu wollen. Der Erblasser habe seine diesbezügliche letztwillige Verfügung zu keinem Zeitpunkt erkennbar in Frage gestellt.
Keine analoge Anwendung des Pflichtteilsrechts auf Enterbung
Nach Auffassung des OLG kommt auch eine analoge Anwendung des § 2337 BGB auf die testamentarische Enterbung nicht in Betracht. Eine Unwirksamkeit der Enterbung durch eine etwaige Verzeihung könne nur über § 2085 BGB erreicht werden. Nach dieser Vorschrift seien im Falle einer unwirksamen Verfügung in einem Testament die übrigen letztwilligen Verfügungen nur dann unwirksam, wenn anzunehmen sei, dass der Erblasser sie bei Kenntnis des unwirksamen Teils nicht getroffen hätte. Hierfür bedürfe es aber wiederum konkreter Anhaltspunkte, die im vorliegenden Fall nicht erkennbar seien.
Erteilung des Erbscheins zu Recht abgelehnt
Im Ergebnis hatte das AG daher die Erteilung des beantragten Erbscheins zurecht versagt.
(OLG Karlsruhe, Beschluss v. 8.2.2023, 11 W 94/21)
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