Beteiligte
Klägerin und Revisionsbeklagte |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Die Klägerin beansprucht Entschädigung für einen am 8. Oktober 1971 erlittenen Unfall. Sie ist 1929 geboren und Witwe des am selben Tage und infolge desselben Unfalls verstorbenen Gerhard E… . Dieser hatte bis zu seinem Tode einen Handel mit Hunden (Hundehof). Darin half die Klägerin, nachdem sie einen eigenen Handel mit Wellensittichen aufgegeben hatte, täglich etwa 6 bis 8 Stunden; außerdem versorgte sie den Haushalt mit zwei Kindern im Alter von 7 und 17 Jahren und einem körperbehinderten Kind von 20 Jahren. Am 7. Oktober 1971 begleitete sie ihren Ehemann auf einer Einkaufsfahrt in die Niederlande. Die Ehegatten traten die Fahrt mit einem Pkw gegen 13.00 Uhr an, erreichten nach etwa 4 Stunden ihr Ziel T… und brachen von dort nach Einkauf von 23 Hunden gegen 22.00 Uhr wieder auf. Auf der Rückfahrt, auf der zunächst die Klägerin das Auto steuerte, später aber das Steuer ihrem Ehemann übergab, ereignete sich in der Nacht kurz vor 4.00 Uhr auf der Autobahn in der Nähe von M… ein Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin schwer verletzt wurde (Bruch eines Brustwirbels mit Querschnittslähmung).
Die Beklagte lehnte eine Unfallentschädigung ab, weil die Klägerin als Unternehmerin oder als Ehegattin eines Unternehmers verunglückt sei (Bescheid vom 5. Dezember 1972). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Gewährung der gesetzlichen Versicherungsleistungen verurteilt (Urteil vom 13. Juni 1974). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und ausgeführt: Die Klägerin habe den Unfall weder als Inhaberin eines eigenen Unternehmens erlitten - ihren Handel mit Wellensittichen habe sie zur Unfallzeit nicht mehr ausgeübt -, noch sei sie als Mitunternehmerin des von ihrem Ehemann allein betriebenen - Hundehandels verunglückt. Auch ein wirksames Arbeitsverhältnis sei durch den mit ihrem Mann am 6. Juli 1971 geschlossenen "Arbeitsvertrag" nicht begründet worden; für den Abschluß eines solchen Vertrages habe außer dem Zweck, vermögenswirksame Leistungen zu erlangen, kein einleuchtender Grund bestanden, auch die Vergütung habe mit 185,50 DM im Monat nicht der vereinbarten Arbeitsleistung von 30 Wochenstunden Telefondienst entsprochen. Die Klägerin sei jedoch auf der fraglichen Fahrt nach § 539 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versichert gewesen. Eine Begleitung ihres Ehemannes mit abwechselnder Bedienung des Steuers sei wegen der Länge der Fahrt und wegen der mitgeführten Hunde erforderlich gewesen. Die Tätigkeit der Klägerin habe auch - unter Berücksichtigung ihrer Pflichten als Ehefrau und Mutter - den Rahmen der nach § 1356 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BA) gebotenen Mitarbeit im Geschäft des Ehemanns überschritten, zumal ein erheblicher Teil der Fahrt in die Nachtstunden gefallen sei. Die Klägerin sei deshalb wie eine Arbeitnehmerin ihres Ehemanns tätig geworden und habe wegen der Unfallfolgen Anspruch auf Verletztenrente (Urteil vom 11. Dezember 1975).
Die Beklagte hat die zugelassene Revision eingelegt, mit der sie eine Verletzung des § 539 Abs. 2 RVO rügt. Das LSG habe die Grenzen der Mitarbeitspflicht der Klägerin im Geschäft des Ehemanns zu eng gezogen. Nach Aufgabe ihres eigenen Sittichhandels habe sie - trotz ihrer Haushaltsführungspflichten - 6 bis 8 Stunden täglich im Betrieb ihres Ehemanns, der schwer um seinen Broterwerb habe kämpfen müssen, mitgeholfen. Unter diesen Umständen habe auch die auf 12 Stunden berechnete Einkaufsfahrt noch im Rahmen ihrer Mitarbeitspflicht gelegen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage gegen ihren Bescheid vom 5. Dezember 1972 abzuweisen.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin hat den fraglichen Unfall, wegen dessen sie Entschädigungsansprüche erhebt, bei einer nach § 539 Abs. 2 RVO versicherten Tätigkeit erlitten (Arbeitsunfall i.S. von § 548 RVO).
Das LSG hat mit Recht entschieden, daß die Klägerin die Fahrt, auf der sie verunglückt ist, weder als Inhaberin eines eigenen Unternehmens noch als Mitinhaberin eines von ihr und ihrem Ehemann gemeinsam betriebenen Unternehmens angetreten hat. Nach den Feststellungen des LSG hatte die Klägerin den früher von ihr selbst betriebenen Handel mit Wellensittichen im Unfallzeitpunkt schon aufgegeben. Der Hundehandel wurde von ihrem Ehemann allein betrieben, er leitete das Geschäft, auch das Geschäftsrisiko lag allein bei ihm.
Nicht zu beanstanden und von der Revision nicht angegriffen ist ferner die Entscheidung des LSG, die Klägerin sei im Geschäft ihres Ehemanns - ungeachtet des "Arbeitsvertrages" vom 6. Juli 1971 - nicht als Arbeitnehmerin tätig gewesen. Ob zwischen zwei Personen ein Beschäftigungsverhältnis (Arbeitsverhältnis) im Sinne der Sozialversicherung besteht, hängt nicht von der gewählten Bezeichnung oder der rechtlichen Einordnung durch die Beteiligten ab; maßgebend ist vielmehr die tatsächliche Gestaltung der Beziehungen (vgl. BSGE 36, 7, 8). Insofern hat das LSG unter eingehender Würdigung der von ihm erhobenen Beweise festgestellt, daß für den Abschluß eines Arbeitsvertrages unter den Ehegatten kein einleuchtender Grund bestanden habe, auch sei keine der Arbeitsleistung entsprechende, Vergütung vereinbart worden. Wenn das LSG daraus und aus der vermuteten Absicht der Ehegatten, der Klägerin vermögenswirksame Leistungen zukommen zu lassen, den Schluß gezogen hat, die Klägerin sei nicht als Arbeitnehmerin im Unternehmen des Ehemanns beschäftigt und deshalb auf der fraglichen Fahrt nicht nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO geschützt gewesen, so unterliegt diese Annahme keinen rechtlichen Bedenken.
Versicherungsschutz hat für die Klägerin jedoch, wie das LSG zutreffend entschieden hat, nach § 539 As. 2 RVO bestanden, weil sie auf der fraglichen Fahrt "wie" eine nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 versicherte Arbeitnehmerin tätig geworden ist. Daß auf einer Einkaufsfahrt eines Unternehmers seine Begleitung durch einen Mitfahrer, der im Wechsel mit ihm das Steuer bedient, der Art nach eine Arbeitnehmertätigkeit sein kam, bedarf keiner näheren Begründung. Daß die Begleitung hier auch den Interessen des vom Ehemann der Klägerin betriebenen Unternehmens gedient hat und nach den Umständen des Falles (Länge der Fahrtstrecke, Transport von Hunden) sogar erforderlich war, hat das LSG unangefochten festgestellt. Damit sind die rechtlichen Voraussetzungen für eine Anwendung des § 539 Abs. 2 RVO erfüllt.
Der Anwendung dieser Vorschrift steht nicht entgegen, daß die Klägerin nach den - wirtschaftlich offenbar bescheidenen - Verhältnissen, in denen die Ehegatten gelebt haben, zur Mitarbeit im Geschäft ihres Ehemanns verpflichtet war (§ 1356 Abs. 2 BGB); denn diese Verpflichtung hat sich, wie das LSG entschieden hat, nicht auf die Begleitung auf der fraglichen Einkaufsfahrt erstreckt.
Ob die Mitarbeit eines Ehegatten im Geschäft des anderen nach den ehelichen Lebensverhältnissen "üblich" ist (§ 1356 Abs. 2 BGB) und wie ihr Umfang im einzelnen abzugrenzen ist, hängt wesentlich von der Würdigung der konkreten Lebensumstände der Ehegatten ab und ist deshalb weitgehend eine Tatfrage. Sache der tatrichterlichen Würdigung ist insbesondere, die Pflicht einer Ehefrau zur Mitarbeit im Geschäft des Ehemanns gegen ihre sonstigen Pflichten in Ehe und Familie, vor allem ihre Pflicht zur eigenverantwortlichen Führung des Haushalts einschließlich der Betreuung der Kinder (vgl. §§ 1356 Abs. 1, 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB), abzuwägen und danach den Umfang ihrer Mitarbeitspflicht näher zu bestimmen. Soweit nicht dabei Inhalt und Grenzen der in § 1356 Abs. 2 BGB enthaltenen rechtlichen Begriffe verkannt und dadurch das Gesetz verletzt ist, kann das Revisionsgericht die Entscheidung der Vorinstanz - schon wegen seiner größeren "Tatsachenferne" - nicht durch eine andere eigene ersetzen. Im übrigen bietet eine solche Entscheidung des Tatrichters in der Regel auch kaum Anlaß zu grundsätzlichen, über den Einzelfall hinausgehenden und für eine einheitliche Rechtsanwendung bedeutsamen Überlegungen. Der Senat hält es daher nicht für seine Aufgabe, im vorliegenden Fall im einzelnen den Einwendungen der Beklagten gegen die Annahme des LSG nachzugehen, die Klägerin sei aufgrund des § 1356 Abs. 2 BGB nach den konkreten Lebensverhältnissen der Ehegatten nicht verpflichtet gewesen, ihren Ehemann auf der fraglichen Einkaufsfahrt zu begleiten. Daß die Annahme des LSG auf einer fehlerhaften Auslegung des Gesetzes, insbesondere auf einer Verkennung des Begriffs der Üblichkeit (§ 1356 Abs. 2 BGB) beruht, ist nicht ersichtlich (vgl. Schwinge, Grundlagen des Revisionsrechts, 2. Auflage, S. 118 ff. zur Nachprüfung der unbestimmten Begriffe beim Tatbestandsermessen, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung, insbes. S. 134 f. zur Nachprüfung eines "wichtigen Grundes" und einer Verletzung ehelicher Pflichten; vgl. auch BSG 18, 143, 147: keine Verpflichtung einer Ehefrau, ihren Ehemann auf Dienstreisen zu begleiten, und Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 34. Aufl., § 1356 Anm. 2, wonach es einer Ehefrau regelmäßig sogar verwehrt ist, eine Tätigkeit aufzunehmen, die sie den ganzen Tag von Hause fernhält).
War die Klägerin aber aufgrund des § 1356 Abs. 2 BGB nicht verpflichtet, ihren Ehemann auf der genannten Fahrt zu begleiten, so kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen für eine Tätigkeit, die sich noch in den Grenzen der Mitarbeitspflicht nach § 1356 Abs. 2 BGB hält, Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO bestehen kann (vgl. dazu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-8. Aufl., 37. Nachtrag, S. 476 m I, und Urteil des Senats vom 27. Januar 1976, SozR 2200 § 539 Nr. 14 S. 34). Allerdings entfällt nach dem genannten Urteil des Senats für eine im Unternehmen ihres Ehemanns tätige Ehefrau ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO auch dann, wenn sie in gewisser Regelmäßigkeit Tätigkeiten verrichtet, wie sie in der Regel vom Unternehmer selbst geleistet und grundsätzlich von der Vorschrift des § 545 Abs. 1 RVO über die freiwillige Versicherung eines Unternehmerehegatten erfaßt werden. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Weder hat die Klägerin mit der Begleitung ihres Ehemanns auf der Einkaufsfahrt eine unternehmerähnliche Tätigkeit verrichtet (in dem früher vom Senat entschiedenen Fall hatte eine Ehefrau anstelle ihres Ehemanns Taxifahrten ausgeführt) noch hat die Klägerin ihre zum Unfall führende Tätigkeit (Begleitung ihres Ehemanns auf Einkaufsfahrten) in gewisser Regelmäßigkeit ausgeübt.
Das LSG hat hiernach mit Recht für sie Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO angenommen und ihren Entschädigungsanspruch bejaht. Die Revision der Beklagten ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen