Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermächtnis
Leitsatz (amtlich)
Ein Vermächtnis muß grundsätzlich bis zur völligen Ausschöpfung des Nachlasses erfüllt werden; die Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage greifen nicht ein.
Normenkette
BGB §§ 2174, 242
Tatbestand
Die 68 Jahre alte Klägerin begehrt von dem Beklagten, ihrem Stiefsohn, Zahlung einer Leibrente von wöchentlich 300 DM. Der im Jahre 1930 geborene Beklagte ist Alleinerbe seines am 31. Mai 1961 verstorbenen Vaters, des Ehemanns der Klägerin, und zwar aufgrund Erbvertrages, den er am 24. November 1958 mit diesem abgeschlossen hatte. Zum Nachlaß gehörte ein Hausgrundstück in Westerland. Dort hatte der Erblasser ein Friseurgeschäft betrieben, das der Beklagte nach dem Erbfall fortführte.
In dem Erbvertrag hatte der Erblasser der Klägerin ein Vermächtnis eingeräumt, wonach der Beklagte ihr ein Wohnrecht an einer Wohnung in dem Haus in Westerland, freie Verpflegung in seinem Haushalt und eine wöchentliche Leibrente in Höhe des jeweiligen Spitzenlohnes einer Friseuse zu gewähren hatte. Als Gegenleistung sollte die Klägerin die im Geschäft anfallende Wäsche besorgen und die Mahlzeiten für den Haushalt bereiten sowie einkaufen. Bei dauernder Arbeitsunfähigkeit der Klägerin sollte sich die Leibrente auf die Hälfte ermäßigen, Wohnrecht und Verpflegung der Klägerin aber weiterlaufen. Endgültige Verweigerung der Gegenleistung durch die Klägerin aus anderen Gründen sollte ihr Wohnrecht und ihren Anspruch auf Verpflegung entfallen lassen und die Leibrente auf zwei Drittel vermindern.
Die Mitarbeit der Klägerin im Haushalt des Beklagten endete schon im Jahre 1961. Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe es abgelehnt, sich von ihr weiterhin helfen zu lassen, und habe die freie Verpflegung eingestellt. Da der Beklagte auch die Leibrente gekürzt habe, habe sie im Jahre 1971 schließlich eine Berufstätigkeit aufnehmen müssen. Im Jahre 1986 veräußerte der Beklagte das Hausgrundstück und stellte die Zahlung der Leibrente in Höhe von zuletzt 75 DM wöchentlich ein. Das im Grundbuch eingetragene Wohnrecht der Klägerin blieb bestehen.
Der Beklagte behauptet, die Klägerin habe die ihr auferlegten Gegenleistungen ungerechtfertigt endgültig verweigert. Sie sei anderweit versorgt und habe auf die Leibrente verzichtet. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht den Beklagten zur Zahlung einer Leibrente von 300 DM seit dem 1. Dezember 1986 verurteilt. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Zurückweisung der Berufung.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat teilweise Erfolg.
1.
Das Berufungsgericht versteht die Zuwendung der eingeklagten Leibrente an die Klägerin als ein Vermächtnis im Sinne von §§ 1939, 2147 ff. BGB. Das ist rechtsfehlerfrei; auch die Revision hat insoweit nichts zu erinnern. Daß die Klägerin dem Beklagten den Anspruch aus dem Vermächtnis (§ 2174 BGB) erlassen habe (§ 397 BGB), kann das Berufungsgericht nicht feststellen. Das nimmt die Revision hin. Sie rügt aber, daß das Berufungsgericht den Klageanspruch nicht aus Gründen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage verneint hat. Die Geschäftsgrundlage für die Gewährung der Leibrente sei durch grundlegende Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse und das dadurch gestörte Leistungsgefüge des Erbvertrages nicht mehr gegeben. Diese Rüge ist unbegründet.
Die Regeln, die bei Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage eingreifen, sind entwickelt worden, um auf der Ebene des Schuldrechts bei Verträgen mit gegenseitigem Leistungsaustausch die Folgen schwerwiegender Störungen der Vertragsgrundlagen in Grenzen des Zumutbaren halten zu können. Darum geht es bei einem Vermächtnis nicht. Das hat der Bundesgerichtshof bereits in BGHZ 37, 233, 241 (ebenso Urteil vom 14. 1. 1971 - III ZR 86/68 - unveröffentlicht, vgl. Johannsen, WM 1972, 866, 877 unter H) zum Ausdruck gebracht. Im Erbrecht handelt es sich nicht um einen gegenseitigen Leistungsaustausch auf der Ebene des Schuldrechts, sondern um eine unentgeltliche Zuwendung erbrechtlicher Natur. Ein Vermächtnis muß dementsprechend grundsätzlich bis zur völligen Ausschöpfung des Nachlasses (§§ 1990ff. BGB) erfüllt werden. Der Grund dafür besteht darin, daß der Erbe, wenn er die Erbschaft annimmt, damit dem Willen des Erblassers unterliegt und dessen rechtlich verbindliche Anordnungen daher zu erfüllen hat. Das ist bei einem Erbvertrag zwischen dem Erblasser und seinem künftigen Alleinerben nicht anders. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts (BU 14 III) beruht die Verpflichtung des Erben zur Erfüllung eines Vermächtnisses auch hier nicht auf seiner Zustimmung zu dem Erbvertrag, sondern auf den erbrechtlichen Verfügungen des Erblassers in diesem Erbvertrag und auf dem Umstand, daß der Erbe die Erbschaft nicht ausgeschlagen hat.
Fehlen danach bei einer Verfügung von Todes wegen wesentliche Umstände, auf denen der Testierwille aufbaut, oder ändern sich solche nachträglich, dann kann dem in der Regel nur mit den Mitteln der ergänzenden Auslegung Rechnung getragen werden. Dementsprechend hat es auch das Reichsgericht in RGZ 108, 83, 85 für richtig gehalten, im Zusammenhang mit dem grundstürzenden Währungsverfall nach dem ersten Weltkrieg eine Teilungsanordnung und ein damit zusammenhängendes mögliches Vorausvermächtnis mit Hilfe einer ergänzenden Auslegung an die neuen Verhältnisse anzupassen. Indessen ist auch dieser Weg im vorliegenden Fall verschlossen, weil in dem Erbvertrag selbst für den Fall vorgesorgt ist, daß die Klägerin ihre Mitarbeit grundlos verweigerte. Da die Klägerin ihre Rente sogar in einem solchen Fall zu zwei Dritteln behalten sollte, liegt es fern, ergänzend dahin auszulegen, daß die Rente nur deshalb gekürzt werden soll, weil der Beklagte seinen Betrieb aufgegeben und veräußert hat.
2.
Der Beklagte hat sich vor dem Tatrichter unter anderem auf Verwirkung berufen und dazu vorgetragen, die Klägerin habe über viele Jahre hinweg akzeptiert, daß er seit ihrer Erwerbstätigkeit nicht die vollen Leibrentenbeträge erbracht habe. Das Berufungsgericht läßt diese Einwendung nicht gelten und stützt sich dazu wesentlich darauf, daß die Klägerin auf ihrem Wohnrecht bestanden und bis Ende November 1986 auch Leibrentenzahlungen erhalten habe.
Hierzu beanstandet die Revision mit Recht, daß das Berufungsgericht nicht geprüft hat, ob die Klägerin ihre Leibrente auch nicht teilweise verwirkt hat. Die wöchentlichen Zahlungen des Beklagten beliefen sich von 1974 bis 1986 unstreitig auf 75 DM (entsprechend 325 DM monatlich). Wenn die Klägerin danach mit der Klage seit 1. Dezember 1986 mit 300 DM wöchentlich das Vierfache verlangte, bestand Anlaß, wegen des Differenzbetrages von 225 DM wöchentlich auf die Frage einer Teilverwirkung einzugehen. Immerhin gab es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine einverständliche Regelung dahin, daß die Klägerin nicht mehr mitarbeitete und daß ihr Anspruch auf freie Verpflegung für die Zukunft entfiel. Wenn die Klägerin sich dann ohne Widerspruch mit 75 DM wöchentlich begnügte und eine eigene Erwerbstätigkeit aufnahm, konnte das möglicherweise dahin verstanden werden, daß sie für die Zukunft eine Erhöhung der Rente auf das Spitzengehalt einer Friseuse nicht (mehr) beanspruchen werde. In diesen Zusammenhang gehören auch die Äußerungen, die das Berufungsgericht unter dem Gesichtspunkt eines Verzichts behandelt.
Unter diesen Umständen kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben, soweit der Beklagte zur Zahlung von mehr als 75 DM wöchentlich verurteilt ist. Das Berufungsgericht wird nunmehr näher darauf einzugehen haben, ob die Klägerin ihre Leibrente teilweise verwirkt hat.
3.
Rechtsfehlerhaft ist das angefochtene Urteil auch, soweit es nicht auf die Frage einer Haftungsbeschränkung gemäß §§ 1990ff. BGB eingeht.
Der Beklagte hat schon vor dem Landgericht vorgetragen, der reine Nachlaß betrage nur 41.332,22 DM. Dem stünden noch die Vermächtnisse zugunsten der Klägerin und ihrer Tochter aus dem Erbvertrag gegenüber, deren Wert sich kapitalisiert auf 114.696,20 DM und 26.203 DM belaufe; er habe also nur Schulden von rund 100.000 DM "geerbt". Geleistet habe er der Klägerin in Geld und Naturalien circa 475.000 DM. Dem hat der Beklagte hinzugefügt: "Das reicht !". Darin lag die Geltendmachung eines Leistungsverweigerungsrechts aus § 1990 BGB. Da das Landgericht die Klage aus anderen Gründen abgewiesen hat, brauchte es hierauf nicht einzugehen. Das Berufungsgericht hätte darauf aber zurückkommen müssen, zumal der Beklagte sich auch vor ihm ausdrücklich auf die beträchtlichen Schulden berufen und sogar ausgeführt hatte, als Miterbin oder Pflichtteilsberechtigte hätte die Klägerin mit Rücksicht auf die Schulden überhaupt nichts erhalten. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ist die Erschöpfungseinrede nicht rechtsmißbräuchlich erhoben.
Das Berufungsgericht hätte die Wahl gehabt, die Frage des Haftungsumfangs aufzuklären und zu entscheiden oder aber sich mit dem Vorbehalt gemäß § 780 Abs. 1 ZPO zu begnügen (Senatsurteil vom 9. 3. 1983 - IVa ZR 211/81 - NJW 1983, 2378 = LM BGB § 2320 Nr. 1; BGHZ 95, 222, 228; Urteil vom 19. 1. 1984 - I ZR 209/81 - LM ZPO § 253 Nr. 75 Bl. 2R; Urteil vom 13. 7. 1989 - IX ZR 227/87 - BGHR ZPO § 780 Abs. 1 "Anfechtbarkeit 1"). Der Senat kann den Haftungsumfang nicht selbst klären und beschränkt sich deshalb auf den Vorbehalt gemäß § 780 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1456501 |
BB 1993, 612 |
NJW 1993, 850 |
DNotZ 1993, 532 |
JuS 1993, 962 |