Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. innerer Zusammenhang. Betriebsbezogenheit. vorsätzlicher Angriff. subjektive Vorstellung
Leitsatz (amtlich)
Bei einem auf persönlichen Gründen beruhenden vorsätzlichen Angriff kann Unfallversicherungsschutz gegeben sein, wenn dem betrieblichen Bereich zuzuordnende Verhältnisse den Angriff erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt haben.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen eines Briefpostattentats auf die in einem Betrieb mit der Postöffnung betraute Klägerin durch ihren damaligen Ehemann.
Die Klägerin war als Büroangestellte bei dem Elektromeister R. S. beschäftigt. Während dessen am 31. Juli 1987 beginnenden Urlaubsabwesenheit sollte der Betrieb weitergeführt werden. Die Monteure sollten die Installationsaufträge bearbeiten. Die Klägerin sollte Rechnungen erstellen, Lohnberechnungen fertigstellen und die Ladenkundschaft bedienen. Sie erhielt den Schlüssel zum Postschließfach und hatte die Geschäftspost zu öffnen.
Der damalige Ehemann der Klägerin befand sich seinerzeit in finanziellen Schwierigkeiten. Er hatte deshalb im Mai 1986 ein Darlehen aufgenommen und Anfang des Jahres 1987 eine Familienunfallversicherung in Höhe von 100.000,-- DM abgeschlossen, bei der er der Versicherungsnehmer und die Klägerin Mitversicherte waren. In beiden Fällen hatte er die Unterschrift der Klägerin gefälscht.
Am 30. Juli 1987 rief der Ehemann der Klägerin anonym im Betrieb des Elektromeisters an und drohte, alle dort Beschäftigten umzubringen. Am Morgen des 3. August 1987 verabschiedete er sich von der sich noch in der gemeinsamen Wohnung aufhaltenden Klägerin und trat die Fahrt zu seiner Arbeitsstätte an. Kurz darauf kehrte er zurück und legte ein von ihm mit einer Sprengvorrichtung vorgefertigtes und an die Firma R. S. adressiertes Päckchen in den mit einem Sichtfenster versehenen eigenen Hausbriefkasten. Die Klägerin nahm das Päckchen kurze Zeit später beim Verlassen des Hauses heraus und brachte ihre Tochter zur Beaufsichtigung während der Arbeitszeit in das nahegelegene Haus ihrer Eltern. Dort öffnete sie das Päckchen in der Annahme, es enthalte ein angeliefertes Elektroersatzteil. Dabei löste sie den Sprengmechanismus aus und erlitt erhebliche Verletzungen. Ihr damaliger Ehemann wurde wegen dieser Tat zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Die Beklagte lehnte Entschädigungsleistungen ab, weil die Beweggründe zur Tat in Umständen zu suchen seien, die in keiner Verbindung mit der versicherten Tätigkeit gestanden hätten (Bescheid vom 10. März 1988 idF des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1988).
Den Antrag der Klägerin vom 12. November 1990 auf Rücknahme dieser ablehnenden Bescheide nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) und auf Gewährung von Entschädigungsleistungen wies die Beklagte mit Bescheiden vom 26. März/7. Juli 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 16. September 1992 zurück, weil die Tat auf einem nicht betriebsbezogenen Motiv beruht habe. Damit fehle es an dem inneren Zusammenhang zwischen dem Sprengstoffanschlag und der betrieblichen Tätigkeit.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin dem Grunde nach Entschädigung zu gewähren, weil sie sich auf einem mit ihrer versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg zum Ort der Tätigkeit befunden und beim Öffnen des Päckchens betriebliche Funktionen wahrgenommen habe (Urteil vom 7. Dezember 1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat unter Berichtigung des erstinstanzlichen Urteilsausspruchs die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, unter Rücknahme der früheren Ablehnungsbescheide die Klägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 3. August 1987 zu entschädigen (Urteil vom 15. März 1995). Zur Begründung heißt es im wesentlichen: Die die Sprengstoffexplosion auslösende Tätigkeit der Klägerin habe zu ihrer versicherten Tätigkeit iS des § 539 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gehört, weil sie während der Urlaubsabwesenheit des Betriebsinhabers ua verpflichtet gewesen sei, die Geschäftspost zu öffnen. Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, daß die Tätigkeit außerhalb des Betriebs im privaten Bereich und bereits vor Beginn der regelmäßigen Arbeitszeit verrichtet worden sei. Entscheidend sei, daß die zum Unfall führende Verrichtung zumindest auch wesentlich betrieblichen Interessen zu dienen bestimmt gewesen sei. Unerheblich sei auch, daß die Zugehörigkeit des Verhaltens zur versicherten Tätigkeit nur subjektiv, nicht jedoch objektiv dem Beschäftigungsbetrieb dienlich gewesen sei. Maßgebend sei vielmehr, ob von ihrem Standpunkt aus die Versicherte habe der Meinung sein können, daß ihr Vorgehen geeignet gewesen sei, den Interessen des Unternehmens zu dienen. Das sei hier der Fall gewesen. Der Ehemann der Klägerin habe hier seine Tat auch nicht nur in zufälligem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit der Klägerin begangen. Er habe vielmehr bei seiner Tat betriebliche Verhältnisse der Klägerin, die im Tatzeitpunkt die Geschäftspost habe öffnen müssen, in den Tatplan einbezogen und ausgenützt. Dies genüge zur Begründung eines inneren Zusammenhangs zwischen Unfall und betrieblicher Tätigkeit.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 548 RVO). Bei der vorliegenden Fallgestaltung könne nicht von einer rechtlich wesentlichen Mitverursachung durch betriebsbedingte Umstände ausgegangen werden. Der Überfall stelle sich vielmehr als sog "Gelegenheitsursache" dar, für den der Versicherungsschutz im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung zu versagen sei. Zwar bestehe ein äußerer Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit; dieser könne jedoch nicht den fehlenden inneren Zusammenhang ersetzen. Eine Betriebsbezogenheit sei von dem ehemaligen Ehemann der Klägerin nur vorgetäuscht worden, habe aber objektiv nie bestanden. Eine solche tatsächlich nicht bestehende Betriebsbezogenheit eines Unfallereignisses könne auch nicht zur Eintrittspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung führen. Selbst wenn der Täter den Tathergang "von langer Hand" geplant habe - was hier im übrigen nicht belegt sei -, ersetze auch dies nicht die fehlende Betriebsbezogenheit. An einer persönlichen Feindschaft zwischen dem Täter und der Klägerin sei nicht ernsthaft zu zweifeln. Im übrigen komme es für den fehlenden Versicherungsschutz nicht darauf an, ob eine persönliche Feindschaft, wie sie hier in schrecklicher Weise zu Tage getreten sei, nun vorher vom Täter offenbart worden sei, oder ob er sein Opfer damit erst mit der Tat selbst überrasche. Entscheidend sei, daß für die Tat von Anfang bis Ende allein private Motive maßgeblich gewesen seien. Auch die konkrete Ausführung der Tat, die der Täter nur gewählt habe, um von sich jeden Verdacht abzuwenden, stelle keinen betrieblichen Zusammenhang im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung her.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. März 1995 sowie das Urteil des Sozialgerichts vom 7. Dezember 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat aufgrund der festgestellten hier gegebenen besonderen Umstände ohne Rechtsirrtum erkannt, daß die Klägerin bei der Sprengstoffexplosion einen Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 RVO erlitten hat. Das dieses Ereignis auslösende Öffnen des Päckchens gehörte zu ihrer versicherten Tätigkeit als Büroangestellte iS des § 539 Abs 1 Nr 1 RVO.
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter "bei" einer der in den §§ 539, 540 und 543 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Dazu ist in der Regel erforderlich, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat (BSGE 61, 127, 128). Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der sog innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSG SozR 2200 § 548 Nr 82; BSGE 63, 273, 274; BSG Urteil vom 27. März 1990 - 2 RU 45/89 - HV-INFO 1990, 1181 = USK 90149; BSG Urteil vom 27. Januar 1994 - 2 RU 3/93 - HV-INFO 1994, 943 = USK 9422). Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77; 61, 127, 128). Innerhalb dieser Wertung stehen bei der Frage, ob der Versicherte zur Zeit des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, auch Überlegungen nach dem Zweck seines Handelns mit im Vordergrund. Bei der Beurteilung, ob eine Tätigkeit dem Unternehmen zu dienen bestimmt ist, ist bedeutsam, ob sich der Betroffene wie auch bei den sonstigen versicherten Tätigkeiten in seiner Zielsetzung sozial- wie auch arbeitsrechtlich norm- und vertragsgerecht verhält (BSG SozR 2200 § 548 Nr 90; BSG Urteil vom 27. Januar 1994 - 2 RU 3/93 - HV-INFO 1994, 943 = USK 9422). Eine solche Wertung nach dem Gesetz ist der Rechtsanwendung im Einzelfall vorbehalten (BSG Urteil vom 25. Februar 1993 - 2 RU 12/92 - HV-INFO 1993, 1102 = USK 93101; BSG Urteil vom 8. Dezember 1994 - 2 RU 41/93 - HV-INFO 1995, 711 = NJW 1995, 1694).
Ebenso wie einerseits der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nicht allein schon deshalb begründet wird, weil die zum Unfall führende Verrichtung in Räumen des Betriebs ausgeführt worden ist, steht es andererseits dem inneren Zusammenhang grundsätzlich nicht entgegen, wenn eine wesentlich dem Unternehmen zu dienen bestimmte Handlung nicht in Räumen des Betriebs, sondern im privaten Wohnbereich des Versicherten verrichtet wird. Entscheidend ist vielmehr auch insoweit, ob die zum Unfall führende Verrichtung wesentlich allein privaten Interessen oder zumindest auch wesentlich betrieblichen Interessen zu dienen bestimmt ist. Im letzteren Fall ist Versicherungsschutz grundsätzlich auch dann gegeben, wenn sie örtlich nicht im Betrieb, sondern im privaten Wohnbereich des Versicherten durchgeführt wird (vgl ua BSG SozR Nr 13 zu § 548 RVO; BSG SozR 2200 § 548 Nr 72; BSG Urteil vom 8. Dezember 1994 - 2 RU 41/93 - aaO).
Der innere Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit und damit die Merkmale eines Arbeitsunfalls sind nicht ohne weiteres ausgeschlossen, wenn der Versicherte einem vorsätzlichen Angriff zum Opfer fällt. Trifft eine solche Angriffshandlung denjenigen, dem sie zugedacht war, sind für die Beantwortung der Frage, ob zwischen dem Angriff und der versicherten Tätigkeit ein innerer Zusammenhang besteht, in der Regel - wie die Revision zutreffend ausführt - die Beweggründe entscheidend, die den Angreifer zu diesem Vorgehen bestimmt haben. Sind diese in Umständen zu suchen, die in keiner Verbindung mit der versicherten Tätigkeit des Verletzten (zB persönliche Feindschaft oder ähnliche betriebsfremde Beziehungen) stehen, so fehlt es grundsätzlich an dem erforderlichen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit (ständige Rechtsprechung vgl BSGE 6, 164, 167; 13, 290, 291; 17, 75, 77; BSG Urteil vom 23. April 1975 - 2 RU 211/74 - USK 7533; s auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 485a; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 548 Anm 60).
Das bedeutet allerdings nicht, daß es eines betriebsbezogenen Tatmotivs bedürfe, damit überhaupt der innere Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit hergestellt werde. Vielmehr kann ein innerer Zusammenhang auch bei einem aus rein persönlichen Gründen unternommenen Angriff gegeben sein, wenn die besonderen Umstände, unter denen die versicherte Tätigkeit ausgeübt wird, oder die Verhältnisse am Arbeitsplatz den Überfall erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt haben (RVA EuM 22, 100; BSG SozR Nr 34 zu § 542 RVO aF; BSG Urteil vom 23. April 1975 - 2 RU 211/74 - USK 7533; Brackmann aaO S 485b). Eine derartige besondere Fallgestaltung liegt nach den Feststellungen des LSG hier vor. Vorliegend haben dem betrieblichen Bereich zuzuordnende Verhältnisse die Gewalttat des Ehemanns der Klägerin zumindest wesentlich begünstigt, wenn nicht sogar erst ermöglicht. Der erforderliche innere Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit ist hier gegeben.
Nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hatte die Klägerin während der Urlaubsabwesenheit des Betriebsinhabers die Geschäftspost zu öffnen. Sie hatte auch den Schlüssel zum Postschließfach. Dies beinhaltete die Pflicht, angelieferte Ersatzteile - soweit erforderlich - unverzüglich den Monteuren auszuhändigen. Die Klägerin hatte die zum Unfall führende Tätigkeit zwar außerhalb des Betriebs und vor Beginn der regelmäßigen Arbeitszeit verrichtet. Hätte sie das an den Betriebsinhaber adressierte Päckchen jedoch in den Betrieb mitgenommen und dort geöffnet, wäre die zum Unfall führende Handlung zumindest auch wesentlich betrieblichen Interessen zu dienen bestimmt gewesen. Nichts anderes kann unter diesem Gesichtspunkt für die hier vorliegende Variante gelten, daß die Klägerin schon vorher - noch in ihrem privaten Bereich - das Päckchen öffnete und es zu dem tragischen Unfall kam.
Dies gilt umso mehr, als nach den Feststellungen des LSG und den in Bezug genommenen Akten die Klägerin das Päckchen bereits bei ihren Eltern öffnete in der Annahme, es enthalte eine Ersatzteillieferung oder ein Elektroteil mit einem Reparaturauftrag. Sie öffnete das Päckchen schon in der elterlichen Wohnung, um auf dem weiteren Weg zu ihrem Arbeitsplatz in dieser Angelegenheit gegebenenfalls noch etwas unternehmen zu können. Die betriebsbezogenen Umstände wirkten daher bei ihrer Verrichtung wesentlich mit. Die Klägerin nahm beim Öffnen des Päckchens betriebliche Funktionen wahr. Sie hat das an die Firma R. S. adressierte Päckchen für den Betrieb geöffnet.
Gegen den Versicherungsschutz der Klägerin im Unfallzeitpunkt wendet sich die Revision der Beklagten zwar mit beachtlichen Einwendungen, die allerdings im Ergebnis nicht durchgreifen können.
Entgegen der Auffassung der Revision steht diesem Ergebnis die - auch vom LSG angeführte - Entscheidung des Senats vom 29. April 1980 (BSGE 50, 100) nicht entgegen. Die Revision mißt dem Satz in der Begründung dieses Urteils (aaO S 104), der innere Zusammenhang sei gegeben, da "persönliche Feindschaft oder ähnliche betriebsfremde Beziehungen zwischen dem Angreifer und dem Überfallenen nicht bestanden haben", eine sowohl seinem Wortlaut als auch seiner Stellung im Rahmen der Begründung nicht zutreffende Bedeutung zu. Der Senat hatte vielmehr entsprechend der bisherigen ständigen Rechtsprechung (s die Nachweise bei Brackmann aaO S 485a/485b) entschieden, daß der innere Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis (Überfall) und der versicherten Tätigkeit nicht unbedingt ein betriebsbezogenes Tatmotiv voraussetzt. Dieser Zusammenhang ist vielmehr auch gegeben, wenn die versicherte Tätigkeit eine wesentliche Bedingung für den Überfall gebildet hat, wenn sie "zB" den Beschäftigten an die Stelle geführt hat, wo im fraglichen Zeitpunkt eine zur Gewalttat entschlossene Person seiner habhaft werden kann. Unter diesem Gesichtspunkt ist die nachfolgende Ausführung in der Urteilsbegründung zu verstehen, daß dies hier der Fall sei, da nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG persönliche Feindschaft oder ähnliche betriebsfremde Beziehungen zwischen dem Angreifer und dem Überfallenen nicht bestanden hatten. Deshalb hat es - und dies sollte vor allem der von der Revision hervorgehobene Satz in der Entscheidung des Senats sagen - keiner weiteren Prüfung bedurft, ob nicht - wie im vorliegenden Fall - trotz persönlicher Feindschaft oder ähnlicher betriebsfremder Beziehungen zwischen Angreifer und Überfallenem der innere Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit gegeben war.
Die Revision weist auch zutreffend darauf hin, daß entsprechend den Feststellungen des LSG das Motiv des Mordanschlags auf die Klägerin allein in der Habgier des Ehemanns begründet war. Der vorliegende Sachverhalt war durchaus auch nur eine von mehreren sich bietenden Gelegenheiten, um sich der Ehefrau durch "Unfall" zu entledigen. Entgegen der Auffassung der Revision hatte sich der Täter dieser Umstände bei der Ausführung seines Mordanschlags aber nicht "rein zufällig" bedient. Dazu hat das LSG festgestellt, daß der Ehemann der Klägerin seine Tat nicht nur in zufälligem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit der Klägerin begangen hat. Er hat vielmehr bei seiner Tat die urlaubsbedingten betrieblichen Verhältnisse und den für diesen Zeitraum erweiterten Aufgabenbereich der Klägerin, die im Tatzeitpunkt die Geschäftspost öffnen mußte, in seinen Tatplan einbezogen und ausgenutzt. Er hat gezielt eine Situation herbeigeführt, in der die Klägerin auf der Grundlage ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen tätig werden mußte und damit den zur Auslösung der Explosion letzten Handgriff vornahm. Sämtliche Elemente der Tat waren auf Betriebsabläufe bezogen. Diese tatsächlichen Umstände haben letztlich den Unfall mitentscheidend begünstigt. Damit hat das LSG im Rahmen seiner Wertentscheidung zutreffend eine - auch rechtliche - Mitverursachung durch betriebsbedingte Umstände angenommen. Sie sind auch rechtlich nicht so unwesentlich, daß sie hier von den betriebsfremden Beziehungen zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann sowie dessen Tatmotive zurückgedrängt würden (s BSG Urteil vom 31. Oktober 1978 - 2 RU 40/78 - USK 78153).
Auch das von der Revision angeführte Urteil des Senats vom 8. Dezember 1994 - 2 RU 41/93 - (HV-INFO 1995, 711 = NJW 1995, 1694) führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach dieser Entscheidung steht dem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit grundsätzlich nicht entgegen, wenn eine wesentlich dem Unternehmen zu dienen bestimmte Handlung nicht in Räumen des Betriebs, sondern im privaten Wohnbereich des Versicherten verrichtet wird. Im vorliegenden Fall lag die Betriebsbezogenheit - wie bereits erörtert - gerade in der arbeitsvertraglichen Verpflichtung der Klägerin, während der Urlaubsabwesenheit des Betriebsinhabers die Geschäftspost zu öffnen.
Demgegenüber kann auch nicht eingewendet werden, die Anerkennung eines Arbeitsunfalls im vorliegenden Fall führe zu einer nicht zu verantwortenden Aufweichung des Systems der gesetzlichen Unfallversicherung, weil ihr Grundgedanke, die Ablösung der Unternehmerhaftpflicht, in unzulässiger Weise ausgehöhlt würde. Wie die Revision zwar zu Recht hinweist, beruht die gesetzliche Unfallversicherung auf dem Grundgedanken der Ablösung der zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche der Arbeitnehmer gegen den Unternehmer und dessen Fürsorgepflicht (BSG SozR 2200 § 596 Nr 8; Brackmann aaO S 469). Aber nicht allein die Ablösung der Unternehmerhaftpflicht als Grundlage des Versicherungsschutzes, sondern auch der soziale Versicherungsschutz als solcher bildet einen Wesenszug der gesetzlichen Unfallversicherung (Brackmann aaO S 480l II), wie zB auch der Versicherungsschutz bei Verkehrsunfällen auf einer Geschäftsreise oder auf einem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit zeigt, obgleich in diesen Fällen regelmäßig eine Unternehmerhaftpflicht für die gesundheitlichen Folgen der Versicherten nicht bestehen würde. Dieser Normzweck rechtfertigt es, einen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Versicherte aufgrund der für ihn und jeden Dritten erkennbaren Gegebenheiten und den gesamten Umständen davon ausgehen konnte (und hier auch davon ausging), daß die den Unfall herbeiführende Verrichtung (hier das Öffnen des Päckchens) seinem Arbeitgeber geschuldet und dazu bestimmt war, den betrieblichen Interessen wesentlich zu dienen. Mit dem Öffnen des Päckchens verfolgte die Klägerin in ihrer Zielsetzung einen den versicherten Bereich dienenden Zweck (s BSG Urteil vom 27. Januar 1994 - 2 RU 3/93 - HV-INFO 1994, 943 = USK 9422).
Das LSG hat somit zu Recht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin unter Rücknahme der früheren Bescheide aus dem Jahr 1988 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 3. August 1987 zu entschädigen.
Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Abkürzungen:
SGB X
Seite 3
SG
Seite 3
LSG
Seite 3
RVO
Seite 4
SGG
Seite 6
Fundstellen
Haufe-Index 956141 |
BSGE, 65 |
NJW 1996, 2951 |
Breith. 1996, 913 |
SozSi 1997, 114 |