Beteiligte
Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 8. Oktober 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Altersruhegeld.
Die 1923 in S./Polen geborene Klägerin lebte von Dezember 1939 bis August 1942 im Ghetto S. und anschließend bis März 1943 im Ghetto S.; von Dezember 1939 bis Februar 1943 war sie als Näherin beschäftigt. Anschließend lebte sie bis Februar 1945 in einem Zwangsarbeitslager und schließlich bis zur Befreiung im April 1945 im Konzentrationslager B.. Seit 1950 hält sich die Klägerin in Israel auf, ist inzwischen israelische Staatsangehörige sowie anerkannte Verfolgte iS des BEG. Ihren im Januar 1992 gestellten Antrag auf Gewährung von Altersruhegeld lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 14. November 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 1993 ab, weil die von der Klägerin im Ghetto S. ausgeführte Beschäftigung nicht der Versicherungspflicht unterlegen habe, sondern Zwangsarbeit gewesen sei, die lediglich als Ersatzzeit Berücksichtigung finden könne, wodurch jedoch die Wartezeit für das Altersruhegeld nicht erfüllt werde.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin vorgetragen, bei der als solche glaubhaft gemachten Beschäftigung bei der Firma H. im Ghetto S. habe es sich um eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung gehandelt, für die sie Entgelt erhalten habe. Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 14. November 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 1993 verurteilt, der Klägerin unter Berücksichtigung einer Beitragszeit von Dezember 1939 bis Februar 1943 Altersruhegeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften vorbehaltlich einer Nachentrichtung von Beiträgen zu gewähren (Urteil vom 8. Oktober 1998), und die Sprungrevision zugelassen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Bei der Tätigkeit der Klägerin für die Firma H. von Dezember 1939 bis Februar 1943 handele es sich um eine anrechnungsfähige Versicherungszeit iS einer Beitragszeit, wobei dahingestellt bleiben könne, ob ein dem Grunde nach versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis oder ein sog „unfreies” Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Denn auf die von der Klägerin ausgeübte Beschäftigung könne die Definition eines grundsätzlich versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht angewendet werden. Dieses durch die Rechtsprechung entwickelte Verständnis des Begriffes des Beschäftigungsverhältnisses beruhe auf einer Wirtschaftsverfassung, die auf dem freien Austausch von Arbeitsleistung und Lohn basiere. Wenn eine solche Wirtschaftsverfassung durch die nationalsozialistische Herrschaftsordnung, ein Terrorsystem der unbeschränkten Willkür und Gewalt und eine insbesondere durch die rassistische, auf Vernichtung der Juden gerichtete, antisemitische Ideologie für Personen eines bestimmten Bekenntnisses – wie hier die Klägerin als Jüdin – praktisch nicht mehr existent sei, könne auch die daraus resultierende Definition des Begriffes des Beschäftigungsverhältnisses kein geeignetes Kriterium mehr sein, die Versicherungspflicht einer unstreitig ausgeübten Tätigkeit zu bestimmen. Ein Festhalten an dieser Definition hieße, das diesem Personenkreis durch das NS-Regime zugefügte Unrecht auch in der Rentenversicherung fortzuschreiben. Im Ergebnis sei daher nur zu prüfen, ob eine planmäßige, auf ein wirtschaftliches Ziel gerichtete Tätigkeit verrichtet worden sei, die unter Hinwegdenken des nationalsozialistischen Unrechts in zivilisierten Gesellschaften aufgrund einer Vereinbarung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ausgeübt werden würde bzw worden wäre. Dies könne im Fall der Klägerin für die im fraglichen Zeitraum verrichtete Tätigkeit aber nicht in Abrede gestellt werden. Dahinstehen könne auch, ob die Klägerin für die von ihr verrichtete Beschäftigung ein Entgelt erhalten habe. Denn die Verneinung eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses in dem Falle, daß von den nationalsozialistischen Machthabern trotz der Ausbeutung der Arbeitskraft der betroffenen Personen kein Entgelt für geleistete Arbeit gezahlt worden sei, hieße, nationalsozialistisches Unrecht in der Rentenversicherung fortzuschreiben. Schon der Wiedergutmachungsgedanke gebiete, verursachtes Unrecht so weit wie möglich auszugleichen. Auch unter Berücksichtigung des im Sozialversicherungsrecht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) sei eine solche Annahme begründet. Dem Ergebnis könne nicht entgegengehalten werden, Personen wie die Klägerin hätten bereits eine Entschädigung nach Wiedergutmachungsvorschriften erhalten. Denn das Entschädigungsrecht umfasse gerade sozialversicherungsrechtliche Schäden nicht (§ 5 Abs 1 BEG). Auch die vom Gesetzgeber vorgesehenen Ersatzzeittatbestände (§ 1251 RVO bzw § 250 SGB VI) beseitigten das von den Betroffenen erlittene Unrecht nicht vollständig; denn sie erfaßten nicht den sozialversicherungsrechtlich relevanten Grundtatbestand der Arbeit bzw Beschäftigung selbst und setzten zur rentenversicherungsrechtlichen Auswirkung eine Vor- oder Nachversicherung voraus (§ 1251 Abs 2 RVO).
Mit der Sprungrevision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§§ 4, 15 Abs 1 Satz 1, § 17 Abs 1 Buchst b FRG „idF am 30. Juni 1990”; § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO idF vom 10. November 1923) und trägt vor: Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Anrechnung der streitigen Zeit als Beitragszeit seien nicht glaubhaft gemacht. Eine aufgrund einer Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus eigenem Willensentschluß erbrachte Arbeit iS eines versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses habe nicht vorgelegen. Es sei weder festgestellt, ob die Klägerin ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bei freiem wirtschaftlichen Austausch von Arbeit und Entlohnung eingegangen sei, noch, ob überhaupt Entgelt für geleistete Arbeit gezahlt worden sei. Eine Beitragsfiktion für Zwangsarbeiten finde im geltenden Recht keine Rechtsgrundlage.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 8. Oktober 1998 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision der Beklagten ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG zur weiteren Sachaufklärung begründet. Das SG wird Feststellungen dazu nachzuholen haben, ob die Klägerin in der Zeit von Dezember 1939 bis Februar 1943 in einem dem Grunde nach die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung begründenden abhängigen Beschäftigungsverhältnis – bei freiem Austausch von erbrachter Arbeitsleistung gegen Entgelt – gestanden hat. Die bisherigen Ausführungen des SG lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob die streitige Zeit als Beitragszeit in der Rentenversicherung anzurechnen ist. Die Feststellungen des SG rechtfertigen eine Aufhebung des angefochtenen Bescheids der Beklagten vom 14. November 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 1993 nicht.
Der Anspruch der Klägerin auf Altersruhegeld richtet sich noch nach der RVO in der am 31. Dezember 1991 gültigen Fassung, weil der Rentenantrag im Januar 1992 gestellt worden ist und sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 bezieht (§ 300 Abs 2 SGB VI).
Gemäß § 1248 Abs 5 RVO erhält Altersruhegeld der Versicherte, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach Abs 7 Satz 3 der Vorschrift erfüllt hat. Die Wartezeit ist erfüllt, wenn eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt ist. Ob die Klägerin aufgrund einer Beitragszeit sowie einer verfolgungsbedingten Ersatzzeit (§ 1251 Abs 1 Nr 4 RVO) eine Versicherungszeit von mindestens 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat, läßt sich anhand der tatsächlichen Feststellungen des SG nicht bestimmen; denn die Voraussetzungen einer Beitragszeit für die Beschäftigung von Dezember 1939 bis Februar 1943 sind nicht geklärt.
Gemäß § 1250 Abs 1 Buchst a und b RVO sind anrechnungsfähige Versicherungszeiten ua Zeiten, für die nach Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung Beiträge wirksam entrichtet sind oder als entrichtet gelten (Beitragszeiten) sowie Zeiten ohne Beitragsleistung nach § 1251 RVO (Ersatzzeiten). Im Gebiet von S. (Ostoberschlesien) ist das Recht der RVO durch § 1 Abs 1 iVm Abs 3 der Ostgebiete-VO vom 22. Dezember 1941 rückwirkend zum 1. Januar 1940 eingeführt worden. Auf die Beschäftigung der Klägerin von Januar 1940 bis Februar 1943 ist daher als frühere Vorschrift der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO in der damals gültigen Fassung (alte Fassung – aF –) anzuwenden. Für den Monat Dezember 1939 sind Arbeits- und Beitragsleistung der Klägerin nach §§ 15, 17 Abs 1 Buchst b FRG aF zu beurteilen. Hiernach stehen die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich.
Gemäß § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO aF wurden in der Arbeiterrentenversicherung (Invalidenversicherung) insbesondere Arbeiter versichert. Unter „Arbeiter” war nach dem damaligen Recht eine Person zu verstehen, die in derselben Bedeutung beschäftigt und aufgrund dieser Beschäftigung pflichtversichert war wie eine Person, die iS der Nachfolgevorschrift des § 1227 Abs 1 Nr 1 RVO (in der bis Ende 1991 geltenden Fassung – nF –) „als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt” war, dh „nichtselbständige Arbeit” verrichtete, § 7 Abs 1 SGB IV.
Damit war die Arbeit bzw Beschäftigung Voraussetzung für die Entstehung des Rechtsverhältnisses zwischen Versichertem und Rentenversicherungsträger, das sowohl Grundlage und Abgrenzungskriterium für die in §§ 1250 ff RVO aF bzw §§ 1235 ff RVO nF genannten bzw geregelten Leistungen als auch für die Beschäftigungszeiten iS der §§ 15, 17 Abs 1 Buchst b FRG aF ist. Arbeit ist die auf ein wirtschaftliches Ziel gerichtete planmäßige Tätigkeit eines Menschen, gleichviel, ob geistige oder körperliche Kräfte eingesetzt werden (vgl zB Kasseler Komm-Seewald, Sozialversicherungsrecht, Band 1, Stand Juli 1991, RdNr 10 zu § 7 SGB IV). Nichtselbständig ist die Arbeit, wenn sie in dem Sinne fremdbestimmt ist, daß die vom Arbeitnehmer hinsichtlich Ort, Zeit, Gegenstand und Art der Erbringung nach den Anordnungen des Arbeitgebers vorzunehmen ist (vgl Senatsurteile vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 66/95 - BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 und - 5 RJ 68/95 - ZfS 1998, 19).
Rechtsgrundlage für Arbeit in diesem Sinne ist das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Zustande kommt das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis durch Vereinbarung zwischen den Beteiligten. Typisch ist mithin, daß auf beiden Seiten jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vorliegen, die nach dem Modell der Erklärungen bei einem Vertragsschluß geäußert werden. Nach seinem unmittelbaren Zweck und dem daran ausgerichteten Inhalt ist das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis ein Austausch wirtschaftlicher Werte iS einer Gegenseitigkeitsbeziehung. Auszutauschende Werte sind die Arbeit einerseits sowie das dafür zu zahlende Arbeitsentgelt – der Lohn – andererseits (vgl Senatsurteile vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 66/95 - BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 und - 5 RJ 68/95 - ZfS 1998, 19).
Aus der Zusammenstellung der Begriffsmerkmale ergibt sich zum einen, daß die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer Beschäftigung veranlassen (etwa Bedarfsdeckung, Gewinn- bzw Einkommensmaximierung, Selbstverwirklichung), keine Rolle für die Frage spielen, ob eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt oder nicht. Zum anderen bleiben allgemeine sonstige Lebensumstände des Versicherten außer Betracht, die nicht die Arbeit und das Arbeitsentgelt als solche, sondern sein häusliches, familiäres, wohn- und aufenthaltsmäßiges Umfeld betreffen. Sie können lediglich für die Motivation zur Beschäftigungsaufnahme bedeutsam sein. Entsprechend hat die Rechtsprechung des BSG stets die Frage, in welchem Rahmen selbst „unfreie” Personen Leistungen aus der Sozialversicherung erhalten können, nicht vornehmlich nach ihrer allgemeinen Lebenssituation beantwortet (vgl Urteile vom 17. März 1993 - 8 RKnU 1/91 - SozR 3-5050 § 5 Nr 1 und vom 6. April 1960 - 2 RU 40/58 - SozR Nr 18 zu § 537). Vielmehr sind die Sphären „Lebensbereich” (mit Freiheitsentziehung oder -beschränkung) und „Beschäftigungsverhältnis” grundsätzlich zu trennen und die Umstände und Bedingungen des Beschäftigungsverhältnisses für sich zu bewerten. Demgemäß ist nicht entscheidend, ob Personen, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, zwangsweise ortsgebunden sind (BSG Urteil vom 17. März 1993 - 8 RKnU 1/91 - SozR 3-5050 § 5 Nr 1). Vielmehr ist die Frage, ob im Einzelfall ein freies oder unfreies Beschäftigungsverhältnis begründet worden ist, nicht nach den sonstigen Lebensumständen, unter denen der Beschäftigte leben mußte, zu beantworten, sondern daraufhin zu untersuchen, ob es „frei” im oben bezeichneten Sinne eines aus eigenem Antrieb begründeten Vertragsschlusses war (vgl Senatsurteile vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 66/95 - BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 und - 5 RJ 68/95 - ZfS 1998, 19). Hierbei wird das SG auch den in den Verwaltungs- und Entschädigungsakten enthaltenen Erklärungen der Klägerin und mehrerer Zeugen nachzugehen haben.
Entgegen der Annahme des SG im angefochtenen Urteil kann die vorstehend skizzierte Definition eines grundsätzlich versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht deshalb unterbleiben, weil die Wirtschaftsverfassung, die auf dem freien Austausch von Arbeitsleistung und Lohn basiert, unter der Herrschaft des Nationalsozialismus für einen bestimmten Personenkreis „praktisch nicht mehr existent” war. Zum einen belegen die vom Senat bereits entschiedenen Fälle betreffend das Ghetto L. (Urteile vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 66/95 - BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 und - 5 RJ 68/95 - ZfS 1998, 19), daß es durchaus einen „Ghetto-Arbeitsmarkt” gegeben haben kann, in dem die Nachfrage nach den jeweiligen Arbeitskräften aufgrund branchenspezifischer Anforderungen entstand und Arbeitskräfte je nach Arbeitsmarktlage im Ghetto in verschiedene Betriebe vermittelt worden sind. Auch die eigenen Angaben der Klägerin in der eidesstattlichen Erklärung vom 21. Mai 1998 zeigen auf, daß sie im Ghetto S. zunächst in einer Fabrik für künstliche Blumen gearbeitet hat, sich dann aber beim „Jüdischen Kommittee” gemeldet habe, in dem ihr Vater Bekannte gehabt habe, um in die Schneiderwerkstatt H. zu wechseln, wo es die Möglichkeit gegeben habe, „etwas zu verdienen”. Zum anderen verläßt das SG den Bereich richterlicher Rechtsfortbildung, wenn es allein die Ausübung einer Beschäftigung (iS von „Zwangsarbeit”) für die Begründung eines rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses genügen läßt. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, daß nur der Gesetzgeber die Befugnis hat, Beitragsfiktionen für Zwangsarbeitsverhältnisse während des Dritten Reichs zu schaffen. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, daß der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung dem Deutschen Bundestag im Juni 1998 die Ablehnung des Antrags empfohlen hat, osteuropäischen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern des NS-Regimes eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen. In der Begründung heißt es, es müsse nach einer Lösungsmöglichkeit außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung gesucht werden (BT-Drucks 13/11142 vom 23. Juni 1998 zum Antrag aus der BT-Drucks 13/9218). Damit existiert nicht nur im geltenden Recht keine Anspruchsgrundlage für die Annahme des SG, Rentenansprüche könnten auch aus einer dem Grunde nach nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung hergeleitet werden. Vielmehr ist auch der politische Wille dokumentiert, weiterhin zwischen versicherten Ansprüchen aus der Rentenversicherung und allgemein entschädigungsrechtlichen Ansprüchen zu unterscheiden. Unzutreffend ist die Annahme des SG, das Entschädigungsrecht erfasse – generell – sozialversicherungsrechtliche Schäden nicht. Der insoweit angesprochene § 5 Abs 1 BEG verweist vielmehr auf die besonderen Rechtsvorschriften zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG). Hiernach ist die Annahme einer fiktiven Beitragszeit möglich, § 17 Abs 1 Buchst b iVm Abs 4, § 15 FRG, § 14 Abs 2 WGSVG (vgl Senatsurteile vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 66/95 - BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 und - 5 RJ 68/95 - ZfS 1998, 19). Indes ist auch hierfür Voraussetzung, daß ein grundsätzlich rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt.
Zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen darüber, welche Verhältnisse im Ghetto S. zum einen – bezogen auf einen möglichen „Ghetto-Arbeitsmarkt” – allgemein vorgelegen haben und zum anderen, ob die Klägerin – die bestehende Möglichkeit der Begründung einer grundsätzlich versicherungspflichtigen Beschäftigung vorausgesetzt – aus eigenem Antrieb auch ein solches Beschäftigungsverhältnis tatsächlich vertraglich begründet hat, war das Urteil des SG somit aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das SG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen
NJW 1999, 3143 |
NJ 1999, 302 |
SGb 1999, 404 |
SGb 1999, 715 |
Breith. 1999, 1042 |
SozSi 1999, 343 |
SozSi 1999, 378 |