Leitsatz (amtlich)

Zum Beginn der Verjährung des Schadensersatzanspruchs wegen Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung.

 

Normenkette

BGB § 852 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 20.04.1988)

LG Wuppertal

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. April 1988 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen der Klägerin zur Last.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin, eine Innungskrankenkasse, nimmt die Beklagte als die ehemalige Geschäftsführerin der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG (im folgenden: KG) auf Schadensersatz wegen in der Zeit vom 1. Januar bis 9. April 1981 nicht abgeführter Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung in Anspruch. Über das Vermögen der KG ist am 10. Juli 1981 das Konkursverfahren eröffnet worden. Am 15. Mai 1986 wurde das Verfahren mangels Masse eingestellt. Unter dem 25. Juni 1984 hat die Beklagte gegenüber der Klägerin auf die Einrede der Verjährung verzichtet, soweit Verjährung nicht bereits eingetreten war.

Mit der am 30. Oktober 1986 zugestellten Klage hat die Klägerin die Zahlung von 31.369,86 DM (nebst Rechtshängigkeitszinsen) begehrt. Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung der Klageforderung abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der – zugelassenen – Revision hält die Klägerin an ihrem Klagebegehren fest.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat gemeint: Soweit sich die Beklagte durch Nicht-Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung an die Klägerin schadensersatzpflichtig gemacht habe, sei der Klageanspruch jedenfalls wegen Ablaufs der dreijährigen Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB unbegründet. Die Klägerin habe bereits im Mai 1981 von dem Schaden Kenntnis gehabt, wie ein Mahnschreiben aus dieser Zeit belege, und schon damals gegen die Beklagte Klage erheben können.

II.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält der rechtlichen Überprüfung stand.

1. Revisionsrechtlich ist davon auszugehen, daß die Beklagte als die Geschäftsführerin der Komplementär-GmbH der KG in dem von der Klägerin geltend gemachten Umfang Arbeitnehmeranteile zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung bei Fälligkeit vorsätzlich nicht weitergeleitet und damit in ihr strafrechtlich zuzurechnender Weise (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) gegen die Strafvorschriften der – damals noch geltenden – §§ 529 Abs. 1, 1428 Abs. 1 RVO, § 150 Abs. 1 AVG, § 225 Abs. 1 AFG verstoßen hat. Sie hat sich damit nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit den genannten Vorschriften, die Schutzgesetze i.S. des § 823 Abs. 2 BGB darstellen, schadensersatzpflichtig gemacht (st. Rspr., vgl. zuletzt Senatsurteile vom 12. Februar 1985 – VI ZR 68/83 – VersR 1985, 590 und vom 11. Juni 1985 – VI ZR 61/84 – VersR 1985, 1038). Dies wird im übrigen in der Revisionsinstanz auch von der Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogen.

2. Die Klägerin ist zur Geltendmachung des in Frage stehenden Schadens auch insoweit legitimiert, als es um Arbeitnehmeranteile von Beiträgen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung geht. Der Senat hat bereits durch Urteil vom 28. Juni 1960 (VI ZR 146/59 – VersR 1960, 748) entschieden, daß sich die Ermächtigung der gesetzlichen Krankenversicherung, die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung mit einzuziehen (§ 1399 Abs. 1 RVO, § 121 Abs. 1 AVG, § 176 Abs. 1, 3 AFG), auf bürgerlich-rechtliche Schadensersatzansprüche erstreckt, die sich aus dem Beitragsstrafrecht der Sozialversicherungsgesetze in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB ergeben. An dieser Auffassung, die auch den bereits angeführten Senatsurteilen vom 12. Februar 1985 und 11. Juni 1985 zugrunde liegt und vom Bundessozialgericht geteilt wird (BSGE 51, 247, 248), hält der Senat fest. Sie findet ihre innere Rechtfertigung darin, daß der Schadensersatzanspruch wegen nicht abgeführter Arbeitnehmeranteile zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung wirtschaftlich nichts anderes zum Gegenstand hat als die Hereinholung der Beiträge auf diesem Wege (Senatsurteil vom 28. Juni 1960 a.a.O.). Von daher ist die Interessenlage der beteiligten Vorsorgeträger die nämliche und trifft der Normzweck der § 1399 Abs. 1 RVO, § 121 Abs. 1 AVG, § 176 AFG auch auf einen derartigen Schadensersatzanspruch zu. Die hier vertretene Handhabung wird auch durch praktische Gründe nahegelegt. Zum einen verfügt allein die gesetzliche Krankenkasse als die Einzugsstelle über die erforderlichen Unterlagen. Zum anderen werden vielfach die verspätete Weiterleitung von Beitragsteilen, etwa auch durch den vertretungsberechtigten Verantwortlichen des Unternehmens zugunsten des Unternehmens, und die Leistung von Schadensersatz wegen Nichtabführung von Beitragsteilen abrechnungsmäßig kaum unterscheidbar ineinander übergehen.

3. Als Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB unterliegt der hier in Frage stehende Anspruch der Klägerin der dreijährigen Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB beginnend mit dem Zeitpunkt, in dem die Klägerin von dem Schaden und der Person der Beklagten als der Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat. Hiernach war der Anspruch der Klägerin bei Klageerhebung verjährt.

a) Das Berufungsgericht hat sich zutreffend auf den Standpunkt gestellt, daß der mit der Klage geltend gemachte Schaden der Klägerin nicht erst vorliegt, seit sich die Beitragsforderung gegen die KG mit Einstellung des Konkursverfahrens mangels Masse endgültig als uneinbringlich herausgestellt hat, sondern bereits gegeben war, als die Beklagte die Arbeitnehmeranteile nicht fristgerecht an die Klägerin abgeführt hat. Die Straftatbestände der – damals noch geltenden – §§ 529 Abs. 1, 1428 Abs. 1 RVO, § 150 Abs. 1 AVG, § 225 AFG und damit – über § 823 Abs. 2 BGB – der zum Schadensersatz verpflichtende Tatbestand sind erfüllt, sobald der hierfür Verantwortliche die Beitragsteile der berechtigten Einzugsstelle „vorenthält”. Vorenthalten in diesem Sinne aber sind Beitragsteile bereits dann, wenn sie bei Fälligkeit der Beitragsschuld nicht an die Einzugsstelle abgeführt sind (RGSt 50, 133, 134; Senatsurteile vom 28. Juni 1960 a.a.O. S. 749, vom 7. November 1961 – VI ZR 5/61 – VersR 1962, 24, 26 f. und vom 1. April 1969 – VI ZR 229/67 – VersR 1969, 637, 638). Der deshalb gegebene Schadensersatzanspruch ist aber nicht etwa (nur) auf Ersatz eines Ausfallschadens gerichtet. Vielmehr liegt der Schaden, wie der Senat bereits durch Urteil vom 12. Februar 1985 (a.a.O. S. 591) klargestellt hat, schon in der Vorenthaltung der Beitragsteile als solcher. Soweit der Senat in seinem Urteil vom 7. November 1961 (a.a.O. S. 27) für den damals zu entscheidenden Fall ausgeführt hat, der Schaden ergebe sich daraus, daß keine Befriedigung der Beitragsforderung aus dem Vermögen der Arbeitgeberfirma erreicht worden sei, hat er diese Sicht in seiner späteren Rechtsprechung (s. insbesondere Senatsurteil vom 12. Februar 1985 a.a.O.) aufgegeben. Der Zweck des Schadensersatzanspruches nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 529 Abs. 1, 1428 Abs. 1 RVO, § 150 Abs. 1 AVG, § 225 AFG besteht gerade darin, der Einzugsstelle zur Vermeidung von Beitragsausfällen bei Vorenthaltung von Beitragsteilen den sofortigen Zugriff auf den dafür Verantwortlichen persönlich als Deliktsschuldner zu eröffnen und sie insoweit von der Verfolgung der Beitragsforderung gegen den Arbeitgeber und dem damit verbundenen Liquiditätsrisiko freizustellen (vgl. – allgemein zum Liquiditätsrisiko im Schadensersatzrecht – Münchbach, Regreßkonstruktionen in Schadensfällen, S. 104 f.; Staudinger/Selb BGB 12. Aufl., § 255 Rdn. 4). Diese Betrachtungsweise findet eine Stütze in § 255 BGB insofern, als auch dort davon ausgegangen wird, daß ein Schaden nicht deswegen zu entfallen braucht, weil der Geschädigte konkurrierende Ansprüche gegen einen Dritten hat.

b) Von dem streitgegenständlichen Schaden hat die Klägerin, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei einem Mahnschreiben der Klägerin vom 20. Mai 1981 entnimmt, spätestens an diesem Tage Kenntnis gehabt. Unstreitig war ihr auch bewußt, daß innerhalb der KG die Beklagte als die Geschäftsführerin der Komplementär-GmbH verantwortlich und deshalb ggfls, ein Schadensersatzanspruch wegen Vorenthaltung von Beitragsteilen gegen sie zu richten war. Dies bestätigt sich darin, daß nach in den Akten befindlichen Unterlagen bereits im Jahre 1980 Vereinbarungen zwischen der Klägerin und der KG zustande gekommen sind, die für die KG von der Beklagten unterzeichnet sind. Darüberhinaus war der Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bewußt, daß bereits eine Zahlung von 5.000 DM, die im März 1981 auf den Beitragsrückstand erfolgt ist, aus privaten Mitteln der Beklagten stammte.

Soweit „Kenntnis” i.S. des § 852 Abs. 1 BGB voraussetzt, daß dem Geschädigten nach den ihm bekannten Tatsachen die gerichtliche Geltendmachung zumutbar gewesen sein muß (vgl. Senatsurteile vom 23. September 1975 – VI ZR 62/73 – VersR 1976, 166 f.; vom 20. September 1983 – VI ZR 35/82 – NJW 1984, 661; vom 7. April 1987 – VI ZR 55/86 – NJW-RR 1987, 916), ergeben sich gleichfalls keine durchgreifenden Bedenken gegen die Annahme, die Verjährung habe spätestens am 20. Mai 1981 zu laufen begonnen. Insbesondere wird der Verjährungsbeginn unter diesem Gesichtspunkt nicht davon beeinflußt, daß die Beklagte zur Abwehr ihrer Inanspruchnahme möglicherweise auf die fortbestehende Beitragsforderung gegen die KG verwiesen hätte. Zum einen wird die Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen nicht dadurch ausgeschlossen, daß für den Fall der Klageerhebung Einwendungen oder Einreden zu erwarten stehen (vgl. Senatsurteil vom 9. Dezember 1958 – VI ZR 272/57 – LM BGB § 852 Nr. 11). Zum anderen brauchte die Klägerin jenen Einwand nicht zu scheuen. Sie konnte die Beklagte sogleich auf Erstattung der vorenthaltenen Beitragsteile in Anspruch nehmen und brauchte nicht zu befürchten, darauf verwiesen zu werden, zunächst die Realisierung der Beitragsforderung gegenüber der KG bzw. in dem Konkursverfahren gegen diese zu versuchen. Vielmehr wäre es Sache der Beklagten gewesen, sich das Geld, soweit einbringlich, von der KG zurückzuholen (Senatsurteil vom 12. Februar 1985 a.a.O.). Dies folgt wiederum aus dem bereits dargelegten Zweck des Schadensersatzanspruches wegen Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, nämlich der Einzugsstelle zur Vermeidung von Beitragsausfällen die Inanspruchnahme des für die Vorenthaltung Verantwortlichen als Deliktsschuldner zu ermöglichen und sie insoweit von dem Risiko der Illiquidität des Beitragsschuldners zu entlasten.

Auf die Hilfserwägung des Berufungsgerichts, daß um dieselbe Zeit die Beitragsforderung gegen die KG auch bereits objektiv uneinbringlich und dies der Klägerin bewußt gewesen sei, kommt es nicht an.

4. Hat hiernach die Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB spätestens am 20. Mai 1981 zu laufen begonnen, ist die Klageforderung spätestens seit dem 20. Mai 1984 verjährt. Der von der Beklagten unter dem 25. Juni 1984 erklärte Verzicht auf die Erhebung der Verjährungseinrede war dahin eingeschränkt, daß er für bereits verjährte Ansprüche nicht gelte, und wirkt sich schon deshalb im Streitfall nicht aus. Mithin hat das Berufungsgericht die Klageforderung zu Recht als verjährt angesehen. Die Revision der Klägerin war daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

Unterschriften

Dr. Steffen, Dr. Kullmann, Dr. Macke, Dr. Lepa, Bischoff

 

Fundstellen

Haufe-Index 1237709

Nachschlagewerk BGH

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