Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 21.07.1976) |
SG Gelsenkirchen (Urteil vom 16.10.1975) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Juli 1976 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16. Oktober 1975 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, wann die Antragsfrist für die Gewährung von Konkursausfallgeld (Kaug) nach § 141 e Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) im Falle der Abweisung des Antrages auf Konkurseröffnung mangels Masse (§ 141 b Abs. 3 Nr. 1 AFG) beginnt.
Der Kläger war bis zum 25. September 1974 bei der Firma Uwe W. GmbH in Gelsenkirchen-Buer als Zimmermann beschäftigt. Aus dieser Tätigkeit hat er noch eine Restlohnforderung für die Monate August und September 1974, die durch Vergleich vor dem Arbeitsgericht auf 1.105,69 DM festgesetzt wurde.
Mit Beschluß vom 30. Dezember 1974 lehnte das Amtsgericht Gelsenkirchen den Antrag der Innungskrankenkasse Gelsenkirchen auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin nach § 107 der Konkurs Ordnung (KO) mit der Begründung ab, daß eine die Kosten des Verfahrens deckende Konkursmasse nicht vorhanden sei. Die Firma beschäftigte anschließend noch einige Arbeitnehmer weiter und stellte schließlich Ende Januar 1975 ihre Tätigkeit vollständig ein.
Am 12. März 1975 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm für seine Bestforderung aus dem Arbeitsverhältnis Kaug zu gewähren. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, daß er nicht innerhalb der Ausschlußfrist von zwei Monaten nach Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse (§ 141 e Abs. 1 Satz 2 AFG) gestellt worden sei (Bescheid vom 3. April 1975). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. August 1975).
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Kaug zu gewähren (Urteil vom 16. Oktober 1975). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Juli 1976). Es hat die Auffassung vertreten, daß aufgrund der durch § 141 b Abs. 3 Nr. 1 AFG vorgesehenen Gleichstellung des Tatbestandes der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Hasse mit der Konkurseröffnung auch bei einer Abweisung der Konkurseröffnung der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach dem Datum des abweisenden Beschlusses gestellt werden müsse. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist komme nicht in Betracht, da es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist handele. Eine Durchbrechung der Frist sei insbesondere dann nicht möglich, wenn die Fristbestimmung Ordnungscharakter in dem Sinne habe, daß der Verwaltung zu einem bestimmten Zeitpunkt ein ausreichender Überblick über den Umfang der auf sie zukommenden finanziellen Last ermöglicht und zugleich vermieden werden solle, daß Ansprüche gegen sie zu einer Zeit erhoben werden, zu welcher der Sachverhalt nur noch unter den größten Schwierigkeiten aufzuklären ist. Gerade hierin liege aber der Zweck der Ausschlußfrist nach § 141 e Abs. 1 Satz 2 AFG. Die Ausschlußfrist von zwei Monaten sei auch nicht so kurz bemessen, daß das Recht zur Geltendmachung von Konkursausfallgeld praktisch ausgehöhlt werde (BVerfGE 8, 246, 247).
Mit der Revision macht der Kläger geltend, daß es für den Beginn der Ausschlußfrist nicht auf den Zeitpunkt des Beschlusses, sondern nur auf den Zeitpunkt ankommen könne, in dem der Antragsteller von der Konkursabweisung mangels Masse Kenntnis erlangt habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Kaug zu. Das Urteil des Berufungsgerichts muß daher aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen werden.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß im Falle eines Konkursverfahrens der Antrag auf Kaug nach § 141 e Abs. 1 Satz 2 AFG innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Monaten nach der Eröffnung des Verfahrens zu stellen ist. Eröffnungszeitpunkt ist nach § 108 KO stets der Zeitpunkt, in dem der Richter den Beschluß unterzeichnet (BGHZ 50, 242, 245; Jaeger, KO, 8. Aufl, § 108 Anm. 1, Mentzel-Kuhn, KO, 8. Aufl, § 108 Anm. 1; Böhle-Stamschräder, KO, 12. Aufl, § 108 Anm. 1). Dem LSG ist ferner darin zu folgen, daß nach § 141 b Abs. 3 Nr. 1 AFG der Fall der Abweisung eines Konkursantrages mangels Masse bei der Anwendung der Vorschriften über das Kaug der Eröffnung des Konkursverfahrens gleichgestellt ist. Aus dieser Vorschrift muß geschlossen werden, daß bei der Abweisung des Konkursantrages mangels Masse der Versicherungsfall – ebenfalls – mit dem Zeitpunkt eintritt, in dem der (Abweisungs-) Beschluß erlassen wird, also mit der Unterschrift des Richters (so schon BSG, Urteil vom 17. Dezember 1975 – 7 RAr 17/75 – BSGE 41, 121, 125 = SozR 4100 § 141 b Nr. 1), wobei lediglich fraglich sein kann, ob es hier auf die Stunde oder den Tag der Unterschriftsleistung ankommt, Darüber hinaus bewirkt die Gleichstellung beider Tatbestände, daß auch für den Versicherungsfall der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse die zweimonatige Ausschlußfrist des § 141 e Abs. 1 Satz 2 AFG gilt. Entgegen der Auffassung des LSG beginnt die Frist aber in diesem Fall nicht schon mit dem Zeitpunkt, in dem der Beschluß erlassen worden ist.
Die Abweisung eines Antrages auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse hat nach den Regeln der KO im Gegensatz zur Konkurseröffnung nahezu keinerlei Publizität. Die Eröffnung des Konkursverfahrens ist nach § 111 Abs. 1 iVm § 76 Abs. 1 KO in dem zur Veröffentlichung amtlicher Bekanntmachungen des Gerichts bestimmten Blatt zu veröffentlichen. Die Bekanntmachung ist nach § 111 Abs. 2 KO ferner auszugweise in den Bundesanzeiger einzurücken. Nach § 76 Abs. 2 KO kann das Gericht weitere Bekanntmachungen anordnen. Außerdem erfolgen nach § 111 Abs. 3 KO besondere Zustellungen an die ihrem Wohnort nach bekannten Gläubiger des Gemeinschuldners, wozu regelmäßig auch die Arbeitnehmer gehören. Zwar gilt nach § 76 Abs. 3 KO die öffentliche Bekanntmachung als Zustellung, es liegt aber dennoch im Ermessen des Gerichts, neben der öffentlichen Zustellung die Zustellung nach § 111 Abs. 3 KO zu bewirken. Schließlich ist von erheblicher Bedeutung für die Publizität, daß nach § 110 Abs. 1 KO bei der Eröffnung des Konkursverfahrens ein Konkursverwalter zu ernennen ist, der gemäß § 117 Abs. 1 KO nach der Eröffnung des Verfahrens das gesamte zur Konkursmasse gehörende Vermögen sofort in Besitz und Verwaltung zu nehmen und dasselbe zu verwerten hat. Durch dieses Erfordernis ist sichergestellt, daß die Gläubiger von der Konkurseröffnung alsbald Kenntnis erhalten. Auch für die ausgeschiedenen Arbeitnehmer besteht hinreichende Möglichkeit von der Konkurseröffnung zu erfahren, selbst wenn sie nicht mehr am Betriebsort wohnen.
Bei der Abweisung eines Antrages auf Eröffnung des Konkurses mangels Masse entfallen alle diese dargestellten Möglichkeiten der Veröffentlichung. Der Abweisungsbeschluß wird allenfalls den Beteiligten zugestellt, uU sogar nur dem Antragsteller (vgl. Mentzel-Kuhn § 73 Anm. 6; Böhle-Stamschräder § 73 Anm. 3). In diesen Fällen kann es also vorkommen, daß nicht einmal die Belegschaft des Betriebes von der Abweisung des Konkursantrages etwas erfährt. Einzige Möglichkeit für die Gläubiger, von der Ablehnung der Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse Kenntnis zu erlangen, ist die Einsicht in das beim Konkursgericht geführte Verzeichnis der Schuldner, bezüglich derer ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse abgewiesen worden ist (sog „Schwarze Liste” – § 107 Abs. 2 KO). Dieses Verzeichnis ist jedoch ungeeignet, die für den Beginn der Ausschlußfrist notwendige Publizität herzustellen. Die Eintragungen in dieses Verzeichnis genießen keinen öffentlichen Glauben. Wer das Verzeichnis einsieht, kann sich weder auf die Vollständigkeit noch auf die Richtigkeit der Eintragung verlassen. Die Eintragung erfolgt außerdem nicht sofort, sondern regelmäßig erst wenn der Ablehnungsbeschluß rechtskräftig geworden ist (Jaeger § 107 Anm. 9). Schwerer noch als diese Bedenken wiegen aber die Konsequenzen, die sich ergeben, wenn die Arbeitnehmer darauf verwiesen würden, sich durch Einsicht in das Verzeichnis nach § 107 Abs. 2 KO zu informieren. Arbeitnehmer, die rückständige Lohnansprüche haben, müßten besonders im Hinblick auf eine möglicherweise verspätete Eintragung, spätestens jeden Monat eine Anfrage an das zuständige Amtsgericht richten, ob inzwischen ein Konkursantrag gegen den früheren Arbeitgeber mangels Masse abgewiesen worden ist. Ebenso müßten Gewerkschaften und Anwälte, die Arbeitnehmer mit rückständigen Lohnforderungen vertreten, sich in gleicher Weise regelmäßig Auskünfte der verschiedenen Amtsgerichte verschaffen. Anderenfalls müßten sie in gleichen Zeitabständen vorsorglich Anträge auf Kaug bei der Bundesanstalt für Arbeit stellen. Bei einer derartigen Verfahrensweise wäre – abgesehen von der Belastung, die für die Amtsgerichte und die Arbeitsverwaltung zu erwarten wäre – zu bedenken, daß die erforderlichen regelmäßigen Anfragen über den Inhalt des Verzeichnisses einem großen Teil der Arbeitnehmer kaum möglich wäre, so daß in erheblichem Umfang die Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf Kaug von Zufälligkeiten abhängen würde. Hiergegen könnten verfassungsrechtliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) bestehen. Auf diese Frage braucht hier jedoch nicht näher eingegangen zu werden, da die objektiven Unterschiede zwischen der Publizität im Fall der Konkurseröffnung und der Publizität bei Ablehnung der Eröffnung eines Konkursverfahrens mangels Masse für den letztgenannten Fall eine von dem Gesetzeswortlaut abweichende Folgerung für den Fristbeginn gebieten. Eine solche Differenzierung kann allerdings nicht im Wege der Auslegung gewonnen werden. Dem steht der Wortlaut des § 141 e Abs. 1 Satz 2 AFG und sein Zusammenhang mit § 141 b Abs. 3 AFG entgegen. Die Anwendung dieser Vorschriften mit dem durch Auslegung gewonnenen Inhalt würde aber dazu führen, daß – wegen der geringen Publizität der Abweisung eines Konkursantrages mangels Masse – der Zweck des Gesetzes, Arbeitnehmern, die trotz Zahlungsschwierigkeiten ihres Arbeitgebers weiter arbeiten, eine Absicherung für ihre Lohnforderungen zu schaffen (vgl. BSGE 41, 121, 123 f) in einem solchen Fall weitgehend nicht erfüllt werden könnte. Damit wird deutlich, daß die umfassende Gleichstellungsklausel des § 141 b Abs. 3 Nr. 1 AFG hinsichtlich des Beginns der Ausschlußfrist bei Fällen der Abweisung des Konkursantrages mangels Masse zu einer Planwidrigkeit im Hinblick auf den vom Gesetz beabsichtigten Zweck führt, so daß der erkennende Senat befugt ist, das Vorliegen einer Regelungslücke festzustellen und im Wege verfassungskonformer Rechtsergänzung zu schließen (Canaris, die Feststellung von Lücken im Gesetz, Berlin 1964, Seite 16 ff, 39; Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft 3. Aufl Berlin 1975 S 358 f; BSGE 14, 238, 239; BSG SozR 5070 § 9 Nr. 1 S 4). Diese planwidrige Unvollständigkeit kann nur durch eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Gleichstellungsklausel in § 141 b Abs. 3 AFG (Restriktion) dahin ausgeglichen werden, daß diese Vorschrift für den Beginn der Ausschlußfrist in Fällen der Konkursabweisung mangels Masse nicht anzuwenden ist. Aus dieser Restriktion ergibt sich für die Fälle der Konkursabweisung mangels Masse eine Lücke im Gesetz, die in der Weise zu schließen ist, daß der Gesetzeszweck einer weitgehenden Absicherung der Arbeitnehmer, die trotz Zahlungsschwierigkeiten ihres Arbeitgebers weiter arbeiten, auch tatsächlich sichergestellt wird. Dies ist nur der Fall, wenn die Ausschlußfrist erst mit dem Tage beginnt, an dem der Berechtigte Kenntnis von dem Abweisungsbeschluß erhalten hat. Allein hierdurch können die Probleme fehlender Publizität ausgeräumt werden. Diese Lösung hat allerdings zur Folge, daß der Antrag noch lange Zeit nach dem Insolvenzereignis gestellt werden kann, was bei Konkurseröffnung nicht der Fall ist. Diese Unterschiede müssen und können aber im Hinblick auf die unterschiedliche Publizität der beiden Insolvenztatbestände hingenommen werden. Der Zweck der Ausschlußfrist wird dadurch jedenfalls nicht entscheidend beeinträchtigt. Nach den Motiven liegt der Zweck der Ausschlußfrist darin, dem Arbeitsamt zu ermöglichen, den Gesamtumfang der Ansprüche auf Konkursausfallgeld nach einer verhältnismäßig kurzen Zeit abschließend festzustellen und die im Zusammenhang mit der Gewährung von Kaug anfallenden Arbeiten zügig abzuwickeln. Außerdem soll der Bundesanstalt die Möglichkeit gegeben werden, Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die nach § 141 m AFG auf sie übergehen, innerhalb angemessener Frist dem Konkursverwalter zu melden und damit zur Beschleunigung des Konkursverfahrens beizutragen (BT-Drucks 7/1750 Seite 13 zu § 141 e Abs. 1). Von diesen Gründen scheiden die zuletzt genannten bei der Abweisung des Konkursantrages mangels Masse von vornherein aus, da in diesen Fällen eine Meldung an den Konkursverwalter nicht in Betracht kommt und das Bedürfnis zur Beschleunigung eines Konkursverfahrens nicht besteht. Es bleibt das Ziel, durch einheitliche Ermittlung für einen Insolvenzfall die Abwicklung zu beschleunigen. Dieser verwaltungstechnische Zweck muß aber zurückstehen, wenn anders der im Gesetz zum Ausdruck gekommene sozialpolitische Zweck der Absicherung der Lohnforderungen praktisch in den meisten Fällen nicht mehr erfüllt werden könnte.
In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, daß der Kläger die Antragsfrist eingehalten hat. Er hat nicht vor Ende Januar 1975 von dem Abweisungsbeschluß Kenntnis erhalten. Der Antrag auf Kaug ist innerhalb der darauf folgenden zwei Monate gestellt worden. Da auch die übrigen Voraussetzungen des Anspruchs erfüllt sind, muß die Revision Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen