Entscheidungsstichwort (Thema)
Aktive Parteifähigkeit von Gewerkschaften
Leitsatz (amtlich)
Gewerkschaften sind im Zivilprozeß allgemein aktiv parteifähig (Weiterentwicklung von BGHZ 42, 210).
Normenkette
ZPO § 50 Abs. 1; GG Art. 9 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 03.03.1966) |
LG Köln |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Köln vom 3. März 1966 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin, eine im Vereinsregister nicht eingetragene Gewerkschaft mit etwa 950.000 Mitgliedern, hat der Beklagten, die den Bundesanzeiger verlegt, in der Zeit vom 18. Februar 1960 bis 10. Januar 1963 insgesamt 2.023,98 DM für die Bekanntmachung von Allgemeinverbindlicherklärungen mehrerer Tarifverträge gezahlt.
Diesen Betrag nebst Zinsen hat sie von der Beklagten aus ungerechtfertigter Bereicherung zurückgefordert.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Klägerin als nichtrechtsfähiger Verein nicht aktiv parteifähig sei.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, um deren Zurückweisung die Beklagte bittet, verfolgt die Klägerin den Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht meint, der aktiven Parteifähigkeit der Klägerin stehe hier, wo es sich um eine Zahlungsklage handelt, der § 50 ZPO entgegen. Der Bundesgerichtshof (BGHZ 42, 210; 43, 245, 257) habe neuerdings die aktive Parteifähigkeit von Gewerkschaften nur insoweit anerkannt, als es sich um die Geltendmachung nicht abtretbarer Ansprüche handele. Eine Ausdehnung dieser Rechtsprechung auch auf abtretbare Ansprüche sei nicht gerechtfertigt. Die zwingende Vorschrift des § 50 ZPO dürfe nicht unter Berufung auf Art. 9 Abs. 3 GG außer Acht gelassen werden. Denn es gelte auch der Grundsatz der Bindung des Richters an das Gesetz. Eine Abwägung der beiden Rechtssätze des Grundgesetzes ergebe, daß das Grundrecht der Koalitionsfreiheit keineswegs höherwertig sei als der Grundsatz der Bindung des Richters an das Gesetz. Der Hinweis auf die verfassungsrechtlich garantierte Stellung der Gewerkschaften reiche daher nicht aus, um dem Gericht die Möglichkeit zu geben, sich über den § 50 ZPO hinwegzusetzen.
Allerdings sei eine Rechtsfortbildung entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut nicht unter allen Umständen ausgeschlossen; ihr seien jedoch enge Grenzen gezogen. Der Richter sei nach Art. 20 Abs. 3 GG an "Gesetz und Recht" gebunden. Dementsprechend sei eine Rechtsfortbildung durch Richterrecht entgegen dem Wortlaut und Sinn einer Vorschrift dann zuzulassen, wenn sonst der Rechtsgedanke selbst Schaden leiden und ein "Rechtsnotstand" entstehen würde. Ein solcher Rechtsnotstand liege insbesondere dann vor, wenn das Gesetz einen "unabweisbaren Verkehrsbedürfnis" oder der "Natur der Sache" in einer für das allgemeine Rechtsbewußtsein unerträglichen Weise nicht gerecht werde.
Im vorliegenden Fall bestehe ein solcher Rechtsnotstand nicht; denn die Mitglieder der Klägerin könnten den Klageanspruch an den Vorstand oder andere natürliche oder juristische Personen treuhänderisch abtreten; der oder die Treuhänder könnten dann im eigenen Namen als Partei die ihnen übertragene Forderung geltend machen. Eine Versagung des Rechtsschutzes drohe der Klägerin daher hier nicht. Dahingestellt bleiben könne, ob ihr, wie das Landgericht angenommen habe, überdies anzusinnen sei, sich Rechts- und Parteifähigkeit durch Eintragung ins Vereinsregister zu verschaffen.
II.
Die Revision ist der Auffassung, die Klägerin sei, obwohl im Vereinsregister nicht eingetragen, kraft ihrer sich aus verschiedenen Gesetzen ergebenden materiellen Rechtsstellung rechtsfähig, so daß sich ihre unbeschränkte Partei fähigkeit unmittelbar aus § 50 Abs. 1 ZPO ergebe.
III.
Ob das zutrifft, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn die volle Parteifähigkeit kann auch ohne Rechtsfähigkeit bestehen, wie u.a. das Beispiel der Personalhandelsgesellschaften (§§ 124, 161 HGB), neuerdings auch das der politischen Parteien (dazu unten III 4) zeigt.
Für den vorliegenden Fall kann der Senat sich deshalb auf die Entscheidung der - in BGHZ 42, 210, 216 nicht verneinten, sondern ausdrücklich offen gelassenen - Frage beschränken, ob Gewerkschaften auch für die Geltendmachung abtretbarer Ansprüche, also allgemeine, die aktive Parteifähigkeit im Prozeß vor den ordentlichen Gerichten besitzen.
Diese Frage bejaht der Senat. Dabei ist von entscheidender Bedeutung die Rechtsentwicklung, die sich seit der im Zusammenhang mit der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuchs erfolgten Formulierung des § 50 ZPO, also seit der Jahrhundertwende bis heute, vollzogen hat:
1)
Damals stand der Gesetzgeber den nicht rechtsfähigen Vereinen, insbesondere den aufstrebenden Gewerkschaften mit besonderem Mißtrauen gegenüber. Er wollte die Bildung von einflußreichen Vereinigungen mit politischer, sozialpolitischer oder religiöser Zielsetzung erschweren oder sie doch unter staatliche Kontrolle bringen. Dieses voreinspolizeiliche Ziel erstrebte er nicht allein mit Maßnahmen des öffentlichen Rechts, sondern auch mit Hilfe des Zivilrechts. Er billigte daher nur denjenigen nicht wirtschaftlichen Korporationen (Idealvereinen), die Rechtsfähigkeit zu, die sich in das Vereinsregister eintragen ließen. Der Eintragung von Vereinen, die einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgten, konnte aber nach § 61 Abs. 2 BGB die Verwaltungsbehörde widersprechen; sie konnte auch nach § 42 Abs. 3 BGB eingetragenen Vereinen, die entgegen ihrer Satzung sich solchen Zwecken zuwandten, die Rechtsfähigkeit entziehen. Infolgedessen ist es so gut wie sicher, daß die Gewerkschaften unter der Geltung dieser Vorschriften die Rechtsfähigkeit nicht erlangen konnten. Sie beschieden sich daher mit dem Status des nicht eingetragenen, nicht rechtsfähigen Vereins.
Die nichtrechtsfähigen Vereine unterstellte der Gesetzgeber dem Gesellschaftsrecht (§ 54 BGB), obwohl dies ihrer körperschaftlichen Struktur und ihren Bedürfnissen nicht entspricht. Dadurch erstrebte er, sie am Erwerb eines größeren Vermögens zu hindern und ihre gesellschaftliche Einflußmöglichkeit zu schwächen. (Mugdan, Materialien zum BGB I S. 401, 637, 640; Staudinger-Coing BGB 11. Aufl. § 54 Rz. 1; Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, Teil II 2 S. 168 ff; Habscheid AcP 155 S. 375, 379 ff; Stoll, Die Reichsgerichtspraxis im Deutschen Rechtsleben II, 1929, S. 50 ff; Enneccerus-Nipperdey, BGB Allgemeiner Teil I 15. Aufl. § 116; Fabricius, Relativität der Rechtsfälligkeit, 1963 S. 187 ff).
2)
Entgegen diesen Absichten des historischen Gesetzgebers haben Rechtsprechung und Lehre schon frühzeitig den der Natur der Sache entsprechenden körperschaftlichen Charakter das nicht rechtsfähigen Vereins anerkannt und ihn in der rechtlichen Behandlung zunehmend berücksichtigt. Der Abbau übrigkeitsstaatlicher Auffassungen über das Verhältnis des Staats zu den Verbänden hat das seine hierzu beigetragen. So ist längst anerkannt, daß das Vereinsvermögen der vom Wechsel der Mitglieder unabhängigen Korporation als solcher zuzuordnen ißt (vgl. BGHZ 42, 216). Zwar hat man begrifflich daran festgehalten, daß das Vermögen den Mitgliedern zur gesamten Hand zusteht. Dennoch sind die nach den Bestimmungen des Gesellschaftsrechts bestehenden Vermögensbindungen zum einzelnen Mitglied fast völlig ausgeschaltet worden (Fabricius a.a.O. S. 191). Es besteht beim Ausscheiden eines Mitglieds kein Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB (RGZ 113, 125, 135). Nach der herrschenden Lehre ist der Anteil des einzelnen Mitglieds am Vermögen des nichtrechtsfähigen Vereins nicht nur nicht übertragbar, sondern auch nicht pfändbar (Soergel-Siebert, BGB 10. Aufl. § 54 Rd. Nr. 30; Erman-Westermann BGB 4. Aufl. § 54 Anm. 4). Bei Auflösung des Vereins ist das Vereinsvermögen in entsprechender Anwendung des § 47 BGB zu liquidieren (Stoll AcP 133, 78 ff; Habscheid AcP 155, 411; Boehner a.a.O. S. 174). Haftungsrechtlich hat die herrschende Lehre in entsprechender Anwendung des § 31 BGB dem nichtrechtsfähigen Verein als solchen die Handlungen seiner Organe und Hilfspersonen zugerechnet und die Mitglieder von der im Gesellschaftsrecht vorgesehenen gesamt schuldnerischen Haftung freigestellt (Schumann, Zur Haftung der nichtrechtsfähigen Vereine, 1956 S. 33 ff, 58; Habscheid AcP 155, 407 ff, Denecke in RGR-Kommentar 11. Aufl. § 54 Anm. 15; Soergel-Siebert a.a.O. § 54 Rd. Nr. 54; Fabricius a.a.O. S. 192; Enneccerus-Nipperdey aaO, § 116 S. 708 ff; Wapler NJW 1961, 439; vgl. auch BGHZ 42, 216; a.A. Palandt-Danckelmann, BGB, 27. Aufl. § 54 Anm. 2) A) im Anschluß an RGZ 143, 212).
3)
In besonderem Maße hat sich das Verhältnis des Staates zu den Gewerkschaften gewandelt. Die sie diskriminierenden Vorschriften der §§ 61, 42 BGB wurden durch Art. 124 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung abgeschafft. Die Gewerkschaften blieben gleichwohl bei ihrer Tradition, sich nicht ins Vereinsregister eintragen zu lassen (dazu vgl. auch unten V 3). Dies war und ist aber für ihr Verhältnis zum Staat ohne Bedeutung. Der Staat hat - wenn von der nationalsozialistischen Ära abgesehen wird - seit 1919 in zunehmenden Maße anerkannt, daß die Gewerkschaften für das Gemeinwohl unentbehrlich sind. Vorwiegend im Bereich der Arbeite-, Sozial- und Wirtschaftsordnung hat er ihnen bedeutende Aufgaben zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung übertragen, die sich unter dem Begriff der "sozialen Selbstverwaltung" zusammenfassen lassen (Hueck-Nipperdey, Arbeitsrecht 7. Aufl. II § 11 V S. 191 ff; Nikisch, Arbeitsrecht 2. Aufl. II § 60 S. 43 ff). Aus der Fülle dieser Aufgaben sollen hier nur einige wichtige hervorgehoben werden:
a)
Die Gewerkschaften setzen gemeinsam mit den Arbeitgebern oder deren Vereinigungen durch Tarifverträge zwingendes objektives Recht für die Arbeitsentgelte und sonstigen Arbeitsbedingungen der tarifgebundenen Personen sowie über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen (§§ 1, 2, 4 TVG). Im arbeitsrechtlichen Schlichtungswesen sind sie Parteien des Schlichtungsverfahrens und an dessen Ausgestaltung und Durchführung maßgeblich beteiligt (Hueck-Nipperdey a.a.O. S. 194; § 42 S. 774). Durch das Betriebsverfassungsgesetz sind ihnen zahlreiche Antragsrechte zugebilligt worden (§§ 9 Abs. 2, 15 Abs. 2, 16, 17, 23 BetrVG), ebenso durch das Personalvertretungsgesetz des Bundes (§§ 17 Abs. 2, 19, 20, 22, 26 PersVertrG). Entsprechendes gilt für die Personalvertretungsgesetze der Länder. In den Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie haben die Spitzenorganisationen der Gewerkschaften das Rocht, einen Teil der in den Aufsichtsrat zu wählenden Arbeitnehmervertreter nach Beratung mit den im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften und dem Betriebsrat dem Wahlorgan mit bindender Wirkung vorzuschlagen (§ 6 Abs. 3-5 MitbG). Die übrigen Arbeitnehmervertreter werden dem Wahlorgan durch die Betriebsräte der Betriebe des Unternehmens nach Beratung mit den in den Betrieben des Unternehmens vertretenen Gewerkschaften und deren Spitzenorganisationen vorgeschlagen (§ 6 Abs. 1 MitbG).
b)
In arbeits- und wirtschaftsrechtlichen Fragen sind den Gewerkschaften überdies zahlreiche Anhörungs- und Antragsrechte gegenüber Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung übertragen worden, etwa bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen (§ 5 Abs. 1 TVG), bei der Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (§ 7 des Gesetzes vom 11. Januar 1962 BGBl I, 17), beim Erlaß von Durchführungsbestimmungen zum Tarifvertragsgesetz (§ 10 IVG) und zum Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (§ 16 des Gesetzes), bei der Errichtung der Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichts sowie bei der Berufung der Vorsitzenden der Arbeits- und Landesarbeitsgerichts (§§ 14 Abs. 1, 18, 33, 36 Abs. 1 ArbGG).
c)
Die Gewerkschaften entsenden ferner Vertreter in viele Behördengremien. Besonders wichtig erscheint ihre Mitwirkung bei der Selbstverwaltung auf dem Gebiete der Sozialversicherung und in der Arbeitsverwaltung [vgl. §§ 2, 4, 7 des Selbstverwaltungsgesetzes in der Passung von 23. August 1967, BGBl I, 918] (§§ 9, 12 AVAVG). In den Gerichten der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit wirken in allen Rechtszügen neben den Berufsrichtern ehrenamtliche Beisitzer mit, die von den Gewerkschaften vorgeschlagen werden (§§ 6, 16, 20-29, 35, 37, 38, 41, 43, 45 ArbGG; §§ 12, 14 Abs. 2, 35, 46 Abs. 1 SGG).
d)
Die veränderte, nunmehr bejahende Haltung von Staat und Gesellschaft zu den Gewerkschaften hat vor allem auch im Grundgesetz Ausdruck gefunden, nämlich in Art. 9 Abs. 3 GG, der das Grundrecht der Koalitionsfreiheit normiert (vgl. dazu BVerfGE 4, 96, 101 f, 106; 17, 319, 329, 333; 18, 26; 19, 303, 312; 20, 312, 317; BGHZ 42, 210, 216-217). Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG erklärt ferner alle Maßnahmen für rechtswidrig, welche das Recht der Koalitionsfreiheit einzuschränken oder zu behindern suchen.
Schon die Weimarer Reichsverfassung enthielt in Art. 159 eine dem Art. 9 Abs. 3 GG entsprechende Vorschrift. In Art. 165 Abs. 1 hieß es dort weiter: "Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen werden anerkannt". Diese bedeutsamen Sätze gelten auch für das gegenwärtige Verfassungsrecht. Wenn sie im Grundgesetz nicht mehr ausdrücklich formuliert sind, so nur deshalb, weil ihre Geltung inzwischen selbstverständlich geworden und in dem in Art. 9 Abs. 3 GG Gesagten einbegriffen ist (BVerfGE 4, 96, 101; 17, 319, 333; 18, 18, 26; Nikisch a.a.O. S. 54 ff).
e)
Auch im Verfahrensrecht hat der Gesetzgeber Folgerungen aus seiner veränderten Haltung gegenüber den nicht rechtsfähigen Vereinen im allgemeinen und den Gewerkschaften im besonderen gezogen. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren sind Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern und Vereinigungen solcher Vorbände voll parteifähig (§ 10 Satz 1 ArbGG). Sie können dort auch als Prozeßvertreter tätig werden (§ 11 ArbGG). - Fähig, am verwaltungsgerichtlichen Vorfahren beteiligt zu sein, sind sämtliche Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann (§ 61 Nr. 2 VwGO), also auch Gewerkschaften. Das gleiche gilt für das sozialgerichtliche und finanzgerichtliche Verfahren (§ 70 Nr. 2 SGG, § 58 Abs. 2 FGO). Auch im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist die aktive Parteifähigkeit der Gewerkschaften anerkannt (BVerfGE 17, 319, 329).
Schließlich ist den Gewerkschaften durch § 98 Abs. 2 Nr. 7 AktG ein Antragsrecht beim ordentlichen Gericht zugestanden worden. Sie dürfen unter gewissen Voraussetzungen eine Entscheidung des Landgerichts darüber beantragen, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft zusammenzusetzen ist.
4)
Den politischen Parteien, die - ebenso wie die Gewerkschaften - fast durchweg unter der Rechtsform von nicht eingetragenen Vereinen bestehen, hat der Gesetzgeber mit den Parteiengesetz vom 24. Juli 1967 (BGBl I 773) die unbeschränkte aktive und passive prozessuale Parteifähigkeit verliehen (§ 3 aaO).
IV.
1)
Der vorstehende Überblick zeigt, daß sich die Stellung der Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt hat. Der Gesetzgeber hat sie im Laufe der Zeit mit einer so bedeutsamen Rechtstellung ausgestattet, daß damit eine Versagung der vollen Parteifähigkeit schlechthin nicht mehr vereinbar ist. Sie sind in unserer heutigen Gesellschaftsordnung wichtige und mit zahlreichen Aufgaben betraute Vorbände. Zur Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben müssen sie einen großen persönlichen und sachlichen Apparat unterhalten. Die Führung von Prozessen vor den ordentlichen Gerichten ist bei dieser Sachlage unvermeidlich. Der den Gewerkschaften vom Gesetzgeber im Laufe der Zeit in zunehmendem Maße übertragenen materiellen Rechtsstellung muß notwendigerweise im Verfahrensrecht die volle prozessuale Parteifähigkeit entsprechen, wenn die Gewerkschaften voll in der Lage sein sollen, ihre Aufgaben zu erfüllen. Eine einseitig "verkrüppelte", nämlich auf die Passivseite beschränkte Parteifähigkeit, wie sie sich aus § 50 ZPO im Wege des Umkehrschlusses ergibt, würde mit der jetzigen materiellen Gesetzeslage in unlösbarem Widerspruch stehen.
2)
Daß es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, den Gewerkschaften volle Parteifähigkeit zu gewähren, ergibt sich auch daraus, daß in allen übrigen Gerichtszweigen nach den jetzt dort geltenden Verfahrensgesetzen den Gewerkschaften die volle Parteifähigkeit zusteht, wie bereits oben zu III 3 e dargelegt ist. Auch die in § 3 des Parteiengesetzes getroffene Regelung (vgl. oben zu III 4) zeigt, daß der Gesetzgeber die - in ähnlicher Lage wie die Gewerkschaften befindlichen - politischen Parteien, die ebenfalls durchweg als nicht im Vereinsregister eingetragene Vereine organisiert sind, inzwischen mit voller Parteifähigkeit ausgestattet hat.
3)
Der Umstand, daß der Gesetzgeber bisher davon abgesehen hat, die volle Parteifähigkeit der Gewerkschaften vor den ordentlichen Gerichten ausdrücklich auszusprechen, rechtfertigt nicht den Umkehrschluß, er wolle sie ihnen andere als den politischen Parteien bewußt auch weiterhin vorenthaltene Dafür spricht nichts, dagegen alles. Die Untätigkeit des Gesetzgebers in diesem Punkte kann vielerlei andere Gründe haben. Daß er bei den politischen Parteien eine ausdrückliche Entscheidung getroffen hat, beruht darauf, daß er gemäß einem ausdrücklichen Auftrag des Grundgesetzes (Art. 21 Abs. 3) deren Rechtsverhältnisse im Zusammenhang zu regeln hatte.
4)
Es ergibt sich somit, daß der bisher von der Rechtsprechung auch bei Gewerkschaften gezogene Umkehrschluß aus § 50 ZPO (keine aktive Parteifähigkeit) infolge einer materiellen Derogation durch den Gesetzgeber, die in der gesamten gewerkschaftsrechtlichen Gesetzgebung zu sehen ist, heute nicht mehr gezogen werden darf (vgl. Mayer-Maly, Über die Rechtsstellung der Gewerkschaften in "Deutsche Landesreferate zum VII. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Uppsala 1966", S. 374, 378; Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit S. 186-216). Eine Beschränkung der Gewerkschaften auf die passive Parteifähigkeit ist mit dem Wertsystem der geltenden materiellen Rechtsordnung nicht mehr vereinbare Sie wird der seit Anfang dieses Jahrhunderts fortschreitend vollzogenen sozialen und vor allem Rechtsentwicklung nicht mehr gerecht. (vgl. auch BGHZ 26, 349; 35, 363, 367; 39, 124, 131; dazu Hauß LM Nr. 18 und 23 zu § 847 BGB).
V.
Den oben zu I wiedergegebenen Erwägungen, aus denen das Berufungsgericht es nicht für angängig gehalten hat, im vorliegenden Fall die aktive Parteifähigkeit der Klägerin zu bejahen, kann nicht gefolgt werden:
1)
Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob seine Ausführungen darüber zutreffen, unter welchen (beschränkten) Voraussetzungen ("nur bei Rechtsnotstand") eine richterliche Rechtsfortbildung "contra legem" zulässig sei (vgl. Flume, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentags Bd. 2 K 5, 25, 26; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft S. 320; ders. NJW 1965, 1 ff; Stein, NJW 1964, 1745, 1748).
2)
Um eine Rechtsfortbildung "contra legem" handelt es sich nämlich hier keinesfalls, wenn man, wie es geschehen muß, unter "lex" nicht nur isoliert die Vorschrift des § 50 ZPO, sondern die gesamte gesetzlich geordnete Rechtsstellung der Gewerkschaften in Betracht zieht.
Das ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen zu III und IV. Vielmehr wird die jetzt vom Senat getroffene Entscheidung von der in Bezug auf die Gewerkschaften vom Gesetzgeber geschaffenen Gesamtrechtsordnung unumgänglich gefordert und steht daher mit ihr im Einklang.
3)
Infolgedessen kommt es auch nicht darauf an, ob etwa die Gewerkschaften heute noch beachtliche Rechtsgründe für ihre Weigerung anführen können, die Rechtsform des im Vereinsregister eingetragenen rechtsfähigen Vereins anzunehmen (dazu Brisch, Rechtsstellung der deutschen Gewerkschaften 1951 S. 36-40; aber auch Fabricius a.a.O. S. 215). In BGHZ 42, 210, 212 ist das bejaht worden. Hierzu braucht nicht Stellung genommen zu werden.
VI.
Die Frage, ob die volle Parteifähigkeit etwa nicht nur für Gewerkschaften, sondern für alle nichtrechtsfähigen Vereine, oder jedenfalls für solche mit sehr großer Mitgliederzahl ("Massenorganisationen") zu bejahen ist (vgl. dazu Wapler, NJW 1961, 439; Fabricius a.a.O. S. 187 ff;. 216-217), bleibt hier unentschieden. Der vorliegende Fall nötigt nicht, dazu Stellung zu nehmen.
VII.
Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die Sache bedarf weiterer Aufklärung. Sie wird daher an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von einer Zurückverweisung ans Landgericht (vgl. §§ 538 Nr. 2, 274 Nr. 7 ZPO) sieht der Senat ab (vgl. § 540 ZPO).
Unterschriften
Glanzmann
Heimann-Trosien
Meyer
Vogt
Bundesrichter Dr. Finke hat seinen Urlaub angetreten und kann deshalb nicht unterschreiben Glanzmann
Fundstellen