Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Verjährungshemmung durch Klageerhebung beim Sozialgericht. Konkretisierung des Klageanspruchs. keine Abrechnung der Fallpauschale 16.02 bei Verlegung am Tag der Geburt. Rückerstattung einer zu Unrecht erhaltenen Fallpauschale bei Leistung ohne Vorbehalt
Leitsatz (amtlich)
Zur Unterbrechung der Verjährung einer Forderung durch Klageerhebung beim Sozialgericht ist es nicht erforderlich, den Klageanspruch bereits zu diesem Zeitpunkt zu spezifizieren oder zu individualisieren (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 17.10.2000 – XI ZR 312/99 = NJW 2001, 305).
Normenkette
BGB §§ 204, 209, 814; BPflV Anl. 1 Nr. 16.02 J: 1994; KHG § 17; SGB V §§ 69, 109 Abs. 4 S. 3; SGB X §§ 53, 53ff., § 61 S. 1; SGG § 92; ZPO § 253
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. September 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Rückzahlung einer Fallpauschale für eine Krankenhausbehandlung. In dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus gebar eine Versicherte der klagenden Krankenkasse am 18. Juni 1996 Zwillinge. Es handelte sich um Frühgeburten zwischen dem 225. und 259. Schwangerschaftstag. Beide Zwillinge, Christopher und Alexander v… d… B…, wurden noch am selben Tag wegen Wachstumsrückstand und Mangelernährung zur weiteren Behandlung von der gynäkologischen in die pädiatrische Abteilung des Krankenhauses verlegt. Dort blieben sie bis zu ihrer Entlassung. Die Beklagte stellte der Klägerin für die Behandlung der Zwillinge in der gynäkologischen Abteilung zwei Mal die Fallpauschale 16.02 mit jeweils 1.470,53 DM in Rechnung. Daneben berechnete sie tagesgleiche Pflegesätze für die Behandlung der Zwillinge in der pädiatrischen Abteilung. Die Klägerin beglich die Forderungen in voller Höhe.
Mit Schreiben vom 19. Oktober 2000 forderte sie in diesen und weiteren dreizehn Behandlungsfällen insgesamt 25.501,65 DM zurück. Dabei gab sie den jeweiligen Rückforderungsgrund, den Namen der Versicherten sowie die jeweilige Aufnahmenummer an und schlüsselte die Gesamtsumme in einzelne Rechnungsbeträge auf. Mit einer am 28. Dezember 2000 beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf eingegangenen Klage “wegen: Erstattung von Vergütung für Krankenhausleistungen” beantragte die Klägerin, die Beklagte zu verurteilen, an sie 25.501,65 DM nebst vier Prozent Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Mit einem am 21. Februar 2001 eingegangenen Schriftsatz begründete sie die Klage mit Ansprüchen auf Erstattung von geleisteten Vergütungen in fünfzehn Behandlungsfällen. Für die Behandlung der Zwillinge v… d… B… forderte sie je 1.470,53 DM zurück und berief sich darauf, dass die Fallpauschale 16.02 nicht abrechenbar sei, da die Säuglinge unmittelbar nach der Entbindung in die pädiatrische Abteilung verlegt worden seien.
Nach Verweisung des Rechtsstreits hat das örtlich zuständige SG Köln die einzelnen Behandlungsfälle verfahrensrechtlich getrennt und im Hinblick darauf, dass die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben hat, die Klage auch im hier vorliegenden Streitfall betreffend den Zwilling Christopher abgewiesen; die Klage habe wegen mangelnder Individualisierung der Ansprüche die Verjährung nicht unterbrochen (Urteil vom 9. Dezember 2003). Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt mit dem Antrag, die Beklagte zur Zahlung von nunmehr umgerechnet 751,87 € (ohne Zinsen) zu verurteilen, und in der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) diesen Antrag um vier Prozent Zinsen seit Rechtshängigkeit erweitert. Das LSG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, jedoch die Zinsforderung abgewiesen (Urteil vom 23. September 2004): Die Fallpauschale 16.02 sei nach dem eindeutigen Wortlaut bei einer verlegungsrelevanten Krankheit des Neugeborenen nicht zu leisten. Die Klägerin habe daher zu Unrecht 751,87 € an die Beklagte gezahlt, was eine Rückforderung begründe. Der klägerische Anspruch sei auch nicht verjährt, da die Klage die Verjährung unterbrochen habe. Weder § 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) noch § 253 Zivilprozessordnung (ZPO) verlangten zur Wirksamkeit der Klageerhebung eine Individualisierung der Ansprüche. Eine solche sei lediglich Urteilsvoraussetzung. Der Zinsanspruch sei nicht begründet, weil die Klägerin innerhalb der Berufungsfrist den vom SG abgewiesenen Anspruch insoweit nicht weiterverfolgt habe. Das Urteil sei insoweit rechtskräftig geworden.
Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung der §§ 90, 92 SGG iVm § 253 ZPO und §§ 242, 814, 818 Abs 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) iVm § 3 Abs 2 des Gesetzes zur Stabilisierung der Krankenhausausgaben 1996 (StabG) und den Pflegesatzvereinbarungen für 1996 und 1997. Das LSG habe zu Unrecht eine Unterbrechung der Verjährung durch die Klageerhebung bejaht. Es habe die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Erfordernis der Individualisierung der Klageforderungen nicht zutreffend gewürdigt. Mit ihren Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abrechnung sei die Klägerin jedenfalls nach Treu und Glauben ausgeschlossen; mit Abschluss der Budgetvereinbarungen für 1997 habe sie – die Beklagte – davon ausgehen können, dass die der Budgetfindung zu Grunde liegenden Zahlungen nicht mehr Jahre später überprüft würden. Zudem seien Mehrerlöse auf der Budgetebene bereits vollständig ausgeglichen worden und als finanzieller Wert bei der Beklagte nicht mehr vorhanden. Eine Rückforderung sei auch bereits deshalb ausgeschlossen, da die Klägerin in Kenntnis der Nichtschuld geleistet habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23. September 2004 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Köln vom 9. Dezember 2003 in vollem Umfang zurückzuweisen;
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend. Einen Wegfall der Bereicherung durch einen Mehrerlösausgleich habe die Beklagte nicht substantiiert dargelegt. Die Budgetvereinbarungen würden nur Fehleinschätzungen der Vertragspartner hinsichtlich der prospektiv ermittelten Leistungsmenge, nicht aber unberechtigte Forderungen auf Vergütung von Krankenhausbehandlung ausgleichen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass der Klägerin in dem hier streitigen Behandlungsfall wegen teilweise zu Unrecht geleisteter Vergütung ein Rückzahlungsanspruch zusteht, der nicht verjährt ist.
Rechtsgrundlage für die Forderung der Klägerin ist der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch. Dieser aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Anspruch besagt, dass Leistungen, die auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ohne Rechtsgrund erbracht worden sind, zurückzuerstatten sind (vgl grundlegend BSGE 16, 151, 153 = SozR Nr 1 zu § 28 BVG; BSGE 38, 46, 47 = SozR 2200 § 1409 Nr 1, jeweils mwN). Die vertraglichen Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen sind mit der Änderung des § 69 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 2626) seit dem 1. Januar 2000 ausdrücklich dem öffentlichen Recht zugeordnet. Dies galt aber nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats auch ohne ausdrückliche Anordnung bereits für die vorangegangene Zeit (BSG SozR 3-1200 § 45 Nr 8). Demgemäß ist der geltend gemachte Erstattungsanspruch dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Die Beklagte hat die für die Behandlung des Zwillings Christopher auf der Entbindungsstation gezahlte Fallpauschale 16.02 ohne Rechtsgrund erhalten, weil es – wie das LSG zu Recht ausgeführt hat – an der Voraussetzung fehlte, dass die Versorgung des Frühgeborenen dort ohne verlegungsrelevante Krankheitsart erfolgte. Der als Anlage zur Bundespflegesatzverordnung (BPflV) bekannt gemachte “bundesweite Fallpauschalen-Katalog für Krankenhäuser” in der hier maßgeblichen Fassung der Vierten Änderungsverordnung vom 17. April 1996 (BGBl I 619) enthält zu der streitigen Fallpauschale 16.02 folgende Leistungsbeschreibung: “Risikogeburt ab 225. bis 259. Schwangerschaftstag, ohne verlegungsrelevante Diagnose; Versorgung des Frühgeborenen, außer bei einer verlegungsrelevanten Krankheitsart oder bei Intensivversorgung”. Wegen aufgetretener Auslegungsschwierigkeiten wurde die Fassung der Fallpauschale 16.02 durch die Fünfte Änderungsverordnung zur BPflV vom 9. Dezember 1997 (BGBl I 2874) geändert und lautet mit Wirkung ab 1. Januar 1998 wie folgt: “Geburt ab dem 225. bis 259. Schwangerschaftstag (ab 33. bis 37. Schwangerschaftswoche); Versorgung eines Frühgeborenen auf der Säuglingsstation oder im Säuglingszimmer einschließlich der Versorgung eines nach der Geburt erkrankten Frühgeborenen bis zu dessen interner oder externer pädiatrischer Verlegung oder nach dessen Rückverlegung; Mindestaufenthalt ein Belegungstag; nach Rückverlegung zwei aufeinander folgende Belegungstage (ohne Verlegungs- und Entlassungstag), nur einmal abrechenbar”. Es handelt sich dabei insofern um eine inhaltliche Neufassung, als nicht mehr von einer Risikogeburt mit einer verlegungsrelevanten Diagnose die Rede ist, andererseits aber eine Mindestdauer der Versorgung des Säuglings auf der Entbindungsstation gefordert wird. Sowohl die unmittelbar bei der Geburt entdeckte Erkrankung des Säuglings als auch eine spätere Krankheitsdiagnose stehen einer Abrechnung der Fallpauschale 16.02 entgegen, sofern vor Ablauf eines Belegungstages eine Verlegung des Säuglings auf eine pädiatrische Abteilung erfolgt (vgl dazu Urteil des Senats vom 12. Mai 2005 – B 3 KR 18/04 R –, SozR 4-5565 § 14 Nr 8). Ob eine solche Mindestbelegungsdauer für die Versorgung des Säuglings auf der Säuglingsstation auch schon unter Geltung der früheren Fassung der Fallpauschale 16.02 zu verlangen war, kann hier dahinstehen. Denn das LSG hat unter Hinweis auf die maßgebliche Bedeutung des Wortlauts der Fallpauschalendefinition (vgl BSG SozR 4-5565 § 14 Nr 2; SozR 3-5565 § 15 Nr 1) zutreffend ausgeführt, dass eine bei der Geburt bereits festgestellte Erkrankung des Säuglings, die zu dessen anschließender Verlegung auf eine pädiatrische Abteilung führt, die Abrechnung der Pauschale ausschließt. Die Revision greift diese Auslegung nicht mehr an. Die Beklagte hat danach die Leistung zu Unrecht erhalten.
Ihrer Pflicht zur Rückerstattung steht – wie das LSG ebenfalls zu Recht erkannt hat – nicht entgegen, dass die Klägerin ohne Vorbehalt geleistet hat. Die Klägerin war unter Berücksichtigung der vom LSG für den Senat bindend ausgelegten landesvertraglichen Regelungen verpflichtet, die von der Beklagten in Rechnung gestellten Leistungen innerhalb einer kurzen Zahlungsfrist zu begleichen. Die vertragliche Regelung belässt ihr ausdrücklich die Möglichkeit, die Rechnungen im Nachhinein hinsichtlich der rechnerischen und sachlichen Richtigkeit zu beanstanden. Dass die Klägerin bereits zum Zeitpunkt der Zahlung die gebührenrechtliche Unrichtigkeit der Abrechnung gekannt und gleichwohl ohne Vorbehalt geleistet hat, ist vom LSG nicht festgestellt worden. Soweit die Revision geltend macht, der Klägerin seien im Zeitpunkt der Zahlung jedenfalls alle für die Beurteilung der Rechtslage maßgebenden Tatsachen bekannt gewesen, würde dies die Rückforderung der Leistung analog § 814 BGB nicht ausschließen. Dafür wäre vielmehr die positive Kenntnis der sich daraus ergebenden Rechtslage erforderlich, sodass selbst ein grob fahrlässiger Rechtsirrtum nicht schaden würde (Palandt-Sprau, BGB, 65. Aufl 2006, § 814 RdNr 3). Da für eine Bezahlung der Rechnung in positiver Kenntnis, dazu rechtlich nicht verpflichtet zu sein, kein Anhaltspunkt besteht, kann offen bleiben, ob die vertragliche nachträgliche Beanstandungsmöglichkeit, die das LSG als maßgeblich angesehen hat, auch bei vorbehaltsloser, bewusster Bezahlung einer unrichtigen Rechnung bestehen bleiben würde. Vertragliche Ausschlussfristen sind im Übrigen vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden und werden von der Revision auch nicht angeführt.
Die Beklagte erhebt gegen das Rückzahlungsbegehren der Klägerin ohne Erfolg die Einrede der Verjährung. Für den hier in Frage stehenden allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in Rechtsanalogie zu den §§ 45 Abs 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), 113 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in ständiger Rechtsprechung (vgl BSGE 69, 158 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1; SozR 3-1200 § 45 Nr 8) erkannt, dass er einer vierjährigen Verjährungsfrist unterliegt, die mit Ablauf des Jahres beginnt, in dem er entstanden ist. Da der Rückforderungsanspruch der Klägerin unmittelbar nach der Bezahlung der Rechnung noch im Laufe des Jahres 1996 entstanden ist, wäre er mit Ablauf des Jahres 2000 verjährt gewesen. Die Verjährung ist aber durch die Klageerhebung am 28. Dezember 2000 unterbrochen worden, und die weitere Verjährung ist mit Beginn des Jahres 2002 bis sechs Monate nach rechtskräftigem Abschluss dieses Verfahrens gehemmt. Für die Hemmung, die Unterbrechung und die Wirkung der Verjährung gelten in entsprechender Anwendung der §§ 45 Abs 2 SGB I und 113 Abs 2 SGB X die Vorschriften des BGB sinngemäß. Die einschlägigen Vorschriften des BGB haben sich allerdings mit Wirkung ab 1. Januar 2002 geändert. Nach Art 229 § 6 Einführungsgesetz zum BGB (EGBGB), der Überleitungsvorschrift zum Verjährungsrecht nach dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl I 3138), bestimmen sich der Beginn, die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2002 nach dem BGB in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung. Danach wurde die Verjährung unterbrochen, wenn der Berechtigte auf Befriedigung oder auf Feststellung des Anspruchs, auf Erteilung der Vollstreckungsklausel oder auf Erlass des Vollstreckungsurteils Klage erhebt (§ 209 Abs 1 BGB aF). Für die Zeit ab 2002 gilt die durch Klageerhebung bewirkte Unterbrechung der Verjährung als gehemmt (§§ 204 Abs 1 Nr 1, 209 BGB nF). Diese zivilrechtlichen Überleitungsvorschriften gelten in Rechtsanalogie zu §§ 70 SGB I und 120 Abs 5 SGB X auch für den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, da letztere durch Gesetz vom 21. Juni 2002 (BGBl I 2167) eingeführte Überleitungsvorschriften zu den angepassten Verjährungsvorschriften in § 45 SGB I und § 113 SGB X ebenfalls auf Art 229 § 6 Abs 1 und 2 EGBGB verweisen.
Die vor Ablauf des Jahres 2000 beim SG eingegangene Klageschrift hat die Verjährung unterbrochen, obwohl das SG Düsseldorf örtlich unzuständig war und die Klageforderung nur allgemein als Erstattung von Vergütung für Krankenhausleistungen bezeichnet, aber nicht näher begründet war. Die Klage war damit prozessual wirksam erhoben und hat als Folge materiell die Unterbrechung der Verjährung herbeigeführt.
Nach § 90 SGG ist eine Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim zuständigen Gericht zu erheben. Das Ersuchen um Rechtsschutz “soll” gemäß § 92 Satz 1 und 2 SGG ua den Streitgegenstand bezeichnen und von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Tagesangabe unterzeichnet sein. Geht die Klage bei einem örtlich unzuständigen Gericht ein, stellt dies die Wirksamkeit der Klageerhebung nicht in Frage. Die beim örtlich unzuständigen Gericht begründete Rechtshängigkeit der Klage bleibt nach Verweisung an das zuständige Gericht bestehen (vgl § 98 SGG iVm § 17b Abs 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz ≪GVG≫).
Wie sich aus der Verwendung “soll” in § 92 SGG ergibt, ist ein bestimmter Inhalt der Klageschrift nicht vorgeschrieben (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 92 RdNr 1). Es ist vielmehr ausreichend, dass bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung klar wird, welches Ziel mit der Klage verfolgt wird, was das Gericht von Amts wegen unter Berücksichtigung der Mitwirkungsobliegenheiten der Beteiligten im Zuge des weiteren Verfahrensverlaufs aufzuklären hat (§§ 106 Abs 2 und 3 Nr 7, 112 Abs 2 Satz 2 SGG; Leitherer, aaO, RdNr 5 und 6). Für eine wirksame Klageerhebung war es deshalb nicht erforderlich, dass die Klägerin bereits in der Klageschrift vom 20. Dezember 2000 darlegte, wie sich der eingeforderte Betrag zusammensetzt und welchen Lebenssachverhalten er im Einzelnen zuzuordnen ist. Betrifft ein Zahlungsanspruch wie hier einen abgeschlossenen Vorgang aus der Vergangenheit, muss zwar grundsätzlich ein bestimmter Zahlungsantrag gestellt und dargelegt werden, wie sich der Betrag im Einzelnen zusammensetzt. Dies ist aber nur Sachurteilsvoraussetzung, um den Umfang der Rechtskraft des Urteils festzulegen. Selbst wenn dies erstinstanzlich versäumt wird, kann der Mangel noch im Berufungsverfahren beseitigt werden. Erst wenn dies auch unter Mitwirkung der Beteiligten nicht möglich ist, ist die – wirksam erhobene – Klage als unzulässig abzuweisen.
Allerdings hat der BGH mit Urteil vom 17. Oktober 2000 (NJW 2001, 305) entschieden, dass ein rechtsfehlerhaft erlassener, nicht individualisierter Mahnbescheid die Verjährung dann nicht unterbreche, wenn die Individualisierung erst nach Ablauf der Verjährungsfrist im anschließenden Streitverfahren nachgeholt werde. Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf diese Entscheidung, um die verjährungsunterbrechende Wirkung der Klage im vorliegenden Fall zu bestreiten. Denn die prozessualen Vorschriften für die Klageerhebung sind im Zivilprozess und im Sozialgerichtsprozess unterschiedlich gefasst. Nach § 253 Abs 2 ZPO gehört es bereits zu den notwendigen Erfordernissen einer Klageschrift, dass sie die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs enthält. Grund des erhobenen Anspruchs ist die Gesamtheit der zur Begründung des Anspruchs nach der Ansicht des Klägers erforderlichen Tatsachen, also der Lebenssachverhalt (Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl 2006, § 253 RdNr 32). Die Nachbesserung einer in diesem Punkt unzureichenden Klageschrift im laufenden Verfahren ist zwar möglich; die Heilung des Mangels tritt aber nicht rückwirkend ein, sondern nach ständiger Rechtsprechung des BGH erst ab dem Zeitpunkt der Vornahme der entsprechenden Prozesshandlung (BGH NJW 1996, 1351; BGHZ 22, 254, 257). Daher wirkt nach der BGH-Rechtsprechung auch in den Fällen, in denen – wie hier – der Verlauf einer Verjährungsfrist durch Klageerhebung unterbrochen werden soll, die Heilung eines nach § 253 Abs 2 ZPO wesentlichen Mangels nicht fristwahrend. In ähnlicher Weise setzt ein zulässiger Antrag im Mahnverfahren voraus, dass die Forderungen hinreichend unter Angabe der verlangten Leistung bezeichnet worden sind (§ 690 Abs 1 Nr 3 ZPO). Die geltend gemachten Ansprüche müssen nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 17. Oktober 2000, aaO) durch ihre Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden können, dass sie Grundlage eines rechtskraftfähigen Vollstreckungstitels sein können und der Schuldner erkennen kann, welche Ansprüche gegen ihn geltend gemacht werden. Auch hier kann die verjährungsunterbrechende Wirkung durch Nachholung der unterbliebenen Individualisierung im anschließenden Streitverfahren nach Ablauf der Frist nicht mehr herbeigeführt werden. Zwar konnte nach altem Recht (§ 212 BGB aF) auch eine unzulässige Klage die Verjährung unterbrechen; die Klage musste aber zumindest wirksam erhoben worden sein, also den wesentlichen Formerfordernissen des § 253 Abs 2 ZPO entsprechen (BGH NJW-RR 1989, 508).
Die Rechtsprechung des BGH, die zur Unterbrechung der Verjährung eine wirksame Klageerhebung verlangt, steht danach der Bejahung der Verjährungsunterbrechung durch die Klageerhebung im vorliegenden Fall nicht entgegen, weil diese jedenfalls prozessual wirksam erfolgt ist. Der Revision ist allerdings einzuräumen, dass aus der prozessualen Wirksamkeit der Klageerhebung nicht zwingend auf die materielle Rechtswirkung der Verjährungsunterbrechung geschlossen werden kann, zumal es sich um eine entsprechende Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften handelt, die nur zulässig ist, soweit sie deren tragende Rechtsgründe berücksichtigt, im vorliegendem Fall also dem Sinn und Zweck der Verjährungsunterbrechung durch Klageerhebung Rechnung trägt. Wenn dieser Zweck allein darin läge, dem Schuldner rechtzeitig zu verdeutlichen, dass er sich darauf einrichten müsse, auch noch nach Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist in Anspruch genommen zu werden (“Warnfunktion”, BGHZ 80, 222, 226), läge es nahe zu verlangen, dass der Schuldner bei der Geltendmachung der Forderung auch in der Lage sein müsse, diese einem bestimmten Lebenssachverhalt zuzuordnen, damit sein Vertrauen, deswegen nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, wirksam erschüttert wird. Wenn der Gesetzgeber für den Bereich des sozialgerichtlichen Verfahrens eine Regelung getroffen hat, die mit Rücksicht auf rechtlich ungewandte Personen nur geringe formelle Anforderungen stellt, um gerichtlichen Rechtsschutz zu erhalten, so muss dies nicht zwangsläufig auch für die materiell-rechtliche Folge der Verjährungsunterbrechung gelten, die auch auf die Interessen des Schuldners Rücksicht nehmen muss. Die Verjährung dient der Schaffung von Rechtssicherheit, weil tatsächliche Zustände, die längere Zeit unangefochten bestanden haben, im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens als zu Recht bestehend anerkannt und dem Streit der Parteien auf Dauer entzogen werden müssen. Sie bezweckt, dass nicht aus weit zurückliegenden Tatsachen Rechte zu einem Zeitpunkt hergeleitet werden, in dem der Gegner in Folge des Zeitablaufs kaum noch in der Lage ist, ihm günstige Tatsachen auszuwerten (Arens, ZZP 82, 143, 147). Mit der Verjährung wird also den durch Zeitablauf eintretenden Beweisschwierigkeiten Rechnung getragen.
Indessen bedeutet dies nicht, dass der Vertrauensschutzgesichtspunkt im Vordergrund steht und der Schuldner nach Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfristen in aller Regel in seinem Vertrauen darauf, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, geschützt wird. Dies folgt schon daraus, dass er auch nach Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfristen mit einer gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen rechnen muss, wenn etwa der Gläubiger innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert war (§ 206 BGB). Auch in anderen Fällen kann der Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist aus für den Schuldner nicht erkennbaren Gründen gehemmt sein (vgl §§ 210, 211 BGB). Entscheidend für die Durchsetzbarkeit einer Forderung nach einem bestimmten Zeitablauf ist also weniger die Kenntnis und das Vertrauen des Schuldners, sondern der Umstand, dass der Gläubiger rechtzeitig ernsthafte Schritte zur Durchsetzung der Forderung unternimmt. Die Erhebung der Klage auf Leistung ist dabei gemäß § 204 Abs 1 Nr 1 BGB nur eine von zahlreichen Möglichkeiten der Rechtsverfolgung, die zur Hemmung der Verjährung führen, ohne dass dies dem Schuldner immer unmittelbar und zeitnah zur Kenntnis gelangt. So wirkt die nach Ablauf der Frist zugestellte Klageschrift auf den Zeitpunkt der Einreichung zurück, wenn sie “demnächst” erfolgt (§ 167 ZPO). Die Dauer der Verzögerung ist dabei unerheblich, wenn sie nicht vom Kläger zu vertreten ist (BGHZ 103, 20, 28f; BGH NJW 2003, 2830).
Demzufolge ist es aus Schuldnerschutzgesichtspunkten nicht zwingend geboten, zur Herbeiführung einer Verjährungsunterbrechung durch Klageerhebung beim SG weiter gehende Anforderungen an die Individualisierung des Klageanspruchs zu stellen als es prozessual zu einer wirksamen Klageerhebung erforderlich ist. Wird eine unzureichend gekennzeichnete Klageforderung bei Gericht geltend gemacht, so wird in aller Regel das Gericht den Kläger veranlassen, seinen Anspruch näher zu begründen, wie das auch im vorliegenden Fall geschehen ist. Eine etwaige Rechtsunsicherheit auf Seiten des Schuldners besteht dann nur vorübergehend, seine Verteidigungsmöglichkeiten sind dadurch nicht wesentlich eingeschränkt. Auch im vorliegenden Fall ist der Beklagten mit der Klagebegründung nur wenige Wochen nach der Einreichung der Klage deutlich gemacht worden, um welche Forderungen es sich im Einzelnen handelt, sodass sie sich entsprechend verteidigen konnte. Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob sie nicht ohnehin aus dem näher spezifizierten vorprozessualen Schreiben mit einer Forderungssumme, die sich mit der Klageforderung deckte, ohne größere Mühe erkennen konnte, um welche Forderungen es sich handelte. Die bislang fehlenden Tatsachenfeststellungen dazu müssen nicht nachgeholt werden.
Die Berufungsinstanz hat deshalb dem Klagebegehren, soweit es noch Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, zu Recht stattgegeben. Der erstmalig im Revisionsverfahren vorgebrachten Einwendung der Beklagten, der Rückerstattungsanspruch sei jedenfalls erledigt worden in der Weise, dass die Vertragspartner durch die spätere Vereinbarung eines Budgets das Rechtsverhältnis umfassend auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt hätten (iS einer sog Novation oder eines Vergleichs) ist ebenso wenig nachzugehen wie der weiteren Einwendung, durch den erfolgten Mehrerlösausgleich sei eine zu Unrecht erhaltene Zahlung im Vermögen der Beklagten nicht mehr vorhanden (sog Wegfall der Bereicherung). Dabei handelt es sich um Tatsachenvorbringen, das bereits im Berufungsverfahren hätte eingeführt werden können, stattdessen aber erstmalig im Revisionsverfahren geltend gemacht wird. Der Wegfall eines entstandenen Anspruchs durch ein späteres Ereignis, das dem Tatsachengericht nicht von Amts wegen bekannt ist, muss von den Beteiligten zumindest soweit geltend gemacht werden, dass die rechtliche Relevanz erkennbar wird und Anlass zu Ermittlungen von Amts wegen geben kann. Das ist nicht einmal ansatzweise geschehen. Die Revisionsinstanz dient allein der rechtlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils, sodass das BSG keine eigenen Tatsachenfeststellungen treffen kann (vgl BSGE 9, 266, 271; Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 163 RdNr 2; Lüdtke, Hk-SGG, 2. Aufl 2005, § 163 RdNr 2). Die Ausnahmen, die die Rechtsprechung für die Berücksichtigung neuer Tatsachen zugelassen hat (vgl Lüdtke, aaO, RdNr 6 und 7) liegen hier nicht vor. Das erübrigt auch ein näheres Eingehen auf das Vorbringen bezüglich seiner Schlüssigkeit und hinreichender Spezifizierung, die von der Klägerin beanstandet wird. Es besteht auch keine Veranlassung, den Rechtsstreit zur Nachholung unterbliebener Feststellungen an das LSG zurückzuverweisen. Denn dies setzte voraus, dass die Beklagte zu Recht eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das LSG (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) gerügt hätte oder weitere Ermittlungen nur wegen der abweichenden Rechtsauffassung des Senats erforderlich wären. Das ist indessen nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG aF.
Fundstellen
Haufe-Index 1644360 |
BSGE 2008, 125 |
AnwBl 2008, 44 |
SGb 2006, 733 |