Leitsatz (amtlich)
Ist ein Personenkraftwagen ein Arbeitsgerät und begibt sich ein Beschäftigter von seinem Wohnhaus zur Garage, um den Personenkraftwagen für die demnächst vorgesehene Fahrt zur Arbeitsstätte auf der Straße bereitzustellen, so steht er nach RVO § 549 unter Versicherungsschutz.
Normenkette
RVO § 549 Fassung: 1963-04-30, § 550 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 18. Februar 1971 wird unter Aufhebung der die Beigeladene betreffenden Kostenentscheidung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger war im Jahre 1968 als Prokurist Leiter der Abteilung Düngemittel eines Großhandelsunternehmens. Diese Stellung war mit einer ausgedehnten Reisetätigkeit verbunden. Für seine Fahrten benutzte der Kläger einen ihm vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Pkw; diesen durfte er auch für private Zwecke benutzen.
Der Kläger war am 20. Dezember 1968, einem Freitag, von 2-tägigen Kundenbesuchen zurückgekehrt. Am Vormittag des darauffolgenden Sonntags wollte er ins Geschäft fahren, um mit den Firmeninhabern, welche erfahrungsgemäß um diese Zeit dort anzutreffen waren, geschäftliche Dinge zu besprechen und um vorbereitete in seinem Schreibtisch bereitgestellte Weihnachtsgeschenke für Geschäftskunden mitzunehmen; diese Geschenke wollte er auf der am folgenden Tag geplanten Geschäftsreise verteilen.
Da das Frühstück noch nicht fertig war, wollte der Kläger die Zeit nutzen und den Pkw aus der Garage herausfahren und auf der Straße bereitstellen. Wohnhaus und Garage sind räumlich voneinander getrennt. Als der Kläger die etwas vereiste Treppe (vier Stufen) seines Eigenheims hinabging, glitt er auf der obersten Stufe aus. Er zog sich durch den Sturz einen Oberschenkelhalsbruch zu.
Die Beklagte versagte durch Bescheid vom 12. August 1969 die begehrte Unfallentschädigung mit folgender Begründung: Unfallversicherungsschutz (UV-Schutz) nach § 550 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei nicht gegeben, weil der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls sich nicht auf dem Weg ins Geschäft befunden habe. Die Voraussetzungen des § 549 RVO seien nicht erfüllt, da der Kläger mit einer der Verwahrung eines Arbeitsgeräts (firmeneigener Pkw) dienenden Handlung noch nicht begonnen habe, sondern sich erst auf dem im unversicherten privaten örtlichen Bereich liegenden Weg dazu befunden habe.
Das Sozialgericht (SG) Bremen hat durch Urteil vom 3. September 1970 aus denselben Erwägungen die Klage abgewiesen.
Das Landessozialgericht (LSG) Bremen hat durch Urteil vom 18. Februar 1971 auf die Berufung des Klägers und der Beigeladenen das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger Unfallentschädigung zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Bei dem vom Kläger benutzten Firmenwagen habe es sich um ein Arbeitsgerät im Sinne von § 549 RVO gehandelt. Im Zeitpunkt des Unfalls habe sich der Kläger - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht mehr im privaten örtlichen Bereich befunden, er habe sein Wohnhaus bereits verlassen gehabt. Da er nach der Einnahme des Frühstücks ins Geschäft habe fahren wollen, stehe das Hinaustreten aus der Haustür - vor dem Frühstück - zu dem Zweck, den Pkw aus der Garage zu holen, in ursächlichem Zusammenhang mit der Tätigkeit im Unternehmen. Die Voraussetzungen des § 549 RVO seien somit erfüllt. Im übrigen sei der UV-Schutz nach dieser Vorschrift auch bei der Zurücklegung von Wegen gegeben, die zum Verwahren eines Arbeitsgeräts erforderlich seien. UV-Schutz bestehe aber auch nach § 550 RVO, weil der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls bereits den ersten Abschnitt seines Wegs ins Geschäft zurückgelegt habe, wenn auch in der Absicht, diesen Weg zu unterbrechen, sobald er den Pkw auf der Straße bereitgestellt habe. Auf dem Weg von dort ins Haus und - nach Beendigung des Frühstücks - zurück zum Fahrzeug wäre dann allerdings der UV-Schutz zu verneinen gewesen; dieser hätte erst wieder eingesetzt, wenn der Kläger sich in den Pkw gesetzt hätte. Eine unversicherte Vorbereitungshandlung habe sonach zur Zeit des Unfalls nicht vorgelegen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger habe sich, als er den Unfall erlitten habe, noch nicht auf dem Weg zur Arbeitsstätte befunden; diesen Weg habe er erst nach dem Frühstück antreten wollen. Das Herausholen des Wagens aus der Garage stelle eine unversicherte Vorbereitungshandlung für den beabsichtigten Weg ins Geschäft dar. Eine Verwahrung im Sinne von § 549 RVO sei nicht beabsichtigt gewesen. Die Entwahrung eines Arbeitsgeräts, welches selbst ein Beförderungsmittel sei, falle nicht unter § 549 RVO. Würden mit ihm Betriebswege oder Wege zur oder von der Arbeitsstätte zurückgelegt, bestehe allenfalls UV-Schutz nach § 548 oder nach § 550 RVO. Diese Voraussetzungen seien jedoch zur Zeit des Unfalls nicht gegeben gewesen.
Die Beigeladene hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufungen zurückzuweisen,
hilfsweise,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Beigeladene beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Kläger ist in der Revision nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten (§ 166 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).
II
Die Revision ist nicht begründet.
Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß - wie auch die Beklagte nicht bezweifelt - der vom Kläger zur Zeit seines Unfalls benutzte Firmen-Pkw ein Arbeitsgerät im Sinne von § 549 RVO gewesen ist (BSG 24, 243, 246). Unter den Begriff der Verwahrung im Sinne dieser Vorschrift fällt auch die "Entwahrung" eines Arbeitsgeräts wie das Herausholen eines Pkw aus der Garage (Urteil des erkennenden Senats vom 23. Februar 1966 - 2 RU 208/64 -, VdK-Mitteilungen 1966, 172). Die Revision möchte dies, obwohl sie im Grunde ebenfalls dieser Auffassung ist, für den Fall einschränken, daß - wie hier - ein Beförderungsmittel als Arbeitsgerät anzusehen ist. Ihre Begründung, daß bei Beförderungsmitteln eine Beförderung im Sinne des § 549 RVO ausgeschlossen sei, berücksichtigt jedoch nicht, daß es sich in der vorliegenden Sache nicht um die Beförderung, sondern um das Gegenstück einer Verwahrung handelt. Den für den UV-Schutz erforderlichen inneren Zusammenhang der Entwahrung mit der Beschäftigung im Unternehmen hat das LSG ebenfalls mit Recht angenommen, weil diese Tätigkeit der Fahrt ins Geschäft dienen sollte (BSG 24, 243, 245 ff).
Der Kläger hatte allerdings mit dem Herausfahren des Pkw, um diesen auf der Straße für die demnächst vorgesehene Fahrt zur Arbeitsstätte bereitzustellen, im Zeitpunkt des Unfalls noch nicht begonnen. Er war - außerhalb seines Wohnhauses - erst unterwegs zur Garage, die mit dem Wohnhaus räumlich nicht verbunden ist. Dies schließt jedoch den UV-Schutz nicht aus. Der Kläger mußte den Weg, auf dem er den Unfall erlitten hat, zurücklegen, um die Entwahrung vornehmen zu können. Der zum Entwahren des Arbeitsgeräts erforderliche Weg bildete im vorliegenden Fall nach natürlicher Betrachtungsweise mit der Entwahrungshandlung einen einheitlichen Lebensvorgang. Der Kläger stand hierbei nach § 549 RVO unter Versicherungsschutz (vgl. BSG 24, 243, 247; ebenso Gunkel/Jegust, Der Arbeitsunfall, 3. Aufl., 1965 S. 86; Bereiter-Hahn/Schieke, Unfallversicherung, 4. Aufl., Anm. 2 zu § 549 RVO; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl., Kennzahl 060 S. 5; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-7. Aufl., Bd. II S. 482 f I).
Auf die - vom LSG ebenfalls bejahte - Frage, ob ein Wegeunfall im Sinne von § 550 Satz 1 RVO vorliegt, braucht somit nicht eingegangen zu werden.
Die Berufung war deshalb als unbegründet zurückzuweisen. Im Hinblick auf § 193 Abs. 4 SGG war allerdings die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts aufzuheben, soweit dieses die Beklagte verpflichtet hat, auch der Beigeladenen die Kosten des ersten und zweiten Rechtszuges zu erstatten.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen