Leitsatz (amtlich)
Werden Ordensschwestern auf Grund von Einzeldienstverträgen mit dem Staat unter Vereinbarung einer Vergütung nach der Tarifordnung A im Schuldienst beschäftigt, so besteht auch dann keine Versicherungsfreiheit zur Arbeitslosenversicherung nach AVAVG 1927 § 69 (AVAVG § 56) in Verbindung mit RVO § 172 Abs 1 Nr 6 nF, wenn das Entgelt auf Anweisung der Schwestern unmittelbar dem Orden überwiesen wird und dieser den Schwestern nur freien Unterhalt gewährt.
Normenkette
RVO § 172 Abs. 1 Nr. 6 Fassung: 1956-06-12; AVAVG §§ 69, 56 Fassung: 1957-04-03
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Februar 1959 wird aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20. Januar 1955 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die beigeladenen Schwestern des Ordens "Barmherzige Schwestern vom Hl. Kreuz" waren früher in der Tschechoslowakei als Lehrerinnen tätig. Nach ihrer Ausweisung stellte der Beklagte sie in den Jahren 1946 bis 1949 als Lehrkräfte mit Einzeldienstverträgen an. Die Besoldung erfolgt nach der TO.A, und das Gehalt wird auf Anweisung der Beigeladenen an den Orden unmittelbar überwiesen. Die Schwestern selbst erhalten vom Orden nur freien Unterhalt. Da über die Versicherungspflicht zur Arbeitslosenversicherung (ArblV) Streit bestand, beantragte die Klägerin im Jahre 1953 beim Versicherungsamt (VA), über die Versicherungs- und Beitragspflicht zu entscheiden. Das Verfahren ging mit Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) am 1. Januar 1954 auf das Sozialgericht (SG.) Nürnberg über. Dieses entschied, der Beklagte sei verpflichtet, Beiträge zur ArblV vom 1. Januar 1951 an zu entrichten, weil die Schwestern nicht gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherungsfrei seien; für die vorhergehende Zeit seien die Beitragsforderungen verjährt (Urteil vom 20.1.1955).
Gegen dieses Urteil legte der Beklagte Berufung ein. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG.) stellte durch Urteil vom 11. Februar 1959 fest, daß die beigeladenen Ordensschwestern arbeitslosenversicherungsfrei seien. Zur Begründung führte es aus, die Schwestern gehörten an sich zu den nach § 165 RVO versicherungspflichtigen Personen. Sie seien jedoch gemäß § 69 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) a.F. in Verbindung mit § 172 Abs. 1 Nr. 6 RVO n.F. nicht kranken- und damit auch nicht arbeitslosenversicherungspflichtig. Denn sie übten ihre Lehrtätigkeit überwiegend aus religiösen und sittlichen Beweggründen aus und bekämen für ihre Tätigkeit von ihrer Ordensgemeinschaft nur freien Unterhalt. Es komme nicht darauf an, was in den Verträgen mit dem Beklagten vereinbart sei, sondern darauf, was die Schwestern tatsächlich erhielten. Das LSG. ließ die Revision zu.
Gegen das am 22. April 1959 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 19. Mai 1959 Revision ein und begründete sie am 18. Juni 1959.
Sie meint, maßgebend für eine Anwendung des § 172 Abs. 1 Nr. 6 RVO sei das, was als Vergütung zwischen dem Beklagten und den beigeladenen Schwestern vereinbart sei, also das Entgelt, das der Arbeitgeber selbst zahle. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß die Schwestern auf Grund innerkirchlichen Rechts, das keine bürgerlich-rechtliche Wirkung habe, das Entgelt an den Orden abzuführen hätten. Auch steuerlich sei die Rechtslage genau so; die steuerrechtliche Behandlung sei aber ein Indiz dafür, ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliege.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG. vom 11. Februar 1959 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG. Nürnberg vom 20. Januar 1955 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er trägt vor, die Voraussetzungen einer Versicherungspflicht seien nicht gegeben. Zunächst müsse schon ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Sozialversicherungsrechts verneint werden, weil die Tätigkeit der klösterlichen Lehrkräfte nicht auf Erwerb wie bei weltlichen Arbeitnehmern abgestellt sei. Die Heranziehung von steuerrechtlichen Grundsätzen müsse hier ausscheiden, da Lohnsteuer unabhängig davon entrichtet werden müsse, ob mit den Ordensschwestern persönlich ein Dienstvertrag abgeschlossen worden sei oder ob sie auf Grund eines nach § 13 des Bayerischen Schulorganisationsgesetzes abgeschlossenen Vertrages zwischen dem Staat und dem Orden tätig geworden seien.
Auf alle Fälle sei aber die Tätigkeit nach § 172 Abs. 1 Nr.6 RVO versicherungsfrei, da es darauf ankomme, was die Beigeladenen tatsächlich erhielten. Dies ergebe sich auch aus der Neufassung des § 1227 Abs. 1 Nr. 5 RVO und des § 2 Nr. 7 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG); hier sei ausdrücklich darauf abgestellt worden, was die Arbeitnehmer persönlich erhielten.
Die beigeladene Allgemeine Ortskrankenkasse und die ebenfalls beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte schließen sich den Anträgen der Klägerin an; die übrigen Beigeladenen sind nicht vertreten.
II
Die durch die Zulassung statthafte und auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist sachlich begründet, weil die Tätigkeit der beigeladenen Ordensschwestern der Arbeitslosenversicherungspflicht unterliegt.
Der Senat konnte der gegenteiligen Auffassung des LSG. nicht beitreten. Die Beschäftigung der Schwestern als Lehrkräfte ist ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne der Sozialversicherung. Denn sie werden nicht im Rahmen ihres Ordens, sondern auf Grund eines Arbeitsverhältnisses mit einem Dritten tätig. Sie sind diesem gegenüber zu Arbeitsleistungen verpflichtet und haben gegen ihn Anspruch auf entsprechende Vergütung. Im Gegensatz zu den vom Reichsversicherungsamt (RVA.) entschiedenen Fällen (vgl. AN. 1905 S. 436 und Herschel, Der Ordensvertrag, BArbBl. 1957 S. 754) handelt es sich im vorliegenden Fall nicht darum, daß ein Krankenhaus oder dergleichen mit dem Orden einen Vertrag abgeschlossen hat, durch den der Orden verpflichtet war, durch seine Schwestern bestimmte Aufgaben zu übernehmen und seinerseits die Schwestern im Rahmen des Ordens beschäftigte (hier läge kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne der Sozialversicherung vor). Vielmehr sind in dem anhängigen Rechtsstreit die Verträge mit den Schwestern selbst abgeschlossen. Es handelt sich um Einzeldienstverträge, wobei die Vergütung nach der TO.A festgelegt wurde. Diese Vergütung steht auch an sich den Schwestern zu, jedoch führt auf deren Wunsch der Beklagte die Vergütung an den Orden ab, der seinerseits den Schwestern freien Unterhalt gewährt. Es sind also Dienstverträge, wie sie auch mit anderen nichtklösterlichen Arbeitskräften abgeschlossen werden. Daß die Schwestern hierbei nicht um des eigenen Erwerbs willen, sondern für den Orden tätig werden und ihm das Erworbene zukommen lassen, ist für das Beschäftigungsverhältnis ohne Bedeutung. Für ihre Bezüge wird schließlich auch Lohnsteuer entrichtet. Dies ist nach den in BSG. 3 S. 30 niedergelegten Grundsätzen ein wesentliches Anzeichen dafür, daß es sich um ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis handelt. Denn nach dem noch gültigen gemeinsamen Erlaß des früheren Reichsarbeitsministers und des früheren Reichsfinanzministers vom 10. September 1944 (AN. S. 281) sind die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von den Beträgen zu berechnen, die für die Lohnsteuer maßgebend sind (vgl. auch Urteil des BFH vom 9.2.1951 - BStBl. III S. 73).
Die Schwestern würden deshalb nur dann nicht der ArblV unterliegen, wenn sie die Voraussetzungen des § 69 AVAVG a.F. bzw. § 56 AVAVG n.F. in Verbindung mit § 172 Abs. 1 Nr. 6 RVO in der Fassung der Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 bzw. § 172 Nr. 4 RVO a.F. erfüllen würden. Für die Entscheidung kann dahinstehen, seit wann die durch die Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 eingeführte Neufassung des § 172 RVO in Bayern gilt (der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat zu Art. 19 dieser Verordnung ausgesprochen, daß sie spätestens am Tage des erstmaligen Zusammentritts des Bundestages - 7.9.1949 - im ganzen Bundesgebiet wirksam geworden ist - BSG. 3 S. 161 -) oder ob man der Entscheidung noch die alte Fassung der RVO zugrunde legen will; denn der Wortlaut ist in beiden Fällen gleich. Hiernach sind versicherungsfrei Mitglieder geistlicher Genossenschaften, ... Schulschwestern und ähnliche Personen wenn sie sich aus überwiegend religiösen oder sittlichen Beweggründen mit Krankenpflege, Unterricht oder anderen gemeinnützigen Tätigkeiten beschäftigen und nicht mehr als freien Unterhalt oder ein geringes Entgelt beziehen, das nur zur Beschaffung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse an Wohnung, Verpflegung, Kleidung und dergleichen ausreicht. Das LSG. hat zwar, von der Revision nicht angegriffen und damit für das Bundessozialgericht bindend (§ 163 SGG), festgestellt, daß sich die Schwestern aus überwiegend religiösen und sittlichen Beweggründen mit Unterricht beschäftigen. Jedoch fehlt es an der weiteren Voraussetzung dieser Vorschrift für die Annahme einer Versicherungsfreiheit, daß die Schwestern nicht mehr als freien Unterhalt oder ein nur zur Beschaffung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse ausreichendes Entgelt beziehen. Das Entgelt, das die Schwestern vom Beklagten nach TO.A gemäß den abgeschlossenen Verträgen beziehen, ist höher als die hierfür erforderlichen Beträge. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt daher davon ab, ob es bei der Anwendung des § 172 Abs.1 Nr. 6 RVO n.F. bzw. Nr. 4 a.F. auf die Beträge ankommt, die der Arbeitgeber zahlt, oder ob maßgebend ist, was die Schwestern von ihrem Orden tatsächlich erhalten. Bei Anwendung des § 172 RVO kommt es aber wie auch bei allen anderen versicherungspflichtigen Verhältnissen in der Krankenversicherung darauf an, welches Entgelt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart ist und gezahlt wird. Denn nur dieses Verhältnis ist von der Sozialversicherung erfaßt und damit für die Beiträge maßgebend. Ohne Bedeutung ist, daß die Schwestern auf Grund der Ordensregeln das empfangene Entgelt dem Orden abzuliefern haben und von diesem nur freien Unterhalt erhalten. Diese Ordensregeln sind nur für das Innenverhältnis zwischen den Schwestern und dem Orden von Bedeutung, haben aber keinen Einfluß auf das sozialversicherungsrechtliche Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, und zwar genau so, wie es unerheblich ist, ob ein Arbeitnehmer sein Arbeitsentgelt einem Dritten abgetreten hat oder ob auf Grund von Pfändungen das Entgelt an einen Dritten abzuführen ist.
Der Beklagte beruft sich für seine abweichende Meinung auf § 1227 Abs. 1 Nr. 5 RVO und § 2 Nr. 7 AVG, jeweils in der Fassung der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze vom 23. Februar 1957. Dort wird allerdings darauf abgestellt, was die Arbeitnehmer persönlich erhalten. Jedoch handelt es sich dort um eine Sonderregelung der Rentenversicherung, nicht aber um die Krankenversicherung, die für die Versicherungspflicht in der ArblV maßgebend ist; außerdem ist der Wortlaut des Gesetzes anders als im § 172 RVO (vgl. auch Kommentar des Verbandes der Rentenversicherungsträger zur RVO, 6. Aufl., § 1227 Anm. 24).
Da somit für das Beschäftigungsverhältnis der Schwestern Versicherungsfreiheit in der ArblV nicht besteht, muß das Urteil des LSG. aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG. zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 926563 |
BSGE, 76 |