Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzpflicht eines Rechtsanwalts und Wirtschaftsprüfers wegen pflichtwidrig unterlassener, steuerlicher Beratung; Verjährungsbeginn
Leitsatz (amtlich)
Ist eine feste Verwaltungsübung der zuständigen Finanzbehörden einem steuerlichen Berater bekannt oder muß er sie kennen, handelt er pflichtwidrig, wenn er sie bei seinen steuerlichen Empfehlungen und Belehrungen nicht berücksichtigt. Dies gilt auch dann, wenn er diese Übung persönlich für rechtswidrig hält und dies objektiv zutrifft.
Läßt ein steuerlicher Berater eine ständig geübte Verwaltungspraxis zur Wirtschaftsförderung, pflichtwidrig und schuldhaft außer acht, hat er dem Mandanten für die daraus erwachsenden Nachteile einzustehen, auch wenn die Verwaltungsübung gegen Ermessensrichtlinien verstößt.
Leitsatz (redaktionell)
1. Sich nach einer ihm unbekannten Verwaltungsübung zu erkundigen, kann der steuerliche Berater dann verpflichtet sein, wenn die Behörde über den noch zu stellenden Antrag nach ihrem Ermessen zu entscheiden hat. Kann der für den Mandanten zu stellende Antrag nur Erfolg haben, wenn die Behörde den Rahmen ihres Ermessens überschreitet, ist der Berater jedoch zu einer Erkundigung grundsätzlich nicht verpflichtet.
2. Veröffentlichte Erlasse der örtlich zuständigen Oberfinanzdirektionen zur Gewährung von Vergünstigungen (hier: steuerfreie Rücklagen und Sonderabschreibungen nach dem Zonenrandförderungsgesetz) muß ein steuerlicher Berater kennen, wenn er Mandanten berät, die solche Vergünstigungen in Anspruch nehmen wollen.
3. Die Haftung wegen mangelhafter steuerlicher Beratung unterliegt bei einem Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer, der nicht zugleich Steuerberater ist, nicht der Verjährung nach § 68 StBerG; sondern je nachdem, ob er als Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer tätig geworden ist, beträgt die Verjährungsfrist drei oder fünf Jahre.
Normenkette
BGB §§ 675, 249; BRAO § 51; WiPrO § 51; StBerG § 68; ZRFG § 3
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 19.05.1994) |
LG München I |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 32. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 19. Mai 1994 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin betreibt in T., Landkreis P. (Zonenrandgebiet), eine Fensterfabrik. Sie verlangt von dem Beklagten, einem Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer, der sie steuerlich berät, Schadensersatz, weil er es für die Jahre 1986 bis 1988 pflichtwidrig unterlassen habe, ihr die Bildung steuerfreier Rücklagen gemäß § 3 Abs. 1 des Zonenrandförderungsgesetzes (ZRFG) anzuraten. Dieses Versäumnis habe zur Folge gehabt, daß die Einkommen- und Gewerbesteuer und die Vorauszahlungen hierauf zu hoch festgesetzt worden seien. Dadurch seien Zinsverluste entstanden.
Die Klägerin hat diese zuletzt noch in Höhe von 299.465 DM geltend gemacht. In den Vorinstanzen hatte die Klage keinen Erfolg. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat der Beklagte seine Pflichten aus dem Beratungsvertrag nicht verletzt. Der Beklagte habe sich nach den einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften richten dürfen und müssen. Diese hätten der Klägerin keinen Anspruch auf Anerkennung steuerfreier Rücklagen gewährt. Wenn das zuständige Finanzamt P. – entgegen der Rechtslage – in ständiger Praxis anders entschieden habe und auch etwaigen Anträgen der Klägerin stattgegeben hätte, könne diese daraus nichts für sich herleiten.
Denn es gebe keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht. Im übrigen habe die Klägerin den geltend gemachten Schaden nicht substantiiert vorgetragen.
II.
Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat eine Pflichtverletzung des Beklagten rechtsfehlerhaft verneint.
a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war Inhalt des dem Beklagten erteilten Auftrages unter anderem die Beratung der Klägerin über steuerliche Möglichkeiten zur Förderung der von ihr im Zonenrandgebiet geplanten und durchgeführten Investitionen. Kraft dieses Auftrages hatte der Beklagte die Interessen der Klägerin bestmöglich zu wahren, sie umfassend steuerlich zu beraten und ihr insbesondere den relativ sichersten Weg aufzuzeigen, wie sie die Vergünstigungen des Zonenrandförderungsgesetzes erlangen konnte (BGHZ 89, 178, 181; BGH, Urt. v. 3. Dezember 1992 – IX ZR 61/92, NJW 1993, 1137, 1138; v. 3. Juni 1993 – IX ZR 173/92, NJW 1993, 2799, 2800; v. 8. Juli 1993 – IX ZR 242/92, NJW 1993, 2676; v. 10. Februar 1994 – IX ZR 109/93, NJW 1994, 1472; v. 9. Juni 1994 – IX ZR 125/93, NJW 1994, 3295, 3297; zur Belehrung über die Möglichkeiten einer Steuerersparnis vgl. insbesondere BGH, Urt. v. 7. November 1991 – IX ZR 288/90, WM 1992, 238, 239; v. 26. Mai 1994 – IX ZR 57/93, WM 1994, 1848, 1850).
Hierzu gehört auch, daß der Berater den Steuerpflichtigen auf eine ständige für diesen günstige Verwaltungspraxis der Finanzbehörden hinweist. Geben die Behörden allen Anträgen auf Vergünstigungen ohne nähere Prüfung statt, so hat der Berater von einer dem Mandanten günstigen Beurteilung durch die Finanzbehörden auszugehen und danach seine steuerlichen Empfehlungen und Belehrungen auszurichten, selbst wenn die Auffassung der Finanzbehörden mit der objektiv zutreffenden Sach- und Rechtslage nicht im Einklang steht (vgl. BGHZ 79, 223, 229; BGH, Urt. v. 6. Februar 1991 – VIII ZR 26/90, NJW-RR 1991, 660; v. 7. Mai 1992 – IX ZR 151/91, NJW-RR 1992, 1110, 1112; v. 3. Juni 1993 – IX ZR 173/92, NJW 1993, 2799, 2800). Denn nur dann kann der Mandant umfassend abwägen, bevor er sich für oder gegen den Antrag entscheidet. Will der Berater die Vergünstigung nicht beantragen, weil er sie für gesetzwidrig hält, kann der Mandant einen anderen damit beauftragen.
Dies gilt entgegen der von der Revisionserwiderung vertretenen Meinung nicht lediglich dann, wenn das Finanzamt einen Antrag des Mandanten bereits anerkannt hat. Auch wenn ein diesem günstiger bindender Bescheid noch nicht vorliegt, der steuerliche Berater diesen vielmehr erst herbeiführen soll, darf er die Augen nicht davor verschließen, wie die Behörden vergleichbare Anträge bisher behandelt haben. Denn der steuerliche Berater geht nicht den relativ sichersten Weg, wenn er sich, weil er es besser zu wissen glaubt, über eine ständige Verwaltungspraxis hinwegsetzt. Wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der öffentlichen Verwaltung und der für ihre Bediensteten geltenden Gehorsamspflicht besteht nämlich eine tatsächliche Vermutung, daß eine ständige Verwaltungspraxis sich mit den Verwaltungsvorschriften im Einklang befindet und daß diese sich wiederum mit den Gesetzen decken (vgl. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR III (1988) § 65 Rdnr. 46; derselbe, in: Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht 10. Aufl. § 6 Rdnr. 49).
Allerdings braucht ein steuerlicher Berater die bisherige Praxis nur zu beachten, wenn er sie kennt oder kennen muß. Sich nach einer ihm unbekannten Verwaltungsübung zu erkundigen, kann der steuerliche Berater dann verpflichtet sein, wenn die Behörde über den noch zu stellenden Antrag nach ihrem Ermessen zu entscheiden hat. Denn insoweit kommt eine Ermessensbindung durch ständige – rechtmäßige – Verwaltungsübung in Betracht (BVerWGE 34, 278, 280; 44, 1, 6; Rüfner, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Oktober 1992), Art. 3 Abs. 1 Rdnr. 172, 175; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR III § 65 Rdnr. 44 ff; derselbe, in: Erichsen/Martens, a.a.O. § 6 Rdnr. 49; Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Art. 3 Abs. 1 Rdnr. 428 ff), die der steuerliche Berater nicht außer acht lassen darf, wenn er seiner Pflicht zur umfassenden Beratung genügen will. Kann der für den Mandanten zu stellende Antrag nur Erfolg haben, wenn die Behörde den Rahmen ihres Ermessens überschreitet, ist der Berater jedoch zu einer Erkundigung grundsätzlich nicht verpflichtet. Es ist ihm nicht zuzumuten, ohne erkennbaren Anlaß – mehr oder weniger routinemäßig – bei der zuständigen Behörde nachzufragen, ob sie bei der Behandlung entsprechender Anträge möglicherweise ständig von den Steuergesetzen und den dazu ergangenen Richtlinien abweiche. Ein steuerlicher Berater muß eine derartige gefestigte Praxis aber dann kennen, sich zumindest danach erkundigen, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die oberen Steuerbehörden eines Landes die nachgeordneten Finanzämter angewiesen haben, von bundeseinheitlichen Richtlinien abzuweichen, und diese Anweisungen veröffentlicht sind. Anlaß, der Frage nach einer mit der objektiven Rechtslage möglicherweise nicht im Einklang stehenden Verwaltungspraxis nachzugehen, hat der steuerliche Berater auch dann, wenn diese Praxis in der Öffentlichkeit oder auch nur in den Fachkreisen, denen der Berater angehört, erörtert wird.
b) Das Berufungsgericht ist im Grundsatz davon ausgegangen, daß der Beklagte bei der Interessenwahrung für die Klägerin nicht nur die objektive Rechtslage, sondern darüber hinaus auch „die sich aus dem Verhalten der Finanzbehörden für die Klägerin etwa ergebenden günstigen Rechtsfolgen” zu beachten hatte. Es hat dann aber das Vorbringen der Klägerin rechtsfehlerhaft nur unter dem Gesichtspunkt gewürdigt, ob sich daraus für sie unter Zugrundelegung des Zonenranderlasses 1978 ein Anspruch herleiten läßt. Die Klägerin hatte unter Beweisantritt vorgetragen, daß die Oberfinanzdirektionen München und Nürnberg die für das bayerische Zonenrandgebiet zuständigen Finanzämter angewiesen hätten, bei der Zulassung steuerfreier Rücklagen großzügig zu verfahren, und daß die angesprochenen Finanzämter – darunter auch das für die Klägerin zuständige Finanzamt P. – deshalb allen Anträgen ohne nähere Prüfung stattgegeben hätten. Zu diesem Vortrag hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Dies wäre aber erforderlich gewesen. Zwar war die angebliche Verwaltungsübung nur erheblich, wenn die ihr zugrundeliegenden Anweisungen nach dem Zonenranderlaß 1978 ergangen waren – andernfalls durfte der Beklagte sie als überholt betrachten – und jedenfalls in Fachkreisen bekannt geworden waren. Zu beidem hat die Klägerin nichts vorgetragen, weil sie bereits das Bestehen einer vom Zonenranderlaß abweichenden Praxis als solche für ausreichend ansah, die Klage zu stützen. Es ist aber nicht auszuschließen, daß die Klägerin das Fehlende nachgeholt hätte, wenn das Berufungsgericht gemäß § 139 ZPO einen entsprechenden Hinweis gegeben hätte. Das ist für das Revisionsverfahren zu unterstellen. Dann war die Beratung des Beklagten fehlerhaft, zumindest unvollständig.
Im übrigen hat das Berufungsgericht außer acht gelassen, daß in den Jahren 1989 und 1990 in Fachzeitschriften über die „Anpassung des § 3 ZRFG an die langjährige Verwaltungsübung” berichtet wurde (DStR 1989, 2; DB Beilage Nr. 3/90 S. 2; vgl. auch DStR 1989, 257; Stbg 1989, 371). Das Berufungsgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob der Beklagte davon Kenntnis hatte oder haben mußte. Gegebenenfalls wäre ihm die Kenntnis von der langjährigen Verwaltungsübung noch so rechtzeitig zugewachsen, daß er der Klägerin wenigstens für das Jahr 1988 noch die Bewilligung steuerfreier Rücklagen hätte verschaffen können. Denn für 1989 hat sie noch Ende 1990 das Erforderliche veranlassen können.
2. Ein Verschulden des Beklagten kann ebensowenig verneint werden. Veröffentlichte Erlasse der örtlich zuständigen Oberfinanzdirektionen zur Gewährung von Vergünstigungen nach dem Zonenrandförderungsgesetz muß ein steuerlicher Berater kennen, wenn er Mandanten berät, die solche Vergünstigungen in Anspruch nehmen wollen. Desgleichen ist es schuldhaft, wenn der Beklagte sich nicht um eine Verwaltungsübung gekümmert hat, die ihm anläßlich der Gesetzesänderung im Jahre 1989 bekannt geworden ist oder die er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte kennen können.
3. Nach dem Sachvortrag der Klägerin kann die Pflichtverletzung des Beklagten für den ihr durch die unterbliebene Zulassung steuerfreier Rücklagen entstandenen wirtschaftlichen Nachteil ursächlich geworden sein. Die Klägerin, die in den Jahren 1987 bis 1989 gewerbliche Investitionen vorgenommen hat, macht geltend, daß sie in den jeweils vorausgehenden Jahren steuerfreie Rücklagen gebildet hätte, wenn sie darüber aufgeklärt worden wäre, daß das für sie zuständige Finanzamt P. diese Rücklagen anerkennen werde. Diese Behauptung, für deren Richtigkeit im übrigen ein Anscheinsbeweis sprechen kann (vgl. BGHZ 123, 311, 317; BGH, Urt. v. 27. Mai 1993 – IX ZR 66/92; WM 1993, 1513, 1516), ist in Ermangelung gegenteiliger Feststellungen für das Revisionsverfahren zugrunde zu legen. Des weiteren ist zu unterstellen, daß das Finanzamt die steuerfreien Rücklagen bewilligt hätte.
4. Der Nachteil der Klägerin kann sich als rechtlich ersatzfähiger Schaden darstellen.
Allerdings darf grundsätzlich einem Anspruchsteller im Wege des Schadensersatzes nichts zugesprochen werden, was der Rechtsordnung widerspricht (vgl. RGZ 90, 305, 306; BGHZ 72, 328, 331 f; 124, 86, 95; 125, 27, 34; BGH, Urt. v. 14. Juli 1954 – VI ZR 260/53, LM BGB § 843 Nr. 5; v. 7. Mai 1974 – VI ZR 7/73, NJW 1974, 1374, 1376; v. 26. März 1985 – VI ZR 245/83, NJW 1985, 2482, 2483; v. 2. Juli 1987 – IX ZR 94/86, NJW 1987, 3255, 3256; v. 26. Januar 1989 – IX ZR 81/88, NJW-RR 1989, 530 f). Es widerspricht jedoch grundsätzlich nicht der Rechtsordnung, wenn der Auftragnehmer für die Nachteile einstehen muß, die dem Auftraggeber entstanden sind, weil er sich durch schuldhaft schlechte Ausführung des Auftrags die damalige Behördenpraxis nicht hat zunutze machen können. Ob dies auch dann gilt, wenn die Behörden in ständiger Praxis einen Vorteil gewährt haben, der nach dem Gesetz schlechterdings nicht gewährt werden durfte (so BGHZ 79, 223, 230 m. Anm. Girisch LM BGB § 249 (A) Nr. 57), mag offenbleiben. Wenn die bayerischen Finanzämter – wie die Klägerin behauptet – für Investitionen im Zonenrandgebiet regelmäßig steuerfreie Rücklagen bewilligt haben, verstieß dies nicht ohne weiteres gegen das Zonenrandförderungsgesetz in der seit 1986 geltenden Fassung, sondern zunächst nur gegen die im Zonenranderlaß 1978 enthaltenen Ermessensrichtlinien.
Das Gesetz beschränkte die Gewährung steuerfreier Rücklagen nicht auf Ausnahmefälle, machte vielmehr steuerfreie Rücklagen und Sonderabschreibungen von denselben Voraussetzungen abhängig. § 3 Abs. 4 ZRFG sah für beide Förderungsmaßnahmen eine Einschränkung lediglich insoweit vor, als er Unternehmen von der Förderung ausnahm, deren Ertrags- und Vermögenslage so günstig war, daß Maßnahmen nach Absatz 1 auch unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse im Zonenrandgebiet nicht vertretbar erschienen.
Diese Prosperitätsklausel ist seit dem Steuerbereinigungsgesetz 1986 für den Zeitraum, um den es hier geht, entfallen. Von 1986 ab konnten gem. § 3 Abs. 1 ZRFG im Hinblick auf wirtschaftliche Nachteile, die sich aus den besonderen Verhältnissen des Zonenrandgebietes ergaben und von denen einige beispielhaft genannt waren, ohne zusätzliche Einschränkungen gleichermaßen steuerfreie Rücklagen und Sonderabschreibungen zugebilligt werden. Daß die Klägerin im Sinne dieser Vorschrift wirtschaftlich, benachteiligt war, räumt auch der Beklagte ein. Denn er hat für sie Sonderabschreibungen beantragt und bewilligt erhalten.
§ 3 ZRFG ermächtigte die obersten Finanzbehörden, im Rahmen der Zielsetzung der Vorschrift Ermessensregelungen zu erlassen, die von den nachgeordneten Behörden zu befolgen waren. Von dieser Ermächtigung hat die Finanzverwaltung insbesondere durch das BMF-Schreiben vom 10. November 1978 (BStBL. I 1978, S. 451), den sog. Zonenranderlaß, Gebrauch gemacht. Diesem Erlaß hätte eine Verwaltungspraxis widersprochen, die – wie die Klägerin behauptet – allen Anträgen auf steuerfreie Rücklagen ohne nähere Prüfung stattgab. Denn nach III 1 des Erlasses waren steuerfreie Rücklagen nur in Ausnahmefällen zuzulassen, wobei als ein Ausnahmefall beispielhaft erhebliche Finanzierungsschwierigkeiten in mittelständischen Betrieben genannt waren. Gleichwohl ist damit noch nicht gesagt, daß die Klägerin nicht auch einen Anspruch auf Bewilligung der Rücklage ohne jede Prüfung gehabt hätte.
Besteht eine feste gesetzwidrige Praxis, kann – und muß – die Verwaltung allerdings jeden neuen Einzelfall zum Anlaß nehmen, von der bisherigen Praxis abzurücken und zur Rechtmäßigkeit zurückzukehren. Will die Verwaltung so verfahren, kann sie nicht unter Berufung auf den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gezwungen werden, den alten Fehler zu wiederholen (BVerfG NVwZ 1994, 475, 476; BSG Breithaupt 1982, 63, 66; BVerwGE 92, 153, 157; BFH NJW 1989, 2417, 2419; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. 1 Rdnr. 182; Erichsen, in: Erichsen/Martens, a.a.O. § 10 Rdnr. 20). Ist eine prinzipielle Änderung der gesetzwidrigen Verwaltungspraxis aber nicht gewährleistet, weil die Behörde nicht änderungsfähig oder nicht: änderungswillig ist, befürwortet eine neuere Auffassung einen Individualanspruch auf Gleichbehandlung entsprechend der bisherigen und auch für die Zukunft zu erwartenden gesetzwidrigen Praxis (vgl. Paul Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR V (1992) § 125 Rdnr. 74, 77, 85 f, 88; ähnlich Starck, in: v. Mangoldt/Klein, GG 3. Aufl. (1985) Art. 3 Abs. 1 Rdnr. 184–186, jeweils m.w.N.). Ob dieser Ansicht zu folgen ist, bedarf keiner Entscheidung. Denn die Praxis der Finanzbehörden verstieß – wie oben ausgeführt worden ist – ab 1986 möglicherweise nicht gegen das Zonenrandförderungsgesetz, sondern nur gegen den Zonenranderlaß, eine Verwaltungsrichtlinie.
Auch dieser Verstoß wäre nur innerhalb der Verwaltung, nicht aber in ihrem Verhältnis zum Steuerpflichtigen rechtswidrig, wenn sich die Finanzverwaltung nicht nach dem Zonenranderlaß gerichtet, vielmehr bundesweit die von der Klägerin behauptete bayerische Praxis an den Tag gelegt hätte. Denn Anknüpfungspunkt für die Selbstbindung der Verwaltung aus Art. 3 Abs. 1 GG sind nicht die Verwaltungsvorchriften, sondern die ständige Verwaltungspraxis, die Verwaltungsübung. Die Bindung gegenüber dem Bürger ergibt sich aus der Anwendung der Verwaltungsvorschriften, die nur ein wichtiges Indiz für eine entsprechende Praxis sind (vgl. Ossenbühl in: Erichsen/Martens, a.a.O. § 7 IV 4 Rdn. 48; Rüfner, in: Bonner Kommentar, Art. 3 Abs. 1 Rdn. 174, Dürig in: Maunz/Dürig, GG-Art. 3 Abs. 1 Rdn. 433). Der Zonenranderlaß hatte als Ermessensrichtlinie nicht nur die Funktion, den gesetzanwendenden Instanzen ihre Aufgabe zu erleichtern, sondern auch den Zweck, im Interesse des Gleichheitssatzes die Ermessenspraxis zu vereinheitlichen. Durch Umsetzung der Richtlinie in die Praxis band sich die Verwaltung selbst. Unterblieb die Umsetzung, wurde vielmehr in Abweichung von der Richtlinie in ständiger Übung Anträgen ohne nähere Prüfung stattgegeben, so hätte sich die Verwaltung in diesem Sinne und nicht in dem der Richtlinie gebunden.
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß der Zonenrander laß in allen vier Zonenrandländern nicht befolgt worden wäre. Nach Untersuchungen des Bundesrechnungshofes in den Jahren 1987/88 sind nur in Bayern abweichend von den bundeseinheitlichen Richtlinien die Voraussetzungen für die Bewilligung steuerfreier Rücklagen nicht geprüft worden (BT-Drucks. 11/5383, Seite 87 f). Hiernach wären die Steuerpflichtigen, die im Zonenrandgebiet außerhalb Bayerns investierten, durch die dort herrschende, dem Zonenranderlaß entsprechende Verwaltungspraxis im Vergleich mit den Investoren Bayerns benachteiligt und damit ungleich behandelt worden. Ist die Verwaltung nicht willens, für die Zukunft auf die einheitliche Linie der strengeren, für den Steuerpflichtigen nachteiligeren Regelung einzuschwenken, bleibt sie also bei ihrer abweichenden Praxis, so kann den benachteiligten Steuerpflichtigen, wenn es – wie hier – um das Subventionsrecht geht, auch daraus ein Anspruch auf Gleichstellung erwachsen (vgl. Rüfner, in: Bonner Kommentar, Art. 3 Abs. 1 Rdn. 182; Starck, Das Bonner Grundgesetz Art. 3 Abs. 1 Rdn. 186; Berg JuS 1980, 418, 421). In diesem Bereich kann demjenigen, der bisher durch eine ungleichmäßige Verwaltungspraxis bevorzuge wurde, die Vergünstigung grundsätzlich nicht nachträglich entzogen werden. Sein Vertrauen ist geschützt. Wettbewerbsnachteile und damit die Ungleichbehandlung anderer Antragsteller lassen sich nur in der Weise ausschließen, daß ihnen die Leistungen – hier: eine steuerliche Entlastung –, die bisher der zu Unrecht bevorzugten Gruppe gewährt wurden, ebenfalls gewährt werden (vgl. BVerwGE 55, 349 – NJW 1979, 561; BVerwGE 58, 45, 51, 53; BFH BStBl. 1988, 653, 654; VGH BaWü NVwZ 1987, 253, 254; Ipsen, Öffentliche Subventionierung Privater 1956 S. 92 f; zum Abwehranspruch bei einer gleichheitswidrigen steuerlichen Belastung vgl. BVerfGE 84, 239; zur Anwendung des Grundsatzes im Arbeitsrecht vgl. BVerfG NZA 1988, 473; BAGE 71, 195, 210 ff; BAG NZA 1988, 61, 62). Das gilt hier jedenfalls für solche Steuerpflichtige, die – wie die Klägerin – Investitionen in Bayern vorgenommen haben. Der Richter hat nur zu prüfen, ob zum Nachteil des Antragstellers der Gleichheitssatz verletzt oder der Rahmen, der durch die gesetzliche Zweckbindung gezogen ist, mißachtet wurde. Entscheidend ist dabei die bisherige Vergabepraxis, also die Frage, wie die zuständige Behörde die Richtlinien aufgefaßt und angewendet hat (VGH BaWÜ NVwZ. 1987, 253, 254; Ossenbühl, in: Erichsen/Martens, a.a.O. § 6 Rdnr. 49).
Nur wenn die bayerischen Finanzbehörden ihre bisherige Praxis grundlegend und auf Dauer hätten ändern und in Zukunft nur nach dem Zonenranderlaß von 1978 hätten verfahren wollen, hätten Stuerpflichtige aus dem Gleichheitsgrundsatz keine Rechte mehr herleiten können. Eine solche Änderung ist – jedenfalls nach dem Vortrag der Klägerin – nicht erfolgt; vielmehr ist umgekehrt mit dem BMF-Schreiben vom 27. Dezember 1989 bundesweit die bayerische Praxis übernommen worden.
5. Zu der Höhe ihres Schadens hat die Klägerin entgegen der Meinung des Berufungsgerichts hinreichend substantiiert vorgetragen. Insofern hat es unter Verstoß gegen §§ 286, 287 ZPO wesentliches Vorbringen der Klägerin unberücksichtigt gelassen und die Anforderungen an die Darlegung des Schadens verkannt.
§ 287 ZPO erleichtert dem Geschädigten nicht nur die Beweisführung, sondern auch die Darlegung (BGH, Urt. v. 24. September 1986 – IVa ZR 236/84, BGHR ZPO § 287 – Substantiierung 1; v. 23. Oktober 1991 – XII ZR 144/90, NJW-RR 1992, 202, 203; v. 5. November 1992 – IX ZR 12/92, NJW 1993, 734; v. 12. Oktober 1993 – X ZR 65/92, NJW 1994, 663, 664). Im vorliegenden Fall bezweifelt auch der Beklagte nicht (vgl. sein Schreiben vom 20. November 1990 – Anl. B 4, S. 2), daß die Bildung steuerfreier Rücklagen zu „Einsparungen” geführt hätte. Stehen Haftungsgrund und Schadenseintritt fest, darf das Gericht von einer Schätzung des Schadens nach § 287 ZPO nicht schon deshalb absehen, weil der Sachvortrag des Geschädigten eine abschließende. Beurteilung seines gesamten Schadens nicht zuläßt. Die Schätzung darf vielmehr nur dann abgelehnt werden, wenn deren Ergebnis mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft hängen würde (BGHZ 91, 243, 257; BGH, Urt. v. 12. Oktober 1993 – X ZR 65/92, NJW 1994, 663, 665). Davon kann hier keine Rede sein.
Das Zonenrandförderungsgesetz erlaubte, falls die Voraussetzungen gegeben waren, die Bildung von steuerfreien Rücklagen in Höhe von 50 % der in den beiden folgenden Jahren geplanten Investitionen. Eine derartige Rücklage führte zunächst zu einer Minderung das zu versteuernden Gewinns. Im Jahr der Investition wurde die Rücklage zwar aufgelöst. Der dadurch entstehende höhere Gewinn wurde aber durch die gleich hohe Sonderabschreibung nach dem Zonenrandförderungsgesetz wieder gemindert. Wie die Sonderabschreibung bewirkte auch die Rücklage eine zinslose Steuerverschiebung und damit für deren Dauer einen zusätzlichen Zins- und Liquiditätsvorteil. Die Klägerin hat im einzelnen angegeben, in welcher Höhe sie von 1987 bis 1989 gewerbliche Investitionen getätigt hat, um wieviel sich durch die Rücklagenbildung die jeweiligen Jahresgewinne verringert hätten und welche (vorläufige) Steuerersparnis dadurch bewirkt worden wäre. Auch den Zinssatz hat sie genannt. Dieser Vortrag erlaubt es, die Schadensberechnung – jedenfalls in groben Zügen – nachzuvollziehen. Mehr kann von einem Kläger, der nicht Fachmann in Steuerfragen ist, nicht verlangt werden.
III.
Die Klageabweisung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO). Insbesondere kann aufgrund der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage nicht davon ausgegangen werden, daß die von dem Beklagten erhobene Verjährungseinrede durchgreift.
Der Beklagte ist zwar als Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer „Mehrfachberufler”. Da er nicht zugleich Steuerberater ist, unterliegt seine Haftung wegen mangelhafter steuerlicher Beratung aber nicht der Verjährung gemäß § 68 StBerG. Maßgeblich ist vielmehr – weil die steuerberatende Tätigkeit zum Berufsbild sowohl des Rechtsanwalts als auch des Wirtschaftsprüfers gehört (vgl. BGHZ 78, 335, 344) – entweder § 51 BRAO (a.F.) oder § 51 a WPO, je nachdem, ob die geschuldete Beratung nach dem Willen der Vertragspartner von dem Beklagten als Rechtsanwalt oder als Wirtschaftsprüfer erbracht werden sollte (vgl. BGH, Urt. v. 25. März 1987 – IVa ZR 250/85, NJW 1987, 3136, 3137). Dazu hat das Berufungsgericht – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen getroffen. Ist der Beklagte als Wirtschaftsprüfer tätig geworden, gilt eine fünfjährige Verjährungsfrist, hat er als Rechtsanwalt gehandelt, eine solche von drei Jahren. In jedem Falle beginnt die Verjährung – unabhängig von der Kenntnis der Klägerin – mit der Entstehung des Anspruchs (Schadenseintritt), beim Rechtsanwalt spätestens mit dem Ende des Auftrages. Der Schaden ist in dem Zeitpunkt eingetreten, in dem eine Rücklagenbildung nicht mehr möglich war. Dieser Zeitpunkt steht für keinen der Veranlagungszeiträume fest. Außerdem kommt – falls der Beklagte als Rechtsanwalt gehandelt haben sollte und somit der kürzeren Verjährungsfrist unterliegt – eine Sekundärhaftung in Betracht.
IV.
Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit die fehlenden Feststellungen nachgeholt werden.
Unterschriften
Brandes, Kreft, Fischer, Zugehör, Ganter
Fundstellen
Haufe-Index 1497421 |
NJW 1995, 3248 |
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