Rn 27
Bei einer unübersehbaren und unsicheren Tatsachengrundlage und fehlender Aussicht auf absehbare Besserung, wird der vorläufige Verwalter dem Insolvenzgericht eine unverzügliche Stilllegung empfehlen müssen. Diese ist mit Zustimmung des Insolvenzgerichts nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 möglich, wenn andernfalls eine erhebliche Verminderung des Schuldnervermögens droht. Die gerichtliche Entscheidung kann nur auf einer fundierten Grundlage getroffen werden, da die volle richterliche Überzeugung (§ 4 i. V. m. 286 ZPO) gefordert wird. Dies muss der antragstellende Verwalter berücksichtigen. Eine erhebliche Vermögensminderung liegt vor, wenn im Rahmen der Betriebsfortführung erhebliche Verluste erwirtschaftet werden und keine konkrete Aussicht auf Sanierung besteht. Problematisch ist jedoch die Grenzziehung zwischen unerheblichen und erheblichen Vermögensminderungen. Teilweise wird im Schrifttum – zumindest als Orientierungshilfe – eine Bezugnahme auf Prozentsätze, um die das Schuldnervermögen mindestens vermindert werden muss, befürwortet. Damit wird aber auf willkürlicher Grundlage lediglich eine scheinbare Bewertungssicherheit vermittelt, denn bereits die Bewertung der Vergleichszahlen, nämlich des Vermögens zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Stilllegung und des prognostischen Vermögens zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung, ist praktisch kaum möglich. Hinzu kommt, dass vor dem Berichtstermin nicht sicher ist, ob Zerschlagungs-, Liquidations- oder Fortführungswerte angesetzt werden müssen. Vorzugswürdig ist daher eine Abwägungsentscheidung.
Rn 28
Insoweit kommt es maßgeblich auf die langfristigen Sanierungschancen an, die sich aus einem konkreten Unternehmenskonzept ableiten lassen müssen. Anlaufverluste können grundsätzlich während der vorläufigen Betriebsfortführung in Kauf genommen werden, um den Gläubigern eine positive Entscheidung über eine spätere Eigen- oder Fremdsanierung des Schuldnerunternehmens mit oder ohne Insolvenzplan zu ermöglichen. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Sanierung als Rechtfertigung für eine permanente Verminderung des Schuldnervermögens ist vom vorläufigen Verwalter schon aus Haftungsgründen durch eine fundierte betriebswirtschaftliche Prognose zu belegen. Die Wahrscheinlichkeit der Sanierung muss gegen die konkreten negativen Auswirkungen einer Betriebsfortführung abgewogen werden. Wenn bspw. die Erlöse aus einer Betriebsfortführung noch nicht einmal die Herstellungskosten des betreffenden Produkts bzw. der Dienstleistung decken, bedarf es sehr tragfähiger Sanierungsaussichten, um die Opfergrenze der Gläubiger nicht zu überschreiten. Folglich muss nicht immer eine vollständige Kostendeckung im Rahmen der Betriebsfortführung verlangt werden. Werden durch die Erlöse aus der Betriebsfortführung z. B. auch nur geringfügige Deckungsbeiträge für so genannte Gemeinkosten bzw. Fixkosten des Unternehmens erwirtschaftet, so ist auch dieser Fortführungsvorteil zu berücksichtigen, da ohne Betriebsfortführung die Gemeinkosten meist in identischer Höhe anfallen und daher das Vermögen des Schuldners ohne zusätzlich erwirtschaftete Deckungsbeiträge noch mehr vermindern. Auch spricht es gegen die Annahme einer erheblichen Vermögensminderung, wenn die durch die Fortführung zusätzlich entstehenden Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 aus den laufenden Erlösen finanziert werden können, d. h. das eigentliche Schuldnervermögen wirtschaftlich unangetastet bleibt.
Rn 29
In der Praxis besteht – jedenfalls ab einer gewissen Unternehmensgröße – regelmäßig ein faktischer Zwang zur Betriebsfortführung. Die Arbeitnehmer, gesicherte Großgläubiger und in ihrem Gefolge die Öffentlichkeit üben häufig einen beträchtlichen Druck zur Fortführung auf den vorläufigen Insolvenzverwalter aus. Im Hinblick auf die Unsicherheit der Prognoseentscheidung wird der Verwalter in einer solchen Situation unter Umständen der unsicheren Sanierungsaussicht den Vorzug vor einer Stilllegung geben, was grundsätzlich nicht zu beanstanden ist. Insoweit besteht kein Anlass in die gesetzliche Regelung das Merkmal einer "Offensichtlichkeit der erheblichen Vermögensminderung bei Betriebsfortführung" hineinzulesen.
Rn 30
Auch Teil-Stilllegungen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers von der gerichtlichen Zustimmungspflicht erfasst sein. Erfasst werden aber nur organisatorisch eigenständige Einheiten, wie Betriebsteile bzw. Zweigniederlassungen i. S. v. § 13 HGB. Dementsprechend ist die Schließung einer Filiale, die als bloße Betriebsabteilung nicht selbständig am Geschäftsverkehr teilnimmt, nicht zustimmungsbedürftig. Entscheidet sich der vorläufige Verwalter unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten für die Aufgabe etwa einer verlustbringenden Produktlinie oder Schließung einer unrentablen Betriebsabteilung, so ist dies von seinem gesetzlichen Fortführungs- und Sicherungsauftrag gedeckt und liegt daher ausschließlich in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Zur Vermeidung unnötiger Auseinander...