Leitsatz (amtlich)
1. Das Revisionsgericht ist grundsätzlich an die Zulassung der Berufung durch Beschluß des Landessozialgerichts im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gebunden und prüft Verfahrensfehler im Beschwerdeverfahren nicht von Amts wegen (Abgrenzung zu BSG vom 19.11.1996 – 1 RK 18/95 = SozR 3-1500 § 158 Nr 1 und BSG vom 23.7.1998 – B 1 KR 24/96 R = SozR 3-1500 § 158 Nr 3).
2. Neben der Komplexleistung für die Betreuung einer Schwangeren nach Nr 100 EBM-Ä sind im selben Quartal sonographische Untersuchungen des Urogenitaltraktes unabhängig davon nicht berechnungsfähig, ob sie vor Feststellung, nach Beendigung oder während des Bestehens der Schwangerschaft erbracht werden.
Stand: 15. Mai 2000
Beteiligte
Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. November 1998 aufgehoben. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 5. November 1997 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
Die Kläger haben der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens in vollem Umfang als Gesamtschuldner zu erstatten.
Gründe
I
Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) berichtigte die Honorarabrechnung der als Gynäkologen in Gemeinschaftspraxis zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Kläger im Quartal I/1996. Sie strich in 42 Fällen die Leistung Nr 378 Einheitlicher Bewertungsmaßstab für die ärztlichen Leistungen ≪EBM-Ä≫ (sonographische Untersuchungen des Urogenitaltraktes = 450 Punkte), soweit die Kläger in diesem Quartal bei denselben Patientinnen für die Betreuung einer Schwangeren die Nr 100 EBM-Ä (1850 Punkte) abgerechnet hatten. Die Beklagte begründete die Berichtigung damit, daß neben der Leistungsziffer für die Betreuung einer Schwangeren sonographische Untersuchungen des Urogenitaltraktes im selben Behandlungsfall nicht berechnungsfähig seien, wie sich aus der Anmerkung 2 zu Nr 100 EBM-Ä ergebe. Mit ihrem Widerspruch machten die Kläger geltend, die Streichung der Leistungen nach Nr 378 EBM-Ä sei in den Fällen nicht gerechtfertigt, in denen sie die entsprechende Leistung vor Feststellung der Schwangerschaft bzw nach dem Ende der Schwangerschaft erbracht hätten. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Nach dem Wortlaut der Nr 100 EBM-Ä und der Anmerkung 2 zu dieser Leistungsposition seien ua sonographische Untersuchungen neben der Abrechnung von Leistungen nach den Nrn 100 bis 108 EBM-Ä in demselben Behandlungsfall nicht berechnungsfähig. Mit „Behandlungsfall” sei in den Vertragsgebührenordnungen stets die Behandlung eines Patienten in einem Quartal bezeichnet. Deshalb könnten sonographische Untersuchungen neben dem Ansatz der Pauschalgebühr für die Betreuung einer Schwangeren nach Nr 100 EBM-Ä unabhängig davon nicht abgerechnet werden, zu welchem Zeitpunkt im Quartal die Schwangerschaft festgestellt bzw die sonographischen Leistungen durchgeführt worden seien (Urteil vom 5. November 1997). Das SG hat die Berufung nicht zugelassen. In der Rechtsmittelbelehrung des Urteils ist es davon ausgegangen, daß die Berufung zulässig sei. Die Kläger haben dieses Rechtsmittel eingelegt.
Nachdem die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) mitgeteilt hatte, der Wert der Beschwer für die Kläger erreiche unter Berücksichtigung der Abstaffelungsvorschrift der Nr 378 EBM-Ä die Grenze von 1.000,00 DM gemäß § 144 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht, haben die Kläger Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung durch das SG erhoben. Das LSG hat daraufhin durch Beschluß vom Tag der mündlichen Verhandlung (17. November 1998) die Berufung zugelassen (L 6 Sb NZB 78/98). Sodann hat es auf die Berufung der Kläger das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten geändert und diese verpflichtet, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats hinsichtlich der im Quartal I/1996 neben Nr 100 EBM-Ä erbrachten Leistungen nach Nr 378 EBM-Ä neu zu bescheiden.
Die Berufung sei teilweise begründet, weil die Kläger die sonographischen Leistungen nach Nr 378 EBM-Ä neben der Leistung nach Nr 100 EBM-Ä hätten abrechnen dürfen, soweit die Ultraschallaufnahmen nicht während der Zeit der Schwangerschaftsbetreuung erbracht worden seien. Der Abrechnungsausschluß in Anmerkung 2 zu Nr 100 EBM-Ä erfasse lediglich sonographische Untersuchungen bei gleichzeitiger Schwangerschaftsbetreuung durch den behandelnden Arzt. Die Wendung „in demselben Behandlungsfall” beziehe sich allein auf die Leistung nach Nr 191 EBM-Ä und nicht auf sämtliche sonographischen Untersuchungen des Urogenitaltraktes, die in dem Quartal anfallen, in dem der Arzt (auch) eine Schwangerschaftsbetreuung durchführe. Sonographische Untersuchungen bei einer Frau, bei der (noch) keine Schwangerschaft festgestellt worden bzw deren Schwangerschaft bereits beendet sei, seien auch dann abrechenbar, wenn der Arzt im selben Kalendervierteljahr eine Schwangerschaft betreut habe. Erst nach Feststellung einer Schwangerschaft durch den Arzt dürften Betreuungsleistungen nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die ärztliche Betreuung während einer Schwangerschaft iS der Nr 100 EBM-Ä abgerechnet werden, die allein den Ausschluß von sonographischen Leistungen rechtfertigen könnten. Es sei Sache der Beklagten, im Rahmen ihrer Verpflichtung zur Neubescheidung die Abrechnung der Kläger nach diesen Grundsätzen daraufhin zu überprüfen, wann der Abrechnungsausschluß eingreife und wann nicht (Urteil vom 17. November 1998).
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine fehlerhafte Anwendung der Gebührenordnungsnummern 378 und 100 EBM-Ä sowie der Anmerkung 2 zu Nr 100 EBM-Ä. Deren Wortlaut sowie insbesondere der Begriff des Behandlungsfalles seien eindeutig. Mit „Behandlungsfall” würden stets die ärztlichen Leistungen gegenüber einem Patienten in einem Quartal beschrieben. Der Abrechnungsausschluß in Anmerkung 2 zu Nr 100 EBM-Ä erfasse sowohl die sonographischen Untersuchungen des Urogenitaltraktes wie die Leistung nach Nr 191 EBM-Ä. Aus der Verwendung des Wortes „neben” könne nicht geschlossen werden, der Abrechnungsausschluß setze eine zeitliche Übereinstimmung zwischen der Schwangerschaftsbetreuung und der sonographischen Untersuchung des Urogenitaltraktes voraus. Die Gebührenordnung verwende das Wort „neben” stets zur Kennzeichnung von Abrechnungsausschlüssen im selben Behandlungsfall und nicht im Sinne einer zeitlichen Übereinstimmung bzw Identität. Angesichts dieses eindeutigen Ergebnisses der Wortlautanalyse der einschlägigen Bestimmung des EBM-Ä könne die Auffassung des LSG allenfalls dann richtig sein, wenn der Bewertungsausschuß seine Bewertungskompetenz mißbräuchlich ausgeübt hätte. Dafür bestünden indessen keine Anhaltspunkte.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. November 1998 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 5. November 1997 zurückzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie sind der Auffassung, Abrechnungsausschlüsse seien nur anwendbar, wenn sie sich eindeutig aus dem Wortlaut der Gebührenordnung ableiten ließen. Diese notwendige Eindeutigkeit sei dem Text der Anmerkung 2 zu Nr 100 EBM-Ä nicht zu entnehmen. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Abrechnungsausschluß für „neben” den Leistungen nach Nrn 100 bis 108 EBM-Ä erbrachte sonographische Untersuchungen sei lediglich in zeitlicher Hinsicht zu verstehen, sei naheliegend. Sie entspreche den Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä, Kap A I Nr 1, wonach eine Leistung dann nicht neben oder anstelle einer anderen Leistung berechnungsfähig sei, wenn sie Teil des Leistungsinhalts einer anderen berechnungsfähigen Leistung oder eines Leistungskomplexes ist. Das setze notwendig eine zeitliche Überschneidung der Leistungserbringung voraus. Im übrigen sei die Auslegung des LSG auch sachgerecht, weil die kurative Behandlung von Organen des Urogenitaltraktes vor Feststellung einer Schwangerschaft aus medizinischen Gründen nichts mit der Betreuung der Schwangeren zu tun habe.
Soweit sich die Beklagte für ihren gegenteiligen Standpunkt auf das Urteil des LSG für das Land Brandenburg vom 21. Oktober 1998 (L 5 KA 6/97) berufe, sei zu beachten, daß sich dieses Gericht auf eine Stellungnahme der im dortigen Verfahren beteiligten Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) gestützt habe. Die Richtigkeit des Inhalts dieser Stellungnahme der KÄBV werde bestritten. Insbesondere sei nicht nachvollziehbar, daß KÄBV bzw Bewertungsausschuß berechnet hätten, wie hoch der Anteil an Ultraschalluntersuchungen sei, die unmittelbar vor Feststellung oder unmittelbar nach Beendigung einer Schwangerschaft erbracht wurden und von der Leistung nach Nr 100 EBM-Ä bewertungsmäßig mit abgedeckt sein sollten. Wirklicher Grund für den Abrechnungsausschluß in Anmerkung 2 zu Nr 100 EBM-Ä sei das Bestreben einer Mengenbegrenzung. Honorarpolitische Überlegungen und Ziele, die sich nicht an medizinischen Geschehensabläufen orientierten, seien jedoch willkürlich und damit rechtswidrig.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das LSG hat das klageabweisende Urteil des SG zu Unrecht geändert.
Zu Recht hat das LSG allerdings über die Berufung der Kläger gegen das sozialgerichtliche Urteil sachlich entschieden. Die Berufung war – was der Senat von Amts wegen zu prüfen hat (vgl zuletzt BSG SozR 3-1500 § 158 Nr 3 S 13 mwN) – zulässig, weil das Berufungsgericht sie aufgrund einer Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Berufung seitens des SG (§ 145 Abs 1 SGG) durch Beschluß (§ 145 Abs 4 Satz 1 SGG) zugelassen hat. An die Zulassung der Berufung durch Beschluß des LSG ist das Revisionsgericht grundsätzlich gebunden. In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob der Beschluß des LSG zu denjenigen Entscheidungen des Vordergerichts gehört, die iS des § 202 SGG iVm § 548 ZPO dem Endurteil vorausgegangen und kraft gesetzlicher Regelung unanfechtbar sind und deshalb nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegen (vgl dazu allgemein BSGE 13, 61, 62 = SozR SGG Nr 28 zu § 67 SGG). Jedenfalls folgt die Bindung des Revisionsgerichts an die Zulassung der Berufung durch Beschluß des LSG aus den Regelungen über die Wirkung von Rechtsmittelzulassungen für die Rechtsmittelinstanzen, auch wenn dem SG in dem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht die in § 145 Abs 4 Satz 1 SGG vorgeschriebene Möglichkeit der Abhilfeentscheidung eröffnet worden ist.
Nach § 160 Abs 3 SGG ist das BSG an die Zulassung der Revision durch das LSG und nach § 161 Abs 2 Satz 2 SGG an die Zulassung der Sprungrevision durch das SG gebunden. Die Bindungswirkung setzt lediglich eine an sich rechtsmittelfähige Entscheidung voraus. Sie besteht damit selbst in Fällen gesetzwidriger Zulassung, wenn also zB Zulassungsgründe nicht gegeben sind oder die Zulassungsentscheidung verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist. Dem entspricht die Rechtsprechung des BSG zur Bindung an die Zulassung der Sprungrevision durch das SG ohne die gebotene Mitwirkung ehrenamtlicher Richter (BSGE 51, 23, 27 f = SozR 1500 § 161 Nr 27 S 55 ff – Großer Senat) oder für den Fall, daß die Zustimmung des Rechtsmittelgegners vor der Beschlußfassung durch das SG nicht in der gebotenen Form vorlag (BSGE aaO = SozR aaO; allgemein zur Bindung des Revisionsgerichts an die Zulassungsentscheidung der Vorinstanz: Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 160 RdNr 26; Pietzner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 132 RdNr 128 ff). Die Annahme der Bindungswirkung auch bei gesetzwidrigen Zulassungsentscheidungen ergibt sich aus Gründen der Rechtssicherheit sowie des gebotenen Vertrauensschutzes des Rechtsmittelklägers (so die Begründung zum RegEntw eines 4. VwGO-Änderungsgesetzes, BT-Drucks 11/7030, zu § 131 Abs 4 und § 132 Abs 3 VwGO). Mit der Zulassungsentscheidung soll Gewißheit darüber bestehen, daß das zugelassene Rechtsmittel statthaft ist.
Der Regelung über die Bindung des BSG an die Revisionszulassung durch LSG bzw SG ist § 144 Abs 3 SGG nachgebildet, wonach die Zulassung der Berufung durch das SG – im Urteil oder im Wege einer Abhilfeentscheidung (§ 145 Abs 4 Satz 1 SGG) – die Berufungsinstanz bindet. Diese Bindungswirkung tritt auch in Fällen gesetzwidriger Zulassung ein (ebenso Meyer-Ladewig, aaO, § 144 RdNr 43a; Bernsdorff in: Hennig, SGG, § 144 RdNr 74). Die Bindungswirkung der Zulassungsentscheidung des SG erstreckt sich im weiteren Rechtsmittelzug bei der Überprüfung des Berufungsurteils auch auf das Revisionsgericht. Andernfalls würde der mit der Bindung des LSG an die Zulassungsentscheidung des SG gemäß § 144 Abs 3 SGG erstrebte Zweck, Klarheit über die Statthaftigkeit des Rechtsmittels zu erreichen, unterlaufen. Aus den dargestellten Gründen der Rechtsmittelklarheit und des gebotenen Vertrauensschutzes des Rechtsmittelklägers kann auch nichts anderes für den Fall gelten, daß nicht das SG, sondern das LSG durch Beschluß gemäß § 145 Abs 4 Satz 1 SGG die Berufung zugelassen hat. Selbst bei gesetzwidriger – zB verfahrensfehlerhafter – Zulassung der Berufung durch das LSG ist Voraussetzung für die Bindungswirkung insoweit ebenfalls nur, daß eine an sich berufungsfähige Entscheidung des SG vorliegt und die Berufung im Rahmen eines Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluß des LSG – also nicht erst in den Gründen des Berufungsurteils – zugelassen worden ist.
Mit dieser Entscheidung weicht der Senat nicht von der Rechtsprechung des 1. und des 14. Senats des BSG ab. Beide Senate haben entschieden, daß eine lediglich vorsorglich in den Gründen des Berufungsurteils ausgesprochene Zulassung der Berufung diese nicht statthaft macht, weil dem Berufungsgericht für die Zulassung des Rechtsmittels im laufenden Berufungsverfahren die Entscheidungsmacht fehlt (Urteil des 1. Senats vom 23. Juli 1998 – SozR 3-1500 § 158 Nr 3 unter Bezugnahme auf das Urteil des 1. Senats vom 19. November 1996 – SozR 3-1500 § 158 Nr 1; Urteil des 14. Senats vom 22. Januar 1998 – B 14/10 KG 17/96 R –). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, weil das LSG in einem Beschwerdeverfahren über die Zulassung der Berufung durch Beschluß entschieden und anschließend das Beschwerdeverfahren als Berufungsverfahren fortgeführt hat.
In der Sache hat das LSG die Beklagte jedoch zu Unrecht zur teilweisen Neubescheidung verpflichtet. Die Beklagte hat zu Recht in 42 Fällen die Honorierung der Leistung nach Nr 378 EBM-Ä neben der im selben Behandlungsfall abgerechneten Betreuungsleistung nach Nr 100 EBM-Ä abgelehnt. Ein Arzt, der in einem Quartal gegenüber einer Patientin Schwangerschaftsbetreuungsleistungen erbracht und nach Nr 100 EBM-Ä abgerechnet hat, kann in diesem Quartal die gegenüber derselben Patientin erbrachten sonographischen Untersuchungen des Urogenitaltraktes nach Nr 378 EBM-Ä nicht gesondert abrechnen, auch wenn die sonographische Untersuchung vor Feststellung der Schwangerschaft durch den behandelnden Arzt bzw nach ihrer Beendigung durchgeführt worden ist. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmung des EBM-Ä. Die Regelung beruht nicht auf einer rechtsmißbräuchlichen Ausübung der Gestaltungskompetenz des Bewertungsausschusses.
Vergütungstatbestände sind, wie der Senat wiederholt ausgeführt hat (zuletzt Senatsurteile vom 13. Mai 1998, SozR 3-5555 § 10 Nr 1 S 4 und vom 25. August 1999 – B 6 KA 32/98 R –, zur Veröffentlichung in SozR 3-5553 Nr 2 449 Nr 1 vorgesehen –, sowie B 6 KA 57/98 R) entsprechend ihrem Wortlaut auszulegen und anzuwenden. Der Wortsinn ist maßgebend und kann nur in engen Grenzen durch eine systematische und/oder entstehungsgeschichtliche Interpretation ergänzt werden. Auslegungen und Analogien sind unzulässig (vgl die oben genannten BSG-Urteile). Diese Grundsätze und die damit einhergehende Einschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit beruhen auf der vertraglichen Struktur der Vergütungsregelung und der Art ihres Zustandekommens. Bei diesen handelt es sich um untergesetzliche Rechtsnormen in Form von Normsetzungsverträgen (hierzu zuletzt BSGE 83, 218, 219 = SozR 3-2500 § 87 Nr 21; BSGE 83, 205, 208 = SozR 3-2500 § 85 Nr 29). Die Bestimmungen des einheitlichen Bewertungsmaßstabes für die ärztlichen Leistungen (EBM-Ä), die die Vorgaben für die Gebührenordnungen des BMÄ und der E-GO enthalten, werden durch den paritätisch mit Vertretern der Ärzte und Krankenkassen besetzten Bewertungsausschuß beschlossen und durch weitere Regelungen ergänzt, die zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vereinbart werden. Der vertragliche Charakter der Vergütungstatbestände soll gewährleisten, daß die unterschiedlichen Interessen der in der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Gruppen zum Ausgleich kommen und eine sachgerechte inhaltliche Beschreibung und Bewertung der ärztlichen Leistungen erreicht wird. Grundsätzlich entscheiden die Vertragspartner bzw der Bewertungsausschuß, welche Leistungen mit welchen Punktbeträgen bewertet werden. Es liegt auch vorrangig in ihrer bzw seiner Zuständigkeit, unklare Regelungen der Gebührenordnung zu präzisieren und änderungsbedürftige zu korrigieren. Diesem System autonomer Festlegung der Leistungsbewertung entspricht die Anerkennung eines weiten Regelungsspielraums, der von den Gerichten zu respektieren ist. Diese können nur eingreifen, wenn die Vertragspartner bzw der Bewertungsausschuß den ihnen zustehenden Entscheidungsspielraum überschreiten, insbesondere ihn mißbräuchlich ausnutzen oder nur einer Arztgruppe die Vergütung für eine Leistung gewähren, die auch von anderen Arztgruppen erbracht wird bzw erbracht werden kann (BSGE 83, 218, 219 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 21; BSGE 83, 205, 208= SozR 3-2500 § 85 Nr 29).
Nach diesen Maßstäben sind die gegenüber den Klägern vorgenommenen sachlich-rechnerischen Richtigstellungen nicht zu beanstanden.
Die Leistung nach Nr 100 EBM-Ä bewertet die Betreuung einer Schwangeren gemäß den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft, einschließlich Ultraschallüberwachungen mit Bilddokumentation, einschließlich Dokumentation, einmal im Behandlungsfall mit 1.850 Punkten. In der zweiten Anmerkung zu dieser Leistungsposition ist bestimmt: „Neben den Leistungen nach den Nrn 100 bis 108 sind Leistungen aus Abschnitt C VII für sonographische Untersuchungen des Urogenitaltraktes und die Leistung nach Nr 191 in demselben Behandlungsfall nicht berechnungsfähig.” Die von den Klägern 42mal im Quartal 1/1996 abgerechnete sonographische Untersuchung des Urogenitaltraktes (Nr 378 EBM-Ä in der ab 1. Januar 1996 geltenden Fassung; Nr 381 EBM-Ä in der ab 1. Juli 1999 geltenden Fassung) gehört zu den Untersuchungen nach Abschnitt C VII EBM-Ä. Sie ist deshalb neben der Leistung nach Nr 100 EBM-Ä nicht berechnungsfähig.
Soweit die Kläger im streitbefangenen Quartal gegenüber derselben Patientin die Leistung nach Nr 100 EBM-Ä und diejenige nach Nr 378 EBM-Ä erbracht und abgerechnet haben, ist derselbe „Behandlungsfall” iS der Anmerkung 2 zu Nr 100 EBM-Ä betroffen. Der für die Anwendung des EBM-Ä maßgebliche Begriff des Behandlungsfalls wird in § 21 Bundesmantelvertag-Ärzte (BMV-Ä) in der ab 1. Januar 1995 geltenden Fassung und in § 25 Arzt-/Ersatzkassenvertrag (EKV-Ä) übereinstimmend dahin beschrieben, daß die gesamte von demselben Vertragsarzt innerhalb desselben Kalendervierteljahres an demselben Kranken ambulant zu Lasten derselben Krankenkasse vorgenommene Behandlung jeweils als „Behandlungsfall” gilt. Von der Quartalsbezogenheit des Begriffs „Behandlungsfall” ist auch der Senat stets ausgegangen (vgl zuletzt Senatsurteil vom 25. August 1999 – B 6 KA 57/98 R –). Für das Eingreifen einer Ausschlußregelung zwischen zwei Positionen der Gebührenordnung, die an die Leistungserbringung im selben Behandlungsfall anknüpft, kommt es deshalb nicht darauf an, in welchem zeitlichen Verhältnis die betroffenen Leistungen zueinander stehen und ob insbesondere die niedriger bewertete Leistung vor der höherwertigen erbracht worden ist.
Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht aus der Wendung in Anmerkung 2 zu Nr 100 EBM-Ä, wonach „neben” Leistungen nach Nr 100 bis 108 Leistungen aus dem Abschnitt C VII für sonographische Leistungen des Urogenitaltraktes nicht berechnungsfähig sind. Aus dem Wort „neben” kann nicht abgeleitet werden, daß der Abrechnungsausschluß nur dann eingreift, wenn die erste nach Nr 100 EBM-Ä abrechnungsfähige Leistung vor der Durchführung der sonographischen Leistung nach Nr 378 EBM-Ä erbracht worden ist. Das Wort „neben” wird im EBM-Ä regelmäßig iS eines auf den Behandlungsfall bezogenen Ausschlusses der Berechnungsfähigkeit von verschiedenen Positionen der Gebührenordnung gebraucht und hat keinen Bezug zu der zeitlichen Reihenfolge der von einem Abrechnungsausschluß betroffenen Leistungen. Das ergibt sich exemplarisch aus den Bestimmungen in Abschnitt B II EBM-Ä in der ab 1. Januar 1996 geltenden Fassung, in der die Abrechenbarkeit bestimmter Leistungen festgelegt ist. Danach sind „neben” den einmal im Behandlungsfall abrechnungsfähigen Leistungen nach den Nrn 12, 14, 15 und 20 EBM-Ä die Leistungen nach den Nrn 10, 11 und 17 EBM-Ä in demselben Behandlungsfall (Quartal) nicht berechnungsfähig. Ebenso sind die Leistungen nach den Nrn 12, 14, 15, 16 und 20 EBM-Ä in demselben Behandlungsfall nicht „nebeneinander” berechnungsfähig. Weiter sind etwa „neben” den Leistungen der Abschnitte G II, G III und G IV die Leistungen nach den Nrn 10, 11 und 17 EBM-Ä nicht berechnungsfähig. In diesen hier nur beispielhaft dargestellten Regelungen ist jeweils ein Bezug zur zeitlichen Reihenfolge der Erbringung der einander ausschließenden Leistungen nicht erkennbar. Er würde dem Sinn derartiger Abrechnungsausschlüsse auch nicht gerecht. Anhaltspunkte dafür, daß in der Anmerkung 2 zu Nr 100 EBM-Ä das häufig im EBM-Ä im Zusammenhang mit Abrechnungsausschlüssen verwandte Wort „neben” in einem anderen Sinne zu verstehen sein könnte, bestehen nicht.
Der generelle Ausschluß der Berechnungsfähigkeit sonographischer Leistungen nach Abschnitt C VII EBM-Ä neben der Betreuungsleistung nach Nr 100 EBM-Ä beruht nicht auf einer mißbräuchlichen Ausübung der Regelungskompetenz des Bewertungsausschusses. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war dieser nicht verpflichtet, den Abrechnungsausschluß auf Tatbestände zu beschränken, in denen die Feststellung der Schwangerschaft seitens des behandelnden Vertragsarztes der sonographischen Untersuchung des Urogenitaltraktes vorausgegangen ist. Daran ändert nichts, daß es Behandlungsverläufe geben kann, in denen die Ultraschall-Untersuchung nach Nr 378 EBM-Ä tatsächlich ohne Bezug zu einer bestehenden oder vom behandelnden Vertragsarzt festgestellten Schwangerschaft erbracht worden ist. Denn die pauschal alle Betreuungsleistungen im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen pro Quartal abdeckende Nr 100 EBM-Ä ist – in vollem Umfang – berechnungsfähig, unabhängig davon, an welchem Tag des Behandlungsvierteljahres der Arzt die Schwangerschaft feststellt und in welchem Umfang er Betreuungsleistungen noch erbringt. Selbst wenn dies in den letzten Tagen des Quartals geschieht, und zu diesem Zeitpunkt noch keine sonographische Untersuchung vorgenommen worden ist, darf der Vertragsarzt die Position Nr 100 EBM-Ä abrechnen. Dasselbe gilt, wenn er eine Patientin – ohne noch sonographische Leistung durchzuführen – in den letzten Tagen vor der Geburt betreut und diese Tage in den Beginn eines neuen Quartals fallen. Die in dieser Form typisierende Fassung der Leistungslegende der Komplexleistung nach Nr 100 EBM-Ä zielt darauf ab, den mit der Schwangerschaftsbetreuung üblicherweise je Quartal verbundenen ärztlichen Aufwand generell und ohne die Notwendigkeit der Abrechnung einzelner, in diesem Zusammenhang anfallender Leistungen abzugelten. Diese pauschale Abgeltungswirkung kann nur erreicht werden, wenn alle im jeweiligen Quartal erbrachten, von der Ausschlußregelung in Anm 2 zu Nr 100 EBM-Ä erfaßten Leistungen unabhängig davon nicht gesondert berechnungsfähig sind, wann und zu welchen Zwecken sie erbracht worden sind. Andernfalls bestünden Anreize, auch bei Anhaltspunkten für das Bestehen einer Schwangerschaft zunächst eine sonographische Untersuchung nach Nr 378 EBM-Ä durchzuführen, diese gesondert abzurechnen und – möglicherweise wenige Tage später – eine Schwangerschaft aktenkundig festzustellen, um sodann im selben Quartal noch die Nr 100 EBM-Ä abrechnen zu können.
Ob eine andere Beurteilung gerechtfertigt wäre, wenn in der Anm 2 zu Nr 100 EBM-Ä Leistungen verzeichnet wären, die keinerlei Bezug zu den Leistungen haben, die ein Arzt im Rahmen der Schwangerschaftsbetreuung üblicherweise erbringt, kann auf sich beruhen. Diese Voraussetzung ist jedenfalls bei sonographischen Untersuchungen des Urogenitaltraktes nicht erfüllt. Diese können wegen der Veränderungen auch der Organe des Urogenitaltraktes einer schwangeren Frau im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft anfallen, so daß sich vielfach nicht klar abgrenzen läßt, ob und ggf wann eine sonographische Untersuchung des Urogenitaltraktes – etwa wegen eines Harnwegsinfektes – in Verbindung auch mit den Auswirkungen der Schwangerschaft notwendig wird. Um den damit verbundenen Unsicherheiten sowie den Schwierigkeiten der Überprüfung der korrekten zeitlichen Zuordnung von kurativen sonographischen Leistungen und Schwangerschaftsbetreuungsleistungen Rechnung zu tragen, ist der Abrechnungsausschluß in Anmerkung 2 zu Nr 100 EBM-Ä generalisierend gefaßt und auf den Behandlungsfall bezogen worden. Daß damit dann, wenn eine sonographische Untersuchung des Urogenitaltraktes zu kurativen Zwecken am Ende eines Quartals mehrere Wochen nach Beendigung der Schwangerschaft der betroffenen Patientin erfolgt, auch Fälle erfaßt werden, in denen möglicherweise kein Zusammenhang mehr zu den von Nr 100 EBM-Ä abgegoltenen Leistungen besteht, ist hinzunehmen. Andernfalls wäre der mit der pauschalen Abgeltung der Betreuungsleistungen gegenüber einer Schwangeren nach Nr 100 EBM-Ä angestrebte Vereinfachungseffekt nicht erreichbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 543180 |
SozSi 2001, 327 |