Entscheidungsstichwort (Thema)
Kuraufenthalt. betriebseigenes Heim. innerer Zusammenhang. betriebliche Tätigkeit. eigenwirtschaftliche Angelegenheit. besondere betriebliche Beanspruchung. analoge Anwendung. abschließende Regelung
Leitsatz (amtlich)
Ein Arbeitnehmer, der an einer Kur teilnimmt, die von seinem Arbeitgeber bezahlt und in einem firmeneigenen Kurheim durchgeführt wird, steht grundsätzlich nicht unter Unfallversicherungsschutz.
Orientierungssatz
Mit der Sonderregelung des § 539 Abs Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO verfolgt der Gesetzgeber entsprechend der Begründung zum Entwurf dieser Vorschrift (BT-Drucks 7/1237 S 66) den Zweck, "den Unfallversicherungsschutz der Rehabilitanden, die aus der gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung oder von der Bundesanstalt für Arbeit Leistungen erhalten" zu verwirklichen. Damit hat der Gesetzgeber in dieser Vorschrift abschließend geregelt, unter welchen eingeschränkten Voraussetzungen ein Unfallversicherungsschutz gewährt werden soll und erkennbar alle anderen Fallgestaltungen vom Versicherungsschutz nicht umfaßt.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a, § 548 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 12.12.1989; Aktenzeichen L 5 U 148/88) |
SG Köln (Entscheidung vom 15.09.1988; Aktenzeichen S 16 U 172/87) |
Tatbestand
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Feststellung, daß die am 10. März 1986 erlittene rechtsseitige Sprunggelenksverletzung Folge eines Arbeitsunfalls ist.
Die im Jahre 1932 geborene Klägerin ist in der K Niederlassung der S AG als Kassiererin im Kasino beschäftigt. Im März 1986 nahm sie an einer von diesem Unternehmen bezahlten und in einem firmeneigenen Kurheim in Bad B durchgeführten Kreislauftrainingskur teil. Bei einer unter Führung eines Übungsleiters durchgeführten Wanderung erlitt sie am 10. März 1986 eine rechtsseitige Sprunggelenksverletzung, die zum Abbruch der Kur führte.
Durch Bescheid vom 7. Juli 1987 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil es sich bei der Kur um eine Maßnahme zur Erhaltung der Gesundheit gehandelt habe, die grundsätzlich als persönliche Angelegenheit zum unversicherten Lebensbereich gehöre.
Vor dem Sozialgericht (SG) und dem Landessozialgericht (LSG) ist die Klägerin ohne Erfolg geblieben (Urteile vom 15. September 1988 und 12. Dezember 1989). Das LSG hat ausgeführt, die Klägerin sei zwar im Unfallzeitpunkt als Beschäftigte der S AG grundsätzlich nach § 539 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gegen Unfall versichert gewesen; sie habe jedoch den Unfall bei Durchführung einer Kreislauftrainingskur und damit einer Maßnahme erlitten, die wie sonstige Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit - vorbehaltlich der speziellen Regelung nach § 539 Abs 1 Nr 17 RVO - grundsätzlich dem unversicherten Lebensbereich zuzurechnen seien. Es fehle an dem notwendigen inneren Zusammenhang zwischen dem Beschäftigungsverhältnis und der freiwillig angetretenen Kur in einem Kurheim ihres Beschäftigungsunternehmens. Entgegen der Auffassung der Klägerin seien die Kurverrichtungen nicht als Arbeit im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses in einer an den Kurort "verlagerten" Arbeitsstätte anzusehen; ebensowenig sei sie während des Kuraufenthalts einem aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Direktionsrecht ihres Arbeitgebers unterworfen gewesen. Schließlich bestehe auch kein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 oder Nr 17 RVO.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine fehlerhafte Anwendung der §§ 539 Abs 1 Nrn 1 und 17, 539 Abs 2 RVO. Die Einführung des § 539 Abs 1 Nr 17 RVO sowie des § 20 Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) ließen in Fällen der vorliegenden Art die Frage des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO in einem neuen Licht erscheinen mit der Folge, daß die Vorsorgekur in einem inneren Zusammenhang mit dem versicherten Beschäftigungsverhältnis stehe. Anderenfalls bestehe eine Regelungslücke im Gesetz, die durch analoge Anwendung auf rechtsähnliche Fälle zu schließen sei. Denn der Gesetzgeber habe in Wirklichkeit beabsichtigt, auch in den Fällen Versicherungsschutz zu gewährleisten, in denen der Arbeitgeber zur Vorbeugung gegen die Entstehung von Krankheiten seinen Mitarbeitern eine Kurmaßnahme gewähre.
Die Klägerin beantragt,
die angefochtenen Urteile und den angefochtenen Bescheid aufzuheben und festzustellen, daß die am 10. März 1986 erlittene rechtsseitige Sprunggelenksverletzung Folge eines Arbeitsunfalls ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Klägerin hat am 10. März 1986 keinen Arbeitsunfall erlitten, weil sie den Unfall nicht bei einer versicherten Tätigkeit erlitten hat.
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Dazu ist erforderlich, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits zur versicherten Tätigkeit zu rechnen ist (Wertung), und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat (haftungsbegründende Kausalität). Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit und dem Beschäftigungsverhältnis (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) bestehen, der sogenannte innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSGE 63, 273, 274; BSG SozR 2200 § 548 Nr 82). Daran fehlt es hier.
Als Beschäftigte der S AG war die Klägerin zwar auch im Unfallzeitpunkt nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO grundsätzlich gegen Unfall versichert. Der bei Durchführung einer Kreislauftrainingskur erlittene Unfall steht jedoch - auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falls - nicht in innerem Zusammenhang mit ihrer betrieblichen Tätigkeit bei diesem Unternehmen, wie das Berufungsgericht mit zutreffender Begründung entschieden hat.
Als der Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit dienende Maßnahmen sind Kuraufenthalte - vorbehaltlich der speziellen gesetzlichen Regelung in § 539 Abs 1 Nr 17 und § 555 RVO - eigenwirtschaftliche Angelegenheiten, die in der Regel nicht unter Versicherungsschutz stehen (BSGE 9, 222, 225; BSG, Urteil vom 4. Mai 1971 - 2 RU 24/70 - USK 7142; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 484f I; KassKomm-Ricke, Sozialversicherungsrecht, 1990, § 548 RVO RdNr 61). Im Hinblick auf die Erwägung, daß es sich bei den der Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit dienenden Maßnahmen um eine persönliche Angelegenheit des betreffenden Arbeitnehmers handelt, die von seinen eigenen Entschließungen bestimmt wird und somit grundsätzlich zum unversicherten Lebensbereich gehört, besteht nach der Rechtsprechung des Senats bei einem Kuraufenthalt grundsätzlich auch dann kein innerer Zusammenhang zwischen dieser Maßnahme und der versicherten Tätigkeit, wenn das Unternehmen hierfür einen zusätzlichen Urlaub bewilligt, die Teilnehmer an der Kur auswählt und ein betriebseigenes Heim zur Verfügung stellt (BSGE 9, 222, 226; BSG, Urteil vom 4. Mai 1971 - 2 RU 24/70 - USK 7142; Brackmann aaO). Die Gründe hierfür sind in der angeführten Rechtsprechung des Senats, auf die insoweit verwiesen wird, im einzelnen dargelegt.
Eine Ausnahme von diesem Regelfall kommt nur dann in Betracht, wenn die Tätigkeit in dem Unternehmen mit einer besonderen Gefährdung verbunden ist und aus der besonderen Gestaltung des Kurablaufs eindeutig erkennbar ist, daß ihre Durchführung wesentlich in Wahrnehmung betrieblicher Belange erfolgt und das Interesse des Beschäftigten an seiner Gesundheit nur Nebenzweck ist (BSGE 9, 222, 227 sowie die Entscheidung des Senats vom 4. Mai 1971 aaO). Ein solcher Ausnahmetatbestand liegt nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) nicht vor. Die Klägerin war als Kassiererin im Kasino der S AG nicht solchen besonderen Belastungen ausgesetzt. Für eine mit einer besonderen Gefährdung verbundene Tätigkeit sind keine Anhaltspunkte gegeben. Die vor der Kur bei der Klägerin erhobenen Befunde (Übergewicht und leichte Fettstoffwechselstörung) beruhten nicht auf einer besonderen betrieblichen Beanspruchung.
Entgegen der Meinung der Revision ändert sich diese Beurteilung des inneren Zusammenhangs und des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO dadurch nicht, daß Nr 17 des § 539 Abs 1 RVO, wonach bestimmte von Sozialleistungsträgern gewährte medizinische und berufliche Hilfen gegen Arbeitsunfall versichert sind, durch das Rehabilitationsangleichungsgesetz (vgl § 21 Nr 37 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 -RehaAnglG- BGBl I S 1881) eingefügt wurde. Wie das LSG zu Recht ausgeführt hat, kann die Einbeziehung in den Versicherungsschutz von Teilnehmern an Kuren unter der Trägerschaft bestimmter Sozialleistungsträger auf die nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO vorzunehmende wertende Prüfung, ob ein innerer Zusammenhang vorliegt, keinen Einfluß haben. Das gleiche gilt auch für den Hinweis der Revision auf § 20 SGB V, wonach den Krankenkassen verschiedene Aufgaben bei der Krankheitsvorsorge zugewiesen worden sind.
Der Kuraufenthalt der Klägerin begründete auch keinen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung muß die Maßnahme durch einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung oder der gesetzlichen Rentenversicherung oder einer landwirtschaftlichen Alterskasse gewährt werden. Maßnahmen anderer Stellen (zB des Jugendamtes im Rahmen der freiwilligen Erziehungshilfe nach den Bestimmungen des Jugendwohlfahrtsgesetzes) gehören nicht dazu (BSG SozR 2200 § 539 Nr 60; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 539 Anm 97h Buchst a). Eine Versicherung gegen Arbeitsunfall ist selbst dann nicht gegeben, wenn der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung seinem Mitglied zu einer von diesem mit einem Spezialinstitut vereinbarten stationären Behandlung nur einen Zuschuß aus Mitteln der Gesundheitsfürsorge bewilligt; die stationäre Behandlung wird in diesem Fall nicht von dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt (BSGE 55, 30, 32; Brackmann aaO S 475e; KassKomm-Ricke aaO § 539 RVO RdNr 101). Im Fall der Klägerin war Kostenträgerin der Kurmaßnahme die S AG. Allein schon aus diesem Grund scheidet ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO aus.
Ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst b RVO kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil diese Vorschrift die Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesanstalt für Arbeit voraussetzt. Dies ist hier nicht der Fall.
Entgegen der Auffassung der Revision kann § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a oder b RVO in Fällen dieser Art auch nicht analog angewandt werden. Voraussetzung einer Analogie ist das Vorliegen einer Regelungslücke (s Brackmann aaO S 189h/h I). Daran fehlt es hier. Mit dieser Sonderregelung verfolgt der Gesetzgeber entsprechend der Begründung zum Entwurf dieser Vorschrift (BT-Drucks 7/1237 S 66) den Zweck, "den Unfallversicherungsschutz der Rehabilitanden, die aus der gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung oder von der Bundesanstalt für Arbeit Leistungen erhalten" zu verwirklichen. Damit hat der Gesetzgeber in dieser Vorschrift abschließend geregelt, unter welchen eingeschränkten Voraussetzungen ein Unfallversicherungsschutz gewährt werden soll und erkennbar alle anderen Fallgestaltungen vom Versicherungsschutz nicht umfaßt. Anderenfalls hätte es insbesondere im Hinblick auf die dem Gesetzgeber bekannte jahrzehntelange Rechtsprechung des BSG zum Versicherungsschutz bei gesundheitlichen Maßnahmen nahegelegen, durch eine entsprechend weitere Fassung einen umfassenderen Versicherungsschutz, wie ihn die Klägerin verfolgt, zu begründen. Dies gilt um so mehr, als auch schon vor der Entstehung des § 539 Abs 1 Nr 17 RVO Unternehmen, wie hier die S AG, ihren Betriebsangehörigen Kuren gewährten (s BSG aaO USK 7142 in einem gleichgelagerten Fall: Kreislauftrainingskur der S AG).
Es bestand schließlich auch kein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 1 oder Nr 17 RVO. Die Klägerin ist nicht "wie" eine in den genannten Vorschriften Versicherte tätig gewesen. Zu Recht weist das LSG darauf hin, daß § 539 Abs 2 im Zusammenhang mit § 539 Abs 1 Nr 1 RVO zwar das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses, nicht jedoch den hier fehlenden inneren Zusammenhang ersetzen kann. Ob Nr 17 des § 539 Abs 1 RVO überhaupt einer Ausdehnung durch § 539 Abs 2 RVO zugänglich ist (s Brackmann aaO S 475 l/m), kann hier dahinstehen. Denn eine danach begründete Zuerkennung von Versicherungsschutz an die Klägerin käme einer Ausdehnung dieser Vorschrift auf praktisch alle Fälle gleich, in denen Rehabilitationsleistungen durch andere Stellen als die in dieser Vorschrift genannten Sozialleistungsträger gewährt werden. Ihre dann kaum noch abgrenzbaren Auswirkungen widersprächen dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 539 Abs 1 Nr 17 RVO auch iVm § 539 Abs 2 RVO. Wortlaut und Zweck dieser Bestimmung stehen damit im vorliegenden Fall der Annahme von Versicherungsschutz entgegen.
Die Revision der Klägerin war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen