Beteiligte
Deutsche Angestellten Krankenkasse |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Januar 1999 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt, von den Kosten für die Herstellung von autologen Tumorvakzinen durch die Firma m. GmbH freigestellt zu werden, die bei ihr zur Rezidivprophylaxe nach einer Operation wegen Nierenkrebs im Rahmen der sogenannten aktiv-spezifischen Immuntherapie (ASI) angewendet wurden. Dabei wird aus dem durch die Operation gewonnenen Tumorgewebe ein Impfstoff hergestellt und dem Patienten wieder injiziert. Im Falle der Klägerin fand die Operation am 5. Dezember 1994 statt; der fragliche Impfstoff wurde am darauffolgenden Tage hergestellt und von Januar bis Juni 1995 in zwei Behandlungszyklen gemäß dem Therapieplan der Herstellerfirma von einem niedergelassenen Arzt der Klägerin verabreicht.
Der am 23. Dezember 1994 gestellte Antrag auf Übernahme der Kosten in Höhe von insgesamt 12.420 DM hatte auch im Klage- und Berufungsverfahren keinen Erfolg. Das Landessozialgericht hat sich im Urteil vom 26. Januar 1999 im wesentlichen darauf gestützt, daß sich die fragliche Therapie zum Zeitpunkt ihrer Anwendung bei der Klägerin noch in der Erprobungsphase befunden habe; infolgedessen könne dem Bundesausschuß für Ärzte und Krankenkassen (Bundesausschuß) kein Vorwurf gemacht werden, daß er sich zu diesem Zeitpunkt mit der in Rede stehenden Therapie noch nicht befaßt hatte. Selbst wenn dem Bundesausschuß insofern ein Fehler unterlaufen sei, als er sich damals nicht für zuständig gehalten habe, über die Qualität neuer Arzneimitteltherapien zu entscheiden, bleibe es bei der Rechtmäßigkeit der Ablehnung. Denn zum hier maßgeblichen Zeitpunkt im Jahre 1995 sei weder die Wirksamkeit der ASI noch die erforderliche positive Resonanz in der medizinischen Wissenschaft festzustellen. Unter diesen Umständen bedürfe es keiner weiteren Ausführungen, daß auch kein Fall einer nicht rechtzeitig erbrachten unaufschiebbaren Leistung im Sinne des § 13 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vorliege.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Frage geltend,
ob die für die Kostenübernahmeverpflichtung der gesetzlichen Krankenkassen in der Rechtsprechung verlangten Voraussetzungen des Wirksamkeitsnachweises durch wissenschaftlich einwandfrei geführte Statistiken einerseits bzw durch den Grad der Verbreitung in der medizinischen Fachdiskussion und in der ärztlichen Praxis andererseits im Zeitpunkt der beabsichtigten Behandlung vorliegen mußten, oder ob es ausreicht, daß diese Voraussetzungen am Schluß der mündlichen Verhandlung vorliegen.
Sei der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebend, müsse die streitige Leistung gewährt werden. Denn mittlerweile habe die Deutsche Gesellschaft für Onkologie die ASI in ihre Leitlinien aufgenommen; auf Grund dessen hätten mehrere Sozialgerichte ein Versagen des Bundesausschusses darin gesehen, daß dieser sich in bezug auf Arzneimittel nicht für zuständig gehalten habe.
Dem in einer Parallelsache ergangenen Beschluß des 10. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. Januar 1999 (B 10 KR 1/98 B: Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet) sei nicht zu folgen. Darin sei die Kostenübernahme zu Unrecht mit dem Fehlen einer ärztlichen Therapieleistung abgelehnt worden. Die fehlende Verordnung durch den behandelnden Arzt habe die Krankenkasse selbst dadurch veranlaßt, daß sie entgegen § 29 Bundesmantelvertrag-Ärzte einen Kostenübernahmeantrag verlangt habe. Arzneimittel würden nie durch einen Leistungserbringer erbracht oder abgerechnet. Bei der ASI stehe nicht die ärztliche Leistung, sondern die Kosten für den selbstbeschafften Impfstoff im Vordergrund.
II
Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet; ob die allein als Zulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung ausreichend dargelegt ist, kann offenbleiben. Der von der Klägerin aufgeworfenen Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Wirksamkeit oder eines Systemversagens bei einer neuartigen medizinischen Therapie kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, denn es bedarf aus sachlichen Gründen keiner diesbezüglichen Klärung in einem Revisionsverfahren.
Nach der Rechtsprechung des Senats dürfen die gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten eine neuartige Therapie mit einem Rezepturarzneimittel, die vom Bundesausschuß bisher nicht empfohlen ist, unter keinen Umständen gewähren, weil sie an das Verbot des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V und die das Verbot konkretisierenden Richtlinien des Bundesausschusses gebunden sind(das verkennt etwa Schlenker, NZS 1998, 416). Wird die Therapie dennoch (auf eigene Kosten) durchgeführt, kann die Krankenkasse im Gerichtsverfahren nur unter zwei Bedingungen zur Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 SGB V verurteilt werden: Die fehlende Empfehlung des Bundesausschusses beruht auf einer unsachgemäßen Behandlung durch den Ausschuß oder die antragsberechtigten Stellenund das Gericht überzeugt sich von der Wirksamkeit der neuartigen Methode; an die Stelle der Wirksamkeitsprüfung kann unter bestimmten medizinischen Voraussetzungen die Prüfung der praktischen Akzeptanz treten(zum Ganzen: BSGE 82, 233, 238 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 19 f; BSGE 81, 54, 64 ff = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 20 ff; BSGE 76, 194, 199 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5 S 12).
Schon die Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt läßt es nicht zu, bei der Entscheidung über die Leistungspflicht der Krankenkasse spätere, im Behandlungszeitpunkt noch nicht verfügbare medizinische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. § 135 Abs 1 SGB V stellt nicht auf inhaltliche Kriterien ab, sondern macht die Anwendung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der gesetzlichen Krankenversicherung von dem formalen Erfordernis der Empfehlung durch den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen abhängig. Eine solche Empfehlung kann aber als rechtsgestaltende Entscheidung grundsätzlich nur mit Wirkung für die Zukunft abgegeben werden. Nach der Intention des Gesetzes sollen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden solange von der Abrechnung zu Lasten der Krankenkassen ausgeschlossen bleiben, bis der Bundesausschuß sie als zweckmäßig anerkennt(BSGE 81, 54, 59 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 14). Erweist sich eine zunächst abgelehnte Methode aufgrund späterer Erkenntnisse oder Erfahrungen doch als sinnvoll, so ist dem für zukünftige Behandlungsfälle durch eine entsprechende Empfehlung Rechnung zu tragen; für bereits abgeschlossene Behandlungen kann sich dadurch am Abrechnungsverbot nichts ändern.
Nur diese Sichtweise wird der Systematik und dem Zweck der Gesamtregelung gerecht, so daß die darin liegende gesetzliche Wertung auch im Rechtsstreit über den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB V zu beachten ist. Da dieser voraussetzt, daß der Sachleistungsanspruch durch die Krankenkasse zu Unrecht abgelehnt wurde, und diese Beurteilung wiederum von der gerichtlichen Überprüfung der Richtlinien des Bundesausschusses abhängt, kommt eine Erstattung nur in Betracht, wenn das Gerichtsverfahren ergibt, daß die Richtlinien bereits zum Zeitpunkt der Ablehnung, jedenfalls aber zum Zeitpunkt der tatsächlich durchgeführten Behandlung fehlerhaft waren. Das gesetzliche Verbot neuer Behandlungsmethoden hat im Interesse der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung den Sinn, den Versicherten und die Versichertengemeinschaft vor riskanten und/oder ineffektiven medizinischen Maßnahmen zu schützen(BSGE 81, 54, 58 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 13 f). Mit diesem Ziel wäre es nicht zu vereinbaren, wenn nachträglich die Kosten für eine Therapie zu erstatten wären, deren Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Zeitpunkt der Behandlung zweifelhaft war. Die Gefährdung durch eine nicht ausreichend erprobte medizinische Maßnahme wird durch die Behandlung heraufbeschworen; deshalb müssen Arzt und Patient sowie – wäre er damit befaßt, auch der Bundesausschuß – zu diesem Zeitpunkt entscheiden können, ob die erhofften Vorteile die möglicherweise zu befürchtenden Nachteile überwiegen. Das kann nur auf der Grundlage der dann verfügbaren Erkenntnisse geschehen. Ebensowenig wie eine nach diesem Maßstab richtige Entscheidung sich mit Rücksicht auf spätere Erkenntnisse als falsch darstellen kann, ist es möglich, eine nach früherem Erkenntnisstand als wirkungslos oder gesundheitsgefährdend eingestufte und daher rechtswidrig veranlaßte Maßnahme im Nachhinein als medizinisch geboten aufzufassen. Nach dem sachlichen Inhalt jeglicher Behandlungsentscheidung kommt eine andere Beurteilungsgrundlage nicht in Betracht. Da die Richtlinien des Bundesausschusses nach der bereits dargestellten Rechtsprechung des Senats Vorgaben für Behandlungsentscheidungen liefern sollen, müssen sie demselben zeitlichen Prüfungsrahmen unterworfen werden. Das ist auch im Interesse der Gleichbehandlung der Betroffenen geboten, weil andernfalls bei einem Wandel der medizinischen Erkenntnisse die Dauer des Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens darüber entscheiden könnte, ob eine bestimmte Untersuchungs- oder Behandlungsmethode im konkreten Einzelfall einen Kostenerstattungsanspruch auslöst oder nicht.
Nach dem von der Beschwerdebegründung und vom angefochtenen Urteil mitgeteilten Sachverhalt ist außerdem fraglich, ob der Senat im angestrebten Revisionsverfahren zu einer Entscheidung über den von der Klägerin als grundsätzlich bedeutsam angesehenen Zeitpunkt gekommen wäre. Die Klägerin ist nicht darauf eingegangen, welche Bedeutung die Verletzung der von ihr ausdrücklich behaupteten Apothekenpflicht für die Leistungspflicht der Krankenkasse haben könnte und wie die Tatsache zu beurteilen ist, daß der Arzneimittelhersteller den Therapieplan aufgestellt hat (vgl dazu BSGE 80, 181 = SozR 3-2500 § 13 Nr 14 ≪Magnetfeldtherapie≫) bzw daß eine Verordnung durch den behandelnden Arzt nicht vorliegt (vgl BSGE 79, 257 = SozR 3-2500 § 13 Nr 13 ≪Goldnerzcreme≫). Zum letzten Punkt hat sie zwar Tatsachen vorgetragen, die eine besondere Beurteilung rechtfertigen könnten; es bleibt aber unklar, auf welchem Wege diese Tatsachen im Revisionsverfahren zu berücksichtigen wären.
Mangels Zulassungsgrundes ist die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 513998 |
NJW 2001, 2822 |
SozSi 2001, 216 |