Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 3. Dezember 1963 aufgehoben, soweit es der Feststellungsklage der Klägerin stattgegeben hat. Die Feststellungsklage wird abgewiesen. Im übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Auslegung des § 195 a Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO), der die Dauer des Wochengeldbezuges vor der Entbindung (vier Wochen) auf zwei weitere Wochen erstreckt, wenn u. a. „vom Arzt festgestellt wird, daß die Entbindung voraussichtlich innerhalb sechs Wochen stattfinden wird” (sog. erweitertes Wochengeld).
Die klagende Ersatzkasse hält sich auf Grund dieser Vorschrift nur für leistungspflichtig, wenn die Niederkunftsbescheinigung des Arztes nicht früher als sechs Wochen vor dem Tage der voraussichtlichen Entbindung ausgestellt worden ist. Auch bei Vorlage einer früher ausgestellten Bescheinigung habe sie zwar für die letzten sechs Wochen vor dem mutmaßlichen Entbindungstag Wochengeld zu zahlen, jedoch nicht auf Grund des § 195 a Abs. 2 RVO, sondern nach § 13 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) vom 24. Januar 1952. Da sie in diesem Falle keine eigene Pflicht erfüllen sondern im Auftrage des Bundes tätig werde, habe ihr dieser nach § 14 MuSchG die Kosten des Wochengeldes zu erstatten, soweit sie die Kosten der nach der RVO zu gewährenden Leistungen überschritten; er habe ihr mithin das für die fünfte und sechste Woche vor der Entbindung gezahlte Wochengeld voll zu erstatten.
Nachdem die Klägerin zunächst in dieser Weise mit dem Bund abgerechnet hatte, wobei seit Anfang 1959 das Bundesversicherungsamt (BVA) die Erstattungen vorgenommen hatte, richtete dieses – als Aufsichtsbehörde für die bundesunmittelbaren Versicherungsträger – am 18. Mai 1961 folgendes Schreiben an die Klägerin:
Betr.: |
Ärztliche Bescheinigung über den voraussichtlichen Zeitpunkt der Niederkunft (§ 195 a Abs. 2 RVO) |
Vorg.: |
Schreiben des Bundesversicherungsamts vom 10. Februar 1961; Mitteilung der Kasse vom 24. Februar 1961 |
Die Vorschrift des § 195 a Abs. 2 RVO kann entgegen der von der Kasse vertretenen Auffassung nicht eng ausgelegt werden, so daß auch eine Feststellung des Arztes oder der Hebamme, die früher als 6 Wochen vor dem mutmaßlichen Zeitpunkt der Niederkunft getroffen wird, den Leistungsanspruch (erweitertes Wochengeld) auslöst. Es genügt danach, daß der Kasse eine vor der Niederkunft ausgestellte Bescheinigung vorliegt, die den mutmaßlichen Zeitpunkt der Entbindung genau bestimmt (RVA, GE Nr. 5314 in AN 1939 S. 384 (385); ferner Peters in seiner Schrift „Wochenhilfe und Familienwochenhilfe”; 1954, S. 34, und Brackmann im Handbuch der Sozialversicherung, Stand August 1960, S. 416 a). Auf den Erlaß des Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung vom 12. Februar 1959 (Eisel, Das Mutterschutzgesetz und seine Anwendung, Anh. A 95; Betriebskrankenkasse 1959 Sp. 201) sowie die an den Bundesverband der Betriebskrankenkassen gerichteten bestätigenden Erlasse des Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung vom 22. November 1960 – I a 4 – 1571.1 – 1234/60 II – und vom 15. Februar 1961 – IV a 4 – 4356.5 – 1285/61 – wird Bezug genommen.
Gemäß § 30 RVO ordnet das Bundesversicherungsamt daher an: Bei der Abrechnung der Bundesmittel in Wochenhilfefällen ist nach der oben wiedergegebenen Rechtsauffassung zu verfahren. Soweit die Kasse bei der Anwendung des § 195 a Abs. 2 RVO anders verfahren hat, sind die bereits eingereichten Abrechnungen bis einschließlich II. Quartal 1959 zurück zu überprüfen. Über die für den Bund sich ergebenden Minderbelastungen ist ein besonderer Kostennachweis aufzustellen und in zweifacher Ausfertigung dem Bundesversicherungsamt innerhalb einer Frist von 3 Monaten einzureichen.
Gegen diese Anordnung kann innerhalb eines Monats vom Tage der Zustellung an Klage beim Sozialgericht
Hamburg, Kaiser-Wilhelm-Str. 100
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden. Die Klage soll die Beteiligten und den Streitgegenstand bezeichnen und einen bestimmten Antrag enthalten sowie die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. Die Klageschrift soll in zweifacher Ausfertigung eingereicht werden.
Das Bundesversicherungsamt weist darauf hin, daß in seiner Aufsichtsanordnung vom 1. Februar 1961 – II 4a – 59012.7 – 325/60 – die Berichtigung der Abrechnungen vor dem II. Quartal 1960 im Sinne der Aufsichtsanordnung vorbehalten war. Es bittet, bei Durchsicht der Abrechnungen nach der nunmehrigen Aufsichtsanordnung die Fälle, die unter die Rechtsfragen der Aufsichtsanordnung vom 1. Februar 1961 fallen, zumindest besonders zu kennzeichnen, soweit sie die Kasse nicht von sich aus im Sinne der Rechtsauffassung des Bundesversicherungsamts berichtigen will. Das Bundesversicherungsamt bittet weiter, bei Vorlage der nun aufgestellten Abrechnungen anzugeben, wie die von der Aufsichtsanordnung vom 1. Februar 1961 betroffenen Fälle behandelt worden sind.
Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die hiergegen erhobene Anfechtungsklage – nach Beiladung des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen e.V. – mit Urteil vom 9. Mai 1962 als unbegründet abgewiesen.
Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat hingegen auf die Berufung der Klägerin die angefochtene Anordnung aufgehoben. Zugleich hat es auf den -erst im Berufungsverfahren gestellten- Antrag der Klägerin festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin nach § 14 MuSchG die von ihr erbrachten Leistungen an erweiterter Wochenhilfe zu erstatten, wenn eine Bescheinigung eines Arztes oder einer Hebamme über den voraussichtlichen Zeitpunkt der Entbindung vorgelegt wird, die länger als sechs Wochen vor diesem Zeitpunkt ausgestellt ist.
Das LSG hat in der angefochtenen Anordnung keinen „Akt der Rechtsaufsicht” nach § 30 RVO, sondern eine „fachliche Weisung” gesehen, die das BVA im Rahmen des zwischen der Klägerin und dem Bund bestehenden Auftragsverhältnisses (§§ 13 f MuSchG) erteilt habe. Diese Weisung sei rechtswidrig gewesen, weil das BVA sich in ihr nicht auf eine Regelung des Erstattungsverfahrens beschränkt habe, sondern den materiellen Umfang der Erstattungspflicht des Bundes gegenüber der Klägerin abgegrenzt und damit seine Weisungsbefugnis überschritten habe. – Auch die Feststellungsklage sei zulässig und begründet: Wenn § 195 a Abs. 2 Satz 1 RVO für das erweiterte Wochengeld die ärztliche Feststellung fordere, „daß die Entbindung voraussichtlich innerhalb sechs Wochen stattfinden wird”, so könne eine solche Feststellung „begrifflich nicht länger als sechs Wochen vor dem angenommenen Zeitpunkt erfolgen”. Die wortgetreue Auslegung der genannten Vorschrift widerspreche auch nicht ihrem Grundgedanken. Eine ärztliche Feststellung über den voraussichtlichen Zeitpunkt der Entbindung sei naturgemäß um so genauer, je näher sie diesem Zeitpunkt liege. An einer möglichst genauen und richtigen Feststellung des Entbindungstages seien aber sowohl die Krankenkasse als auch die Versicherte interessiert: die Krankenkasse, damit die Zahlung des Wochengeldes vor der Entbindung nicht durch ein Zeugnis, das einen zu späten Entbindungstag angebe, über die gesetzlich vorgesehene Sechswochenfrist hinaus verlängert werde, die Versicherter, damit die Bezugsdauer des Wochengeldes sich nicht durch Angabe eines zu frühen Entbindungstermins verkürze. Ließe man auch eine vor Beginn der Sechswochenfrist getroffene ärztliche Feststellung genügen, so hätte die Krankenkasse keine rechtliche Handhabe, ein zu früh ausgestelltes und deshalb entsprechend ungenaues Zeugnis zurückzuweisen. Andererseits könne aber die Versicherte auch nach der vom LSG vertretenen Auffassung, daß das Zeugnis innerhalb der Sechswochenfrist ausgestellt sein müsse, diese Schutzfrist durch Einstellung der Arbeit mit deren Beginn voll ausschöpfen. Allerdings werde sie dazu in den letzten beiden Monaten der Schwangerschaft den Arzt häufiger aufsuchen müssen. Das liege aber auch in ihrem eigenen Interesse und sei ihr durchaus zuzumuten. Da die Krankenkasse somit in allen Fällen, in denen das ärztliche Zeugnis früher als sechs Wochen vor dem voraussichtlichen Entbindungstag ausgestellt sei, kein Wochengeld nach § 195 a Abs. 2 RVO zu zahlen brauche, habe ihr der Bund insoweit die nach § 14 MuSchG geleisteten Zahlungen zu erstatten (Urteil vom 3. Dezember 1963).
Die beklagte Bundesrepublik rügt mit der zugelassenen Revision zunächst, das Berufungsgericht habe den Inhalt der angefochtenen Anordnung vom 18. Mai 1961 verkannt. Soweit das BVA darin – über die Ablehnung der Ersatzansprüche der Klägerin hinaus – dieser ein bestimmtes Verhalten auferlegt habe, habe es nur die auf Grund der gegebenen Sachlage erforderliche und zweckmäßige „Art und Weise der Abrechnung” geregelt; damit habe es sich aber im Rahmen seines fachlichen Weisungsrechts gehalten. – Das LSG habe ferner versäumt zu prüfen, ob die Anordnung des BVA nicht hilfsweise nach § 30 RVO gerechtfertigt gewesen sei. Nach den heutigen staatsrechtlichen Verhältnissen hätten Verwaltung und Gerichte ihre Aufgaben unabhängig voneinander zu erfüllen. Das bedinge – entgegen der Auffassung des ehemaligen Reichsversicherungsamts (RVA), wonach sich die Ausübung des Aufsichtsrechts auf Angelegenheiten beschränke, die nicht in einem instanziellen Verfahren nachprüfbar seien – ein „Nebeneinander von Aufsicht und Rechtsprechung”. Die Aufsichtsbehörde dürfe deshalb bei Feststellung von Gesetzesverstößen auch dann regelnd eingreifen, wenn, wie hier, die Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift unter den Beteiligten streitig sei. – Das LSG habe schließlich den § 195 a Abs. 2 RVO falsch ausgelegt. Schon der Gesetzeswortlaut zwinge nicht zu der Annahme, daß das ärztliche Zeugnis innerhalb der Sechswochenfrist ausgestellt sein müsse. Gegen eine solche Auffassung spreche auch der Zusammenhang zwischen den Wochengeldvorschriften der RVO und denen des MuSchG, das nach § 5 Abs. 2 auch früher ausgestellte Zeugnisse genügen lasse. Die vom LSG vertretene enge Auslegung des § 195 a Abs. 2 RVO sei endlich mit dem Gesetzeszweck nicht zu vereinbaren, sie laufe praktisch auf eine Verkürzung der sechswöchigen Schutzfrist hinaus und bürde der Schwangeren vermeidbare Schwierigkeiten auf. Nach ärztlicher Erfahrung sei eine bis etwa acht Wochen vor der Niederkunft ausgestellte Bescheinigung nicht weniger zuverlässig als eine spätere.
Sie Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Hamburg vom 3. Dezember 1963 aufzuheben, die Feststellungsklage der Klägerin abzuweisen und ihre Berufung gegen das Urteil des SG Hamburg vom 9. Mai 1962 zurückzuweisen.
Die Klägerin und der Beigeladene halten das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragen,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
II
Die vom LSG zugelassene Revision der beklagten Bundesrepublik ist statthaft und zum Teil auch begründet.
Die Beklagte wird, wie das LSG zutreffend angenommen hat, im vorliegenden Rechtsstreit durch den Präsidenten des BVA vertreten. Das gilt nicht nur für die gegen die Anordnung des BVA vom 18. Mai 1961 erhobene Anfechtungsklage, sondern auch für die Klage der Ersatzkasse auf Feststellung der Erstattungspflicht des Bundes in den zwischen den Beteiligten strittigen Fällen. Nach der Verordnung (VO) zur Durchführung des § 14 MuSchG vom 22. November 1955 (BGBl I, 728) haben die Ersatzkassen die abgeschlossenen Fälle, in denen Leistungen nach § 13 MuSchG gewährt worden sind, in einem Kostennachweis zusammenzustellen und am Ende jedes Kalendervierteljahres dem Bundesarbeitsminister „oder der von ihm bestimmten Stelle” einzureichen; diese überweist dann die zu erstattenden Beträge (§§ 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 der VO). Der Bundesarbeitsminister hat durch Erlaß vom 21. November 1958 das BVA mit der Durchführung des Erstattungsverfahrens nach § 14 MuSchG beauftragt und ihm insoweit zugleich die Bewirtschaftung der Haushaltsmittel sowie die Befugnis zur Erteilung von Annahme- und Auszahlungsanordnungen nach § 27 Abs. 1 der Wirtschaftsbestimmungen für die Reichsbehörden vom 11. Februar 1929 übertragen (BABl. 1960, 5). Damit ist in diesem Umfange auch die Befugnis zur rechtsgeschäftlichen und gerichtlichen Vertretung des Bundes auf den Präsidenten des BVA übergegangen (vgl. dazu die Vertretungsordnungen für den Geschäftsbereich des Bundesjustizministers vom 25. April 1958, Bundesanzeiger Nr. 82 und des Bundesinnenministers vom 20. November 1962, Bundesanzeiger Nr. 231).
Das Berufungsgericht hat die angefochtene Anordnung des BVA von 18. Mai 1961 mit Recht aufgehoben. Der Senat kann dem LSG allerdings nicht folgen, soweit es in der Anordnung eine „fachliche Weisung” des BVA gesehen hat, die rechtswidrig sei, weil sie sich nicht auf eine Regelung des Erstattungsverfahrens beschränke. Richtig ist zwar, daß die Krankenkassen bei der Gewährung von Wochengeld nach § 13 MuSchG im Auftrage und für Rechnung des Bundes tätig werden (vgl. § 13 Abs. 8 und § 14 MuSchG). Es mag auch sein, daß der Bund als „Auftraggeber” berechtigt ist, den beauftragten Krankenkassen Weisungen hinsichtlich der Ausführung des Auftrages zu erteilen (vgl. § 665 BGB), wobei dahinstehen kann, ob und unter welchen Voraussetzungen solche „innerdienstlichen” Weisungen gerichtlich anfechtbar sind. Im vorliegenden Fall ist die angefochtene Anordnung jedoch nicht aufgrund eines Weisungsrechts der übergeordneten Behörde, sondern unter Berufung auf Aufsichtsbefugnisse nach § 30 RVO erlassen worden. Die Anordnung bezeichnet sich selbst als „Aufsichtsanordnung” und stützt sich ausdrücklich auf § 30 RVO, also auf das Recht und die Pflicht der Aufsichtsbehörde, darüber zu wachen, „daß Gesetz und Satzung beachtet werden”. Außerdem enthält sie eine Rechtsbehelfsbelehrung, die bei einer innerdienstlichen Anordnung mindestens ungewöhnlich wäre. Schließlich regelt sie nicht nur, wie das BVA meint, „die Art und Weise der Abrechnung”, sondern die materielle Leistungspflicht der Klägerin in den Fällen des § 195 a Abs. 2 RVO und grenzt damit zugleich ihren Erstattungsanspruch gegenüber dem Bund nach § 14 MuSchG ab. Sie stellt sich mithin nach Form und Inhalt als eine Aufsichtsanordnung im Sinne des § 30 RVO dar, die gemäß § 54 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) angefochten werden kann.
Die Anfechtungsklage ist auch begründet, weil die Anordnung das Aufsichtsrecht der Beklagten überschreitet. Zwar kann die Aufsichtsbehörde nach § 30 RVO grundsätzlich auch in bestehende Rechtsbeziehungen zwischen einem Versicherungsträger und einem Dritten mit Aufsichtsmaßnahmen eingreifen. So könnte etwa eine Krankenkasse im Aufsichtswege angewiesen werden, den Leistungsantrag eines Versicherten, den sie im Gegensatz zur Aufsichtsbehörde für begründet hält, abzulehnen, um auf diese Weise das Bestehen des Leistungsanspruches vor seiner Erfüllung gerichtlich klären zu lassen; umgekehrt könnte die Krankenkasse auch dazu angehalten werden, einen eigenen Anspruch, von dessen Erhebung sie bisher abgesehen hat, durch Verwaltungsakt oder Klage geltend zu machen (vgl. dazu EuM Band 7, S. 9, 12; Band 25, 487, 488 unten).
Anders liegt es jedoch, wenn die Beteiligten eines Rechtsverhältnisses über dessen Inhalt streiten und dieser Streit ohne weiteres zur Entscheidung eines Gerichts gebracht werden kann. Hier darf die Aufsichtsbehörde der gerichtlichen Entscheidung grundsätzlich nicht durch eine eigene – über eine gutachtliche Meinungsäußerung hinausgehende – Entscheidung vorgreifen (vgl. RVA, Grunds. Entsch. Nr. 2555 in AN 1919, 447, 448). Dagegen sprechen neben verfassungsrechtlichen Bedenken (Art. 92 GG) vor allem prozessuale Erwägungen. Würde etwa die Aufsichtsbehörde einer Krankenkasse aufgeben, einem Dritten eine bisher verweigerte Leistung zu gewähren, so könnte die Krankenkasse diese Anordnung nach § 54 Abs. 3 SGG anfechten. Daneben könnte aber auch der Dritte wegen der Ablehnung der Leistung gegen die Krankenkasse Klage erheben (§ 54 Abs. 4 SGG). Über beide Klagen müßten unter Umständen verschiedene Gerichte entscheiden (§ 57 SGG) und könnten voneinander abweichende Entscheidungen ergeben. Ob eine solche Möglichkeit in Kauf zu nehmen wäre, wenn ein gewichtiges öffentliches Interesse den Erlaß einer – sofort vollziehbaren (§ 97 SGG) – Aufsichtsanordnung erforderte die Rechtskraft des gerichtlichen Urteils also aus besonderen Gründen nicht abgewartet werden kann, braucht der Senat hier nicht zu entscheiden (vgl. RVA in AN 1924, 130, 132; RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, 1. Band, 2. Auflage, Erl. zu § 30, S. 43). Ein Fall dieser Art liegt hier nicht vor. Gegen die vom BVA erlassene Aufsichtsanordnung spricht vielmehr noch das weitere Bedenken, daß das BVA nicht nur Aufsichtsbehörde der Klägerin, sondern zugleich – als eine Dienststelle des Bundes – an dem streitigen Rechtsverhältnis unmittelbar beteiligt ist. Diese Beteiligung ist sogar besonders eng, weil der Bund das BVA mit der Abrechnung der strittigen Erstattungsansprüche beauftragt hat, so daß das BVA durch Erlaß der angefochtenen Anordnung gewissermaßen in eigener Sache tätig geworden ist. Ob dieser Umstand für sich allein schon die angefochtene Anordnung rechtswidrig macht, kann dahinstehen (vgl. dazu BVerwGE 3, 1, 10). Die Anordnung des BVA ist jedenfalls, wie ausgeführt, deshalb rechtswidrige, weil sie der gerichtlichen Entscheidung des Streites der Beteiligten ohne zureichenden Grund vorgreift. Das LSG hat sie daher im Ergebnis zutreffend aufgehoben, so daß die Revision der Beklagten insoweit als unbegründet zurückzuweisen ist.
Die Revision ist dagegen begründet, soweit das Berufungsgericht der Feststellungsklage der Ersatzkasse stattgegeben hat.
Mit dieser Klage, die erst im Berufungsverfahren neben der Anfechtungsklage – durch zulässige Klageänderung (§§ 99 Abs. 1 und 2, 153 Abs. 1 SGG) – erhoben worden ist, wird die Feststellung begehrt, daß die beklagte Bundesrepublik verpflichtet sei, der Klägerin nach § 14 MuSchG die von ihr erbrachten Leistungen an erweiterter Wochenhilfe zu erstatten, wenn eine früher als sechs Wochen vor dem voraussichtlichen Entbindungstag ausgestellte Niederkunftsbescheinigung eines Arztes oder einer Hebamme vorgelegt worden ist. Diese Feststellung betrifft den Umfang des Ersatzanspruches, der der Klägerin nach § 14 MuSchG gegen die Beklagte zusteht, mithin den Inhalt eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Da die Beteiligten insoweit verschiedener Meinung sind und der Klägerin nicht zuzumuten ist, ihren Ersatzanspruch, soweit er von der Beklagten bestritten wird, für jeden Abrechnungszeitraum neu durch eine Leistungsklage geltend zu machen, kann ihr das berechtigte Interesse an einer baldigen Feststellung (§ 55 Abs. 1 SGG) nicht abgesprochen werden. Die Feststellungsklage der Ersatzkasse ist deshalb zulässig, wie auch das LSG angenommen hat.
Die Feststellungsklage ist jedoch – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch aufvollen Ersatz des Wochengeldes, das sie für die fünfte und sechste Woche vor der Entbindung auf Grund einer früher als sechs Wochen vor dem voraussichtlichen Entbindungstag ausgestellten Niederkunftsbescheinigung gewährt hat oder noch gewährt. Sie kann dieses Wochengeld vielmehr nur insoweit vom Bund ersetzt verlangen, als sie nicht selbst nach § 195 a Abs. 2 RVO leistungspflichtig ist.
Nach § 195 a Abs. 1 Nr. 3 RVO hat eine Versicherte, die der gesetzlichen Krankenversicherung angehört und bestimmte Vorversicherungszeiten zurückgelegt hat, Anspruch auf Wochengeld für vier Wochen vor der Entbindung. Ergänzend bestimmt dazu § 195 a Abs. 2 RVO:
Die Dauer des Wochengeldbezuges vor der Entbindung wird auf zwei weitere Wochen erstreckt, wenn die Schwangere während dieser Zeit keine Beschäftigung gegen Entgelt ausübt und vom Arzt festgestellt wird, daß die Entbindung voraussichtlich innerhalb sechs Wochen stattfinden wird. Irrt sich der Arzt bei der Berechnung des Zeitpunkts der Entbindung, so hat die Schwangere gleichwohl Anspruch auf das Wochengeld von dem in den ärztlichen Zeugnis angenommenen Zeitpunkt bis zur Entbindung.
Diese – durch das Gesetz vom 9. Juli 1926 (RGBl I, 407) in die RVO eingefügten – Bestimmungen beruhen auf Empfehlungen des Washingtoner Übereinkommens vom 29. November 1919 über die Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft, dem das Deutsche Reich mit dem Gesetz vom 16. Juli 1927 beigetreten ist (RGBl II, 1927, 497 ff). Nach Art. 3 Buchst. b dieses Übereinkommens war „jede Frau berechtigt, die Arbeit zu verlassen, wenn sie ein ärztliches Zeugnis beibringt, daß ihre Niederkunft voraussichtlich innerhalb sechs Wochen stattfinden wird”. Für den Lohnausfall, der ihr durch die Einstellung der Arbeit entstand, sollte sie durch eine Unterstützung entschädigt werden, die entweder aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten oder durch eine Versicherung aufzubringen war (Art. 3 Buchst. c). Die Gewährung der hier vorgesehenen „Unterstützung” regelte im deutschen Rechtsgebiet für die in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Frauen zunächst allein § 195 a RVO. Seit dem Erlaß des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter vom 17. Mai 1942 (RGBl I, 321) waren außerdem dessen §§ 7 und 8 anzuwenden. Danach erhielten versicherte Frauen – über die Leistungen des § 195 a RVO hinaus – während der letzten sechs Wochen vor der Niederkunft ein Wochengeld in Höhe des Durchschnittsverdienstes der letzten dreizehn Wochen (§ 7 Abs. 1); bei einem Irrtum des Arztes oder der Hebamme über den Niederkunftszeitpunkt verlängerte sich die Bezugsdauer des Wochengeldes entsprechend (§ 8 Abs. 1 und Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 27. Juli 1943, Reichsarbeitsblatt 1943 III, 247). An Stelle dieser Bestimmungen des alten MuSchG gelten seit 1952 die – im wesentlichen inhaltsgleichen – Vorschriften der §§ 13 Abs. 1 und 3 sowie 5 Abs. 2 des MuSchG vom 24. Januar 1952 (BGBl I, 69).
Der Wortlaut des – hier auszulegenden – § 195 a Abs. 2 RVO spricht, wie der Klägerin zuzugeben ist, zunächst mehr für ihre Ansicht, daß nämlich das geforderte Niederkunftszeugnis des Arztes frühestens sechs Wochen vor dem angenommenen Entbindungstag ausgestellt sein dürfe, da nur dann der Arzt bestätigen könne, „daß die Entbindung voraussichtlich innerhalb sechs Wochen stattfinden wird”. Schon das RVA hat indessen der sprachlichen Passung des Zeugnisses mit Recht keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen (vgl. Grunds. Entsch. Nr. 3380 in AN 1929 IV S. 146) und hat in einer – auch in der angefochtenen Anordnung des BVA genannten – Entscheidung vom Jahre 1939 ausgeführt, die ärztliche Feststellung des voraussichtlichen Entbindungstages sei zwar eine Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung des erweiterten Wochengeldes nach § 195 a Abs. 2 RVO; aber die Frage, wann die Feststellung getroffen werde, stehe mit dem Wochengeldanspruch in keinem inneren Zusammenhang (Grunds. Entsch. Nr. 5314 in AN 1939 IV S. 384, 385). Ausdrücklich hat das RVA allerdings die dem Senat vorliegende Streitfrage niemals entschieden, was sich wohl daraus erklärt, daß seinerzeit ein etwa nach Ansicht der Krankenkasse zu früh ausgestelltes Niederkunftszeugnis in der Regel von der Versicherten durch ein neues, später ausgestelltes ersetzt wurde. Immerhin hat das RVA in einer in EuM Band 45, 192 abgedruckten Entscheidung für die Anwendung des § 195 a Abs. 2 RVO auch ein Zeugnis als ausreichend erachtet, das am 14 Juli für eine am 2. September angenommene Entbindung, also mehr als sieben Wochen vor dem mutmaßlichen Niederkunftstermin ausgestellt worden war. Das RVA hat dies anscheinend für so selbstverständlich gehalten, daß es seine Ansicht nicht näher begründet hat, obwohl z. B. schon damals der Kommentar von Jaeger zur Wochenhilfe die Auffassung vertrat, daß die Krankenkasse das erweiterte Wochengeld nicht zu zahlen brauche, wenn der Arzt den Zeitpunkt der Niederkunft auf einen mehr als sechs Wochen nach der Ausstellung des Zeugnisses liegenden Zeitpunkt festsetze (ebenso die neueste Auflage von 1954, Anm. 39 zu § 195 a RVO; an anderer Stelle derselben Anmerkung wird allerdings der Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung im Anschluß an die Rechtsprechung des RVA für „unerheblich” erklärt).
Der erkennende Senat tritt – in Übereinstimmung mit Peters (Handbuch der Krankenversicherung, 16. Aufl., § 195 a RVO Anm. 10 d), Brackmann (Handbuch der Sozialversicherung 1. bis 6. Aufl., S. 416 a) und dem LSG Bremen (Breithaupt 1965, S. 15) – der vom RVA vertretenen Ansicht aus folgenden Erwägungen bei: Nach Art. 3 des Washingtoner Übereinkommens vom Jahr 1919 und der zu seiner Durchführung ergangenen deutschen Gesetzgebung sollten schwangere Frauen in die Lage versetzt werden, die Arbeit mit dem Beginn der sechsten Woche vor dem voraussichtlichen Entbindungstag einzustellen vgl. dazu die Sitzungsberichte des Reichstages, 3. Wahlperiode 1924/26, 221. Sitzung, S. 7738 D bis 7739 B). Da die Schwangere die Arbeit aber nur „verlassen” durfte, wenn sie ein ärztliches Zeugnis über den Tag ihrer bevorstehenden Niederkunft vorlegte (Art. 3 Buchst. b des Washingtoner Übereinkommens und § 2 des deutschen Ausführungsgesetzes vom 16. Juli 1927, RGBl I 184), mußte die ärztliche Untersuchung bei voller Ausschöpfung der sechswöchigen Schutzfrist vor deren Beginn stattfinden; denn nur dann konnte das Zeugnis bereits bei Beginn der Schutzfrist vorliegen. Schon diese Erwägung spricht gegen die Ansicht der Klägerin, daß nur ein innerhalb der Sechswochenfrist ausgestelltes Zeugnis den Anspruch auf das erweiterte Wochengeld nach § 195 a Abs. 2 RVO auslöst.
Es kommt hinzu, daß die Schwangere im allgemeinen nicht vorhersehen kann, welchen Tag der Arzt als den voraussichtlichen Entbindungstag feststellen wird. Sie muß auch mit der Möglichkeit rechnen, daß dies ein früherer Tag sein wird, als sie bisher angenommen hatte. Soll ihr aus dieser – von ihr nicht beeinflußbaren – Ungewißheit kein Nachteil erwachsen, muß sie das Recht haben, den Arzt so frühzeitig aufzusuchen, daß sie auf jeden Fall mit dem Beginn der Sechswochenfrist im Besitz des Zeugnisses ist. Ergibt dann die Untersuchung, daß bis zur Entbindung voraussichtlich noch mehr als sechs Wochen vergehen werden, so könnte die Schwangere zwar angehalten werden, sich später – bei Beginn der Sechswochenfrist – nochmals untersuchen zu lassen. Eine solche Untersuchung würde sie jedoch nur unnötig belasten, wenn von ihr nach allgemeiner ärztlicher Erfahrung keine genauere Feststellung des Entbindungstermins zu erwarten wäre. Das wird in der Regel anzunehmen sein, wenn – wie häufig – zwischen der Untersuchung und dem Beginn der Sechswochenfrist nur eine vergleichsweise kurze Zeitspanne liegt. In diesen Fällen wäre es daher nach dem Sinn des Gesetzes nicht zu rechtfertigen, von der Schwangeren eine nochmalige Untersuchung zu fordern. Hier muß die Krankenkasse deshalb das erweiterte Wochengeld (§ 195 a Abs. 2 RVO) auch auf Grund eines vor Beginn der Sechswochenfrist ausgestellten Niederkunftszeugnisses gewähren.
Liegt die ärztliche Untersuchung dagegen so weit vor dem angenommenen Entbindungstag, daß sie keine Gewähr mehr für eine hinreichend zuverlässige Feststellung des Entbindungstermins bietet, so braucht die Krankenkasse bei Vorlage eines auf Grund einer solchen Untersuchung ausgestellten Zeugnisses kein Wochengeld nach § 195 a Abs. 2 RVO zu zahlen. Andernfalls müßte sie nämlich das Wochengeld, dessen Bezugsdauer sich bei einem Irrtum des Arztes über den voraussichtlichen Entbindungstag bis zur tatsächlichen Entbindung verlängert (§ 195 a Abs. 2 Satz 2 RVO), u.U. erheblich über die vom Gesetz vorgesehene Zeit von sechs Wochen hinaus gewähren. Gerade davor sollte sie aber durch die Forderung des Gesetzes, daß nur ein Arzt (oder eine Hebamme, vgl. Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 11. November 1939, AN 1939 IV, S. 522) den voraussichtlichen Entbindungstag feststellen darf, geschützt werden (vgl. RVA Grunds. Entsch. Nr. 4302 in AN 1932 IV, S. 82). Die Krankenkasse hat somit, wenn ihr ein früher als sechs Wochen vor der mutmaßlichen Niederkunft ausgestelltes Zeugnis vorgelegt wird, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob dieses Zeugnis noch eine genügend sichere Grundlage für die Feststellung des Entbindungstages und damit für den Beginn des erweiterten Wochengeldes nach § 195 a Abs. 2 RVO bietet. Sie darf dagegen ein solches Zeugnis nicht allein deswegen als ungenügend ansehen, weil es nicht innerhalb der Sechswochenfrist ausgestellt ist.
Diese Grundsätze gelten auch bei Anwendung des § 13 des MuSchG vom 24. Januar 1952, der den in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherten Frauen einen Anspruch auf Wochengeld für die letzten sechs Wochen vor der Entbindung gibt, ohne daß, wie auch die Klägerin einräumt, die Niederkunftsbescheinigung des Arztes oder der Hebamme (§ 5 Abs. 2 MuSchG) innerhalb der sechswöchigen Schutzfrist ausgestellt zu sein braucht. Die Krankenkasse muß deshalb auch im Rahmen des § 13 MuSchG prüfen, ob die im Zeugnis des Arztes oder der Hebamme enthaltene Feststellung des voraussichtlichen Entbindungstermins hinreichend zuverlässig ist. Das kann bei einem zeitlich weit zurückliegenden Zeugnis zweifelhaft sein. Bejaht die Krankenkasse aber die Frage, gewährt sie also auf Grund des vorgelegten Zeugnisses das Wochengelde dann hat sie damit dessen Zuverlässigkeit anerkannt und kann sich auch dem Bund gegenüber nicht mehr darauf berufen, daß sie nach § 195 a Abs. 2 RVO wegen eines dieser Vorschrift nicht genügenden Zeugnisses nicht verpflichtet gewesen sei, aus eigenen Mitteln Wochengeld zu zahlen, daß ihre Zahlung mithin nur nach § 13 MuSchG – für Rechnung des Bundes erfolgt sei und diesen nach § 14 MuSchG zu vollem Kostenersatz verpflichte.
Das Urteil des Berufungsgerichts, das von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, kann hiernach nicht bestehen bleiben. Entgegen der Ansicht des LSG hat die Klägerin, wenn sie auf Grund eines früher als sechs Wochen vor dem voraussichtlichen Entbindungstag ausgestellten Niederkunftszeugnisses Wochengeld für die fünfte und sechste Woche vor der Entbindung gezahlt hat oder in Zukunft zahlt, keinen Anspruch auf vollen Ersatz der von ihr verauslagten Beträge gegen den Bund. Die entsprechende Feststellungsklage der Klägerin ist somit unbegründet und deshalb abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Dr. Bogs, Dr. Langkeit, Spielmeyer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 27.10.1966 durch Schäfers RegObersekretär Schriftführer
Fundstellen
Haufe-Index 707739 |
BSGE, 224 |